Wen wählen? (Teil I – Europa)

Bei der Euro­pa­wahl jetzt am Sonn­tag ist es rela­tiv ein­fach. Zwar tre­ten unge­fähr drei­ßig Par­tei­en zur Wahl an, aber „dank“ der bun­des­wei­ten Fünf-Pro­zent-Hür­de redu­ziert sich die Aus­wahl der Par­tei­en, die Chan­cen haben, Sit­ze zu errin­gen, beträcht­lich. 2004 ent­sprach die Fünf-Pro­zent-Hür­de bei­spiels­wei­se etwa 1,3 Mio. Stim­men. In ande­ren Län­dern mag es – z.B. bezüg­lich der Pira­ten­par­tei – anders aus­se­hen, aber wer in Deutsch­land möch­te, dass sei­ne oder ihre Stim­me nicht nur zur Par­tei­en­fi­nan­zie­rung bei­trägt, son­dern mit dar­über ent­schei­det, wie das euro­päi­sche Par­la­ment zusam­men­ge­setzt ist, muss eine der eta­blier­ten Par­tei­en wählen. 

Neben­bei bemerkt: bei der ers­ten Euro­pa­wahl 1979 kamen die Grü­nen – damals noch als „Sons­ti­ge poli­ti­sche Ver­ei­ni­gung“, die Par­tei­en­grün­dung erfolg­te erst ein Jahr spä­ter – aus dem Stand her­aus auf 3,2 %. Das wird von Anhän­ge­rIn­nen der Pira­ten ger­ne als Indiz dafür genom­men, dass der Weg ins euro­päi­sche Par­la­ment mög­lich ist. Aber ers­tens schaff­ten es selbst die Grü­nen erst fünf Jah­re spä­ter, zwei­tens stand damals wohl, soweit ich zeit­ge­nös­si­sche Berich­te und Erzäh­lun­gen ken­ne, noch viel stär­ker als heu­te hin­sicht­lich der Netz­po­li­tik eine brei­te öffent­li­che Stim­mung in Rich­tung „Unzu­frie­den­heit mit den eta­blier­ten Par­tei­en“, Umwelt­schutz und sozia­le Bewe­gun­gen. Bei aller Begeis­te­rung ein­zel­ner über die dezen­tra­le Kam­pa­gnen­fä­hig­keit der Pira­ten­par­tei glau­be ich des­we­gen nicht, dass Geschich­te sich wie­der­holt (auch nicht als Farce).

Aber ich schwei­fe ab. Zurück zur Fra­ge „Wen wäh­len?“. Zur „Aus­wahl“ ste­hen bei mir jetzt also noch Bünd­nis 90/Die Grü­nen, CDU, CSU (die wohl lei­der über die Fünf-Pro­zent-Hür­de kom­men wer­den), DIE LINKE, FDP (wäre ja schön, wenn der Koch-Mehrin-Skan­dal ein biß­chen dazu bei­trägt, die FDP-Höhen­flü­ge abzu­dämp­fen) und SPD. 

Aus­wahl in Anfüh­rungs­zei­chen, weil ich als Par­tei­mit­glied der Grü­nen hier natür­lich nicht lan­ge über­le­gen muss. Ich bin mit unse­rem „Green New Deal für Euro­pa“ eben­so wie mit unse­rer Lis­te sehr zufrie­den (und WUMS etc. fin­de ich auch klas­se). Die­se Über­ein­stim­mung bestä­tigt auch der Wahl-o-mat, der zwar bei mir für „DIE FRAUEN“ noch ein klein wenig mehr an Über­ein­stim­mung aus­spuckt, aber s.o. zum The­ma Kleinst­par­tei­en. Und dass unse­re Lis­te sich in Euro­pa für Gleich­be­rech­ti­gung und Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit stark machen wird, steht für mich außer Frage. 

Aus einer etwas unab­hän­gi­ge­ren Per­spek­ti­ve kommt übri­gens heu­te die Redak­ti­on der Finan­cial Times Deutsch­land zu der sel­ben Wahl­emp­feh­lung für die Euro­pa­wahl – unter ande­rem des­we­gen, weil wir „nicht nur das längs­te, son­dern auch das aus­ge­feil­tes­te Pro­gramm“ haben und kon­kre­te Pro­jek­te vor­schla­gen, wo ande­re mit Mer­kel WIR­ren, auf schö­ne Gesich­ter set­zen oder vor allem sagen, wen sie nicht mögen. Wer noch Fra­gen zum grü­nen Euro­pa­wahl hat, kann die­se übri­gens ab sofort bei der Akti­on „3 Tage wach“ der grü­nen Bun­des­ge­schäfts­stel­le loswerden. 

Also: alles klar für Euro­pa, mein Kreuz bei grün (irgend­wo oben auf dem angeb­lich einen Meter lan­gen Stimm­zet­tel). Ein wenig anders sieht die Situa­ti­on für die Kom­mu­na­wahl aus. Dazu mehr in Teil II.

War­um blog­ge ich das? Teils als Wahl­emp­feh­lung, teils als Ein­blick in das Innen­le­ben eines Parteimitglieds.

Nach­trag: Eine Über­sicht über das Euro­pa-Wahl­recht in den ein­zel­nen EU-Staa­ten fin­det sich bei wahlrecht.de.

Nach­trag 2: Hier noch der „Offe­ne Brief“ – an SPD­le­rIn­nen, Nicht­wäh­le­rIn­nen, Bay­ern und Ange­la Mer­kel – unse­res Spit­zen­kan­di­da­tens Rein­hard Büti­ko­fer. Abso­lut lesenswert!

2 Antworten auf „Wen wählen? (Teil I – Europa)“

  1. Du schreibst:

    „aber wer in Deutsch­land möch­te, dass sei­ne oder ihre Stim­me nicht nur zur Par­tei­en­fi­nan­zie­rung bei­trägt, son­dern mit dar­über ent­schei­det, wie das euro­päi­sche Par­la­ment zusam­men­ge­setzt ist, muss eine der eta­blier­ten Par­tei­en wählen.“

    Ich fin­de die­se Ein­stel­lung im Sin­ne der Demo­kra­tie hoch­pro­ble­ma­tisch. Eben genau die­se Den­ke trägt doch dazu bei, daß es so ist, erweist sich also qua­si als selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­ung. Wür­den mehr Men­schen das Wort Wahl ernst neh­men und wirk­lich aus allen Alter­na­ti­ven wäh­len, anstatt nur auf die eta­blier­ten Par­tei­en zu schie­len, wäre auch für klei­ne­re Par­tei­en viel drin. Zwar ist für mich auch klar, daß ich Grün wäh­le. Aber ich fin­de, daß man trotz­dem immer wie­der beto­nen soll­te, daß die Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler die Wahl zwi­schen allen antre­ten­den Grup­pie­run­gen haben und nicht nur zwi­schen den eta­blier­ten Par­tei­en. Ein Umden­ken in die­sem Punkt könn­te sich m. E. näm­lich auch posi­tiv auf die Wahl­be­tei­li­gung auswirken.

    Die Pira­ten­par­tei wird es übri­gens ins Euro­pa­par­la­ment schaf­fen. Sie wird bei uns zwar die 5%-Hürde ver­mut­lich nicht kna­cken, aber sie liegt in Schwe­den bei 8%.

  2. Alex – du hast recht, dass unser Wahl­sys­tem es (nach Wei­mar gewollt …) Kleinst­par­tei­en ziem­lich schwer macht, sich zu eta­blie­ren. Das sieht in ande­ren Län­dern anders aus, und wenn die schwe­di­schen Pira­ten tat­säch­lich rein­kom­men (ob, wis­sen wir am Sonn­tag), dann ist das ja auch durch­aus span­nend. Eben­so, wie es span­nend ist, wel­cher Frak­ti­on sie der oder die Pira­tIn dann anschließt. Und ob dar­aus dann tat­säch­lich eine sta­bi­le Par­tei erwächst. 

    Trotz­dem: das, was nach­her poli­tisch zählt, sind die Sit­ze im Par­la­ment. Ich bin idea­lis­tisch genug, für unrea­lis­ti­sche inhalt­li­che Zie­le zu kämp­fen. Bezo­gen auf Wah­len hal­te ich aber nicht viel von einem Idea­lis­mus, der letzt­lich dazu führt, dass die eige­ne Stim­me ver­schenkt wird. Erst recht nicht im Bezug auf das euro­päi­sche Par­la­ment. Inso­fern blei­be ich dabei, dass es wenig Sinn macht, eine Kleinst­par­tei zu wäh­len, nur weil die die eige­ne Posi­ti­on noch ein klein wenig bes­ser wider­spie­gelt als eine der fünf bis sechs grö­ße­ren Parteien. 

    Ich gebe ger­ne zu, dass das Wahl­sys­tem anders aus­se­hen könn­te, und dann demo­kra­ti­scher wäre. Ich bin mir sicher, dass es für poli­ti­sches Enga­ge­ment nicht gut ist, dass eine Wahl für eine Par­tei letzt­lich immer eine Wahl für das klei­ne­re Übel ist, und immer Din­ge mit­ge­wählt wer­den, die einem oder einer gar nicht in den Kram pas­sen. Um das zu ändern, wäre sehr viel mehr Direkt­de­mo­kra­tie not­wen­dig – noch mal ein ganz ande­res Thema.

    Final­ly: selbst­er­fül­len­de Pro­phe­zei­ung – du kannst es so nen­nen, ich wür­de eher von Struk­tu­rie­rung im Sin­ne Gid­dens spre­chen: wir haben ein Vier-bis-Fünf-Par­tei­en-Sys­tem, weil alle (na gut, die dafür rele­van­te Mehr­heit) ihr Han­deln an der Erwar­tung aus­rich­tet, dass wir ein sol­ches Par­tei­en­sys­tem haben. Das sta­bi­li­siert die poli­ti­sche Struk­tur und macht Neue­run­gen trä­ge. Solan­ge die­se Erwar­tun­gen aber unge­bro­chen sind – und sie sind es, auch wenn sich mit der Eta­blie­rung der LINKEN eini­ges neu arran­giert hat – macht es kei­nen Sinn, gegen die­se Erwar­tun­gen zu spie­len. Bzw. wenn, dann eben im vol­len Bewusst­sein des Effekts, kurz­fris­tig kei­nen (poli­ti­schen) Effekt zu erreichen.

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