Auch als Reaktion auf diese sehr empfehlenswerte Auseinandersetzung mit der zwischen Klischee und Kabarett schwankenden heute-show habe ich mir deren letzte Ausgabe (6. Juni 2014) mal etwas genauer angeschaut. Was passiert in der guten halben Stunde, in der Oliver Welke die Politik der vergangenen Woche aufs Korn nimmt?
Feststellen lässt sich zunächst einmal, dass die Anzahl der Themen beschränkt ist. In der Ausgabe vom 6. Juni waren es, je nachdem, wie gezählt wird, sechs oder sieben Themen, die zur Sprache gekommen sind. (Wobei die These, dass hier Themen bearbeitet werden, auch nicht ganz unterhinterfragt gelassen werden kann, aber dazu unten mehr). Die Sendung war jedenfalls wie folgt aufgebaut:
- Begrüßung (0,5 min)
- D‑Day, Ukraine, Kriegspolitik (3 min)
- Bundeswehr-Reformen (6 min)
- Flughafen Berlin-Brandenburg (7 min)
- NSA, BND (7,5 min)
- Kirchentag (6 min)
- Martin Sonneborn zieht ins Europaparlament ein (4,5 min)
- Abspann
Hier darf sich jede und jeder selbst kurz fragen, ob das die Top-Themen der letzten Woche waren. Zum Vergleich bietet sich das in der Wikipedia erfasste Tagesgeschehen für den 1.–6. Juni 2014 an.
Die längeren Blöcke waren dabei jeweils noch einmal unterteilt in einen Teil, in dem Oliver Welke die Themen mit Hilfe von Bildeinblendungen und Filmschnippseln kommentierte, und einen Teil, in dem seine KollegInnen einbezogen wurden (Gernot Hassknecht zur Bundeswehr, Birte Schneider zu BER, Tina Hausten zum BND und Christian Ehring zum Kirchentag).
Dabei gibt es eine Reihe von Standardformate (der sich in einen Wutausbruch steigernder Hassknecht-Monolog, das Gespräch am Studiotisch zwischen Welke und einer zweiten Person, hier Ehring, die Schalte zum Kollegen oder der Kollegin vor Ort, hier Hausten, die angeblich beim BND ist, die TV-Parodie, hier Schneider als Wahrsagerin in der ZDF astroshow). Sonneborn wurde diesmal – anlässlich seines vorerst letzten Auftritts aufgrund seiner Wahl – in einem „best of“-Einspieler gezeigt, zudem interviewte er als Einstieg in seine Arbeit im EP einen Waffenlobbyisten.
Auffällig ist nun bei näherem Hinsehen die extreme Personalisierung der Satireanlässe. Personalisierung findet dabei in doppelter Hinsicht statt: die Themen werden immer wieder mit Hilfe bestimmter Personen dargestellt, die dann zudem karikiert und z.T. auch ad personam angegriffen werden. Neben Merkel, Obama und Putin betraf dies in der Sendung, die ich mir angeschaut habe, insbesondere Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen („Flintenuschi“), Hartmut Mehdorn (der als unzurechnungsfähiger Greis dargestellt wurde) sowie den Generalbundesanwalt Harald Range (dito). Außerdem wurden Verkehrsminister Dobrindt, der in einen Korruptionsfall verwickelte Jochen Großmann (BER), Berlins regierender Bürgermeister Wowereit sowie Markus Lanz thematisiert. Dazu kam der Sonderfall Sonneborn (hier wurde es dann selbstreferentiell) und das Thema Kirchentag, bei dem Image (Papst Franziskus, Kirche der Armen/arme Kirche) und verschwenderische/heuchlerische Wirklichkeit (?) (Tebartz-van Elst, div. Kardinäle und Bischöfe) gegeneinander gestellt wurden. Neben der katholischen Kirche wurde auch der BND als Institution durch den Kakao gezogen.
Die Themen Bundeswehr, BER und z.T. auch NSA (Ermittlungen von Range) wurden dagegen – das ist ja auch die Kernthese der Artikels in der Süddeutschen Zeitung – in einer seltsamen Mischung aus politischem Kabarett und unpolitischer Comedy mit populistischen Zügen bearbeitet.
Beispiel Bundeswehrreform: Eine immer wiederkehrende Aussage war, dass die „pfiffigen Ideen“ von Ministerin von der Leyen, die zu einer „Wohlfühlbundeswehr“ führen – bessere Ausstattung der Kasernen, Kitas und Kühlschränke – sowohl ihre eigenen militärischen Ambitionen („Afrikafeldzug“) als auch die schlechte operative Ausstattung der Armee überdecken sollen. Solange billige Witze möglich sind, ist eine fehlende, sich durchziehende Haltung dabei verzichtbar. Ist die Bundeswehr zu schlecht ausgerüstet oder eigentlich überflüssig? Egal, solange damit das Klischeebild der letztlich machthungrigen, aber inkompetenten Frau (die sich für Wellness, Kinder und Kochrezepte interessiert, statt zu wissen, was gut für harte Männer ist – so suggerieren es die Einblendungen und Begrifflichkeiten wie „Kinderquatsch“, „Call of beauty“, „Wohlfühlbundeswehr“), unterstrichen werden kann, passt es schon.
Vielleicht muss ja ein bisschen Klamauk sein. Noch stärker persönlich-beleidigend waren die beiden Beiträge, die sich um Mehdorn bzw. Range drehten. Denn eigentlich ging es nicht um den Berliner Flughafen oder um die NSA-Affäre, sondern darum, mit Hilfe von Schnitten und ausgewählten Versprechern beide als verwirrte, kaum noch zurechnungsfähige Alte darzustellen. So wurde Hartmut Mehdorn in einem eingeblendeten Bild als „geistiger Tiefflieger“ bezeichnet, aus einer Talkshow wurde sein Ringen nach Worten vorgeführt – das ganze endete mit dem Thema „Entrauchungsanlage – auch das wird Hartmut Mehdorn vergeigen“. Kurz: Das Problem BER scheint an einer Person zu hängen. Womit es dann fast schon unpolitisch wird (auch wenn einiges lustig war).
Ähnlich bei Harald Range, der als „Opi“ und als „Professor Hastig“ dargestellt wurde, dem die „Dynamik einer Wanderdüne“ und das „Charisma eines Ytong-Steines“ zugeschrieben wurden. Wenn die heute show Recht hat, ist Range, der sich erst auf Druck hin überhaupt bereit erklärt hat, wegen der Überwachung des Handys der Kanzlerin Ermittlungen einzuleiten, ein völlig unfähiger Generalbundesanwalt. Versprecher und Pannen aus einer Pressekonferenz werden als Belege dafür eingeblendet. Die fehlenden Aktivitäten sind definitiv ein politisches Problem. Ob Range wirklich unfähig ist – oder einfach nicht besonders telegen – kann ich nicht beurteilen. Aber was war nochmal das Thema?
Wer möchte, darf hier eine Förderung der Postpolitik unterstellen. Es geht nicht um politische Zusammenhänge, und nur äußerst selten um die Zuspitzung investigativ ermittelter Tatbestände. Mehr oder weniger direkt wird das Bild bedient, dass „die da oben“ geldgierig, unfähig, machtbesessen und korrupt sind. Wenn solche Bilder immer wieder bedient werden, ist das Stammtisch, nicht mehr und nicht weniger. Oder das Foren-Kommentariat von Spiegel Online, was auch nicht besser ist.
Und dann sind da so Stellen, wo durchscheint, dass ein großer Teil der heute-show eigentlich auf recht billigen Pointen aufbaut, lustige Bildchen, Boulevard. (Ja, in der Kirchentagskritik ging es auch fast eine Minute lang darum, dass dort eine Band aufspielte, die die „Sechs Lustigen Fünf“ heißt und zu siebt war …). Zwischendrin gibt es viel Applaus (Schwenk über das Publikum) und Gelächter. Und immer wieder wird mit viel Pomp beleidigt. Entweder geht es dabei gegen Personen – oder auch gleich gegen ganze Personengruppen (der SZ-Text enthält einige Beispiele). Das ist dann oft die unterste Vorurteilsschublade, in die gegriffen wird. Nicht jeder Fehltritt ist entlarvend.
Es ist ja nicht alles schlecht an der heute-show (auch deswegen schaue ich sie recht regelmäßig). Da, wo es tatsächlich zu Selbstentlarvungen kommt – wenn etwa ein Jugendoffizier der Bundeswehr diese im Schulgespräch mit dem ADAC vergleicht – ist die heute-show richtig gut. Und auch da, wo sie politische Fehlentwicklungen pointiert zuspitzt. Oder auch da, wo sie Fernsehen und dessen Formate parodiert, und so dessen Mechanismen offenlegt.
Wenn Oliver Welke sich dabei insgesamt etwas mehr Intelligenz und Haltung trauen würde, würde ich sie sogar richtig gerne schauen – und nicht bei der Hälfte der Beiträge ein Würgegefühl nur mühsam unterdrücken. Aber jetzt ist ja erst mal Sommerpause. Mal sehen, wie es danach aussieht.
Warum blogge ich das? Weil ich mal sehen wollte, ob Empirie und Vorurteil zusammenpassen.
Danke für die aufwändige Analyse und den Schlusssatz ;-) Das Beleidigende hält mich inzwischen fast vollständig davon ab die Sendung zu schauen. Leider sind die potentiellen Interviewpartner inzwischen meist in Bilde was die heute-show ist und lassen sich vom ZDF Mikrofon nicht mehr so täuschen wie früher.