Zeit des Virus, Update IX

Sheep in the morning sun

Da liegt wei­ter Lava rum, es ist brand­ge­fähr­lich, aber wir haben uns irgend­wie dar­an gewöhnt. 

Wir hof­fen, dass Mas­ken, Schnell­tests, Kon­tak­te ver­mei­den und Abstand hal­ten unser Risi­ko min­dern. Die wei­ter­hin sehr hohen Zah­len der Neu­in­fek­tio­nen neh­men wir mit einem Schul­ter­zu­cken hin. Und dis­ku­tiert wird vor allem über Locke­run­gen und wie­der­ge­won­ne­ne Frei­hei­ten für Geimpfte.

So sieht es aktu­ell aus, kurz hin­ter dem – so zu hof­fen – Höhe­punkt der drit­ten Wel­le. Frei­burg und das Umland sind ver­hält­nis­mä­ßig gut durch die drit­te Wel­le gekom­men. Die Hun­dert wur­den als Inzi­denz­wert nur tou­chiert, aber nicht geris­sen, so dass hier – anders als in wei­ten Tei­len Baden-Würt­tem­bergs – die Schu­len wei­ter­hin im Wech­sel­un­ter­richt geöff­net blie­ben. Das eine Kind ist in der A‑Woche, das ande­re wie­der in der B‑Woche. Das heißt, es ist immer abwech­selnd eines zuhau­se (und müht sich mit Auf­ga­ben­pa­ke­ten ohne Erläu­te­run­gen und ohne Lehr­kraft, denn die ist ja im Klas­sen­zim­mer), wäh­rend das ande­re zumin­dest vor­mit­tags Schu­le in Prä­senz hat, im vol­len ÖPNV dort hin­fährt und vor allem Klas­sen­ar­bei­ten schreibt. Am Mon­tag und am Don­ners­tag fin­den in der Schu­le Schnell­tests statt. Und vie­le Lehrer*innen sind inzwi­schen geimpft. Trotz­dem bleibt ein scha­ler Bei­geschmack, bleibt das Risi­ko der „Anste­ckung im häus­li­chen Bereich“.

Stich­wort Imp­fen: Frei­burg ist hier ganz vor­ne in Baden-Würt­tem­berg mit dabei. Fast ein Drit­tel hat bereits die ers­te der zwei Imp­fun­gen, qua Alter, Vor­er­kran­kung oder Beruf. Das mag, wie auch die rela­tiv nied­ri­ge Inzi­denz, sozi­al­struk­tu­rel­le Grün­de haben. Vie­le Akademiker*innen, wenig ver­ar­bei­ten­des Gewer­be, ent­spre­chend viel Home-Office, viel Umsicht und Ver­ant­wor­tung, und auch eine aus mei­ner Sicht sehr objek­tiv berich­ten­de Lokalpresse.

Heu­te wur­den dann noch ein­mal 1400 Freiburger*innen zusätz­lich geimpft – das Zen­tra­le Impf­zen­trum lud zu einem First-come-first-ser­ve-Impf­tag. Ich war um 7.30 Uhr da, und fand eher chao­ti­sche Zustän­de vor. Sicher eher 4000 Men­schen (seit lan­gem die größ­te Men­schen­men­ge in mei­ner Coro­na-Warn-App), Unklar­heit dar­über, wo jetzt eigent­lich die War­te­schlan­ge beginnt, die sich dann doch irgend­wie vage-brei­ig form­te, nach und nach vor­an­rück­te – und bereits um 8.07 Uhr wie­der auf­ge­löst wur­de: alle Ter­mi­ne ver­ge­ben. Hät­te bes­ser orga­ni­siert wer­den kön­nen – so war es doch ein biss­chen Wild­west und Glücks­spiel (lei­der nicht gewonnen). 

Zum Glück schien die Son­ne, es gab eine Schaf­her­de vor der Mes­se zu bewun­dern, und die aller­meis­ten nah­men es mit Lang­mut und Mit­freu­de für die, die einen Ter­min bekom­men hat­ten, hin.

Dem­nächst sol­len Beschäf­tig­te im Land­tag wohl impf­be­rech­tigt sein, angeb­lich wird Astra­Ze­ne­ca zumin­dest in Arzt­pra­xen jetzt für alle frei­ge­ge­ben … inso­fern habe ich gewis­se Hoff­nun­gen, trotz wei­ter knap­pem Impf­stoff dem­nächst dran­zu­kom­men. Bis dahin gilt es, Geduld zu bewah­ren – und dar­an zu den­ken, dass die Lava, an die wir uns gewöhnt haben, wei­ter brand­ge­fähr­lich ist.

Nach­trag 10.05.: Heu­te sehr unpro­ble­ma­tisch über die Haus­ärz­tin einen Ter­min für Astra­Ze­ne­ca bekom­men – war dann eine Sache von weni­gen Minuten.

Nach­trag 16.05.: Am Diens­tag und Mitt­woch gab’s dann doch noch hef­ti­ge­re Impf­re­ak­tio­nen – Kopf­weh, schmer­zen­de Glie­der, Frös­teln – inzwi­schen zum Glück wie­der vor­bei. Dafür jetzt das Gefühl, dass die­se Pan­de­mie viel­leicht wirk­lich irgend­wann vor­bei sein könnte.

Die­ser Text ist Teil einer losen Rei­he zur „Zeit des Virus“ – zuletzt habe ich dazu im März gepos­tet.

Zeit des Virus, Update VIII

Blackforest landscape II

Im Okto­ber hat­te ich zuletzt über den All­tag in der Coro­na-Pan­de­mie geschrie­ben. Seit­dem ist viel pas­siert, und gleich­zei­tig fühlt es sich ein biss­chen so an, als sei­en wir wie­der genau an der glei­chen Stelle.

Viel pas­siert ist, weil im Novem­ber und Dezem­ber die Infek­ti­ons­zah­len steil nach oben gegan­gen sind. Der „Wel­len­bre­cher­lock­down“ ver­fehl­te sein Ziel, ziem­lich zer­knirsch­te Ministerpräsident:innen beschlos­sen dann nach und nach doch här­te­re Maß­nah­men, um schließ­lich im Dezem­ber die Weih­nachts­fe­ri­en vor­zu­zie­hen und den Prä­senz­un­ter­richt aus­zu­set­zen. Die Weih­nachts­pau­se – so jeden­falls mei­ne Inter­pre­ta­ti­on – half dann, die zwei­te Wel­le tat­säch­lich zu bre­chen. Im Janu­ar gin­gen die Zah­len nach unten. Ende Febru­ar waren sie fast wie­der auf dem Punkt vor der zwei­ten Wel­le. Wei­ter­hin gal­ten in Baden-Würt­tem­berg Aus­gangs­be­schrän­kun­gen. Trotz der Ankün­di­gung der CDU-Kul­tus­mi­nis­te­rin, dass sie unab­hän­gig von Inzi­den­zen die Schu­len öff­nen möch­te, blie­ben die­se zu. Dazu bei­getra­gen hat­ten auch die ers­ten Nach­wei­se für die gefähr­li­che­ren und anste­cken­de­ren Virus­mu­ta­tio­nen – inzwi­schen machen sie den Groß­teil der nach­ge­wie­se­nen Infek­tio­nen aus. Seit Ende Dezem­ber begann die Impf­kam­pa­gne, und auch wenn alle nei­disch nach Isra­el oder in die USA blick­ten, die prag­ma­ti­scher und schnel­ler impf­ten (und sich mehr Impf­stoff gesi­chert hat­ten als die EU), sah es ins­ge­samt doch so aus, als sei da Licht am Ende des Tun­nels, um ein belieb­tes Motiv aus den Son­der­sit­zungs­re­den zu zitie­ren. Schnell­tests für den Eigen­ge­brauch wur­den zuge­las­sen, Schnell­test­stra­te­gien aus­ge­rollt. Ent­spre­chend laut ertön­ten dann die Rufe nach Locke­run­gen durch den Ein­zel­han­del, die Gas­tro­no­mie, die Kul­tur­bran­che, durch eini­ge Eltern – und als Sprach­rohr: durch die Medi­en. Eine Mehr­heit in Mei­nungs­um­fra­gen gab es für Locke­run­gen nie, trotz­dem setz­te sich, auch mit Blick auf die Wah­len in Baden-Würt­tem­berg und Rhein­land-Pfalz die Hal­tung durch, dass jetzt die Zeit für Öff­nun­gen sei.

Des­we­gen ste­hen wir jetzt wie­der da, wo wir im Okto­ber stan­den. Die Zah­len gehen rapi­de nach oben. Die drit­te Wel­le hat längst begon­nen. Bis­her konn­ten sich die Ministerpräsident:innen nur zu halb­her­zi­gen Maß­nah­men durch­rin­gen; ein­zel­ne Län­der set­zen noch nicht ein­mal die ver­ab­re­de­te „Not­brem­se“ um, ande­re ver­kün­den, dass gan­ze Land (ja, Saar­land, du bist gemeint), zu einer Modell­re­gi­on für Öff­nun­gen zu machen. Der Ver­such, die Oster­pau­se zu ver­län­gern, schei­ter­te an schlech­ter Vor­be­rei­tung, schlech­ter Kom­mu­ni­ka­ti­on und dem Kom­pe­tenz­wirr­warr zwi­schen Bund (Infek­ti­ons­schutz) und Län­dern (Fei­er­tags­ge­set­ze). Vor ein paar Tagen saß dann die Kanz­le­rin bei Anne Will und sprach ein Macht­wort, vor allem in Rich­tung ihrer eige­nen Minis­ter­prä­si­den­ten und Minis­ter. Ob’s was hilft – da gehen die Mei­nun­gen auseinander. 

Wenn ich mich so in mei­nem Umfeld umschaue, dann ist es com­mon sen­se, dass trotz Imp­fun­gen der älte­ren Bevöl­ke­rung und trotz Test­stra­te­gie ein wei­te­rer har­ter Lock­down zu erwar­ten ist. Bis­her bleibt es bei Appel­len an die Arbeitgeber:innen, doch bit­te Home-Office zu ermög­li­chen. Das ist die eine Schrau­be, an der gedreht wer­den kann. Im Instru­men­ten­kas­ten lie­gen ansons­ten noch Aus­gangs­sper­ren (über deren Wirk­sam­keit hef­tig gestrit­ten wird) und här­te­re Kon­takt­be­gren­zun­gen – der­zeit sind Tref­fen zwi­schen zwei Haus­hal­ten erlaubt. Und mit der stär­ke­ren Anste­ckungs­ra­te unter Kin­dern und Jugend­li­chen dank der Muta­ti­on B.1.1.7 gera­ten auch Schu­len und Kin­der­ta­ges­stät­ten noch ein­mal in den Blick. Ich hal­te es für wahr­schein­lich, dass die Öff­nun­gen hier zurück­ge­nom­men wer­den (vor Ostern waren in Baden-Würt­tem­berg die Klas­sen 1–6 sowie die Abschluss­klas­sen in Prä­senz im Unter­richt), bzw. dass sie nur dort erlaubt wer­den, wo die Inzi­denz­wer­te nied­rig genug sind (100, 200?) und wo eine umfang­rei­che Test­stra­te­gie zumin­dest dazu bei­trägt, infi­zier­te Schüler:innen schnell zu fin­den. Das hat in Öster­reich aller­dings auch nur so halb geklappt. 

Mit Blick auf mei­ne eige­nen Kin­der bin ich da durch­aus zwie­ge­spal­ten. Mei­nem jün­ge­ren Kind hat es gut getan, ein paar Wochen Prä­senz­un­ter­richt gehabt zu haben. Das hat auch etwas damit zu tun, dass es viel ein­fa­cher ist, sich auf den Unter­richt zu kon­zen­trie­ren, wenn Mine­craft und Fort­ni­te (das sind die Orte, wo mein Kind sich mit sei­nen Freund:innen trifft) nicht nur einen Maus­klick ent­fernt sind. Und das älte­re Teen­ager­kind war jetzt seit Weih­nach­ten das ers­te Mal wie­der in der Schu­le, um eine Mathe­ar­beit zu schrei­ben – und hoch­be­glückt dar­über, end­lich ein­mal den Rest der Klas­se wie­der­zu­se­hen und nicht allei­ne zu ver­sump­fen. Sie ver­misst mehr oder weni­ger alles, was Fünf­zehn­jäh­ri­ge so machen.

Und gleich­zei­tig – trotz Pflicht, medi­zi­ni­sche Mas­ken im ÖPNV, in der Schu­le (und auch beim Ein­kau­fen) zu tra­gen: da sind immer auch die Sor­gen dabei. 

Mit dem Imp­fen dau­ert es noch eine gan­ze Wei­le. Und die Berich­te meh­re­ren sich, dass die här­tes­ten Fäl­le auf den Inten­siv­sta­tio­nen jetzt eher bei jün­ge­ren Alters­grup­pen, also z.B. den 40–50-jährigen, auf­tre­ten. Gleich­zei­tig wird hef­tig über Long Covid und die mög­li­chen Lang­zeit­fol­gen auch bei den wie­der Gene­sen­den diskutiert. 

Mei­ne Hoff­nun­gen lie­gen in der Oster­pau­se, die ver­mut­lich nicht lang genug ist, aber den Anstieg der Infek­tio­nen viel­leicht doch bremst – und in der poli­ti­schen Ver­nunft, ange­sichts stei­gen­der Infek­ti­ons­zah­len und mit Zeit­ver­satz dann voll­lau­fen­den Inten­siv­sta­tio­nen doch auf här­te­re Maß­nah­men zu set­zen. Por­tu­gal wird dafür als Bei­spiel ange­führt. Und immer wie­der schwirrt auch das Was-wäre-wenn durch den Raum – wenn es doch schon im Okto­ber einen ech­ten Lock­down gege­ben hät­te, hät­ten dann Tote und schwer Erkrank­te ver­mie­den wer­den können?

Kurzkritik zum SWR-Duell

In der Eigen­wer­bung des SWRs war es so etwas wie der Höhe­punkt die­ses Wahl­kampfs – das Duell. Ges­tern hat es statt­ge­fun­den, mich aber ehr­lich gesagt eher rat­los zurück­ge­las­sen. Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann hat sich wacker geschla­gen, deut­lich gemacht, dass er das Land ver­läss­lich aus der Kri­se füh­ren möch­te und ist auch Kon­tro­ver­sen etwa zum Arten­schutz oder zum Woh­nungs­bau und Flä­chen­ver­brauch nicht aus­ge­wi­chen. Und er hat vor allem immer wie­der erklärt, war­um bei­spiels­wei­se in der Pan­de­mie­be­kämp­fung das eine gemacht und das ande­re nicht gemacht wird, war­um wei­ter­hin Vor­sicht not­wen­dig ist und ein schlich­tes „alles öff­nen“ nicht geht.

Die Kul­tus­mi­nis­te­rin und CDU-Spit­zen­kan­di­da­tin habe ich dage­gen als sehr phra­sen­haft wahr­ge­nom­men. Immer wie­der for­der­te sie Han­deln, Kon­zep­te, etwas tun ein – wenn dann, was sel­ten genug vor­kam, nach Details gefragt wur­de, blieb es schwam­mig und ober­fläch­lich. Etwa bei der Digi­ta­li­sie­rung der Schu­len. Das drei­ma­li­ge Wie­der­ho­len der sel­ben Wor­te ist noch kein Kon­zept. Immer­hin – ein paar Dif­fe­ren­zen wur­den deut­lich: aus Sicht der CDU-Kan­di­da­tin hilft der wei­te­re mas­si­ve Eigen­heim­bau gegen die Woh­nungs­not, und wenn dafür die Grund­er­werbs­steu­er auf Null gesenkt wird, und das ein Mil­li­ar­den­loch reißt, ist ihr das auch egal. Von Gesprä­chen hält sie nicht viel, und dass der Stra­te­gie­dia­log Auto­mo­bil oder der geplan­te Dia­log zum neu­en Gesell­schafts­ver­trag Land­wirt­schaft mehr als blo­ße Gesprächs­run­den sind, ist bei ihr auch nicht angekommen. 

Aus Sicht einer CDU-Anhänger:in wür­de das mög­li­cher­wei­se etwas anders erzählt, und natür­lich wuss­te (und twit­ter­te) die CDU schon lan­ge vor Ende des Duells, dass ihre Kan­di­da­tin das Duell gewon­nen hat. Genau­so, wie wir die Stär­ken und Ideen des MPs her­vor­ge­ho­ben haben. Aber das ist es nicht, was mich ges­tern Abend rat­los und auch etwas frus­triert den Fern­se­her aus­schal­ten ließ. 

Nein, es ist das gan­ze Set­ting und die Art und Wei­se, wie der SWR ver­sucht hat, Poli­tik auf Teu­fel komm raus als Unter­hal­tung zu insze­nie­ren. Das fängt beim Blick auf die Geträn­ke­aus­wahl und die (ver­un­glück­te, weil in der Regie zunächst falsch zuge­ord­ne­te) Rede­zeit­an­zei­ge an. Aber so rich­tig schlimm wur­de es erst in der Nach­be­trach­tungs­sen­dung – Ana­ly­se ist dafür zu hoch gegrif­fen. Zu Wort kamen diver­se CDU-Mit­glie­der (etwa die Vor­sit­zen­den des Unter­neh­me­rin­nen­ver­ban­des) und Zuschal­tun­gen aus Wohn­zim­mern mit einem extrem reprä­sen­ta­ti­ven Sam­ple der baden-würt­tem­ber­gi­schen Bevöl­ke­rung. Fast alle Zuschal­tun­gen waren tech­nisch von mise­ra­bler Qua­li­tät, selbst die Lan­des­vor­sit­zen­den der Grü­nen Jugend und der Jun­gen Uni­on, die offen­sicht­lich aus einer Art Stu­dio dazu­ge­schal­tet wur­den, waren kaum zu ver­ste­hen. Abge­run­det wur­de die­se „Ana­ly­se“ durch einen öster­rei­chi­schen Kör­per­spra­che-Coach, der von Kret­sch­manns Kör­per­grö­ße, sei­nen Augen­brau­en und den zu Ende voll­führ­ten Ges­ten beein­druckt war – und der Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Andrea Röm­me­le, die das gan­ze Duell als ver­ta­ne Chan­ce ein­ord­ne­te. Zu viel aktu­el­le Coro­na-Poli­tik, viel zu wenig Ideen für die nächs­ten fünf Jah­re. Da hat sie recht, aber die Fra­gen hat der SWR-Chef­re­dak­teur aus­ge­sucht. War­um der SWR statt eines Gesprächs dar­über eine Coro­na-Sprech­stun­de abhielt, ist deren Sache. Ein gutes Licht wirft es nicht auf unse­ren öffent­lich-recht­li­chen Sen­der. Und dass Kli­ma­schutz nur des­we­gen in der Debat­te vor­kam, weil der MP es in sei­nen Aus­füh­run­gen zum Bau­en und zur Land­wirt­schaft unter­brach­te, vom SWR aber mit kei­nem Wort zu die­sem The­ma gefragt wur­de, bleibt offen. Selbst das wäre ja „kon­fron­ta­tiv“ und „knal­lig“ mög­lich gewesen.

Der ande­re Tief­punkt war die Spit­zen­kan­di­da­tin der CDU. Wie gesagt, das mögen ande­re anders wahr­ge­nom­men haben, aber ich fand mich doch sehr stark an die­se Ana­ly­se von René Engel erin­nert, der sich die aktu­el­le CDU/C­SU-Wahl­kampf­tak­tik näher ange­schaut hat und viel Trump und Kurz gefun­den hat. Halb­sät­ze wer­den skan­da­li­siert, Erklä­run­gen und sach­li­che Debat­ten nicht gel­ten gelas­sen, son­dern bei­sei­te gescho­ben, und manch­mal auch schlicht die Unwahr­heit erzählt. Das Impuls­pa­pier, das Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann in Rich­tung MPK am Mitt­woch ver­fasst hat? Die CDU-Spit­zen­kan­di­da­tin behaup­te­te, es nicht zu ken­nen (oder, wie ein Twit­ter-Nut­zer schrieb: so müs­sen sich die Lehrer:innen füh­len, wenn sie Ankün­di­gun­gen der Kul­tus­mi­nis­te­rin aus der Pres­se erfah­ren) – nur, dass es letz­ten Don­ners­tag auch an ihren Büro­lei­ter geschickt wur­de. Reden die nicht mit­ein­an­der? Der indus­trie­po­li­ti­sche Stra­te­gie­dia­log wird als „blo­ßes Geschwätz“ ver­ächt­lich gemacht. Im grü­nen Wahl­pro­gramm ste­hen ein paar Wor­te davon, wie moder­ne Städ­te aus­se­hen kön­nen, und dass das Modell der gleich­för­mi­gen Vor­ort-Sied­lung und der ver­öden­den Dorf­ker­ne nicht unse­res ist – bei der CDU-Kan­di­da­tin wird dar­aus sofort ein Eigen­heim­ver­bot, wie es auch Toni Hof­rei­ter nicht gefor­dert hat. Als Kret­sch­mann das erläu­tert, wird er qua­si aus­ge­lacht. Über­haupt, was ich von die­sem Duell mit­neh­me, ist ein Hang der CDU zur, sagen wir mal, Unhöflichkeit. 

Dass ernst­haf­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen um poli­ti­sche The­men auch anders aus­se­hen kön­nen, dafür gibt es vie­le Bei­spie­le. Die­ses Duell war jeden­falls kei­nes. Und es lässt mich in Sor­gen zurück – über einen SWR, der Rich­tung Bou­le­vard schielt, tech­nisch alles ande­re als eine per­fek­te Sen­dung abge­lie­fert hat, und das mit der Aus­ge­wo­gen­heit noch ein­mal üben muss – und über einen poten­zi­el­len Koali­ti­ons­part­ner im demo­kra­ti­schen Spek­trum, der den Wer­te­kom­pass ver­lo­ren hat. Das ist bedauerlich. 

2020/2021 – ein Fragment

Winter sky VII

Düs­te­rer, leicht lila gefärb­ter Him­mel. Die Wol­ken bewe­gen sich im Zeitraffer. 

Ein Mann holt einen Brief aus sei­nem Brief­kas­ten. Es ist das erwar­te­te Schrei­ben einer luxem­bur­gi­schen Immo­bi­li­en­hol­ding, die den beschau­li­chen Wohn­block von dem deut­schen Groß­kon­zern über­nom­men hat, der vor eini­gen Jah­ren den klei­ne­ren Kon­zern geschluckt hat. Er hat die­sen Brief schon erwar­tet. Aus Daten­schutz­grün­den müs­sen die Mieter:innen eine neue Last­schrift­er­mäch­ti­gung ertei­len – auf Papier. Der Mann kratzt sich am Kinn. Das ist ein Ana­chro­nis­mus. Sowas lässt sich doch inzwi­schen digi­tal regeln, über eine kur­ze Nach­richt. Über­haupt – er hat in den letz­ten Wochen kein Bar­geld mehr ver­wen­det, seit selbst bei den Bäcke­rei­en kon­takt­lo­se Kar­ten­le­ser auf­ge­stellt sind. Aber wenn der Kon­zern es so will, dann wird es wohl das bes­te sein, dem zu folgen.

Der Mann bringt den mit einem alt­mo­di­schen Füll­fe­der­hal­ter aus­ge­füll­ten Brief zum Post­kas­ten. Er zieht sich eine Mas­ke an, bevor er die Woh­nung ver­lässt. In die­ser Wohn­zo­ne ist der Ver­kehr auf 30 km pro Stun­de redu­ziert. In vie­len Stra­ßen fah­ren gar kei­ne Autos mehr. Die, die er doch noch sieht, sind zuneh­mend elek­tri­sche. Elon Musk von Tes­la ist inzwi­schen der reichs­te Mann der Welt. Oder es han­delt sich um die ganz gro­ßen Wagen, die halb­au­to­ma­tisch durch die Städ­te fah­ren. Übli­cher­wei­se haben Autos im Jahr 2020 ein Dis­play an der Kon­so­le, auf dem jeder­zeit der aktu­el­le Stand­ort ange­zeigt wird. Eine Com­pu­ter­stim­me gibt Anwei­sun­gen, um das Ziel zu errei­chen. Aber er geht zu Fuß. Für län­ge­re Stre­cken wür­de er nor­ma­ler­wei­se die Stra­ßen­bahn neh­men, die alle paar Minu­ten ver­kehrt. Es lohnt sich gar nicht mehr, in die Fahr­plan-App zu schau­en, die Anzei­ge an der Hal­te­stel­le ver­rät, wann die nächs­te Bahn zu erwar­ten ist. 

In die­sen Mona­ten ver­sucht der Mann aller­dings, auf die Nut­zung der öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­tel zu ver­zich­ten. Lie­ber bucht er ein Fahr­rad in der App. Die Pan­de­mie. Er ver­folgt jeden Tag besorgt die Fall­zah­len. In Deutsch­land ster­ben täg­lich über tau­send Men­schen an der Pan­de­mie. Inner­halb von einer Woche über­schrei­ten die Todes­zah­len die der Ver­kehrs­to­ten, und inner­halb eines Monats kommt eine Klein­stadt zusam­men. Und das nur in Deutsch­land. Das Virus wütet über­all auf der Welt. Es wird über klei­ne Tröpf­chen in der Atem­luft über­tra­gen. Jeder län­ge­re Kon­takt erhöht das Risi­ko. Noch hat die Warn-App, die Kon­tak­te regis­triert, bei ihm nicht rot geblinkt, aber er ist lie­ber vor­sich­tig. Bis der in Win­des­ei­le dage­gen ent­wi­ckel­te mRNA-Impf­stoff des Kon­zerns – ein Tri­umph der Wis­sen­schaft – alle erreicht, wird es noch etwas dauern.

Immer neue Ver­ord­nun­gen wer­den erlas­sen. Das ist in allen Län­dern so. Egal, ob die Christdemokrat:innen oder die Sozialdemokrat:innen, die Lin­ken oder die Grü­nen die Regierungschef:innen stel­len. Regel­mä­ßig tref­fen die­se sich zu Kri­sen­sit­zun­gen mit der Kanz­le­rin. In der Kri­se zeigt sich wah­rer Charakter. 

Vie­le Geschäf­te sind geschlos­sen, in ande­ren ist der Auf­ent­halt streng regle­men­tiert. Auch die Schu­len wur­den zuge­macht. Teil­wei­se fin­det der Unter­richt digi­tal statt. Manch­mal ver­brin­gen die Kin­der den Tag aber auch in Computerspielewelten. 

Sei­ne Kolleg:innen hat der Mann seit einem hal­ben Jahr nur noch per Video­kon­fe­renz gese­hen. Sei­ne Aus­rüs­tung funk­tio­niert unab­hän­gig von dem Ort, an dem er ist. Kon­fe­ren­zen, Bespre­chun­gen, Doku­men­te – alles ist inzwi­schen digital. 

Da, wo vie­le Men­schen sich auf­hal­ten, tra­gen alle Mas­ke – fast alle, bis auf die Spinner:innen, die lie­ber an ihre Ver­schwö­run­gen glau­ben. Auf den vie­len tau­send Kanä­len des Netz­werks gibt es Bil­der von Spinner:innen, die sin­gend über Plät­ze tan­zen. Sie leben in einer abge­schot­te­ten Welt, und glau­ben, was ihre Sektenführer:innen ihnen erzäh­len. Die Pan­de­mie sei eine Erfin­dung, in Wahr­heit gehe es dar­um, dass Bill Gates an das Blut unschul­di­ger Kin­der wolle. 

Viel­leicht gehört auch der US-Prä­si­dent dazu. Der ist gera­de abge­wählt wor­den. Die Wahl­aus­zäh­lung zog sich über Tage hin, in eini­gen Bun­des­staa­ten dran­gen Bewaff­ne­te in die Wahl­lo­ka­le ein und ver­such­ten, die Wähler:innen ein­zu­schüch­tern. In einer her­un­ter­ge­kom­me­nen Gegend hat der Prä­si­dent sei­nen Anwalt ver­kün­den las­sen, dass er die­se Wahl nicht aner­ken­nen wird, dass sie ihm gestoh­len wur­de. Vor Gericht hat er damit aller­dings kei­nen Erfolg. Den­noch erzählt er sei­nen Anhänger:innen immer wie­der über das Netz­werk, dass er der recht­mä­ßi­ge Wahl­sie­ger sei. 

Am Drei­kö­nigs­tag kommt es schließ­lich zum Putsch­ver­such. Ex-Mili­tärs, Polizist:innen und selbst­er­nann­te Patriot:innen aber auch selt­sa­me Gestal­ten mit bemal­ten Gesich­tern und Scha­ma­nen-Kos­tüm drin­gen gewalt­sam in das nor­ma­ler­wei­se gut geschütz­te Kapi­tol ein, wo gera­de der neue Prä­si­dent bestä­tigt wird. Es dau­ert Stun­den, bis die Herz­kam­mer der ame­ri­ka­ni­schen Demo­kra­tie wie­der unter Kon­trol­le ist. Die Senator:innen und Abge­ord­ne­te wer­den in Sicher­heit gebracht und müs­sen aus­har­ren. Es kommt zu Kämp­fen. Es gibt Tote. Es gibt Bil­der. Das alles lässt sich im Netz­werk mehr oder weni­ger live mit ver­fol­gen. Spä­ter gibt es Gerüch­te, dass Tei­le des Sicher­heits­ap­pa­rats den Putsch woll­ten. Dass die Auf­stän­di­schen eigent­lich das Ziel hat­ten, Gei­seln zu nehmen.

Der Mann macht sich Sor­gen. Noch hat der US-Prä­si­dent Zugriff auf die Nukle­ar­codes. Der evan­ge­li­ka­le Vize-Prä­si­dent hat zwar fak­tisch die Macht über­nom­men, aber wer weiß, was da noch passiert.

Inzwi­schen ist eine Muta­ti­on des Virus auf­ge­taucht. Stär­ker anste­ckend. In eini­gen Län­dern sind die Fall­zah­len schon hoch­ge­gan­gen. Auch in Groß­bri­tan­ni­en, das nicht mehr zur Euro­päi­schen Uni­on gehört und sei­ne Gren­zen dicht gemacht hat.

Um sich davon abzu­len­ken, holt der Mann sich ein Buch auf einen der vie­len Bild­schir­me. Oder er schaut Seri­en und Fil­me an. Die Aus­wahl ist rie­sig. Vie­les ist brand­neu, obwohl die Pan­de­mie auch das Film­ge­schäft hart unter­bro­chen hat. Oder er führt hef­ti­ge Debat­ten im Netz­werk. Mög­lich­kei­ten, sich abzu­len­ken, gibt es jeden­falls genug. 

Der Jah­res­wech­sel fand weit­ge­hend ohne Feu­er­werk statt. Nie­mand woll­te den über­las­te­ten Kli­ni­ken auch noch abge­ris­se­ne Hän­de und Brand­ver­let­zun­gen zumu­ten. Es war ein selt­sa­mer Jah­res­wech­sel. Heim­lich hat­ten vie­le gehofft, das nach dem Jahr 2020 mit sei­nen Wald­brän­den und Tor­na­dos, mit dem Kome­ten und der Kli­ma­kri­se, den Flüch­ten­den und der Pan­de­mie wie­der Ruhe ein­keh­ren wird. Wenn es doch nur zu Ende gin­ge. Doch das hier ist jetzt unse­re Zukunft. 

Verwirrung in der Krise

Sagen wir mal so: es gab eine Zeit, in der ich Kom­mu­ni­ka­ti­ons­gue­ril­la durch­aus für ein coo­les Kon­zept des poli­ti­schen Akti­vis­mus gehal­ten habe. Gemeint sind damit sub­ver­si­ve Kom­mu­ni­ka­tio­nen, um Ver­wir­rung zu stif­ten, offi­zi­el­le Maß­nah­men zu dele­gi­ti­mie­ren und Leu­te dazu zu brin­gen, nachzudenken.

Trotz­dem habe ich mich a. ziem­lich geär­gert und füh­le mich b. eher ohn­mäch­tig, nach­dem ich ges­tern Abend einen Fly­er aus dem Brief­kas­ten gefischt habe, der auf den ers­ten Blick vor­gibt, eine offi­zi­el­le Mit­tei­lung des Regie­rungs­prä­si­di­ums Frei­burg zu sein und ankün­digt, in Trep­pen­häu­sern die Ein­hal­tung der dort neu ver­häng­ten Mas­ken­pflicht zu kontrollieren.

Auf den zwei­ten Blick stimmt fast nichts an die­sem Fly­er: zustän­di­ge Behör­de wäre die Stadt, nicht das Regie­rungs­prä­si­di­um, das Logo ist unscharf und ver­pi­xelt, das For­mat A5 (und schlecht abge­schnit­ten) für eine offi­zi­el­le Mit­tei­lung passt nicht, es gibt weder Datum noch Kon­takt­per­son, die recht­li­chen Begrif­fe stim­men nicht, und es wäre auch selt­sam, jetzt eine Maß­nah­me für den 10.1. zu ver­kün­den. Also: ziem­lich kla­rer Fall eines Fakes. Für alle, die sich mit Ver­wal­tungs­han­deln und Kom­pe­tenz­ab­gren­zun­gen zwi­schen unte­ren und mitt­le­ren Ver­wal­tungs­be­hör­den auskennen.

Ich befürch­te, dass rela­tiv vie­le Men­schen die­sem Fly­er Glau­ben schen­ken. Bis­her gab es ab und zu die übli­che „Schützt unse­re Kinder“-Panikmache, aber da war zumin­dest der Absen­der klar. Das hier hat inso­fern eine neue Qua­li­tät. Und trägt dazu bei, das Ver­trau­en in die, die in die­ser Kri­se so drin­gend wie not­wen­dig han­deln, zu sen­ken. Des­we­gen mein Ärger. Ohn­macht? Weil ich ger­ne etwas dage­gen unter­neh­men wür­de, aber nicht wirk­lich eine Mög­lich­keit habe. Ich habe das RP infor­miert (Update: das inzwi­schen auf sei­ner Web­site dar­über infor­miert, dass es sich um eine Fäl­schung han­delt), rege mich in sozia­len Medi­en und hier in mei­nem Blog auf und habe den Aus­hang unten ins Trep­pen­haus gehängt. Ich befürch­te aber, dass die­ser Fly­er rela­tiv flä­chig ver­teilt wur­de. Was also tun?