Kommunalwahl 2014: Freiwilligkeit hilft Geschlechtergerechtigkeit nicht

Baden-Würt­tem­berg ist, was den Frau­en­an­teil in den poli­ti­schen Gre­mi­en betrifft, ein kla­res Rote-Later­ne-Land. Bei der Kom­mu­nal­wahl 2014 gab es – nach­dem wei­ter­ge­hen­de Pari­té-Ideen nicht mehr­heits­fä­hig waren – zum ers­ten Mal eine Soll-Vor­schrift, dass die Par­tei­en und Lis­ten gleich vie­le Frau­en wie Män­ner auf­stel­len sol­len. Bei Ver­stö­ßen dage­gen waren aller­dings kei­ner­lei Sank­tio­nen zu befürch­ten; nach­dem das rhein­land-pfäl­zi­sche Ver­fas­sungs­ge­richt eine Doku­men­ta­ti­on der Frau­en­an­tei­le auf den Stimm­zet­teln ver­bo­ten hat, wur­de auch die­ses Mit­tel nicht herangezogen.

Die­se Soll-Vor­schrift hat, wie das Sta­tis­ti­sche Lan­des­amt in einer aus­führ­li­chen Pres­se­mit­tei­lung dar­stellt, nicht so rich­tig funk­tio­niert. Bereits der ers­te Schritt – die Auf­stel­lung von gleich vie­len Frau­en wie Män­nern – fand nicht statt. Nur 30,5 Pro­zent der Bewer­be­rIn­nen für die Gemein­de­rats­wah­len waren Frau­en (+1,8 Pro­zent­punk­te ggü. 2009). Dabei ist noch nicht berück­sich­tigt, wo auf den Stimm­zet­teln Frau­en plat­ziert waren. Bei den Kreis­tags­wah­len waren 30,2 Pro­zent der Bewer­be­rIn­nen Frau­en (+3,4 Pro­zent­punk­te ggü. 2009).

Die Umset­zung der Soll-Vor­schrift wur­de in den ein­zel­nen Par­tei­en sehr unter­schied­lich ernst genom­men, wie das Sta­tis­ti­sche Lan­des­amt schreibt. Dies betrifft sowohl die Kreis­ta­ge als auch die Gemeinderäte.

Partei/Liste Gemein­de­rä­te
Frau­en­an­teil (vgl. 2009)
Kreis­ta­ge
Frau­en­an­teil (vgl. 2009)
Kand. Gewähl­te Kand. Gewähl­te
GRÜNE 46,6 % 44,8 % (+1,0) 43,9 % 43,3 % (+2,4)
SPD 35,7 % 33,3 % (+1,2) 34,8 % 24,1 % (+1,7)
FDP 30,1 % 17,7 % (+1,5) 22,8 % 15,0 % (+3,4)
Wäh­ler­ver­ein. 29,6 % 22,7 % (+1,0) 26,3 % 14,6 % (+3,0)
Gem. Wahlv. 28,7 % 21,7 % (+2,3) 32,6 % 22,0 % (+11,4)
and. Par­tei­en 28,6 % 27,1 % (+6,2) 28,5 % 10,4 % (+3,3)
CDU ca. 25 % 18,9 % (+2,2) 25,1 % 12,0 % (+1,3)

Dabei ist zu berück­sich­ti­gen, dass unter den Wäh­ler­ver­ei­ni­gun­gen auch grün-nahe Lis­ten und Frau­en­lis­ten zu fin­den sind.

Deut­lich wird in die­ser Tabel­le, dass es zwei Hür­den sind, an denen eine aus­ge­wo­ge­ner Ver­tre­tung unter­schied­li­cher Geschlech­ter in den kom­mu­na­len Gre­mi­en schei­tert. Das eine ist die Auf­stel­lung. Halb­wegs ernst genom­men haben nur die Grü­nen die gesetz­lich ver­an­ker­te Soll-Rege­lung, glei­cher­ma­ßen Frau­en und Män­ner auf­zu­stel­len; auch hier ist aller­dings auf­fäl­lig, dass sowohl für die Gemein­de­rä­te (inkl. der Stadt­krei­se) als auch für die Kreis­ta­ge die 50-Pro­zent-Vor­ga­be nicht erfüllt wurde.

Alle ande­ren Par­tei­en und Lis­ten – von ein­zel­nen Frau­en­lis­ten und klei­ne­ren Par­tei­en ein­mal abge­se­hen – stel­len nur ein Vier­tel bis ein Drit­tel Frau­en auf. Das betrifft die SPD genau­so wie die kon­ser­va­ti­ve Sei­te des Spek­trums. Ins­be­son­de­re die CDU, die in den Kom­mu­nen und Krei­sen im Land lei­der nach wie vor sehr oft die bestim­men­de Kraft ist, hat auf ihren Lis­ten nur etwa ein Vier­tel Frau­en. Damit kommt ihr ein beson­de­res Gewicht dafür zu, dass die Soll-Vor­ga­be klar ver­fehlt wird.

Die zwei­te Hür­de ist die Wahl­ent­schei­dung selbst. Wäh­rend bei Grü­nen und SPD (hier aller­dings nicht bei den Kreis­ta­gen – dies könn­te ein Effekt des Wahl­kreis­ver­fah­ren sein) auch in etwa in dem Maße Frau­en gewählt wer­den, wie wel­che auf­ge­stellt wor­den sind – zumeist ja im Reiß­ver­schluss­ver­fah­ren – liegt die Gewähl­ten­quo­te bei CDU und FDP, aber auch bei den Wäh­ler­ver­ei­ni­gun­gen, noch ein­mal deut­lich nied­ri­ger. Ob dies an schlech­ten Plät­zen für die Frau­en oder am Wahl­ver­hal­ten liegt (CDU und FDP sind ja Par­tei­en, die ten­de­ni­zi­ell eher von älte­ren Män­nern als von jün­ge­ren Frau­en gewählt wer­den), müss­te im ein­zel­nen über­prüft wer­den. Jeden­falls zeigt sich hier deut­lich die Kehr­sei­te von Pana­schie­ren und Kumu­lie­ren: Män­ner wer­den nicht nur häu­fi­ger auf­ge­stellt, son­dern – zumin­dest bei eini­gen Lis­ten – auch deut­lich häu­fi­ger gewählt.

Anek­do­tisch kann ich berich­ten, dass die CDU für den Frei­bur­ger Stadt­rat durch­aus eine – in der Sum­me – quo­tier­te Lis­te auf­ge­stellt hat, dass auch unter den ers­ten zehn Plät­zen eini­ge Frau­en waren, dass von die­sen aber nur eine ein­zi­ge den Ein­zug in den Stadt­rat geschafft hat. 

Trotz­dem bleibt anzu­neh­men, dass eine Muss-Vor­schrift für quo­tiert besetz­te Lis­ten auch auf der kon­ser­va­ti­ven Sei­te des Spek­trums für eine bes­se­re Ver­tre­tung von Frau­en in den Gemein­de­rä­ten und Kreis­ta­gen gesorgt hätte. 

Ein Neben­ef­fekt die­ser Ungleich­ver­tei­lung: die 120 Frau­en, die für GRÜNE in den Kreis­ta­gen sit­zen, stel­len auch abso­lut betrach­tet den größ­ten „Block“ an Frau­en dar. 

Frauenanteil unter den Gewählten in den Kreistagen und kreisfreien Städten Baden-Württembergs (2014)
Zugrun­de­lie­gen­de Kar­te: Baden-Würt­tem­berg-Loca­ti­on-Map, CC-BY-SA von Ssch und Kju­nix

Neben die­sem Blick auf die ein­zel­nen Par­tei­en und Lis­ten ist auch der Blick auf die resul­tie­ren­den Frau­en­an­tei­le in den Gre­mi­en ins­ge­samt inter­es­sant. Lan­des­weit liegt der Frau­en­an­teil für die Kreis­ta­ge bei 18,9 Pro­zent (+2,0), in den Gemein­de­rä­ten (inkl. Stadt­krei­se, ohne die weni­gen Kleinst­ge­mein­den mit Mehr­heits­wahl­recht) liegt er bei 24,1 Pro­zent (+1,9) – in bei­den Fäl­len also noch ein­mal deut­lich unter dem Anteil der Frau­en an den Bewer­be­rIn­nen. Neben der Stär­ke der kon­ser­va­ti­ven Par­tei­en und Lis­ten (oder umge­kehrt: da, wo Grü­ne stark sind, ist auch der Frau­en­an­teil höher) dürf­te dies auch ein Effekt des neu­en Sitz­be­rech­nungs­sys­tems nach Saint-Laguë/­Sche­pers sein, das ins­be­son­de­re in den Groß­städ­ten den gro­ßen Lis­ten Sit­ze gekos­tet hat und den Ein­zug vie­ler klei­ner Lis­ten ermög­licht hat, die dann in der Ten­denz eher durch einen Mann als durch eine Frau ver­tre­ten sind.

Dabei gibt es sowohl im Anteil als auch in den Ver­än­de­run­gen gegen­über 2009 lan­des­weit deut­lich Unter­schie­de. In Hei­del­berg, Frei­burg, Karls­ru­he, Mann­heim und Stutt­gart sinkt der Frau­en­an­teil deut­lich. Dies kann ein Effekt von Saint-Laguë sein, ist aber als Ergeb­nis einer Reform, die den Frau­en­an­teil stei­gern soll­te, besorg­nis­er­re­gend. (Dabei wur­de z.B. in Frei­burg im öffent­li­chen Raum par­tei­über­grei­fend für die Wahl von Frau­en geworben …).

In Ulm – dies­mal der abso­lu­te Spit­zen­rei­ter – steigt der Anteil der Frau­en im Stadt­rat auf 47,5 Pro­zent (+15,0).

In den Land­krei­sen ent­lang der Rhein­schie­ne steigt der Frau­en­an­teil dage­gen. Ansons­ten ist die Lage unein­heit­lich: So ist Göp­pin­gen mit 30,2 Pro­zent Frau­en­an­teil Spit­zen­rei­ter bei den Land­krei­sen; der direkt dane­ben lie­gen­de Land­kreis Hei­den­heim weist mit 6,4 Pro­zent dage­gen einen der nied­rigs­ten Antei­le auf. Ähn­li­che sieht es mit dem Zol­lern­alb­kreis (25,0%) und Rott­weil (7,0%) aus. 

Nach Göp­pin­gen die höchs­ten Zuwäch­se in den Land­krei­sen gibt es (in Pro­zent­punk­ten) im Main-Tau­ber-Kreis (+8,3 auf 14,6%), im Land­kreis Freu­den­stadt (+8,0 auf 10,3%), im Rhein-Neckar-Kreis (+7,3 auf 25,7%) sowie im Schwarz­wald-Baar-Kreis (+7,2 auf 19,7%), ohne dass hier struk­tu­rel­le Gemein­sam­kei­ten vor­lie­gen. Gleich­zei­tig sinkt der Frau­en­an­teil in struk­tu­rell durch­aus ähn­li­chen Land­krei­sen. Hier müss­ten loka­le Gege­ben­hei­ten genau­er betrach­tet wer­den, um jeweils Erfolgs­fak­to­ren zu identifizieren. 

Die Kar­te macht zugleich deut­lich, dass ins­be­son­de­re im „tie­fen“ länd­li­chen Raum abseits der gro­ßen Städ­te – in Süd­würt­tem­berg, im Nord­os­ten des Lan­des, auf dem Schwarz­wald – nur ein sehr gerin­ger Anteil der Kreis­rä­tIn­nen Frau­en sind. Auch hier ist der Frau­en­an­teil zum Teil noch ein­mal gesun­ken. Wenn das Ziel einer etwa gleich­star­ken Ver­tre­tung von Frau­en und Män­nern in poli­ti­schen Gre­mi­en rich­tig ist, besteht hier defi­ni­tiv Handlungsbedarf.

Im Fazit wird deut­lich, dass die Soll-Vor­schrift im Kom­mu­nal­wahl­recht kaum dazu bei­getra­gen hat, mehr Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit in den kom­mu­na­len Gre­mi­en zu ver­an­kern. Ins­be­son­de­re auf der kon­ser­va­ti­ven Sei­te des Spek­trums wur­de die­se Vor­schrift igno­riert; die kan­di­die­ren­den Frau­en wur­den zudem – wie­der­um ins­be­son­de­re auf der kon­ser­va­ti­ven Sei­te – sel­te­ner gewählt als ihre männ­li­chen Mit­be­wer­ber. Im Ergeb­nis ist lan­des­weit ein mit gutem Gewis­sen viel­leicht gera­de ein­mal als mode­rat zu bezeich­nen­der Anstieg des Frau­en­an­teils in den Gemein­de­rä­ten und Kreis­ta­gen zu ver­zeich­nen. Die­ser Anstieg ver­deckt eine besorg­nis­er­re­gen­de Aus­ein­an­der­ent­wick­lung zwi­schen den unter­schied­li­chen Lan­des­tei­len, ins­be­son­de­re auch zwi­schen Städ­ten und länd­li­chem Raum – und er ver­deckt die Tat­sa­che, dass, mög­li­cher­wei­se als Neben­ef­fekt von Saint-Laguë – gera­de in den größ­ten Städ­ten des Lan­des der Frau­en­an­teil deut­lich gesun­ken ist.

Ähn­lich wie bei der geschei­ter­ten „Quo­ten­re­ge­lung“ für Füh­rungs­po­si­tio­nen in DAX-Unter­neh­men zeigt sich, dass frei­wil­li­ge Maß­nah­men, die nicht struk­tu­rell und recht­lich unter­füt­tert sind, wenig bringen. 

War­um blog­ge ich das? Als klei­nen Rea­li­ty-Check zu den dann doch deut­lich weni­ger effek­ti­ven Gleich­stel­lungs­maß­nah­men im Kom­mu­nal­wahl­recht.

2 Antworten auf „Kommunalwahl 2014: Freiwilligkeit hilft Geschlechtergerechtigkeit nicht“

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