Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil III)

Little prairie

III. Vom Bürgerschreck zur Bürgerregierung

Im ers­ten Teil die­ses Tex­tes hat­te ich noch ein­mal auf die grü­nen Anfän­ge zurück­ge­blickt. Aus ganz unter­schied­li­chen Beweg­grün­den kamen Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jah­re ganz unter­schied­li­che Men­schen zusam­men, um DIE GRÜNEN auf­zu­bau­en und zu grün­den. Aus die­ser Viel­falt wur­den grü­ne Grund­wer­te zusam­men­ge­tra­gen, ein­ge­bet­tet in den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­zu­sam­men­hän­gen und Lebens­sti­len eines alter­na­ti­ven Milieus. 

Das Stich­wort Milieu lie­fer­te dann die Grund­la­ge für den zwei­ten Teil, in dem ich meh­re­re Fest­stel­lun­gen getrof­fen habe:

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Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil I)

I. Anfänge

Das Schwä­bi­sche Tag­blatt nimmt die Wahl von Fritz Kuhn zum Ober­bür­ger­meis­ter von Stutt­gart zum Anlass für eine Archiv­re­cher­che über die grü­nen Anfän­ge in Tübin­gen in den frü­hen 1980er Jah­ren. Bünd­nis 90/Die Grü­nen heu­te sind nicht mehr DIE GRÜNEN von 1983. Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Par­tei­mit­glie­der ist viel spä­ter ein­ge­tre­ten und hat ihre eige­nen Ideen in die Par­tei hin­ein­ge­bracht. Aber vie­le der­je­ni­gen, die heu­te im Schein­wer­fer­licht ste­hen, haben sehr direkt mit die­sen Anfän­gen zu tun. Des­we­gen glau­be ich, dass es für eine Debat­te über das grü­ne Ver­hält­nis zum Bür­ger­tum sinn­voll ist, sich noch ein­mal vor Augen zu hal­ten, wie die­se Par­tei damals aussah.

Viel­leicht an die­ser Stel­le ein klei­ner auto­bio­gra­phi­scher Ein­schub. Ich bin 1975 in Tübin­gen gebo­ren. Mei­ne Eltern waren in der neu gegrün­de­ten Par­tei in die­ser Stadt aktiv, bis wir – da war ich etwa acht Jah­re alt – nach Abschluss der Pro­mo­ti­on mei­nes Vaters weg­zo­gen. Uni­stadt eben, aka­de­mi­sches Milieu. 

Auch wenn ich kei­ne direk­ten Erin­ne­run­gen an die ers­ten Jah­re der Grü­nen habe, gibt es allein schon daher bei mir ein Gefühl bio­gra­phi­scher Ver­bun­den­heit zu den grü­nen Anfängen. 

Wer waren die­se Leu­te, die damals die grü­ne Par­tei gegrün­det haben? Unzu­frie­de­ne mit einer SPD, die die in sie gesetz­ten Erwar­tun­gen in einen wirk­li­chen demo­kra­ti­schen, sozia­len und öko­lo­gi­schen Auf­bruch nicht erfüllt haben. Fritz Kuhn war mal Juso. Kon­ser­va­ti­ve, auch Rech­te, denen der Schutz des Lebens wich­tig war – und denen die neue Par­tei bald zu links war. Die Über­res­te von 1968 und Men­schen aus den Bewe­gun­gen, die sich in den 1970er Jah­ren gegrün­det haben. Frie­den, Frau­en, Umwelt­schutz. Pro­tes­tan­tIn­nen, die aus ihrem Glau­ben her­aus zur soli­da­ri­schen Ent­wick­lungs­po­li­tik und zur Eine-Welt-Bewe­gung gefun­den hat­ten. In den ASten und K‑Gruppen sozia­li­sier­te – Win­fried Kret­sch­mann und, eben­so, aber ganz anders, Rein­hard Büti­ko­fer. Natur­wis­sen­schaft­le­rIn­nen, die durch den blin­den Fort­schritts­glau­ben der herr­schen­den Leh­re an den Hoch­schu­len in die Poli­tik gespült wor­den waren. Eso­te­ri­ke­rIn­nen, für die Par­tei Selbst­er­fah­rung war – oder ein Weg, um end­lich ein­mal ver­schwö­re­risch Öffent­lich­keit zu finden.

Kurz: In den Anfangs­jah­ren war das wohl eine ziem­lich wil­de Mischung. Die sich in ihrer gan­zen Viel­falt zusam­men­ge­rauft hat, um den drän­gen­den, kon­kre­ten Pro­ble­men der Zeit eine poli­ti­sche Stim­me zu geben. Der Schutz der Lebens­grund­la­gen. Die ato­ma­re Bedro­hung. Der Staat, der sei­ne Bür­ge­rin­nen und Bür­ger nicht ernst nahm. Die erstarr­te Gesell­schaft grau­haa­ri­ger Männer.

Was die­se ganz unter­schied­li­chen Men­schen zusam­men­ge­bracht hat, war – neben den ganz kon­kre­ten Fra­gen, den Stra­ßen­bau­ten und Bio­to­pen, den AKW-Stand­or­ten und Rake­ten­de­pots – wohl zunächst ein­mal ein Zeit­geist, der in sei­ner Mischung aus Zukunfts­angst und uto­pi­scher Hoff­nung auf das Mög­li­che dia­me­tral zur offi­zi­el­len Hal­tung stand. Viel­leicht ein Lebensgefühl. 

Waren das schon Wer­te? Oder fan­den die sich erst in der sich for­mie­ren­den Par­tei (die auch mal den Slo­gan „nicht links, nichts rechts, son­dern vorn“ gut fand)? Selbst „basis­de­mo­kra­tisch – öko­lo­gisch – sozi­al – gewalt­frei“ als Ban­ner der Grund­wer­te war ja eigent­lich nicht viel mehr als ein Kom­pro­miss, ein Ver­such mal auf­zu­schrei­ben, was alle so halb­wegs tei­len konn­ten, und was jede Ein­zel­ne dann doch anders betonte.

Aller­dings ist die­se Viel­falt zugleich eine grü­ne Stär­ke – noch heu­te. Im aktu­el­len gül­ti­gen Grund­satz­pro­gramm von 2002 (pdf) wer­den dem­entspre­chend die lin­ken und libe­ra­len, wert­kon­ser­va­ti­ven und soli­da­ri­schen Wur­zeln der öko­lo­gi­schen Par­tei beschwo­ren, wird aber auch dar­ge­stellt, wie sich aus die­ser Hete­ro­ge­ni­tät her­aus eine gemein­sa­me poli­ti­sche Iden­ti­tät „grün“ ent­wi­ckelt hat. Wer möch­te, kann die­se Iden­ti­tät unter Begrif­fe wie sozi­al-öko­lo­gisch, nach­hal­tig, gene­ra­tio­nen­ge­recht, zukunfts­ori­en­tiert stel­len. Gleich­zei­tig blei­ben die Wur­zeln in ihrer Brei­te, die trotz der zah­len­mä­ßig gerin­gen Grö­ße der Par­tei weit­ge­hen­de dis­kur­si­ve Anschluss­fä­hig­keit her­stel­len. Volks­par­tei en minia­tu­re, aber mit kla­ren Inhal­ten. Viel­falt, bei der es übri­gens, neben­bei gesagt, über­haupt nicht scha­det, die­se auch immer wie­der öffent­lich sicht­bar zu machen – nicht zuletzt personell.

Im Teil II. geht’s wei­ter mit Wer­ten, Lagern und Milieus.

Haushaltsverhandlungen als Gradmesser politischer Nachhaltigkeit

Günterstal landscape with mountains
Zuwachs­fä­hi­ger Ver­dich­tungs­raum oder so

Der stell­ver­tre­ten­de Minis­ter­prä­si­dent von Baden-Würt­tem­berg, Lan­des­chef unse­res Lieb­lings­ko­ali­ti­ons­part­ners SPD und Finanz- und Wirt­schafts­mi­nis­ter, Dr. Nils Schmid, hat ja bekann­ter­ma­ßen kurz vor sei­nem fünf­wö­chi­gen Urlaub noch ein Inter­view gege­ben, in dem wohl unter ande­rem der Satz gefal­len sein muss, dass dann halt im Schwarz­wald mal ein Tal zuwach­se. Sel­ten war danach so gro­ße Einig­keit zwi­schen Grü­nen und Bau­ern­ver­bän­den, Natur­schutz­lob­by und CDU.

Mein ers­ter Gedan­ke, als ich im Urlaub davon las, war so etwas wie „typisch Sozi­al­de­mo­kra­tie“: länd­li­cher Raum, Agrar­po­li­tik, Natur­schutz, Umwelt – alles nicht so wich­tig wie Bil­dung (da besteht ja noch eine gewis­se Einig­keit) und Beton (in dem Arti­kel oben: Schwer­punkt in der „ver­kehr­li­chen Infra­struk­tur“). Und das in einem Land, das ger­ne als „Länd­le“ titu­liert wird, in dem zwar fak­tisch nur ein Drit­tel der Bevöl­ke­rung im hier­zu­lan­de star­ken länd­li­chen Raum wohnt, in dem sich aber etwa zwei Drit­tel mit dem länd­li­chen Raum iden­ti­fi­zie­ren. Je nach Stand­punkt ein kla­res Eigen­tor oder ein kla­rer Bei­trag zur Pro­fil­bil­dung – der SPD schei­nen gro­ße Tei­le des Lan­des nicht so wich­tig zu sein, ganz egal, ob da Wäh­le­rIn­nen wohn­ten oder nicht.

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Ausblick: So wird 2012

Looking glass

Janu­ar 2012: Trotz Kre­dit- und Anruf­be­ant­wor­ter­af­fä­re bleibt Chris­ti­an Wulff vor­erst wei­ter Bun­des­prä­si­dent. Die inter­nen Ver­hand­lun­gen zwi­schen BILD und CDU um die Nach­fol­ge lau­fen jedoch an.

Febru­ar 2012: Twit­ter, Face­book, einer­lei: der Schalt­tag bringt eini­ges durch­ein­an­der und wird zum letz­ten Aus­lö­ser dafür, dass RLing („real life social net­wor­king“) tren­det. Form­er­ly known as Kaffeeklatsch.

März 2012: Nach Kredit‑, Anruf­be­ant­wor­ter- und Brat­wurst­af­fä­re und mit Blick auf die dem­nächst schwie­ri­ge­ren Mehr­heits­ver­hält­nis­se in der Bun­des­ver­samm­lung beschlie­ßen CDU und BILD, dass das Fass jetzt voll ist und Chris­ti­an Wulff zurück­tre­ten muss. Nach­fol­ge­rin in der kurz­fris­tig ter­mi­nier­ten Bun­des­ver­samm­lung wird aus Effi­zi­enz­grün­den kur­zer­hand Ange­la Mer­kel, die vor­erst jedoch Bun­des­kanz­le­rin und CDU-Vor­sit­zen­de bleibt.

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