Nachdem ich begründet habe, warum ich nicht kandidiere (und gesagt habe, was es sonst so im Vorfeld der Listenaufstellung noch zu sagen gibt) und einen kurzen Vorbericht zur grünen Landesdelegiertenkonferenz 2012 verfasst habe, möchte ich mich doch noch kurz zu den Ergebnissen äußern.
Kurz: Böblingen, wir kommen
Ab morgen Nachmittag steht dann wieder das große grüne Familientreffen im Land an, andere sagen auch „Landesparteitag“ dazu. Den gibt’s üblicherweise einmal jährlich.
Mein Kreisverband hat mich freundlicherweise delegiert, ich werde als einer von etwa 200 stimmberechtigten Delegierten sein (bei 8800 Mitgliedern im Land), die von Freitag bis Sonntag in Böblingen zusammenkommen. Der Parteitag wird heuer vor allem durch die Aufstellung der baden-württembergischen Liste zur Bundestagswahl bestimmt (ich hatte ja schon dazu gebloggt). Wenn ich mir die Bewerbungslage so ansehe, könnten wir gut und gerne jeden aussichtsreichen Platz doppelt besetzen. Was wir nicht können, was aber wohl bedeutet, dass wir als Delegierte eine ganze Reihe echter Wahlen haben werden – beginnend mit der ersten beiden Plätzen, für die es nach heutigem Stand jeweils zwei Kandidaturen gibt (Sylvia Kotting-Uhl vs. Kerstin Andreae bzw. Cem Özdemir vs. Gerhard Schick). Der Teil der Partei, der in Flügeln organisiert ist, wird sich dementsprechend am Freitagabend noch einmal Mut zusprechen und Strategien diskutieren.
Neben der Listenaufstellung gibt es eine Handvoll Anträge (u.a. zwei gegeneinander stehende Anträge zur Frage, wie das Thema ziviler Forschung am besten umsetzbar ist – ich stehe unter dem „weicheren“, der eine landesweite Zivilklausel aus verfassungsrechtlichen Gründen ablehnt, sich aber für verbindliche Vorgaben für mehr Transparenz einsetzt und an allen Hochschulen Senatsausschüsse für Ethik einrichten möchte) und natürlich – es ist der zweite ordentliche, „große“ Parteitag nach grün-rotem Regierungsbeginn – eine Debatte dazu, wo wir landespolitisch heute stehen. Und neben all dem eben in der Tat: Familientreffen mit vielen bekannten, nach dem Wachstum der letzten zwei Jahre aber sicher auch vielen neuen Gesichtern.
Einige Anmerkungen zur Aufstellung der Bundestagswahlliste in Baden-Württemberg
Wer kandidiert eigentlich, und warum? Oder warum nicht?
Bei der Urwahl für die Spitzenkandidaturen waren es vier Personen mit Chancen, gewählt zu werden, und ein Fußballteam aus elf Männern, bei denen absehbar war, dass die Ergebnisse unterhalb von drei Prozent liegen würden. Was sich heute bewahrheitet hat.
Interessant ist hier, dass zwar zahlenmäßig sehr viel mehr Männer als Frauen antraten, aber eine echte Konkurrenz in erster Linie zwischen den Frauenplätzen stattfand. Interessant, weil es zwar auch etwas über Absprachen aussagt, und darüber, wie „Niederlagen“ gesehen werden, vor allem aber auch darüber, wer sich was zutraut. Und wer sich wie einschätzt.
Bei der Landeslistenaufstellung zur Bundestagswahl 2013 kandidieren bis dato 41 Personen. Gewählt wird am ersten Dezemberwochenende – ich gehe davon aus, dass diese Liste bis dahin noch wachsen wird. In Baden-Württemberg gibt es 38 Wahlkreise. Das heißt, schon jetzt sind es nicht nur diejenigen, die direkt in einem Wahlkreis von der Basis gewählt worden sind, sondern auch andere, die ihre Bewerbung eingereicht haben. „Einige Anmerkungen zur Aufstellung der Bundestagswahlliste in Baden-Württemberg“ weiterlesen
Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil III)
III. Vom Bürgerschreck zur Bürgerregierung
Im ersten Teil dieses Textes hatte ich noch einmal auf die grünen Anfänge zurückgeblickt. Aus ganz unterschiedlichen Beweggründen kamen Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre ganz unterschiedliche Menschen zusammen, um DIE GRÜNEN aufzubauen und zu gründen. Aus dieser Vielfalt wurden grüne Grundwerte zusammengetragen, eingebettet in den Kommunikationszusammenhängen und Lebensstilen eines alternativen Milieus.
Das Stichwort Milieu lieferte dann die Grundlage für den zweiten Teil, in dem ich mehrere Feststellungen getroffen habe:
Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil I)
I. Anfänge
Das Schwäbische Tagblatt nimmt die Wahl von Fritz Kuhn zum Oberbürgermeister von Stuttgart zum Anlass für eine Archivrecherche über die grünen Anfänge in Tübingen in den frühen 1980er Jahren. Bündnis 90/Die Grünen heute sind nicht mehr DIE GRÜNEN von 1983. Die überwiegende Mehrheit der Parteimitglieder ist viel später eingetreten und hat ihre eigenen Ideen in die Partei hineingebracht. Aber viele derjenigen, die heute im Scheinwerferlicht stehen, haben sehr direkt mit diesen Anfängen zu tun. Deswegen glaube ich, dass es für eine Debatte über das grüne Verhältnis zum Bürgertum sinnvoll ist, sich noch einmal vor Augen zu halten, wie diese Partei damals aussah.
Vielleicht an dieser Stelle ein kleiner autobiographischer Einschub. Ich bin 1975 in Tübingen geboren. Meine Eltern waren in der neu gegründeten Partei in dieser Stadt aktiv, bis wir – da war ich etwa acht Jahre alt – nach Abschluss der Promotion meines Vaters wegzogen. Unistadt eben, akademisches Milieu.
Auch wenn ich keine direkten Erinnerungen an die ersten Jahre der Grünen habe, gibt es allein schon daher bei mir ein Gefühl biographischer Verbundenheit zu den grünen Anfängen.
Wer waren diese Leute, die damals die grüne Partei gegründet haben? Unzufriedene mit einer SPD, die die in sie gesetzten Erwartungen in einen wirklichen demokratischen, sozialen und ökologischen Aufbruch nicht erfüllt haben. Fritz Kuhn war mal Juso. Konservative, auch Rechte, denen der Schutz des Lebens wichtig war – und denen die neue Partei bald zu links war. Die Überreste von 1968 und Menschen aus den Bewegungen, die sich in den 1970er Jahren gegründet haben. Frieden, Frauen, Umweltschutz. ProtestantInnen, die aus ihrem Glauben heraus zur solidarischen Entwicklungspolitik und zur Eine-Welt-Bewegung gefunden hatten. In den ASten und K‑Gruppen sozialisierte – Winfried Kretschmann und, ebenso, aber ganz anders, Reinhard Bütikofer. NaturwissenschaftlerInnen, die durch den blinden Fortschrittsglauben der herrschenden Lehre an den Hochschulen in die Politik gespült worden waren. EsoterikerInnen, für die Partei Selbsterfahrung war – oder ein Weg, um endlich einmal verschwörerisch Öffentlichkeit zu finden.
Kurz: In den Anfangsjahren war das wohl eine ziemlich wilde Mischung. Die sich in ihrer ganzen Vielfalt zusammengerauft hat, um den drängenden, konkreten Problemen der Zeit eine politische Stimme zu geben. Der Schutz der Lebensgrundlagen. Die atomare Bedrohung. Der Staat, der seine Bürgerinnen und Bürger nicht ernst nahm. Die erstarrte Gesellschaft grauhaariger Männer.
Was diese ganz unterschiedlichen Menschen zusammengebracht hat, war – neben den ganz konkreten Fragen, den Straßenbauten und Biotopen, den AKW-Standorten und Raketendepots – wohl zunächst einmal ein Zeitgeist, der in seiner Mischung aus Zukunftsangst und utopischer Hoffnung auf das Mögliche diametral zur offiziellen Haltung stand. Vielleicht ein Lebensgefühl.
Waren das schon Werte? Oder fanden die sich erst in der sich formierenden Partei (die auch mal den Slogan „nicht links, nichts rechts, sondern vorn“ gut fand)? Selbst „basisdemokratisch – ökologisch – sozial – gewaltfrei“ als Banner der Grundwerte war ja eigentlich nicht viel mehr als ein Kompromiss, ein Versuch mal aufzuschreiben, was alle so halbwegs teilen konnten, und was jede Einzelne dann doch anders betonte.
Allerdings ist diese Vielfalt zugleich eine grüne Stärke – noch heute. Im aktuellen gültigen Grundsatzprogramm von 2002 (pdf) werden dementsprechend die linken und liberalen, wertkonservativen und solidarischen Wurzeln der ökologischen Partei beschworen, wird aber auch dargestellt, wie sich aus dieser Heterogenität heraus eine gemeinsame politische Identität „grün“ entwickelt hat. Wer möchte, kann diese Identität unter Begriffe wie sozial-ökologisch, nachhaltig, generationengerecht, zukunftsorientiert stellen. Gleichzeitig bleiben die Wurzeln in ihrer Breite, die trotz der zahlenmäßig geringen Größe der Partei weitgehende diskursive Anschlussfähigkeit herstellen. Volkspartei en miniature, aber mit klaren Inhalten. Vielfalt, bei der es übrigens, nebenbei gesagt, überhaupt nicht schadet, diese auch immer wieder öffentlich sichtbar zu machen – nicht zuletzt personell.
Im Teil II. geht’s weiter mit Werten, Lagern und Milieus.