Wenn es denn tatsächlich so wäre, dass die CDU (und die FDP) jetzt in der Atompolitik umdenken, würde mich das freuen. Überzeugt davon bin ich aber keineswegs, auch wenn Merkel leisere Töne anschlägt und Mappus eine Expertenkommission einberuft. Zum einen, weil ich das wie Michael Spreng als eine vor allem auch dem Wahlkampf geschuldete Inszenierung von Handlungsbereitschaft wahrnehme, die in einem halben Jahr wieder vergessen ist. Wenn Merkel ihren Vorschlag einer Sicherheitsüberprüfung aller AKWs in Deutschland ernst meinen würde, dann müsste es jetzt ein Moratorium geben – eine Abschaltung aller AKWs, dann die Sicherheitsüberprüfung, dann die Wiederzulassung der AKWs, die als sicher angesehen werden. Solange keine Schritte in eine solche Richtung unternommen werden, ist es Krisenbewältigungsrhetorik, sonst nichts. (Von der Rücknahme der Laufzeitverlängerung rede ich erst gar nicht).
Und dann ist da Mappus. Noch vor knapp einem Jahr hat er eine Laufzeitverlängerung auf 15 Jahren gefordert. Jetzt plötzlich gibt er sich nachdenklich und will gegebenenfalls auch über eine Abschaltung von AKWs reden. Nötig wäre das.
Nur: die Fakten über das „Restrisiko“ von Atomkraftwerken, ihre mit bitteren Konsequenzen versehene Fehlerunfreundlichkeit, die lagen auch vor der Katastrophe in Fukushima schon auf dem Tisch. Noch einen Tag vor der japanischen Katastrophe haben Greenpeace und BUND im baden-württembergischen Umweltministerium darauf hingewiesen, dass die Alt-AKWs Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 selbst nach Nachrüstarbeiten nicht sicher betrieben werden können – während die Umweltministerin Gönner den Eindruck erweckt, diesbezügliche Informationen nicht nur nicht wahrhaben zu wollen, sondern sie auch bewusst zurückzuhalten. Greenpeace hat deswegen Strafanzeige gegen sie gestellt.
An dieser Faktenlage ändert sich durch die Ereignisse in Fukushima nichts. Insofern unterstelle ich Mappus und Gönner bis zum Beweis des Gegenteils – vielleicht ja schon in der morgigen Sonder-Landtagssitzung -, dass sie nicht ihre Meinung, sondern nur ihre Rhetorik geändert haben. Von der unterstellten Selbstverständlichkeit sicherer deutscher AKWs (wie sie auch vom Atomforum gestern noch durch die Welt posaunt wurde) hin dazu, dass eine gründliche Sicherheitsüberprüfung selbstverständlich nicht das Ergebnis erbringen kann, dass ein deutsches AKW abgeschaltet werden muss.
Ich bleibe hier extrem misstrauisch. Winfried Kretschmann hat angekündigt, die EnBW-AKWs Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 sofort vom Netz zu nehmen. Wir WählerInnen in Baden-Württemberg haben am 27.3. die Möglichkeit, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
Wenn mich die CDU bis zum Wahltermin durch Taten – und nicht durch eine verschobene Rhetorik – davon überzeugt, dass es dort selbst bei Hardlinern wie Mappus tatsächlich zu einem Wandel der Position gekommen ist, habe ich nichts dagegen. Der sicherere Weg, mit dem Restrisiko der Atomkraft umzugehen, besteht darin, schwarz-gelb abzuwählen.
Warum blogge ich das? Weil mich das Doppelspiel der Union aus rhetorisch überschwappender Handlungskraft einerseits und Thematisierungsverbot wg. Wahlkampf andererseits aufregt. Und um noch einmal dafür zu werben, an den Mahnwachen teilzunehmen, die heute ab 18 Uhr in vielen deutschen Städten stattfinden (siehe ausgestrahlt.de).
P.S.: Während ich das geschrieben habe, kam die Meldung, dass die Regierung eine „Aussetzung“ der Laufzeitverlängerung plant. Auch wenn’s erstmal gut klingt – ich bin weiterhin nicht davon überzeugt, dass die das ernst meinen. Oder dass „Sicherheitsüberprüfung“ und „Moratorium“ etwas anderes heißt als „Aussetzung der Laufzeitverlängerung bis zum 27.3.“ und „wir schauen noch einmal mit den selben falschen Maßstäben, mit denen wir bisher schon geschaut haben, und kommen dann zu den gleichen Ergebnissen wie bisher“.
P.P.S. (22.00 Uhr): Erstaunlich, in was für einer Geschwindigkeit (und wie sehr an der eigenen Fraktion und Partei vorbei) Merkel in der Lage ist, radikale 180°-Kehrtwenden in langjährigen Grundsätzen vorzunehmen, wenn gerade eine wichtige Wahl ansteht. Wenn jetzt das baden-württembergische AKW Neckarwestheim‑I tatsächlich vorübergehend abgeschaltet wird, wie es sich gerade andeutet (um dann später drei Monate länger zu laufen?), dann ist das allerdings nicht das, was ich mit „AKWs vom Netz nehmen“ meine. Wollte ich nur mal dazu sagen. Interessant auch – darauf weist die IPPNW hin – dass mit der Konstruktion „Aussetzen der Verlängerung“ die gefährlichsten deutschen AKWs (nämlich Siedewasserreaktoren wie Philippsburg‑I) eben gerade nicht vorübergehend (oder gerne auch endgültig) vom Netz genommen werden.
P.P.P.S. (23.00 Uhr): Wenn ich die verschiedenen Twitter-etc-Faktoide richtig interpretiere, will Merkel ein Moratorium auf mehr oder weniger freiwilliger Basis. Für Umweltminister Röttgen gehört dazu auch die Abschaltung von Neckarwestheim, die Mappus wohl morgen – auf der von der CDU einberufenen Landtagssondersitzung – verkünden wird. Mappus selbst hat allerdings im heute-journal zugegeben, dass es sich dabei aus seiner Sicht nur um eine temporäre Maßnahme handelt, die nach drei Monaten (wenn die Wahlen rum sind und das Thema nicht mehr oben auf der Agenda steht) wieder aufgehoben werden kann. So richtig an einem Strang ziehen die nicht. Mappus versucht, den Guttenberg zu spielen, der energisch und mit großer Tatkraft Neckarwestheim entlässt, um weiter Atomministerpräsident bleiben zu können – und Röttgen erinnert an Günter Schabowski, der 1989 mehr oder weniger aus Versehen im Fernsehen das Ende der DDR einleitete.
(Und Grüne decken gleichzeitig auf, dass BaWü-Umweltministerin Gönner wohl meldepflichtige Vorfälle in Philippsburg verschweigt).
Noch ein P.S. (15.3., 12.15 Uhr) – Gerade eben hat Merkel nach ihrem Treffen mit den (CDU-)Ministerpräsidenten der Atomkraftwerkstandorte verkündet, dass die sieben ältesten AKW vorübergehend – für drei Monate – vom Netz genommen werden. Ziel sei es, in dieser Zeit eine Energiedebatte zu führen. Auf welcher rechtlichen Grundlage das geschehen soll, ist nicht wirklich klar, genannt wurde – neben der Möglichkeit einer freiwilligen Vereinbarung mit den Energiekonzernen (Deal: Strompreiserhöhung vs. Abschalten) oder einer echten, durch ein Gesetz abgesicherten Veränderung des Atomkompromisses – vor allem §19 (3) 3 des Atomgesetzes:
(3) Die Aufsichtsbehörde kann anordnen, daß ein Zustand beseitigt wird, der den Vorschriften dieses Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen, den Bestimmungen des Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine Zulassung oder einer nachträglich angeordneten Auflage widerspricht oder aus dem sich durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können. Sie kann insbesondere anordnen,
1. daß und welche Schutzmaßnahmen zu treffen sind,
2. daß radioaktive Stoffe bei einer von ihr bestimmten Stelle aufbewahrt oder verwahrt werden,
3. daß der Umgang mit radioaktiven Stoffen, die Errichtung und der Betrieb von Anlagen der in den §§ 7 und 11 Abs. 1 Nr. 2 bezeichneten Art sowie der Umgang mit Anlagen, Geräten und Vorrichtungen der in § 11 Abs. 1 Nr. 3 bezeichneten Art einstweilen oder, wenn eine erforderliche Genehmigung nicht erteilt oder rechtskräftig widerrufen ist, endgültig eingestellt wird.
Wenn ich das richtig verstehe, würde das bedeuten: die Atomaufsicht entzieht den ältesten Kraftwerken die Betriebsgenehmigung einstweilen, um einen Zustand zu beseitigen, der rechtswidrig ist oder aus dem sich „durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können“.
Abgesehen davon, dass die Koinzidenz der Drei-Monats-Phase mit den Landtagswahlen vor der politikvergesslichen Sommerpause erstaunlich ist (Bremen wählt am 22. Mai, das ganze würde bis 15. Juni laufen), stellt sich mir hier die Frage, ob der Weg über das Atomgesetz nicht 1. letztlich ein Eingeständnis darstellen müsste, dass der Betrieb der ältesten sieben AKW auch in der Vergangenheit rechtswidrig bzw. Leben, Gesundheit und Sachgüter gefährdend war. Das aber wiederum hieße dann auch, dass es völlig unklar ist, warum der Sicherheitszustand der ältesten AKW nach drei Monaten besser als vorher sein soll. Dann aber wäre das kein „Aussetzen der Laufzeitverlängerung“, sondern dann müssten die ältesten sieben AKW (darunter Neckarwestheim und Philippsburg‑I) in der Tat, wie es Umweltminister Röttgen gestern noch verkündete, ganz abgeschaltet werden – eine Forderung, die nicht erst seit den Ereignissen in Fukushima durch Grüne und Umweltbewegung immer wieder erhoben wurde.
Schon jetzt ist jedenfalls klar: nach dieser Merkel-Volte kann es kein Zurück zu einigen der großen Lügen der Atombranche geben. Wenn es möglich ist, sieben AKW gleichzeitig für drei Monate auszuschalten, dann ist es auch möglich, sie endgültig stillzulegen, ohne dass die Lichter ausgehen. Wenn es wirklich von nun an in erster Linie um Sicherheit gehen soll, dann gewinnen „radikale“ Forderungen nach einem schnellstmöglichen Ausstieg ein ganz neues Gewicht – sie können jetzt nicht mehr ganz so einfach diskreditiert werden.
Ich gehe ja immer noch davon aus, dass das alles vor allem ein Manöver angesichts der kommenden Wahlen ist. Gleichzeitig scheint sich Merkel den Weg zurück zum alten Atomkurs mit diesem Manöver versperrt zu haben. Zudem zeigt sich hier noch einmal deutlich, wie orientierungslos in der Sache und wie undemokratisch im Vorgehen Merkel ist – Gesetze, zuletzt die Vorratsdatenspeicherung Internetsperren (danke, Hanno!), und jetzt die Laufzeitverlängerung, werden per „ordre de mutti“ mal an- und mal ausgeknipst, wie es gerade besser passt.
Übrigens: über Atommüll und nicht vorhandene Endlager könnten wir auch mal wieder reden. Vielleicht weiss die Bundesregierung bisher einfach nicht, dass das ein Problem darstellt.
danke, dass du das so ausführlich niedergeschrieben hast. ich sehe das ziemlich ähnlich wie du, insbesondere, dass wenn die das ernst meinen würden, dass dann eigentlich ein sofortiges runterfahren aller reaktoren und dann sicherheitsüberpüfung notwendig wäre.
@Lukas,
ich bin nicht sicher, ob ein Runterfahren aller AKWs nicht zu Versorgungsengpässen führen würde. Könnte ich mir gut vorstellen.
@Till
Aber es scheint doch etwas Bewegung zu kommen bei Schwarz-Gelb, sie denken scheinbar über ein Aussetzen der Laufzeitverlängerung nach.
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,750732,00.html
Diese doch recht schnelle Reaktion lässt sich imo gut vergleichen mit dem Versuch in Fukushima, die Reaktoren mit Meerwasser zu kühlen: Eine Verzweiflungstat, um den totalen Meltdown zu verhinden. Aber es bleibt dabei, diese Geschichte bedeutet das komplette Scheitern der Regierung Merkel. Epic Fail einfach.
@Jan: Siehe mein P.S. im Artikel dazu – ich sehe Merkels Vorgehen bis zum Beweis des Gegenteils noch nicht mal als Verzweiflungstat an, sondern als Kalkulation: das kleinste hinwerfbare Zugeständnis, nämlich ein „wir denken nochmal über die Laufzeitverlängerung nach“ – und damit ein Zeitgewinn bis nach den Frühjahrslandtagswahlen, danach kann dann je nach politischer Großwetterlage immer noch entschieden werden, dass weiter ausgesetzt wird, oder – wahrscheinlicher – doch alles nicht so schlimm und weiterhin sicher war und ist.
Viel Glück für BW übrigens, jetzt könnt ihr es schaffen, so zynisch es auch klingen mag.
Edit: nene glaube ich nicht. Das können die jetzt unmöglich weiter durchziehen. Die alten Meiler sind bald weg vom Fenster. Auch Merkel traut sich nicht gegen 3/4 der Bevölkerung bei so einem emotionalen Thema anzuregieren.
Quelle – bin gespannt, ob die CDU es ernster meint, als ich es ihr zutraue.
@Jan
ok, das mit der versorgungslücke könnte gut sein, zumal gerade winter haben und dort der stromverbrauch viel höher ist als im sommer.
aber zumindest die ältesten könnte man vorsorglich abschalten, ohne dass es zu einer versorgungslücke kommt.
Der Brüller: Die Ruhrbarone haben zwei Videos ausgegraben, Merkel beim Atomforum 2009. Entlarvend!
Die SPD fordert in ihrem Beschluss „Den Atomausstieg in Deutschland beschelunigen“ :
„die unter dem SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeleitete Energiewende fortzusetzen und
zu beschleunigen […] Um das zu ermöglichen braucht Deutschland:
■ Investitionen in die Energieeinsparung und Energieeffizienz, um die Energieproduktivität um
jährlich 3 % zu steigern und Energie im Jahr 2020 doppelt so effizient zu nutzen wie 1990.
■ Die Modernisierung des fossilen Kraftwerksparks bei Kohle und Gas – insbesondere der Kraft-Wärme-Koppelung – als Brückentechnologie.
■ Investitionen in erneuerbare Energien, um bis 2020 mindestens 40 Prozent erneuerbare Ener-
gien im Stromsektor und 20 Prozent im Wärmesektor zu erreichen.
■ Ausbau der Elektromobilität und kraftstoffsparender Antriebstechniken im privaten und öffentlichen Verkehr.“
http://www.spd.de/scalableImageBlob/10644/data/beschluss_energiewende-data.pdf
Ich denke mal bei den Grünen wird sich das ähnlich anhören. Wie ich ja gestern schon geschrieben habe: Jetzt ist die Gelegenheit für einen großen Push in Richtung Green New Deal.
„Never let a crisis go to waste“! Das Zeitfenster ist nicht allzulang, in der man die Debatte so framen kann. SPD und Grüne sollten das wirklich als win-win-win verkaufen, nämlich als Möglichkeit, die Energierzeugung zu erneuern und dabei Arbeitsplätze zu schaffen und Spitzentechnologie voranzutreieben.
Und das tolle: Man kann dafür eine Erhöhung des Spitzensteursatzes oder die Einführung einer Vermögenssteuer vorschlagen und schwarz-gelb als egoistische und rückwärtsgewandte Klientelpolitiker für Reiche darstellen, wenn sie sich dagegen wehren. Was ja noch nicht mal gelogen wäre.
Einwände? :-)
Grüne sind nach allem, was ich bisher davon kenne, konkreter: sieben älteste AKW sofort abschalten und Verlängerung der Laufzeiten rückgängig machen. Also ganz konkrete Punkte (kenne allerdings den Antrag der Fraktion nicht). Win-win-win wie oben skizziert klingt für mich ein bisschen unsensibel gegenüber der Katastrophe. Dass es grüne Konzepte für den Green New Deal und die Energiewende gibt, ist klar. Das jetzt alles in die Atomdebatte reinzuwursteln, finde ich fragwürdig – das macht die Debatte zu unscharf und führt letztlich auch zu seltsamen Kompromissmöglichkeiten (also: paar AKWs länger laufen lassen, dafür 1 Mrd mehr in den Fonds „green new deal“ oder so).
Aber ich bin ja auch in einer „single-issue“-Partei. Angeblich.
Ok, der ausdruck win-win-win hört sich gerade in dieser Situation zynisch an, aber wirklich zynisch ist es, jetzt nicht konsequent die richtigen Wege zu gehen in der Energiepolitik. Und da finde ich es legitim, die Situation gerade zu nutzen, um Druck zu machen.
Wenn man schneller aussteigen will, muss man auch ehrlich sein und sagen, dann brauchen wir schneller mehr Erneuerbare, neue Netze und Einsparungen durch Sanierungen usw. Man kann ja den Atomausstieg nicht unabhängig von diesen Projekten durchführen.
Wenn man die Kosten dafür nicht komplett dem Endverbraucher aufbürden will, muss man mit Anreizen und Steuergeldern ran. Also ist eine Art Green New Deal quasi zwangsläufig notwendig und ich fände es richtig, dafür Vermögen oder Spitzenverdiener zu besteuern.
Da hängt eines am anderen und es ergibt ein in sich konsistentes rot/grünes Projekt.
Stimmt schon. Nur finde ich die Verknüpfung mit der Fukushima-Katastrophe immer noch schwierig.
Du meinst vermutlich das Internetzensurgesetz und nicht die Vorratsdatenspeicherung im letzten Absatz, oder?
Stimmt. Korrigiert!
Die Atompolitik der Bundesregierung ist doch ein einziger Witz. In der Bundestagsdebatte windet sich Frau Merkel und man spürt förmlich das Unbehagen. Dieses, möglicherweise verfassungwidrige, Vorgehen ist so frech wie dumm. Das könnte wirklich der oft schon angesprochende Anfang vom Ende ihrer Kanzlerschaft sein.