Auch jenseits von Lützerath beobachte ich in den letzten Wochen eine zunehmende Schärfe im Ton zwischen Klimabewegung und grüner Partei. Das ist auf der einen Seite nicht weiter verwunderlich – Bündnis 90/Die Grünen stecken als Regierungspartei in einer anderen Rolle als die Klimabewegung, und mit dem Wechsel von Opposition zu Regierung im Bund hat sich da auch noch einmal etwas verschoben. Auf der anderen Seite lässt mich das etwas ratlos zurück. Denn im Kern steckt hinter dieser zunehmenden Schärfe ein Dilemma, das sich nicht so leicht auflösen lässt.
Das Mantra der Klimabewegung ist seit einigen Jahren das der maximalen Dringlichkeit: die Klimabudgets sind weitgehend ausgeschöpft, das politisch festgesetzte 1,5‑Grad-Ziel ist nur zu halten, wenn sofort gegengesteuert wird, und das Fenster, noch etwas zu verändern, schließt sich. Ich kann diese Dringlichkeit, die ja zu großen Teilen wissenschaftlich begründet ist, gut nachvollziehen. Und ich kann sogar nachvollziehen, dass beobachtetes Nichthandeln dazu führt, Aktionsformen zu wählen, die auffälliger sind als Großdemonstrationen und kluge Äußerungen in Talkshows. Es geht um etwas. Es geht um alles!
Gleichzeitig ist Politik nur begrenzt krisenfähig. Erst recht nicht, wenn eine politische Antwort auf die Klimakrise eigentlich heißen würde, die nächsten Jahrzehnte Politik nur noch im Krisenmodus zu betreiben – mit schnellen und einschneidenden Entscheidungen, mit dem Außerkraftsetzen von Abwägungen und Beteiligungsrechten. Ereignishaft kann Politik in diesem Modus arbeiten. Das hat sich in der Corona-Krise gezeigt, als Maßnahmen quasi über Nacht ergriffen wurden. Und auch der schnelle Aufbau von LNG-Terminals ließe sich hier als Beispiel anführen. Warum also nicht in diesem Tempo die 180-Grad-Wende hin zu einer wirkungsvollen Klimapolitik? Schließlich ist doch wissenschaftlich längst klar, was getan werden müsste – von kleineren Maßnahmen wie dem Tempolimit bis hin zur kompletten Elektrifizierung von Verkehr und Industrie, der Umstellung des Energiesystems auf Wind, Photovoltaik und Speicher und der Switch in der Ernährung zu klimaschonenderen Lebensmitteln liegt der Instrumentenkasten auf dem Tisch.
Vielleicht steckt darin auch schon eine Antwort, warum das nicht passiert. Letztlich betrifft Klimapolitik alles. Und diese Betroffenheit aller Ressorts und Ebenen lässt sich zwar ein Stück weit operationalisieren, beispielsweise indem Klimaziele für einzelne Regionen oder Sektoren festgelegt und deren Erreichung dann in die Hand des jeweiligen Ebenen bzw. Ressorts gelegt wird. Das Verkehrsministerium im Bund zeigt aber gerade auch die Grenzen dieses Vorgehens auf.
Mit dem Innenblick auf die baden-württembergische Politik kann ich sagen, dass eine umfangreiche Betroffenheit politisch vor allem bedeutet, dass ein enormer Abstimmungsbedarf produziert wird. Das betrifft das Mehrebenensystem: es gibt europarechtliche Vorgaben, es gibt Ziele und Programme des Bundes, die wiederum beeinflussen, was im Land überhaupt möglich ist, also sowohl im Blick auf die „Kompetenz“ (also die rechtliche Zuständigkeit) als auch im Blick auf z.B. Förderprogramme, die ineinandergreifen müssen. Und vieles von dem, was ein Land wie Baden-Württemberg an Klimapolitik machen kann, betrifft entweder die Industrie, das Verhalten von Einzelpersonen (beides Bereiche, in denen regulatorische Politik sinnvoll ist, aber nie übergriffig sein darf) oder Kommunen. Die wiederum an vielen Stellen eigene Kompetenzen und Verantwortlichkeiten haben, und auf politische Vorgaben meistens mit dem Ruf nach Geld zur Umsetzung reagieren.
Dann kommen die bereits erwähnten Ressortzuständigkeiten ins Spiel. Ein Gesetz wie das derzeit im Landtag befindliche novellierte Klimaschutzgesetz greift in fast alle anderen Ressorts ein, und verankert dort Klimaziele. Das geht aber nur, wenn vorher entsprechende Abstimmungsprozesse mit diesen Ressorts stattgefunden haben – schließlich ist ein Umweltministerium kein „Superministerium“, das in alle anderen Politikfelder hineinregieren kann. Was wiederum ein Bundeskanzler oder ein Ministerpräsident bis zu einem gewissen Grad kann – aber in einer Koalitionsregierung halt nur im Ausnahmefall und nicht als Dauermodus.
Abstimmung heißt: Zeitbedarf. Und ein Gesetz zu machen, geht bei aller Ungeduld so schon nicht von heute auf morgen; erst recht nicht, wenn es nicht gleich juristisch angegriffen werden können soll. Es dauert also auch bei gutem Willen, bis aus einem Auftrag im Koalitionsvertrag juristisch und politisch abgestimmte Eckpunkte und dann ein Gesetzentwurf wird. Das Verfahren in Baden-Württemberg sieht dann vor, dass das Kabinett diesen Gesetzentwurf zur Anhörung freigibt und Verbände (und über das Beteiligungsportal des Landes auch Einzelpersonen) sich rückmelden können – in einer Frist von üblicherweise mehreren Wochen. Danach wird der Gesetzentwurf überarbeitet und erneut – nach politischer Abstimmung zwischen den Häusern und den Koalitionspartnern – ins Kabinett gebracht. Dort wird dann die Einbringung in den Landtag beschlossen. Der Landtag tagt alle paar Wochen; ein Gesetz wird in mehreren Lesungen beraten.
Im konkreten Fall der Novelle des baden-württembergischen Klimaschutzgesetzes heißt das nach über einem halben Jahr Vorlauf in der politischen Abstimmung und den Kabinettsberatungen: Erste Lesung im Landtag am 22. Dezember 2022, Ausschussanhörung am 24. Januar 2023, Beschluss im Umweltausschuss heute, am 26. Januar 2023, und Beschluss im Landtag voraussichtlich am 1. Februar 2023, Inkrafttreten dann nach Veröffentlichung im Gesetzblatt.
Aber auch ein umfangreiches und alle Bereiche betreffendes Gesetz wie das baden-württembergische Klimaschutzgesetz regelt vieles nicht abschließend, sondern enthält Verordnungsermächtigungen und, platt gesagt, Arbeitsaufträge wie beispielsweise die ressortspezifische Erarbeitung von Klimaschutzmaßnahmen. Und auch die sind wiederum mit Abstimmungen zwischen Koalitionspartnern und Ressorts, Interessensausgleich und Abwägungen verbunden – und brauchen Zeit, bis sie erstellt und umgesetzt sind.
Was ich mit diesem Beispiel zeigen will: selbst in einem grün-geführten Bundesland geht mehr Klimaschutz nicht einfach von heute auf morgen. Der 2021 beschlossene Koalitionsvertrag zwischen Grünen und CDU sieht eine ganze Menge Klimaschutz vor und stellt ein Klimaschutzsofortprogramm in den Mittelpunkt. Sehr viel davon ist bereits abgearbeitet, und mit dem novellierten Klimaschutzgesetz kommt ein weiterer großer Schritt dazu. Und trotzdem ist Politik in einem demokratischen System, in Koalitionsregierungen, in der Abstimmung zwischen Bund und Ländern langsam.
Die Erwartung aus der Klimabewegung, dass wissenschaftliche Erkenntnisse ja nur in Gesetzestext gegossen und mal eben umgesetzt werden müssten, erfüllt sich nicht, kann sich in diesem politischen System nicht erfüllen. Und Klimaräte oder Zufallsbürger*innen mögen zwar den Druck erhöhen, Lösungen zu finden, beschleunigen diesen Prozess jedoch nicht, sondern bauen schlimmstenfalls nur weitere Abstimmungs- und Beteiligungsrunden ein. Die machen das Ergebnis vielleicht besser, aber sicher nicht schneller.
Das ist die Momentaufnahme. Wie oben geschrieben, ist die Klimakrise aber nichts, was mit der einen schnellen Entscheidung gelöst werden kann, sondern braucht über Jahre und Jahrzehnte kontinuierlich eine Politik, die sich an Klimazielen orientiert. Das braucht einerseits Ausdauer und stellt andererseits die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass diese Ziele auch bei möglicherweise wechselnden politischen Mehrheiten verfolgt werden können. Die einzige Lösung, die mir dafür einfällt, heißt: Klimaschutz alleine Grünen zuzuschreiben, ist zwar schmeichelhaft, aber nicht hilfreich – nur wenn Scholz sich tatsächlich als Klimakanzler versteht, wenn die CDU ihren Beschluss, eine Klimaschutzpartei zu sein, erst nimmt, und wenn irgendwer die FDP von der Chimäre wegbringt, auf technologische Wunderlösungen zu setzen, klappt es, jetzt sofort einschneidende Maßnahmen durchzusetzen und zugleich die Beharrlichkeit aufzubringen, diese auch in den nächsten Jahren umzusetzen.
Wenn diese Analyse geteilt wird, müsste es das strategische Ziel der Klimabewegung sein, nicht nur Grüne immer wieder an Wahlversprechen zu erinnern, sondern sich zu überlegen, wie die ja eigentlich auf dem Tisch liegenden Lösungen zu etwas werden, dessen Umsetzung von allen demokratischen Parteien als Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit angesehen wird. Solange das nicht der Fall ist, bleibt Klimaschutz ein Spielball von Interessenausgleich und Ressortpolitik, von koalitionären Verhandlungen und Abstimmungen. Und das wird der Dringlichkeit der Klimakrise nicht gerecht.