Gerade läuft Twitter heiß: der stellvertretende Vorsitzende der Piraten, Popp, hat der sehr sehr rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ ein Interview gegeben. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Entweder war es Unwissen – dann spricht das Bände gegen die politische Professionalität der Piraten. Oder das Interview war Absicht (im Sinne eines „Meinungsfreiheit muss für alle gelten“ und als Pol für „nicht links, nicht rechts“) – dann ist das der Warnschuss vor den Bug jedeR WählerIn, die mit den Piraten liebäugelt und eine Spur antifaschistische Überzeugung in sich trägt. Beides nichts, was für die Piraten kurz vor der Bundestagswahl gut ausgehen kann (es sei denn, die wollen jetzt noch ein paar rechtslastige Protestwählerstimmen aufsammeln).
Selbstverständlichkeiten …
… oder: Unter welchen Bedingungen sollten AnhängerInnen der PIRATEN die PIRATEN wählen?
Es scheint ja nun so, dass die PIRATEN zur Bundestagswahl im Herbst antreten werden. Ich will mich hier jetzt gar nicht mit fehlender Programmatik, frauenlosen Listen oder dem den Klippen der massenmedialen Demokratie noch nicht gewachsenen Personal auseinandersetzen, sondern einen eher wahltaktischen Blick auf die Frage werfen, unter welchen Bedingungen AnhängerInnen der PIRATEN diese wählen sollten.
Dabei sind – aufgrund der Fünf-Prozent-Hürde – zwei Fälle zu betrachten.
-
Es herrscht bei den AnhängerInnen bzw. in der allgemeinen Öffentlichkeit die Vermutung vor, dass die PIRATEN irgendwo zwischen ein und drei Prozent abschneiden werden, also deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde bleiben werden.
Eine Zweitstimme für die PIRATEN bleibt in dieser Konstellation erst einmal ohne steuernden Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestages. Ein gutes Ergebnis für die PIRATEN (also z.B. drei Prozent) würde aber in anderen Parteien wahrgenommen und könnte so indirekt deren Politik beeinflussen; ein hoher Wert an Stimmen für Sonstige inkl. PIRATEN würde zudem als generelle Kritik am Wahlsystem bzw. an den antretenden größeren Parteien aufgefasst werden. Zudem würden – je nach Ergebnis – einige Gelder aus der Wahlkampfkostenerstattung an die PIRATEN fließen, so dass diese Gelegenheit bekämen, ihren Parteiaufbau zu forcieren (auch das Europawahlergebnis führt schon jetzt zu solchen Effekten).
Zu beachten sind allerdings auch die negativen Effekte: so geht jede Stimme für die PIRATEN – so sie nicht aus dem Lager der NichtwählerInnen kommt – einer anderen Partei ab, deren Gewicht damit geschwächt wird. Gerade bei einem knappen Wahlausgang könnten die so fehlenden Stimmen über Mehrheiten für Regierungsbildungen entscheiden (wenn also z.B. schwarz-gelb knapp eine Mehrheit erhält).
Zudem bedeutet eine Stimme für eine Partei ohne Chance auf Einzug in den Bundestag, dass die Hürde, um eine Mehrheit der Sitze zu erhalten, sinkt. Wenn zehn Prozent der Stimmen auf Sonstige entfallen, reichen (je nach Sitzverteilungsverfahren) schon z.B. 46 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen aus, um eine absolute Mehrheit an Sitzen zu erreichen. Das ist unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten – Repräsentation des Wählerwillens – schwierig (und natürlich prinzipiell kein Effekt des Antretens von Kleinstparteien, sondern ein Effekt der Sperrklausel).
Bisher ging es nur um Zweitstimmen. Diese sind für die Zusammensetzung des Bundestags relevanter; zweitens wird es, wenn ich das bisher richtig sehe, nur wenige Wahlkreise geben, in denen PIRATEN mit Direktkandidaten (und Kandidatinnen?) antreten werden. Je nach Stärke der anderen Parteien in diesen Wahlkreisen sind die Effekte von Erststimmen unterschiedlich.
Fazit zu diesem Fall: wenn zu erwarten ist, dass die PIRATEN die Fünf-Prozent-Hürde nicht überschreiten werden, bedeutet eine Zweitstimme für die PIRATEN, ein mediales Signal zu setzen, zugleich aber zu einem Bundestag beizutragen, in dem bestimmte Interessen nicht vertreten sind und möglicherweise gerade wegen der Proteststimmen andere Mehrheiten zustande kommen, als „in Zweitpräferenz“ von AnhängerInnen der PIRATEN gewünscht – insbesondere erhöht jede Stimme für die PIRATEN, wenn die Annahme stimmt, dass ein großer Teil der PIRATEN-WählerInnen „ansonsten“ SPD, LINKE oder Grüne gewählt hätte, die Chancen auf eine schwarz-gelbe Mehrheit.
-
Anders sieht die Situation aus, wenn zu erwarten ist, dass die PIRATEN sich nahe an der Fünf-Prozent-Hürde bewegen. Jetzt könnte es sein, dass eine Stimme für die PIRATEN tatsächlich einen intendierten Einfluss auf die Zusammensetzung des Deutschen Bundestags hat. Ich halte diese Situation für unwahrscheinlich (bisher ist der öffentliche Aufschrei wegen „#Zensursula“ außerhalb des Netzes wenig vernehmbar; auch Tauss wird’s nicht retten – und zum Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde wären etwa 1,5 Mio. Stimmen notwendig – mehr als fünf Mal so viele wie die PIRATEN bei der Europawahl erreicht haben). Wie dem auch sei: eine PIRATEN-Fraktion im Bundestag könnte das Zünglein an der Waage bei Koalitionsbildungen sein – zugleich sind die oben beschriebenen Einflüsse auf die Repräsentation des Wählerwillens – aber auch das mediale Signal – bei einem knappen Scheitern umso größer.
Realistisch betrachtet sollten AnhängerInnen der PIRATEN also nur dann für die PIRATEN stimmen, wenn ihnen 1. ein mediales Signal an andere Parteien sehr wichtig ist, ihnen 2. die Zusammensetzung des Bundestags egal ist (bzw. vielleicht sogar Präferenzen für schwarz-gelb da sind), oder wenn 3. bis zur Bundestagswahl die gesamtgesellschaftlichen diskursiven Erwartungen, dass ein Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde durch die PIRATEN möglich ist – und damit die Chance, dass es dazu kommt – deutlich zunehmen. Die Fünf-Prozent-Hürde erweist sich hier also als chaotischer Attraktor.
Anders gesagt heißt das: vernünftige AnhängerInnen der PIRATEN machen jetzt einen starken PIRATEN-Wahlkampf, setzen damit andere Parteien (insbesondere FDP und GRÜNE) unter Druck, sich netzpolitisch richtig zu positionieren – und wählen dann am 27.9. nicht die PIRATEN, sondern diejenige der größeren Parteien, die bis dahin am ehesten und glaubwürdigsten für zentrale Forderungen aus dem PIRATEN-Programm steht.
Siehe generell auch Tipps und Tricks zur Bundestagswahl 2009.
Warum blogge ich das? Vor allem als Verschriftlichung meiner eigenen Überlegungen dazu, ob es sich lohnt, im grünen Wahlkampf offensiv auf die PIRATEN einzugehen.
Wie grün ist Netzpolitik? (Update 10)
Heute – na, eigentlich schon gestern – fand im Bundestag die „Zensursula“-Abstimmung statt, also die Abstimmung darüber, ob das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen angenommen wird. Die Abstimmung fiel mit einer fast einheitlichen Zustimmung der Koalitionsfraktionen erwartungsgemäß aus; auf Antrag der Grünen wurde namentlich abgestimmt, so dass im Detail dokumentiert ist, wer wie abgestimmt hat.
Dabei sind eine Reihe von Überraschungen zu verzeichnen. Positiv: eine Gegenstimme in der CDU, sie gehört Jochen Borchert, dem Vater der WAZ-Online-Chefin, Katharina Borchert. Positiv: drei Nein-Stimmen und drei Enthaltungen in der SPD, dreimal so viele wie ursprünglich erwartet. Na gut – bei sonstiger harter Fraktionseinheitlichkeit ist es vielleicht übertrieben, das positiv zu nennen.
Wie dem auch sei. Es gab auch negative Überraschungen. Und die leider nicht bei FDP oder LINKE, die beide einheitlich – in Fraktionsdisziplin – gegen das Gesetz gestimmt haben, sondern bei Bündnis 90/Die Grünen.
Keine Ja-Stimme, ganz so schlimm ist es nicht, aber doch 15 Enthaltungen, also ein knappes Drittel der grünen Bundestagsfraktion. Das hat in den Stunden nach der Abstimmung in der Netzcommunity ziemlich für Aufregung gesorgt – und aus meiner Sicht etwas zu unrecht die eigentlichen Themen beiseite geschoben (dazu: Thomas Knüwer kommentiert im Handelsblatt pointiert, wie hier „das Netz“ mediale Machtverhältnisse zuungunsten der „Experten“ der Volksparteien verschoben hat; und beim METRONAUT wird klar gemacht, dass trotz verlorener Abstimmung der Kampf um die Bürgerrechte im Netz jetzt erst richtig losgeht).
Trotzdem auch hier noch ein paar Worte zum grünen Abstimmungsergebnis. War es unerwartet? Ja, insofern in den letzten Tagen Grüne in der Öffentlichkeit, eben gerade auch im Kontrast zur SPD, immer als netzpolitisch zugängliche und vernünftigte Partei präsentiert worden sind. Das ist auf gruene.de der Fall, es war auf Twitter etc. der Fall, und es war auch in den etablierten Massenmedien so. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Antreten der PIRATENPARTEI bei den Europawahlen war eines der Argumente für potenzielle Piraten-WählerInnen, dass GRÜNE für eine verlässliche und vernünftige Netzpolitik stehen, und auch sonst keinen Unsinn betreiben (und ja, ich gebe zu: ich habe durchaus auch in diese Richtung argumentiert).
Ich zumindest hatte nicht mit einer geschlossenen Ablehnung gerechnet. Das hat etwas damit zu tun, dass Meinungsfreiheit auch in Hinsicht auf die einzelnen Abgeordneten bei Grünen etwas größer geschrieben wird als in anderen Fraktionen, es hat aber auch etwas damit zu tun, dass es ja durchaus im Vorfeld von einzelnen Abgeordneten eher schwierige Wortmeldungen gab. Ekin Deligöz – als kinderpolitische Sprecherin natürlich aus einer spezifischen Perspektive argumentieren – muss jetzt als Beispiel dafür dienen. Oder auch der Programmparteitag: dort wurde die Kritik an Internetsperren und dem untauglichen Umgang mit Kinderpornographie ins Wahlprogramm geschrieben. Die Debatte war aber durchaus uneinheitlich, auch Applaus gab es für beide Seiten. Mit 15 Enthaltungen hatte ich nicht gerechnet, mit ungefähr fünf aber schon.
Leider liegen die persönlichen Erklärungen der Abgeordneten noch nicht vor – da würde mich schon interessieren, wie das begründet wird.
Was bedeutet das jetzt? Insgesamt haben Grüne als Fraktion sich richtig verhalten. Dass das Bild weniger einheitlich ist, als in anderen Fraktionen, muss erst einmal hingenommen werden. In der Sache waren die Abstimmungsalternativen Nein/Enthaltung unwichtig – es war klar, dass die Mehrheit der Koalition stand. Ärgerlich ist die große Zahl an Enthaltungen trotzdem.
Meine Schlussfolgerung: Grüne sind sehr offen, was die Nutzung neuer Medien angeht – auch einige der Enthaltungsstimmen sind z.B. aktiv bei Facebook unterwegs, persönlich und nicht nur im Sinne eines Pressemitteilungsverteilers. Dazu zählt auch die Nutzung neuer Medien als Wahlkampfinstrument. Und prinzipiell und insgesamt würde ich auch weiterhin sagen, dass es eine große Offenheit für netzpolitische Forderungen gibt. Die Zahl derer, die sich damit aktiv auseinandersetzt, ist in der Partei allerdings relativ klein. Es sind absolut wie prozentual vielleicht mehr Köpfe als in der SPD, wo der Weggang – mal schauen, ob’s noch zum Parteiwechsel kommt – von Tauss schwarze Löcher reißt. Aber die große Mehrheit der Partei mag gerne im Netz kommunizieren, ist prinizipiell auch dafür, den jungen bzw. junggebliebenen Leuten hier ihre politische Spielwiese zu lassen, hat aber den Ernst der Lage noch nicht erkannt. Und nimmt sich im Zweifel die Freiheit, sich nicht in sein Abstimmungsverhalten reinreden zu lassen.
Es geht also darum, aus der netzaffinen Partei auch eine netzpolitisch kompetente Partei zu machen. Allerdings wäre es völlig falsch, darunter nur „Kommunikations“- oder Vermittlungsprobleme innerhalb der Partei zu verstehen. Vielmehr brauchen wir eine echte innerparteiliche Diskussion darüber, wie weit der grüne Einsatz für eine zukünftige Gesellschaft geht, in der informationelle Infrastrukturen mehr Einfluss auf Wertschöpfung und Produktivität haben als Autobahnen, um’s mal pathetisch zu formulieren. Es geht nicht (nur) um Aufklärung, sondern um Überzeugung – und möglicherweise bei dem einen oder anderen Punkt auch darum, innerparteiliche Einigungen zu finden, die nicht 100%ig dem „Netzkonsens“ entsprechen.
Parteien machen sowas nicht im Wahlkampf. Das Bundestagswahlprogramm steht, und es steht für netzpolitisch sinnvolle Ziele.
Wer möchte, dass Bündnis 90/Die Grünen beim nächsten Ernstfall besser abschneiden, muss dennoch jetzt die Weichen dafür stellen, dass in der im September neugewählten Fraktion ebenso wie in der Partei – vielleicht auch: mal wieder – ernsthaft inhaltlich über das Netz gestritten wird. Und muss das so organisieren, das dort nicht nur die üblichen Verdächtigen aus Netz- und Bürgerrechtspolitik auftauchen, und vielleicht noch die, die jetzt gerne schöne bunte Wahlkampfseiten haben wollen – sondern auch die „Mitte der Partei“, die sich „eigentlich“ nur für ganz andere Dinge interessiert: für Umweltpolitik, für Gleichberechtigung, für Bildung, für Kinderpolitik. Die müssen wir mitnehmen. Anders gesagt: organisationelles Lernen organisieren, statt sich von Piraten entern zu lassen!
Warum blocke ich das? Eigentlich wollte ich warten, bis klar war, warum die 15 so abgestimmt haben, wie sie abgestimmt haben; aber nachdem ich in den letzten Tagen doch ziemlich auf die SPD eingehauen habe, fand ich’s ein Gebot politischer Ehrlichkeit, jetzt auch hier zu sagen, was Sache ist. Aber nota bene: für Netzzensur hat kein einziger Grüner, keine einzige Grüne gestimmt, das waren andere! Und für sowas – kurz nach der Abstimmung kam die erste CDU-Ankündigung, über eine Ausweitung nachzudenken – erst recht nicht.
Update: (19.6.2009, mittags) Das vorläufige Plenarprotokoll (pdf) der gestrigen Sitzung (BT-Drucksache 16/16227) liegt inzwischen vor. Die Debatte um das Netzsperren-Gesetz ist dort ab S. 127 wiedergegeben – falls jemand nochmal wörtliche Zitate etc. sucht. Die persönlichen Erklärungen sind als Anlagen erwähnt, die aber dem vorläufigen Protokoll noch nicht beiliegen.
Update 2: Hier die persönliche Erklärung von Ekin Deligöz zu ihrem Abstimmungsverhalten.
Update 3: Sylvia Kotting-Uhl hat die persönliche Erklärung jetzt auch auf ihre Homepage gestellt; wenn ich das richtig sehe, ist diese wortgleich mit der von Ekin.
Wenn ich mir die 15 AbweichlerInnen nochmal anschaue, dann bleibt der Eindruck einer Mischung – die 15 würden sonst nicht unbedingt gemeinsam unter einem Antrag o.ä. stehen.
Interessant sind die Themenfelder: Ekin Delingöz ist kinder- und familienpolitische Sprecherin, Irmingard Schewe-Gerigk ist frauenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion. Cornelia Behm, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell und Ulrike Höfgen sind ExpertInnen der Fraktion in verschiedenen umweltpolitischen Feldern. Thilo Hoppe ist Entwicklungsexperte und Vorsitzender dieses Ausschusses. Thea Dückert ist eine der parlamentarischen GeschäftsführerInnen und sitzt im Aussschuss für Wirtschaft und Technologie, der den Gesetzentwurf federführend betreut hat. Im klassischen Sortiermechanismus „Flügel“ reicht das Spektrum von ganz links (z.B. Kotting-Uhl, Schewe-Gerigk, Hoppe) bis ganz realoistisch (z.B. Christine Scheel, Katrin Göring-Eckardt). Was ich damit sagen will: hier wird mehr oder weniger das ganze Spektrum der Partei abgebildet.
Nicht bei den „EnthalterInnen“ dabei sind (glücklicherweise) die Fachleute für Innenpolitik und Bürgerrechte (z.B. Volker Beck, Wolfgang Wieland, Jerzey Montag, Hans-Christian Ströbele, Monika Lazar). Schade, dass deren Expertise hier nicht mehr Gewicht erhalten hat.
Update 4: Der Website von Priska Hinz ist zu entnehmen, dass die bisher bekannte persönliche Erklärung von ihr, von Ekin Deligöz, Christine Scheel, Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Müller, Sylvia Kotting-Uhl, Thea Dückert, Cornelia Behm, Harald Terpe und Hans-Josef Fell unterstützt wird.
Bleiben also noch fünf (Marieluise Beck, Rainder Steenblock, Thilo Hoppe, Ulrike Höfken und Irmingard Schewe-Gerigk) die sich – soweit mir bisher bekannt – nicht zu den Gründen für ihr Abstimmungsergebnis geäußert haben.
Update 5: Musste ja so kommen ;-) – inzwischen gibt’s die Facebook-Gruppe Grüne Pirat_innen. Mit hoffentlich deutlich mehr Rückenwind als bei den Piraten in der SPD (das gleichnamige Blog wurde übrigens inzwischen gelöscht). Und zumindest schon mal mit ’nem Gender_Gap im Namen.
Update 6: (20.6.2009) Per Twitter wird vermeldet, dass das heute stattgefundene „Camp Netzbegrünung“ mehr netzpolitische Kompetenz – auch in der grüne Bundestagsfraktion einfordert. Was auch immer das konkret bedeutet.
Und nochmal zum Abstimmungsverhalten der grünen Fraktion – es war wohl erst kurz vor der Abstimmung klar, dass es eine große Zahl von Enthaltungen geben würde. Wie zu hören war, gab es keine Probeabstimmung, und auch die namentliche Abstimmung war in der Fraktion nicht abgesprochen. Einerseits schade, weil ein geschlosseneres und klareres Bild vielleicht besser gelungen wäre, wenn die Fraktionsführung früher die Brisanz der Sache wahrgenommen hätte, bzw. wenn die „EnthalterInnen“ früher Wort gegeben hätten. Anderseits liegt damit ein sonst in der Programmposition verdeckter Konflikt in der Partei in der Öffentlichkeit – das ist im Wahlkampf nicht toll, ist aber Voraussetzung dafür, dass der Konflikt jetzt angegangen wird.
In other news: die heutigen Mahnwachen waren wohl überwiegend gut besucht, auch von Grünen (dass es in Freiburg eine geben sollte, habe ich leider zu spät erfahren). Jörg Tauss hat, wie gestern bereits als Gerücht zu hören, heute seinen Übertritt zur Piratenpartei verkündet – da passt er hin, denke ich.
Update 7 (21.06.2009): Die politische Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke der Grünen stellt in ihrem Blog nochmal klar da, was die offizielle Parteilinie ist – und sagt auch deutlich, dass sie die 15 Abweichungen davon falsch findet. Im HR-Blog wird die persönliche Erklärung von Priska Hinz et al. verrissen. Und „Was war, was wird“ bei heise online zitiert diesen Blogeintrag, wenn auch nicht ganz vorteilhaft ;-) – „Mit 15 Enthaltungen zeigten die Grünen ihre bekannte Geschmeidigkeit der kohlkraftigen Interpretation, die schon immer die FDP für Besseresser auszeichnete.“
Update 8 (22.06.2009): „Claudia Roth ist mit dem grünen bundesvorstand einstimmig gegen internetsperrung.“ schreibt sie auf ihrer Facebook-Seite. Und auch die Grüne Jugend hat auf ihrem gestrigen Bundesausschuss einen entsprechenden Beschluss gefasst (noch nicht online). Schließlich noch der Hinweis auf die innergrüne Unterschriftensammlung mit Bitte an die Fraktion, das Thema ernst zu nehmen.
Update 9: Wer sowas mag, kann sich den grünen Bundesvorsitzenden Cem Özdemir zum Thema Ablehnung der Netzsperren auch im Bewegtbild anschauen.
Liebe SPD-Wähler! – und ein P.S. für die Piraten
Ich habe ja keine Ahnung, ob hier Anhängerinnen und Anhänger einer der sozialdemokratischen Parteien mitlesen. Aber, weil’s jetzt um jede Stimme geht, sprech ich doch einfach mal euch, liebe SPD-Wähler an, und zitiere meinen großen VorsitzendenSpitzenkandidaten zur Europawahl, Reinhard Bütikofer, den Mann mit den vielen Namen:
Liebe SPD-Wähler,
gegenwärtig ist viel davon die Rede, wie viele Millionen Arbeitsplätze in der gegenwärtigen Krise noch verloren gehen. Und dass deswegen die Umwelt zurück stehen müsse. Wenig wird dagegen diskutiert, wie neue Arbeitsplätze entstehen. Und was die Ökologie der Ökonomie zu bieten hat. Wir sagen Ihnen: es ist möglich, in den nächsten 5 Jahren mehr als 5 Millionen neuer, grüner Arbeitsplätze in ganz Europa zu schaffen, davon 1 Million allein in Deutschland. Wenn die Politik dafür die richtigen Rahmenbedingungen setzt, statt vor mächtigen Lobbies zu kuschen.
Es geht um einen Grünen New Deal! Es geht um Jobs bei Solartechnik, Windenergie, Erdwärme, um Jobs aufgrund konsequenter Innovation bei der Energie-Effizienz, bei Autos mit alternativen Antrieben, Gebäudesanierung, nachhaltiger Landwirtschaft – in großen, schon bestehenden Industrieunternehmen, in neuen Start-Ups, in mittelständischen Firmen, in Landwirtschaft und im Handwerk. Diese Jobs sind nachhaltig und verflüchtigen sich nicht mit der nächsten Krise! Viele für eine solche Grüne Job-Offensive notwendige Entscheidungen werden im Europaparlament zu treffen sein. Nun bestreite ich nicht, dass manches von dem, was da zu tun ist, auch von vielen Sozialdemokraten unterstützt wird, und dass es manche Sozialdemokraten gibt, die vieles von dieser Agenda richtig finden. Aber der SPD als Partei fehlt die Entschlossenheit und Konsequenz.
Deshalb bitte ich Sie darum, auch wenn es schwer fällt, diesmal lieber grün zu wählen. Denn ohne starke Grüne fehlt der Kompass, damit auch die sozialdemokratischen Abgeordneten die richtigen Entscheidungen fällen. So war es in vielen Entscheidungen bei rot-grün. So ist es heute auch im Europäischen Parlament, wo die Sozialdemokraten schon viel zu lange große Koalition mitspielen statt klare progressive Alternativen zu Barroso & Co. zu verfechten. Also: Diesmal bitte grün!
Überzeugt? Oder gar kein SPD-Wähler? Reinhard hat sich in seinem „offenen Brief“ auch an eine ganze Reihe weiterer Zielgruppen gewendet. Ich fordere jeden und jede, der oder die noch skeptisch ist, ob er oder sie am Sonntag grün für Europa wählen möchte dazu auf, sich Reinhards Brief mal in Ruhe anzuschauen. Sehr verbindlich und sehr ehrlich findet er da ziemlich gute Argumente, warum genau jetzt nur eine Stimme für grün eine gute Stimme ist.
Warum blogge ich das? Weil Wahlkampf ist, und Reinhards Brief – neben so schönen Sachen wie „3 Tage wach“ und der Twitter-Mitmach-Seite – jetzt einfach verbreitet werden muss.
P.S.: Wer eher zur Piratenpartei als zur SPD tendiert – was ich ja prinzipiell verstehen kann -, der sei auf dieses Statement zur Netzpolitik von Jan Philipp Albrecht hingewiesen. Jan ist Kandidat der Grünen auf Platz 12 der Europaliste. Wenn Bündnis 90/Die Grünen ein gutes Ergebnis einfährt (so etwa 12 %), dann ist mit Jan ein richtig guter Netzpolitiker im europäischen Parlament. Wenn nicht, nicht. Auch hier gilt also: jede Stimme zählt!
Wen wählen? (Teil I – Europa)
Bei der Europawahl jetzt am Sonntag ist es relativ einfach. Zwar treten ungefähr dreißig Parteien zur Wahl an, aber „dank“ der bundesweiten Fünf-Prozent-Hürde reduziert sich die Auswahl der Parteien, die Chancen haben, Sitze zu erringen, beträchtlich. 2004 entsprach die Fünf-Prozent-Hürde beispielsweise etwa 1,3 Mio. Stimmen. In anderen Ländern mag es – z.B. bezüglich der Piratenpartei – anders aussehen, aber wer in Deutschland möchte, dass seine oder ihre Stimme nicht nur zur Parteienfinanzierung beiträgt, sondern mit darüber entscheidet, wie das europäische Parlament zusammengesetzt ist, muss eine der etablierten Parteien wählen.
Nebenbei bemerkt: bei der ersten Europawahl 1979 kamen die Grünen – damals noch als „Sonstige politische Vereinigung“, die Parteiengründung erfolgte erst ein Jahr später – aus dem Stand heraus auf 3,2 %. Das wird von AnhängerInnen der Piraten gerne als Indiz dafür genommen, dass der Weg ins europäische Parlament möglich ist. Aber erstens schafften es selbst die Grünen erst fünf Jahre später, zweitens stand damals wohl, soweit ich zeitgenössische Berichte und Erzählungen kenne, noch viel stärker als heute hinsichtlich der Netzpolitik eine breite öffentliche Stimmung in Richtung „Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien“, Umweltschutz und soziale Bewegungen. Bei aller Begeisterung einzelner über die dezentrale Kampagnenfähigkeit der Piratenpartei glaube ich deswegen nicht, dass Geschichte sich wiederholt (auch nicht als Farce).
Aber ich schweife ab. Zurück zur Frage „Wen wählen?“. Zur „Auswahl“ stehen bei mir jetzt also noch Bündnis 90/Die Grünen, CDU, CSU (die wohl leider über die Fünf-Prozent-Hürde kommen werden), DIE LINKE, FDP (wäre ja schön, wenn der Koch-Mehrin-Skandal ein bißchen dazu beiträgt, die FDP-Höhenflüge abzudämpfen) und SPD.
Auswahl in Anführungszeichen, weil ich als Parteimitglied der Grünen hier natürlich nicht lange überlegen muss. Ich bin mit unserem „Green New Deal für Europa“ ebenso wie mit unserer Liste sehr zufrieden (und WUMS etc. finde ich auch klasse). Diese Übereinstimmung bestätigt auch der Wahl-o-mat, der zwar bei mir für „DIE FRAUEN“ noch ein klein wenig mehr an Übereinstimmung ausspuckt, aber s.o. zum Thema Kleinstparteien. Und dass unsere Liste sich in Europa für Gleichberechtigung und Geschlechtergerechtigkeit stark machen wird, steht für mich außer Frage.
Aus einer etwas unabhängigeren Perspektive kommt übrigens heute die Redaktion der Financial Times Deutschland zu der selben Wahlempfehlung für die Europawahl – unter anderem deswegen, weil wir „nicht nur das längste, sondern auch das ausgefeilteste Programm“ haben und konkrete Projekte vorschlagen, wo andere mit Merkel WIRren, auf schöne Gesichter setzen oder vor allem sagen, wen sie nicht mögen. Wer noch Fragen zum grünen Europawahl hat, kann diese übrigens ab sofort bei der Aktion „3 Tage wach“ der grünen Bundesgeschäftsstelle loswerden.
Also: alles klar für Europa, mein Kreuz bei grün (irgendwo oben auf dem angeblich einen Meter langen Stimmzettel). Ein wenig anders sieht die Situation für die Kommunawahl aus. Dazu mehr in Teil II.
Warum blogge ich das? Teils als Wahlempfehlung, teils als Einblick in das Innenleben eines Parteimitglieds.
Nachtrag: Eine Übersicht über das Europa-Wahlrecht in den einzelnen EU-Staaten findet sich bei wahlrecht.de.
Nachtrag 2: Hier noch der „Offene Brief“ – an SPDlerInnen, NichtwählerInnen, Bayern und Angela Merkel – unseres Spitzenkandidatens Reinhard Bütikofer. Absolut lesenswert!