SF im Herbst und Winter 2022

In Kür­ze dann also Weih­nachts­fe­ri­en – ein guter Zeit­punkt, um noch­mal drauf zu gucken, was ich seit dem letz­ten Post aus die­ser Rei­he gele­sen (und ange­schaut) habe. 

Ange­schaut eigent­lich vor allem zwei Seri­en: Die Rin­ge der Macht, also die – naja – Ver­fil­mung von Tol­ki­ens Sil­ma­ril­li­on. Mir hat das ganz gut gefal­len, gab aber wohl auch ganz ande­re Reak­tio­nen dar­auf. Und Baby­lon 5dazu hat­te ich ja schon aus­führ­lich geschrie­ben. Inzwi­schen bin ich gut eine Staf­fel wei­ter, die Geschich­te hat meh­re­re uner­war­te­te Wen­dun­gen genom­men, sich für eine Serie aus den 1990er Jah­ren aber erstaun­lich gut gehal­ten. Falls jemand zwi­schen den Jah­ren nichts vor hat …

Dann zu den Büchern.

B.L. Blan­chards The Peace­kee­per (2022) ist eine Detek­tiv­ge­schich­te mit allem, was dazu­ge­hört – nur dass sie unge­fähr in der Jetzt­zeit mit ent­spre­chen­der tech­no­lo­gi­scher Aus­stat­tung auf einem nord­ame­ri­ka­ni­schen Kon­ti­nent spielt, der nie kolo­ni­siert wur­de. Hat mir sehr gut gefallen.

Auch The Spa­re Man (2022) von Mary Robi­net­te Kowal ist ein Detek­tiv­ge­schich­te. Die­se spielt auf einem Kreuz­fahrt-Raum­schiff (mit gewis­sen Anklän­gen an Dou­glas Adams‘ Raum­schiff Tita­nic), das sich auf der Rei­se von der Erde zum Mars befin­det. Wie auch bei Kowals Lady-Astro­naut-Rei­he ist die­ses Raum­schiff recht rea­lis­tisch gezeich­net, so gibt es etwa unter­schied­lich schnell rotie­ren­de Schwer­kraft­be­rei­che. Auf die­ser Luxus-Raum­fahrt mit ent­spre­chend wohl­ha­ben­den Cha­rak­te­ren gibt es einen Mord. Der Part­ner der nach einem Unfall kör­per­lich beein­träch­tig­ten Erzäh­le­rin ist ein Detek­tiv, der sich zur Ruhe gesetzt hat – eigent­lich ide­al geeig­net, um all das auf­zu­klä­ren. Nur wird er schnell selbst ver­däch­tigt. Neben die­ser Jet-Set-Detek­tiv­ge­schich­te spie­len auch ein Hund und Cock­tails eine gro­ße Rol­le. Sehr unterhaltsam. 

Blei­ben wir im Welt­raum: The Vela (2019) von Yoo Ha Lee, Becky Cham­bers, River Solo­mon und S.L. Huang ist eine zuerst als Serie her­aus­ge­kom­me­ne Space Ope­ra in einem inter­es­san­ten Set­ting: ein Son­nen­sys­tem, in dem fehl­ge­schla­ge­ne groß­tech­ni­sche Expe­ri­men­te dazu geführt haben, dass die Son­ne nach und nach aus­geht – und die eigent­lich bewohn­ten und bewohn­ba­ren äuße­ren Pla­ne­ten lebens­feind­lich wer­den. Deren Bevöl­ke­rung flieht ins inne­re Son­nen­sys­tem; hier wird das Schick­sal der äuße­ren Pla­ne­ten weit­ge­hend igno­riert. Vor die­sem Hin­ter­grund kom­men das Kind eines Poli­ti­kers von einem der inne­ren Pla­ne­ten und eine Ex-Mili­tär, die es schon lan­ge von den äuße­ren zu den inne­ren Pla­ne­ten ver­schla­gen hat, zusam­men – sie sol­len ein für eine poli­ti­sche Insze­nie­rung gebrauch­tes Flücht­lings­raum­schiff wie­der­fin­den. Und natür­lich steckt sehr viel mehr dahinter. 

Eben­falls Space Ope­ra: The Red Scholar’s Wake von Ali­et­te de Bodard. Rice Fish, die Frau der namens­ge­ben­den getö­te­ten Anfüh­re­rin­nen des „Roten Ban­ners“ (einer Grup­pe von Weltraumpirat*innen) hei­ra­tet aus poli­ti­schen Grün­den eine bei einem der Raub­zü­ge auf­ge­grif­fe­ne Schrott­samm­le­rin oder Tüft­le­rin, Xích Si. Ach ja, Rice Fish ist ein intel­li­gen­tes Raum­schiff, genau­er gesagt, ein Mensch-Raum­schiff-Hybrid. Und aus der pro­fes­sio­nel­len Part­ner­schaft wird schnell mehr. Nach und nach wird klar, dass die Pirat*innen zwi­schen den bei­den das Xuya-Uni­ver­si­um domi­nie­ren­den Mäch­ten – die sich an viet­na­me­si­schen bzw. chi­ne­si­schen Ursprün­gen ori­en­tie­ren – auf­ge­rie­ben wer­den sol­len. Die vor­he­ri­gen Geschich­ten aus die­sem Set­ting von de Bodard waren eher Novel­len oder Kurz­ge­schich­ten – für mich hat die Aus­deh­nung auf die län­ge­ren Raum gut gepasst.

Mit Invi­si­ble pla­nets (2016) habe ich auch einen von Ken Liu her­aus­ge­ge­be­nen Kurz­ge­schich­ten­band gele­sen – der Band ver­sam­melt einen Quer­schnitt durch die aktu­el­le chi­ne­si­sche SF-Sze­ne mit sti­lis­tisch sehr unter­schied­li­chen Tex­ten, die von eher cyber­punk-arti­gen Wel­ten bis zu eher mär­chen­haf­ten Geschich­ten rei­chen. Ein inter­es­san­ter Ein­blick, ergänzt durch Essays zur Rol­le von SF in China.

Schwer zu beschrei­ben, was Rachel Pol­lacks Unquencha­ble Fire (1994) genau ist – jeden­falls außer­ge­wöhn­lich genug, um als Mas­ter­work of SF neu auf­ge­legt zu wer­den. Ich wür­de sagen: eine humor­vol­le Alle­go­rie auf die Geburt Jesu‘ in einer zumin­dest heid­ni­schen USA, in deren Vor­städ­ten die jetzt ver­pflich­ten­den Gebräu­che und Ritua­le trotz aller büro­kra­ti­schen Kon­trol­le aber doch eher Ober­flä­che sind. Die ganz gewöhn­li­che Jen­nie Maz­dan fin­det nach einem Erwe­ckungs­er­leb­nis her­aus, dass sie vater­los schwan­ger ist – und dum­mer­wei­se sind sie und ihre unge­bo­re­ne Toch­ter zu Grö­ße­rem beru­fen. Neben ihrer Geschich­te sind immer wie­der sur­rea­le Mythen­fet­zen in das Buch ein­ge­wo­ben. Sehr selt­sam, und für mei­nen Geschmack etwas zu umfang­reich. Auf die Fort­set­zung habe ich dann verzichtet.

Ganz anders The Thousand Autum­ns of Jacob de Zoet (2010) von David Mit­chell, ein mini­mal mit fan­tas­ti­schen Ele­men­ten ange­rei­cher­ter Roman, der den Weg des Nie­der­län­ders Jacob de Zoet im Japan des aus­ge­hen­den 18. Jahr­hun­derts beschreibt – die Ost­in­di­en­ge­sell­schaft ist die domi­nie­ren­de Welt­macht, Japan hat sich abge­schot­tet, der Han­del fin­det über die Exkla­ve Deji­ma vor der Stadt Naga­sa­ki statt. Die See- und Kauf­leu­te sind ein wil­der (und skla­ven­hal­ten­der) Hau­fen, in dem der got­tes­fürch­ti­ge und klu­ge de Zoet erst ein­mal sei­nen Platz fin­den muss. Er lernt Ori­to Aiba­ga­wa ken­nen – eine Heb­am­me aus der japa­ni­schen Ober­schicht, die beim Arzt der nie­der­län­di­schen Kolo­nie stu­diert. Die sich anbah­nen­de Lie­bes­ge­schich­te wird jäh unter­bro­chen – und wir sind mittendrin.

Nicht zuletzt sehr unter­halt­sam, aber eher leich­te Lek­tü­re: die drei Bän­de der Dr. Gre­ta-Hel­sing-Rei­he von Vivi­an Shaw, begin­nend mit Stran­ge Prac­ti­ce (2017) – urban fan­ta­sy über Lon­don, Paris, Rom und Mar­seil­le, mit men­schen­scheu­en Vam­pir-Adli­gen, den all­täg­li­chen Pro­ble­men von Mumi­en und Kobol­den und ähn­li­chem mehr. Gre­ta Hel­sing ist als Ärz­tin auf die zwi­schen uns leben­den Mons­ter und deren Lei­den spe­zia­li­siert – und wird ein ums ande­re Mal in grö­ße­re Geschich­ten hin­ein­ge­ris­sen. Wür­de sich auch ver­filmt her­vor­ra­gend machen. 

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