Ich habe mir noch keine abschließende Meinung dazu gebildet, was ich von der jetzt ausgesprochenen Teilgenehmigung für das Hamburger Kohlekraftwerk Moorburg halte. Prinzipiell sehe ich zwei verschiedene Argumentationslogiken:
- Die GAL hätte vorher wissen können, dass das Kohlekraftwerk ohne Milliardenschäden nicht mehr zu verhindern ist und hätte damit keinen Wahlkampf machen dürfen (würde mich mal interessieren, ob die Linkspartei auch Anti-Moorburg Wahlkampf gemacht hat), hat so jedenfalls ein zentrales Wahlversprechen gebrochen und sollte jetzt gehen (was zwar an der politischen Glaubwürdigkeit, aber nicht am Kraftwerksbau etwas ändert).
- Die GAL war überzeugt, dass das Kraftwerk auf dem Rechtsweg verhindert werden kann und sie hat ihr Möglichstes getan. Auch in jeder anderen Regierung wäre nicht mehr erreichbar gewesen – deswegen ist ein Ende der Koalition Unsinn, zudem könnten dann andere wichtige Projekte nicht verwirklicht werden.
In der Wahlversprechenbrechen-Logik weiss ich nicht genau, für wie glaubwürdig ich die GAL noch halten möchte.
Die Pressemitteilung von Hajduk ist jedenfalls ganz interessant zu lesen. Hajduk betont darin, dass Moorburg aus wasserrechtlichen Gründen nur mit eingeschränkter Leistung genehmigt wird, dass bei Verfügbarkeit CCS-Technologie (an deren baldige Existenz ich ebenfalls noch nicht so ganz glaube) nachgerüstet werden muss, dass Stickoxide streng kontrolliert werden und dass eigentlich ein Versagen der Genehmigung aus Klimagründen schön gewesen wäre, aber eben (noch) nicht möglich ist. Außerdem will Hamburg einen eigenen (ökologischen) Energieversorger gründen.
Das klingt alles nach den größtmöglichen Anstrengungen in der juristischen Niederlage – ob ich dahinter jetzt Machterhaltsspin vermuten möchte oder doch ehrliche Anstrengungen, das Schlimmste zu verhindern, erscheint mir kaum entscheidbar. Jetzt wird es spannend, wie die Hamburger Grünen-Mitglieder das ganze bewerten. In der Pressemitteilung des Landesverbandes heißt es hierzu:
Für den 9. Oktober lädt der Landesvorstand zu einer Landesmitgliederversammlung ein. Dazu Katharina Fegebank: „Beim Parteitag in der nächsten Woche sind unsere Mitglieder gefragt, die Moorburg-Entscheidung zu diskutieren und zu bewerten. Moorburg war ein zentrales Wahlkampfthema, und wir waren – wie Teile der EU-Kommission und die Umweltverbände – davon überzeugt, dass es noch rechtliche Möglichkeiten zur Verhinderung des Kraftwerks gab. Nachdem dies gescheitert ist, muss die Parteibasis zusammenkommen und über die heutige Entscheidung diskutieren.“
Warum blogge ich das? Weil sich an der Frage Kohle gerade ziemlich viel in Sachen Glaubwürdigkeitsmanagement lernen lässt. Nicht nur in Hamburg. Und noch ein heißer Tipp: die (Anti-)Kohlestrategie für den Klimaschutz wird uns bis in den Bundestagswahlkampf hinein beschäftigten.
Also: Ich für mich nehme die zweite Argumentation in Anspruch. Die Einschätzung von unsere Umweltrechtsexperten und allen Umweltverbänden war ja gemeinsam, dass es eine rechtliche Möglichkeit gibt, das Kraftwerk zu verhindern.
Unter diesen Vorraussetzungen war ich selber davon überzeugt. Und hätte wohl meinem Landesvorstand etwas um die Ohren gehauen, wenn sich die Auffassung nicht auch im Wahlprogramm wieder gefunden hätte.
Der entscheidende Wechsel war der Hinweisbeschluss vom Oberverwaltungsgericht, das sich der Auffasung von Umweltbehörde, Umweltverbänden und auch der EU Kommisssion nicht anschliessen wollte (die läppische Fischtreppe ist wichtiger als man annehmen will).
Ich würde wohl wieder so handeln, denn an meiner Überzeugung gegen Kohlekraftwerke hat sich nichts geändert. Und ich will dann auch jede Möglichkeit zumindest ernsthaft probiert wissen.
Die Umweltverbände sind naturgemäß ziemlich sauer. Robin Wood hat Aktionen und der BUND rechtliche Schritte angekündigt. Insofern frage ich mich, was (auch von Seiten der Behörde aus) getan werden kann, um das Oberverwaltungsgericht umzustimmen.
Wichtiger als die Fischtreppe erscheinen mir die wasserrechtlichen Einschränkungen, die Anja Hajduk verhängt hat. Ich kann aber tatsächlich nicht beurteilen, ob es für Vattenfall ein ernsthaftes Problem darstellt, an wärmeren Tagen nur eingeschränkte Leistung fahren zu können, oder ob das für die in die Erdnusskategorie fällt.
BTW: die Kritik des BUND ist durchaus konstruktiv:
Dass ist zwar alles eine sehr differenzierte Sichtweise und natürlich wäre es interessant zu wissen, wer, wie, wo, ab wann gewußt hat, dass Moorburg nur bei hohen Zahlungen zu verhindern sein würde.
Was mich wundert, ist wie schnell die Grünen in eine rein juristische Argumentation verfallen sind, statt das Ding eher politisch aufzuziehen, aber vielleicht ist das nur mein unvollständiger Eindruck von außen.
Ich finde das sollte das Ende der Koalition sein, weil – mal ehrlich – nicht mehr viel grün übrigbleibt. Die Kröte „Elbvertiefung“ hat man geschluckt um Moorburg wenigstens zu verhindern – nun sind beide großen umwelt- und klimapolitischen Kernanliegen der Grünen gescheitert. Abgesehen davon, dass die Glaubwürdigkeit der Grünen nicht nur unter diesen Projekten leidet, sondern auch daran, dass man ja Schwarz-Grün vor der Wahl ausgeschlossen hat und bereits da sein Wort „gebrochen“ hat.
Für mich hat diese Koalition keine Zukunft – oder um es zynischer oder polemischer zu sagen: zu viel Pragmatismus – ist ja alles ganz nett, was die Hajduk da gemacht hat und dass ein Möbelhaus verhindert werden kann, aber dafür halte ich die klimapolitische Glaubwürdigkeit der Grünen auf Landes- wie auf Bundesebene für einen zu hohen Preis.
Ich kann mir schon vorstellen, dass es ziemlich schwierig ist, als Regierung in solchen Fragen politisch zu agieren. Warum sollte das bei Grüns anders sein als anderswo?
Die taz berichtet vom „Grummeln der Basis“ und von unterdrückter Wut ohne klare AdressatIn (von der Infoveranstaltung für die Hamburger Mitglieder).
Ich glaube inzwischen, die Glaubwürdigkeitsfrage könnte – jenseits des Endes der Koalition – dadurch „geheilt“ werden, dass die Grünen tatsächlich, wie es der BUND vorschlägt, ihren Hamburger Koalitionspartner z.B. dazu bringen, gemeinsam eine Bundesratsinitiative zur Ergänzung von UVP-Richtlinien durch Klimavetrräglichkeit einzubringen. (Ohne jetzt sagen zu können, ob der Bundesrat das überhaupt machen kann und ob die Umweltverträglichkeitsprüfung der richtige Ort für sowas wäre. Aber jedenfalls ein deutliches Signal in Richtung „Moorburg war ein Phyrus-Sieg für die Energieindustrie – und Grüne haben dafür gesorgt, dass es einer wurde“. Da wäre ja politisches Handeln jenseits des reinen Pragmatismus möglich.
Ich finde, die GAL hat ein Glaubwürdigkeitsproblem, was das Halten von Wahlversprechen betrifft (die Hamburger Spitzenkandidatin Christa Goetsch sagte noch im Februar wörtlich: „Ich lege mich fest: Mit uns wird Moorburg nicht kommen!“), nicht aber, was ihre Energiepolitik betrifft.
Das Wahlversprechen hat sie in jedem Fall gebrochen. Die rechtlichen Möglichkeiten, Moorburg noch zu stoppen, hat die GAL zu optimistisch bewertet. Aber wenn man wie in diesem Fall auf Gerichte angewiesen ist, muss man naturgemäß vorsichtig sein. Da war die SPD durchaus schlauer, die hat nur gesagt: „Wir wollen Moorburg nicht!“
Was die vielen Auflagen betrifft, die Vattenfall für den Kraftwerksbau mit auf den Weg gegeben werden, muss man anerkennen: So weit wäre keine andere Partei gegangen, eine schwarz-rote Koalition hätte die Genehmigung wohl durchgewunken. Hier lobt auch der BUND, dass Hajduks Umweltbehörde „stellenweise hervorragende Arbeit geleistet“ hat, so dass die Grünen hier „einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit gerettet“ hätten.
Zum Thema „Auflagen“ interessant ein heutiger Artikel in der taz unter der Überschrift „Hintertür zur Unwirtschaftlichkeit“.
Und eine Gegenfrage hätte ich an Agnieszka: Wie sollte die GAL denn Deiner Meinung nach „politischer“ (und weniger „juristisch“) agieren? Hadjuk hat als Umweltsenatorin einen Genehmigungsantrag vor sich liegen, über den sie entscheiden muss. Grundsätzlich steht Vattenfall nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz ein Anspruch auf Genehmigung des Kraftwerks zu, wenn dieses nicht gegen geltende Gesetze verstößt. Ein politischer „Ermessensspielraum“ besteht hier (jedenfalls in diesem Stadium des Genehmigungsverfahrens) nicht (mehr).