Regieren nach Zahlen: Was auf der BDK 2013 ansteht (Update)

„Zeit für den grü­nen Wan­del“ – unter die­sem Mot­to steht der Antrag des Bun­des­vor­stands für das grü­ne Wahl­pro­gramm 2013. Der Antrag und alle etwa 2500 Ände­rungs­an­trä­ge sind hier abruf­bar. Wir sind also noch flei­ßi­ger gewe­sen als sonst und haben damit ver­mut­lich die Bun­des­ge­schäfts­stel­le an ihre abso­lu­ten Belas­tungs­gren­zen gebracht. Ab Frei­tag wird dann ent­schie­den, wie das end­gül­ti­ge Pro­gramm aus­sieht – und ob wir Him­bee­ren oder Erd­bee­ren als Bei­spiel für außer der Sai­son ange­bo­te­ne Früch­te bevorzugen.

Nach­dem jetzt alles auf dem Tisch liegt (bis auf die Antrags­über­sich­ten der Antrags­kom­mis­si­on, aus denen ersicht­lich ist, für wel­che Anträ­ge Über­nah­men emp­foh­len wer­den – aber die sol­len ab mor­gen kom­men), habe ich mir mal den Spaß gemacht, und Pro­gramm und Ände­rungs­an­trä­ge in Excel gekippt. Genau­er gesagt habe ich zwei Din­ge gezählt: die Zahl der Zei­len pro Kapi­tel, und die Zahl der Ände­rungs­an­trä­ge pro Kapi­tel (hier die Daten dazu). Ers­te­re sind durch­num­me­riert, inso­fern war das rela­tiv ein­fach – bei letz­te­ren habe ich mich mög­li­cher­wei­se an der einen oder ande­ren Stel­le ver­zählt. Trotz­dem las­sen sich damit ein paar inter­es­san­te Aus­sa­gen dazu tref­fen, wo wir im Wahl­kampf Schwer­punk­te set­zen – und wo die Par­tei beson­ders dis­kus­si­ons­freu­dig ist.

Zunächst ein­mal zum Auf­bau des Pro­gramms. Der sieht, in Zah­len gefasst, so aus:

Dar­ge­stellt sind hier die Text­zei­len pro Kapi­tel. Deut­lich wird, das neben der Prä­am­bel (493 Zei­len) die Kapi­tel zu Wirt­schaft (495 Zei­len), zu Bür­ger­rech­ten (440 Zei­len) und zu Sozi­al­po­li­tik (413 Zei­len) am meis­ten Raum ein­neh­men. Aller­dings ist die­se Aus­sa­ge inso­fern mit Vor­sicht zu genie­ßen, als z.B. das, was bei ande­ren Par­tei­en ein „Umwelt­ka­pi­tel“ wäre, bei uns auf die The­men­fel­der Ener­gie (326 Zei­len), Umwelt (335 Zei­len), Mobi­li­tät (213 Zei­len) und Ver­brau­cher­schutz (218 Zei­len) ver­teilt ist. Stän­den die alle in einem Kapi­tel, wür­de die­ses deut­lich am meis­ten Raum einnehmen.

Rela­tiv umfang­reich fällt die­semal die Netz­po­li­tik mit 341 Zei­len aus (zum Ver­gleich: das gan­ze Bil­dungs­ka­pi­tel inkl. Schu­le und Hoch­schu­le und For­schung umfasst nur 311 Zeilen).

Mal sehen, wie sich das nach dem Par­tei­tag ver­än­dert. Es gibt Anträ­ge, gan­ze neue Kapi­tel ein­zu­fü­gen, und es gibt auch Anträ­ge, die Rei­hen­fol­ge umzustellen.

Ände­rungs­an­trä­ge – davon gibt es sehr vie­le. Die BAGen, die Lan­des­ver­bän­de, die Kreis­ver­bän­de und vie­le Ein­zel­per­so­nen waren sehr flei­ßig. Eine Aus­wer­tung danach, wel­che Akteue­re wie vie­le Anträ­ge gestellt haben (viel­leicht sogar ver­bun­den mit einer Netz­werk­ana­ly­se der Unter­stüt­ze­rIn­nen) wäre eben­so wie eine Ana­ly­se der „Hot spots“ im Wahl­pro­gramm eben­falls span­nend, die konn­te ich aber nicht leisten. 

Was ich gemacht habe, ist die Zahl der Ände­rungs­an­trä­ge pro Kapi­tel mit dem Umfang des Kapi­tels in Ver­bin­dung zu set­zen. Her­aus kommt ein Indi­ka­tor „Anträ­ge pro Zei­le“ – wenn der bei 1,0 läge, gäbe es rech­ne­risch zu jeder Zei­le des betref­fen­den Kapi­tels einen Ände­rungs­an­trag, geht er auf z.B. 0,1 zurück, ist nur jede zehn­te Zei­le von einem Ände­rungs­an­trag betrof­fen. (Das stimmt auch nicht ganz, weil die Ände­rungs­an­trä­ge natür­lich nicht punk­tu­ell sind, son­dern zumeist meh­re­re Zei­len – z.T. meh­re­re Sei­ten – ver­än­dern wol­len. Trotz­dem den­ke ich, dass die Zahl der Änderungsanträge/Zeile ein ganz guter Indi­ka­tor dafür ist, wel­che Kapi­tel heiß umstrit­ten sind, und wo das grü­ne Herz zufrie­den auf Ände­rungs­wün­sche ver­zich­tet hat). 

Der Quo­ti­ent Ände­rungs­an­trä­ge pro Zei­le reicht hier von 0,15 im Kapi­tel zur Kom­mu­nal­po­li­tik (und 0,16 beim Ver­brau­cher­schutz) bis zu 0,81 im Ener­gie­ka­pi­tel – das geht es unter ande­rem auch um den Umgang mit dem Atom­aus­stieg, und natür­lich ins­ge­samt um eine grü­ne Kern­kom­pe­tenz, inso­fern wun­dert es mich nicht, das hier­zu sehr vie­le Ände­rungs­an­trä­ge im Ver­hält­nis zum Text vor­lie­gen. Ähn­lich hohe Wer­te errei­chen die The­men Mobi­li­tät (0,70) und Umwelt (0,60). Ein klei­nes biss­chen Ein-Punkt-Par­tei schim­mert da noch durch …

Danach kommt dann mit einem Quo­ti­en­ten von 0,53 das Bil­dungs­ka­pi­tel. Schu­le ist ein hei­ßes The­ma, zum Hoch­schul­be­reich haben wir allein als BAG Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik fast drei­ßig Ände­rungs­an­trä­ge ein­ge­reicht, und auch Cam­pus­grün und die Grü­ne Jugend sind nicht untä­tig geblie­ben. Was davon – neben vie­len inhalt­li­chen Prä­zi­sie­run­gen und fach­li­chen Ergän­zun­gen – am Sams­tag tat­säch­lich debat­tiert und abge­stimmt wer­den muss, wird sich zei­gen. Ein hei­ßer Tipp mei­ner­seits ist in die­sem Antrags­feld das The­ma Zivil­klau­sel und Umgang mit For­schungs­frei­heit, zu dem eine gan­ze Rei­he an Anträ­gen vorliegen.

In abso­lu­ten Zah­len reicht die Zahl der Ände­rungs­an­trä­ge pro Kapi­tel übri­gens von 35 Anträ­gen zum Ver­brau­cher­schutz über ein Mit­tel­feld von 80–150 Ände­rungs­an­trä­gen in den meis­ten Kapi­teln bis zu 203 Anträ­gen zu Bür­ger­rech­ten, 213 zu Wirt­schaft und 264 zur Ener­gie­po­li­tik (wie­der­um ohne Gewähr dafür, dass ich mich nicht ver­zählt habe).

War­um blog­ge ich das? Weil ich die gro­ße Zahl der – auch wenn’s um Him­bee­ren geht – ernst gemein­ten Anträ­ge als Zei­chen dafür sehe, das wir eine leben­di­ge Par­tei sind, die ins­ge­samt ein gro­ßes Inter­es­se dar­an hat, ein durch­dach­tes und nicht nur an der Ober­flä­che glän­zen­des Wahl­pro­gramm vorzulegen.

Nach­trag: Jetzt doch noch eine Dar­stel­lung der Hot­spots im Programm:


Nach­trag 2 (26.04.2013): Mar­cel Ernst hat mir gera­de noch eine Aus­wer­tung nach Erst-Antrag­stel­le­rIn­nen geschickt (die Anga­ben der Lan­des­ver­bän­de bezie­hen sich also nur auf die ers­te Per­son, die auf dem Antrag steht, nicht auf alle Unter­zeich­ne­rIn­nen). Dan­ke dafür!

Sei­ne Aus­wer­tung ergibt fol­gen­des Bild: 

1. Wer stellt über­haupt Anträ­ge zum Programm?

Die bei­den blau­en Bal­ken sind Anträ­ge von Ein­zel­per­so­nen (47% aller Ände­rungs­an­trä­ge haben die­sen Cha­rak­ter). Der größ­te Teil davon kommt – nach den Erst­an­trags­stel­le­rIn­nen – von Mit­glie­dern, die zumin­dest kei­ne MdB sind, es sind aller­dings, hier nicht aus­ge­wer­tet, durch­aus auch Land­tags­mit­glie­der und ande­re Funk­tio­nä­rIn­nen dabei. Den­noch fin­de ich es ziem­lich span­nend, wie groß der Anteil der Ein­zel­an­trä­ge ist.

Auf den Plät­zen lan­den dann die Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaf­ten (BAG, hier inkl. 53 Anträ­ge des Bun­des­frau­en­rats) mit 23 Pro­zent aller Anträ­ge sowie Kreis- und Orts­ver­bän­de mit 20 Pro­zent. Füh­rend bei den BAGen ist übri­gens die BAG Arbeits, Sozia­les, Gesund­heit (55 Anträ­ge), gefolgt von der BAG Chris­tIn­nen (53 Anträ­ge), der BAG Migra­ti­on und Flucht (52 Anträ­ge), der BAG Ener­gie (39 Anträ­ge) und der BAG Frie­den (35 Anträge).

Die Grü­ne Jugend hat 138 Anträ­ge gestellt (5% aller Ände­rungs­an­trä­ge), aus den Lan­des­ver­bän­den (Lan­des­par­tei­tags­be­schlüs­se) kamen wei­te­re vier Pro­zent aller Anträge.

2. Mar­cel hat sich dann noch ange­schaut, wie vie­le Anträ­ge aus wel­chen Lan­des­ver­bän­den kom­men (nach dem Lan­des­ver­band der Erst­un­ter­zeich­ne­rIn). Dabei ergibt sich – nor­miert auf die Mit­glie­der­zahl der Lan­des­ver­bän­de – fol­gen­des Ergebnis:

In abso­lu­ten Zah­len wür­de dage­gen NRW mit 396 Anträ­gen vor­ne lie­gen, gefolgt von Baden-Würt­tem­berg mit 393 Anträ­gen und Ber­lin mit 352 Anträ­gen. So – und jetzt muss ich los, abstimmen.


Nach­trag 3:Char­lot­te Schnei­de­wind-Hart­na­gel hat­te mich dar­auf auf­merk­sam gemacht, dass sich aus die­sen Daten auch Aus­sa­gen zur Geschlech­ter­ver­tei­lung ablei­ten las­sen müss­ten. Das habe ich gemacht – auch hier wie­der­um nur in Bezug auf die Erst­un­ter­zeich­ne­rIn­nen (im Schnitt gibt es übri­gens 4,8 Anträ­ge pro Erst­un­ter­zeich­ne­rIn). Dabei ergibt sich die­se Darstellung:

Soweit ich die Zah­len ken­ne, ent­spricht das – sowohl in Bezug auf die Nicht-MdBs als auch in Bezug auf die MdBs – jeweils ganz gut den Geschlech­ter­ver­hält­nis­sen in der Grundgesamtheit.

22 Antworten auf „Regieren nach Zahlen: Was auf der BDK 2013 ansteht (Update)“

  1. Ich fin­de die­se Aus­wer­tung ganz toll! Es wird ja viel gelo­gen in Wahl­pro­gram­men. (Anders for­mu­liert: Es ste­hen vie­le schö­ne Wor­te drin, und am Ende kommt wenig Gutes dabei her­aus.) Aber es dürf­te ziem­lich rea­lis­tisch sein, was die­se Ana­ly­se besagt, und ziem­lich schwer zu fäl­schen – über die Schwer­punk­te und über die Streit­punk­te in der Poli­tik der Grünen.

  2. Ich hät­te jetzt nicht ver­mu­tet, dass beim Quo­ti­en­ten Anträ­ge je Zei­le das Mobi­li­täts­ka­pi­tel auf Platz 2 landet.
    Ich habe in der Fol­ge über­legt, wor­an das und wor­an ande­re Auf­fäl­lig­kei­ten liegen.

    Mobi­li­tät:
    – Oft wol­len meh­re­re Antragsteller_innen das­sel­be mit ande­ren Wor­ten. Die zahl­rei­chen Ände­rungs­an­trä­ge zum The­ma Flug­ver­kehr sind dafür ein Bei­spiel. Gibt es in ande­ren Kapi­teln aber auch.
    – Neben der BAG Mobi­li­tät sind gleich zwei LAGen (BaWü und Ber­lin) durch das gesam­te Kapi­tel gegan­gen und haben – aus Grün­den der Antrags­be­rech­ti­gung als Per­so­nen­an­trä­ge – eige­ne Bei­trä­ge geleistet.
    – Beim Mobi­li­täts­ka­pi­tel sind die Schlüs­sel­pro­jek­te etwas ver­un­glückt (das ers­te und drit­te) bzw. im Fal­le des drit­ten hef­tig umstrit­ten. Anders­wo gibt es die­se Kon­tro­ver­sen nicht in einem sol­chen Umfang.
    – Das Kapi­tel ist inhalt­lich (erfreu­lich) dicht und ent­hält im Unter­schied zu ande­ren Stel­len nahe­zu kei­ne hei­ße Luft.

    Ande­re Grün­de für die unter­schied­li­che Intensität:
    – Zu Verbraucher_innen und Kom­mu­na­los gibt es kei­ne expli­zit zustän­di­ge BAG, es sind viel­mehr Querschnittsthemen.
    – Die Län­ge der Anträ­ge kann nicht erfasst wer­den. Man­che Antragsteller_innen split­ten ihre Ideen in klei­ne Anträ­ge, zum Teil Ein-Wort-Anträ­ge, ande­re for­mu­lie­ren gan­ze Abschnit­te um. Dadurch wur­de zum Bei­spiel ein Antrag wie KO-01–119 von der Antrags­kom­mis­si­on ein wenig unter­schätzt, wie wir vor­ges­tern erfah­ren durften.

    Wer an wie vie­len Anträ­gen betei­ligt war, ist mit dem Daten­ma­te­ri­al auch nicht zu klären:
    – Die meis­ten Per­so­nen­an­trä­ge haben mehr als 20 Antragsteller_innen. Zu sehen sind aber stets nur die ers­ten 20.
    – Zuge­hö­rig­keit zu einem KV, einer BAG usw. bedeu­tet nicht auto­ma­tisch, dass ein_e einzelne_r Grüne_r auch sämt­li­che Anträ­ge „sei­ner“ Glie­de­run­gen per­sön­lich unterstützt.
    – Gele­gent­lich stel­len Kreis­ver­bän­de Anträ­ge stell­ver­tre­tend für nicht antrags­be­rech­tig­te Glie­de­run­gen, zum Bei­spiel für LAGen, die weni­ger als 20 Mit­glie­der haben.

  3. In der Gra­fik zur Geschlech­ter­ver­tei­lung fehlt ein­mal die Anga­be „50,0%“ – bin unter­wegs, wer­de das kor­ri­gie­ren, sobald ich in einem sta­bi­len Netz bin.

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