Kurz: CARTA zählt mal eben durch

Eigent­lich schät­ze ich CARTA ja sehr. Und bin auch froh, dass eini­ge mei­ner Blog­tex­te dort zweit­ver­öf­fent­licht wur­den. Aber der Arti­kel „Oppo­si­ti­on aus SPD, Grü­nen und Lin­ken ver­hilft LSR zum (vor­läu­fi­gen) Sieg“ von Wolf­gang Mich­al hat was von einer Pro­to­ver­schwö­rungs­theo­rie. Inhalt (ich fas­se zuspit­zend zusam­men): Weil Spit­zen­po­li­ti­ke­rIn­nen der Oppo­si­ti­on das Erschei­nungs­bild in der Sprin­ger-Pres­se so wich­tig ist, im Wahl­kampf das The­ma Leis­tungs­schutz­recht warm­hal­ten wol­len [sie­he Kom­men­tar von Wolf­gang Mich­al unten, und mei­ne Replik dar­auf], haben sie bewusst die heu­ti­ge End­ab­stim­mung zum ver­murks­ten Leis­tungs­schutz­recht geschwänzt. Und wenn sie da gewe­sen wären, und noch ein paar mehr auch, dann wäre das Leis­tungs­schutz­recht gescheitert.

Passt irgend­wie nicht dazu, dass in den letz­ten Tagen u.a. von Bünd­nis 90/Die Grü­nen im Bun­des­tag ver­sucht wur­de, mit ver­schie­de­nen Mit­teln mehr Zeit für Auf­klä­rung über die Feh­ler in die­sem Gesetz zu gewin­nen – wei­te­re Anhö­run­gen und GO-Anträ­ge auf Ver­ta­gung wur­den aber abge­lehnt. Passt nicht dazu, dass es die Oppo­si­ti­on war, die eine nament­li­che Abstim­mung woll­te. Passt nicht dazu, dass es – auch wenn Doro Bär (CSU) davon nichts wis­sen will – sowas wie Pai­ring gibt, also Ver­ein­ba­run­gen zwi­schen den Frak­tio­nen, kei­ne Zufalls­mehr­hei­ten ent­ste­hen zu las­sen. Es gibt ja auch noch sowas wie einen Wäh­ler­wil­len. Und es gibt gute Grün­de, war­um gera­de Par­tei­vor­stän­de mit Bun­des­tags­man­dat (bei uns Clau­dia Roth) oder Spit­zen­kan­di­da­tIn­nen (Jür­gen Trit­tin, Kat­rin Göring-Eckardt) häu­fi­ger als ande­re Abge­ord­ne­te nicht im Bun­des­tag sein kön­nen (heu­te: weil der grü­ne Wahl­pro­gramm­ent­wurf ver­öf­fent­lich wur­de). Was, neben­bei gesagt, für die Tren­nung von Amt und Man­dat spricht. 

Wer will, kann ja mal bei den nament­li­chen Abstim­mun­gen schau­en, wie oft ähn­li­che Kon­stel­la­tio­nen zu fin­den waren. Und wer heu­te die Legen­de ins Netz setzt, dass die Oppo­si­ti­on das Leis­tungs­schutz­recht im Par­la­ment hät­te ver­hin­dern kön­nen, dies aber mut­wil­lig nicht getan hat (ganz dumm ist die Regie­rung übri­gens nicht – da wird durch­aus durch­ge­zählt, und zur Not halt mal eine Abstim­mung ver­scho­ben oder es wer­den noch Leu­te ran­ge­karrt), darf sich nicht wun­dern, dass die­se Legen­de von den Netz­af­fi­ne­ren in CDU, CSU und FDP flei­ßig wie­der­holt wird. In sechs Mona­ten wird dar­aus dann der Wahl­kampf­schla­ger „Grü­ne, SPD und LINKE hat­ten ja damals das Leis­tungs­schutz­recht ein­ge­führt“. Nein Leu­te, so ist es nicht – und wenn die – acht! – Netz­po­li­ti­ke­rIn­nen in CDU, CSU und FDP zu schwach sind, und den Rest ihrer Frak­tio­nen nicht über­zeu­gen kön­nen, dann ist das ganz ein­fach deren Problem.

10 Antworten auf „Kurz: CARTA zählt mal eben durch“

    1. Ok, da ist der Rant etwas mit mir durch­ge­gan­gen und hat das Text­ver­ständ­nis ver­schlech­tert. Aber: Selbst wenn ich jetzt da oben „Weil Spit­zen­po­li­ti­ke­rIn­nen der Oppo­si­ti­on das Erschei­nungs­bild in der Sprin­ger-Pres­se so wich­tig ist“ erset­ze durch „Weil Spit­zen­po­li­ti­ke­rIn­nen der Oppo­si­ti­on unbe­dingt das LSR im Wahl­kampf warm­hal­ten wol­len“ erset­ze (was nun defi­ni­tiv im Text steht), bleibt die Argu­men­ta­ti­on doch letzt­lich genau­so schräg. Allein schon aus mathe­ma­ti­schen Grün­den (wie groß ist die Wahr­schein­lich­keit, dass alle Oppo­si­ti­ons­ab­ge­ord­ne­te da sind, aber kei­ne ein­zi­ge wei­te­re Regie­rungs­ab­ge­ord­ne­te)? Nach wie vor gilt, was für alle Ver­schwö­rungs­theo­rien gilt, egal wel­cher Halb­satz zutrifft: Wenn es eine ein­fa­cher Erklä­rung gibt, ist die­se meis­tens zutref­fen­der. Und die gibt es.

      Aber auch inhalt­lich kann ich dem zwei­ten Halb­satz – es wäre poli­ti­sche Stra­te­gie, das LSR im Wahl­kampf zu hal­ten – nicht fol­gen. Wäre es dann nicht viel bes­ser, wenn das LSR schei­tert, aber CDU und FDP auch im Wahl­kampf noch ver­su­chen müss­ten, ein dum­mes Lob­by-Gesetz zu machen? Inso­fern erscheint mir die unter­stell­te Stra­te­gie hier doch an den Haa­ren her­bei­ge­zo­gen – und sie scheint mir die Macht einer Oppo­si­ti­on ein klein wenig zu überschätzen.

  1. Lie­ber Till,

    Das Leis­tungs­schutz­recht ist eine Erfin­dung von Chris­toph Kee­se, die Schwarz-Gelb – und nur Schwarz-Gelb! – aus einer Mischung aus gene­rel­ler Lob­by­is­mus-Hörig­keit und Angst vor der publi­zis­ti­schen Macht der Axel-Springer-(/Burda-/Holtzbrinck-)Presse durch­ge­paukt hat (und damit iro­ni­scher­wei­se eben die­se Pres­se-Macht wei­ter gestärkt hat). Mir ist klar, dass es extrem unwahr­schein­lich gewe­sen wäre, eine Akti­on ähn­lich wie bei der Abstim­mung zum Betreu­ungs­geld im letz­ten Juni zu wie­der­ho­len, und Schwarz-Gelb bloß­zu­stel­len. Von daher ist jede Behaup­tung, Rot-Grün(-Rot) sei am Leis­tungs­schutz­recht min­des­tens mit­ver­ant­wort­lich, absurd. PUNKT.

    Den­noch sehe ich Pai­ring-Ver­ein­ba­run­gen grund­sätz­lich kri­tisch, und zwar aus dem Grund, dass Pai­ring auf dem Grund­ge­dan­ken basiert, und dass Abge­ord­ne­te ohne­hin ent­spre­chend ihrer Frak­ti­ons­vor­ga­ben abstim­men, und es daher uner­heb­lich sei, ob sie tat­säch­lich per­sön­lich abstim­men, oder wer für eine Frak­ti­on abstimmt. Damit wird die Vor­ga­be des Grund­ge­set­zes (Art. 38, Abs. 1) negiert, dass Abge­ord­ne­te „an Auf­trä­ge und Wei­sun­gen nicht gebun­den und nur ihrem Gewis­sen unter­wor­fen“ sind. Durch Pai­ring wird aber nicht nur die Frei­heit des Abge­ord­ne­ten­man­dats negiert, son­dern sogar das Recht eini­ger (Oppositions-)Abgeordneten, über­haupt abzu­stim­men, verletzt.

    Natür­lich sieht die Pra­xis im Par­la­ment anders aus, und Frak­ti­ons­dis­zi­plin ist auch unter dem Aspekt sinn­voll, dass die Wäh­ler mit einer bestimm­te Par­tei auch ein bestimm­tes Pro­gramm und eine bestimm­te poli­ti­sche Phi­lo­so­phie gewählt haben, und dies durch eine stän­dig hohe Zahl von Abweich­lern auf bei­den Sei­ten natür­lich ad absur­dum geführt wür­de. Das kann aber kei­ne Grund­ge­setz­vor­schrift negie­ren, die sich schon ganz not­wen­di­ger­wei­se aus der Tren­nung von Legis­la­ti­ve und Exe­ku­ti­ve ergibt! Bun­des­tags­ab­stim­mun­gen sind im Gesetz­ge­bungs­ver­fah­ren kein ver­nach­läs­sig­ba­rer for­mal­ju­ris­ti­scher Ver­wal­tungs­akt, sie sind ein zen­tra­ler Ver­fas­sungs­akt! Wer sagt denn, dass die Abge­ord­ne­ten der Uni­on und der FDP, die nicht an der Abstim­mung teil­ge­nom­men haben, mit der Koali­ti­on gestimmt hät­ten, wenn sie abge­stimmt hät­ten? Im schlimms­ten Fall führt also ein feh­len­der kri­ti­scher Koali­ti­ons­ab­ge­ord­ne­ter, der in der Abstim­mung mit „nein“ gestimmt hät­te, zu einer wei­te­ren, nur wegen der Pai­ring-Ver­ein­ba­rung feh­len­den Oppo­si­ti­ons­ab­ge­ord­ne­ten, der eben­falls mit „nein“ gestimmt hät­te, und am Ende wird ein Gesetz ver­ab­schie­det, das, hät­ten alle Abge­ord­ne­te an der Abstim­mung teil­ge­nom­men und nur nach ihrem Gewis­sen abstimmt, durch­ge­fal­len wäre, und das im Grun­de außer einer abzähl­ba­ren Grup­pe von Ver­le­ger und hohen Ver­lags­ma­na­gern kei­ner möch­te, kei­ner braucht, nie­man­dem nützt und allen scha­det. So etwas hat für mich über­haupt nichts mit par­la­men­ta­ri­scher Fair­ness zu tun, son­dern mit einer Kapi­tu­la­ti­on des Par­la­men­ta­ris­mus vor „par­la­men­ta­ri­schen Zwän­gen“ und der Exekutivdemokratie.

    Im übri­gen bin ich, wie Du, auch für eine stär­ke­re Tren­nung von Amt und Man­dat, sowohl im all­ge­mei­nen als auch inner­halb der Grü­nen, weil die Posi­ti­on des Abge­ord­ne­ten eine so zen­tra­le ist, dass sie nicht durch zahl­rei­che wei­te­re Neben­äm­ter kom­pro­mit­tiert wer­den soll­te. Aller­dings sehe ich auch das Dilem­ma, dass eine vor­ge­schrie­be­ne Tren­nung von Par­tei­amt und Par­la­ments­man­dat die Fähig­keit der Par­tei, sich öffent­lich zu prä­sen­tie­ren, mas­siv ein­schrän­ken wür­de (eine strik­te Tren­nung von öffent­li­chem Amt und Par­la­ments­man­dat hal­te ich aber unver­än­dert für rich­tig). Wenn Jür­gen und Kat­rin und die SPD-Spit­ze aber das LSR im Bun­des­tags­wahl­kampf the­ma­ti­sie­ren wol­len, wäre es aus mei­ner Sicht zwin­gend gewe­sen, auch an der ent­spre­chen­den Bun­des­tags­ab­stim­mung teilzunehmen.

    Vie­le Grü­ße aus einem Land, das in den gän­gi­gen Rang­lis­ten der Pres­se­frei­heit immer über hun­dert Plät­ze hin­ter Deutsch­land landet,

    Gun­ther

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