Ungeduld der Klimabewegung, Zeitläufe der Politik

Snowday, Rieselfeld - XXVIII

Auch jen­seits von Lüt­zer­ath beob­ach­te ich in den letz­ten Wochen eine zuneh­men­de Schär­fe im Ton zwi­schen Kli­ma­be­we­gung und grü­ner Par­tei. Das ist auf der einen Sei­te nicht wei­ter ver­wun­der­lich – Bünd­nis 90/Die Grü­nen ste­cken als Regie­rungs­par­tei in einer ande­ren Rol­le als die Kli­ma­be­we­gung, und mit dem Wech­sel von Oppo­si­ti­on zu Regie­rung im Bund hat sich da auch noch ein­mal etwas ver­scho­ben. Auf der ande­ren Sei­te lässt mich das etwas rat­los zurück. Denn im Kern steckt hin­ter die­ser zuneh­men­den Schär­fe ein Dilem­ma, das sich nicht so leicht auf­lö­sen lässt.

Das Man­tra der Kli­ma­be­we­gung ist seit eini­gen Jah­ren das der maxi­ma­len Dring­lich­keit: die Kli­ma­bud­gets sind weit­ge­hend aus­ge­schöpft, das poli­tisch fest­ge­setz­te 1,5‑Grad-Ziel ist nur zu hal­ten, wenn sofort gegen­ge­steu­ert wird, und das Fens­ter, noch etwas zu ver­än­dern, schließt sich. Ich kann die­se Dring­lich­keit, die ja zu gro­ßen Tei­len wis­sen­schaft­lich begrün­det ist, gut nach­voll­zie­hen. Und ich kann sogar nach­voll­zie­hen, dass beob­ach­te­tes Nicht­han­deln dazu führt, Akti­ons­for­men zu wäh­len, die auf­fäl­li­ger sind als Groß­de­mons­tra­tio­nen und klu­ge Äuße­run­gen in Talk­shows. Es geht um etwas. Es geht um alles!

Gleich­zei­tig ist Poli­tik nur begrenzt kri­sen­fä­hig. Erst recht nicht, wenn eine poli­ti­sche Ant­wort auf die Kli­ma­kri­se eigent­lich hei­ßen wür­de, die nächs­ten Jahr­zehn­te Poli­tik nur noch im Kri­sen­mo­dus zu betrei­ben – mit schnel­len und ein­schnei­den­den Ent­schei­dun­gen, mit dem Außer­kraft­set­zen von Abwä­gun­gen und Betei­li­gungs­rech­ten. Ereig­nis­haft kann Poli­tik in die­sem Modus arbei­ten. Das hat sich in der Coro­na-Kri­se gezeigt, als Maß­nah­men qua­si über Nacht ergrif­fen wur­den. Und auch der schnel­le Auf­bau von LNG-Ter­mi­nals lie­ße sich hier als Bei­spiel anfüh­ren. War­um also nicht in die­sem Tem­po die 180-Grad-Wen­de hin zu einer wir­kungs­vol­len Kli­ma­po­li­tik? Schließ­lich ist doch wis­sen­schaft­lich längst klar, was getan wer­den müss­te – von klei­ne­ren Maß­nah­men wie dem Tem­po­li­mit bis hin zur kom­plet­ten Elek­tri­fi­zie­rung von Ver­kehr und Indus­trie, der Umstel­lung des Ener­gie­sys­tems auf Wind, Pho­to­vol­ta­ik und Spei­cher und der Switch in der Ernäh­rung zu kli­ma­scho­nen­de­ren Lebens­mit­teln liegt der Instru­men­ten­kas­ten auf dem Tisch. 

Viel­leicht steckt dar­in auch schon eine Ant­wort, war­um das nicht pas­siert. Letzt­lich betrifft Kli­ma­po­li­tik alles. Und die­se Betrof­fen­heit aller Res­sorts und Ebe­nen lässt sich zwar ein Stück weit ope­ra­tio­na­li­sie­ren, bei­spiels­wei­se indem Kli­ma­zie­le für ein­zel­ne Regio­nen oder Sek­to­ren fest­ge­legt und deren Errei­chung dann in die Hand des jewei­li­gen Ebe­nen bzw. Res­sorts gelegt wird. Das Ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um im Bund zeigt aber gera­de auch die Gren­zen die­ses Vor­ge­hens auf. 

Mit dem Innen­blick auf die baden-würt­tem­ber­gi­sche Poli­tik kann ich sagen, dass eine umfang­rei­che Betrof­fen­heit poli­tisch vor allem bedeu­tet, dass ein enor­mer Abstim­mungs­be­darf pro­du­ziert wird. Das betrifft das Meh­re­be­nen­sys­tem: es gibt euro­pa­recht­li­che Vor­ga­ben, es gibt Zie­le und Pro­gram­me des Bun­des, die wie­der­um beein­flus­sen, was im Land über­haupt mög­lich ist, also sowohl im Blick auf die „Kom­pe­tenz“ (also die recht­li­che Zustän­dig­keit) als auch im Blick auf z.B. För­der­pro­gram­me, die inein­an­der­grei­fen müs­sen. Und vie­les von dem, was ein Land wie Baden-Würt­tem­berg an Kli­ma­po­li­tik machen kann, betrifft ent­we­der die Indus­trie, das Ver­hal­ten von Ein­zel­per­so­nen (bei­des Berei­che, in denen regu­la­to­ri­sche Poli­tik sinn­voll ist, aber nie über­grif­fig sein darf) oder Kom­mu­nen. Die wie­der­um an vie­len Stel­len eige­ne Kom­pe­ten­zen und Ver­ant­wort­lich­kei­ten haben, und auf poli­ti­sche Vor­ga­ben meis­tens mit dem Ruf nach Geld zur Umset­zung reagieren. 

Dann kom­men die bereits erwähn­ten Res­sort­zu­stän­dig­kei­ten ins Spiel. Ein Gesetz wie das der­zeit im Land­tag befind­li­che novel­lier­te Kli­ma­schutz­ge­setz greift in fast alle ande­ren Res­sorts ein, und ver­an­kert dort Kli­ma­zie­le. Das geht aber nur, wenn vor­her ent­spre­chen­de Abstim­mungs­pro­zes­se mit die­sen Res­sorts statt­ge­fun­den haben – schließ­lich ist ein Umwelt­mi­nis­te­ri­um kein „Super­mi­nis­te­ri­um“, das in alle ande­ren Poli­tik­fel­der hin­ein­re­gie­ren kann. Was wie­der­um ein Bun­des­kanz­ler oder ein Minis­ter­prä­si­dent bis zu einem gewis­sen Grad kann – aber in einer Koali­ti­ons­re­gie­rung halt nur im Aus­nah­me­fall und nicht als Dauermodus. 

Abstim­mung heißt: Zeit­be­darf. Und ein Gesetz zu machen, geht bei aller Unge­duld so schon nicht von heu­te auf mor­gen; erst recht nicht, wenn es nicht gleich juris­tisch ange­grif­fen wer­den kön­nen soll. Es dau­ert also auch bei gutem Wil­len, bis aus einem Auf­trag im Koali­ti­ons­ver­trag juris­tisch und poli­tisch abge­stimm­te Eck­punk­te und dann ein Gesetz­ent­wurf wird. Das Ver­fah­ren in Baden-Würt­tem­berg sieht dann vor, dass das Kabi­nett die­sen Gesetz­ent­wurf zur Anhö­rung frei­gibt und Ver­bän­de (und über das Betei­li­gungs­por­tal des Lan­des auch Ein­zel­per­so­nen) sich rück­mel­den kön­nen – in einer Frist von übli­cher­wei­se meh­re­ren Wochen. Danach wird der Gesetz­ent­wurf über­ar­bei­tet und erneut – nach poli­ti­scher Abstim­mung zwi­schen den Häu­sern und den Koali­ti­ons­part­nern – ins Kabi­nett gebracht. Dort wird dann die Ein­brin­gung in den Land­tag beschlos­sen. Der Land­tag tagt alle paar Wochen; ein Gesetz wird in meh­re­ren Lesun­gen beraten. 

Im kon­kre­ten Fall der Novel­le des baden-würt­tem­ber­gi­schen Kli­ma­schutz­ge­set­zes heißt das nach über einem hal­ben Jahr Vor­lauf in der poli­ti­schen Abstim­mung und den Kabi­netts­be­ra­tun­gen: Ers­te Lesung im Land­tag am 22. Dezem­ber 2022, Aus­schuss­an­hö­rung am 24. Janu­ar 2023, Beschluss im Umwelt­aus­schuss heu­te, am 26. Janu­ar 2023, und Beschluss im Land­tag vor­aus­sicht­lich am 1. Febru­ar 2023, Inkraft­tre­ten dann nach Ver­öf­fent­li­chung im Gesetzblatt. 

Aber auch ein umfang­rei­ches und alle Berei­che betref­fen­des Gesetz wie das baden-würt­tem­ber­gi­sche Kli­ma­schutz­ge­setz regelt vie­les nicht abschlie­ßend, son­dern ent­hält Ver­ord­nungs­er­mäch­ti­gun­gen und, platt gesagt, Arbeits­auf­trä­ge wie bei­spiels­wei­se die res­sort­spe­zi­fi­sche Erar­bei­tung von Kli­ma­schutz­maß­nah­men. Und auch die sind wie­der­um mit Abstim­mun­gen zwi­schen Koali­ti­ons­part­nern und Res­sorts, Inter­es­sens­aus­gleich und Abwä­gun­gen ver­bun­den – und brau­chen Zeit, bis sie erstellt und umge­setzt sind.

Was ich mit die­sem Bei­spiel zei­gen will: selbst in einem grün-geführ­ten Bun­des­land geht mehr Kli­ma­schutz nicht ein­fach von heu­te auf mor­gen. Der 2021 beschlos­se­ne Koali­ti­ons­ver­trag zwi­schen Grü­nen und CDU sieht eine gan­ze Men­ge Kli­ma­schutz vor und stellt ein Kli­ma­schutz­so­fort­pro­gramm in den Mit­tel­punkt. Sehr viel davon ist bereits abge­ar­bei­tet, und mit dem novel­lier­ten Kli­ma­schutz­ge­setz kommt ein wei­te­rer gro­ßer Schritt dazu. Und trotz­dem ist Poli­tik in einem demo­kra­ti­schen Sys­tem, in Koali­ti­ons­re­gie­run­gen, in der Abstim­mung zwi­schen Bund und Län­dern langsam. 

Die Erwar­tung aus der Kli­ma­be­we­gung, dass wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis­se ja nur in Geset­zes­text gegos­sen und mal eben umge­setzt wer­den müss­ten, erfüllt sich nicht, kann sich in die­sem poli­ti­schen Sys­tem nicht erfül­len. Und Kli­ma­rä­te oder Zufallsbürger*innen mögen zwar den Druck erhö­hen, Lösun­gen zu fin­den, beschleu­ni­gen die­sen Pro­zess jedoch nicht, son­dern bau­en schlimms­ten­falls nur wei­te­re Abstim­mungs- und Betei­li­gungs­run­den ein. Die machen das Ergeb­nis viel­leicht bes­ser, aber sicher nicht schneller.

Das ist die Moment­auf­nah­me. Wie oben geschrie­ben, ist die Kli­ma­kri­se aber nichts, was mit der einen schnel­len Ent­schei­dung gelöst wer­den kann, son­dern braucht über Jah­re und Jahr­zehn­te kon­ti­nu­ier­lich eine Poli­tik, die sich an Kli­ma­zie­len ori­en­tiert. Das braucht einer­seits Aus­dau­er und stellt ande­rer­seits die Fra­ge, wie sicher­ge­stellt wer­den kann, dass die­se Zie­le auch bei mög­li­cher­wei­se wech­seln­den poli­ti­schen Mehr­hei­ten ver­folgt wer­den kön­nen. Die ein­zi­ge Lösung, die mir dafür ein­fällt, heißt: Kli­ma­schutz allei­ne Grü­nen zuzu­schrei­ben, ist zwar schmei­chel­haft, aber nicht hilf­reich – nur wenn Scholz sich tat­säch­lich als Kli­ma­kanz­ler ver­steht, wenn die CDU ihren Beschluss, eine Kli­ma­schutz­par­tei zu sein, erst nimmt, und wenn irgend­wer die FDP von der Chi­mä­re weg­bringt, auf tech­no­lo­gi­sche Wun­der­lö­sun­gen zu set­zen, klappt es, jetzt sofort ein­schnei­den­de Maß­nah­men durch­zu­set­zen und zugleich die Beharr­lich­keit auf­zu­brin­gen, die­se auch in den nächs­ten Jah­ren umzusetzen.

Wenn die­se Ana­ly­se geteilt wird, müss­te es das stra­te­gi­sche Ziel der Kli­ma­be­we­gung sein, nicht nur Grü­ne immer wie­der an Wahl­ver­spre­chen zu erin­nern, son­dern sich zu über­le­gen, wie die ja eigent­lich auf dem Tisch lie­gen­den Lösun­gen zu etwas wer­den, des­sen Umset­zung von allen demo­kra­ti­schen Par­tei­en als Not­wen­dig­keit und Selbst­ver­ständ­lich­keit ange­se­hen wird. Solan­ge das nicht der Fall ist, bleibt Kli­ma­schutz ein Spiel­ball von Inter­es­sen­aus­gleich und Res­sort­po­li­tik, von koali­tio­nä­ren Ver­hand­lun­gen und Abstim­mun­gen. Und das wird der Dring­lich­keit der Kli­ma­kri­se nicht gerecht. 

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