Leseempfehlung: Tomorrow and tomorrow and tomorrow

Titelseite "Tomorrow and tomorrow and tomorrow" Ich weiß gar nicht genau, wo ich eine Emp­feh­lung für die­ses Buch gese­hen habe, aber wohl, dass ich es dann als Buch haben woll­te, und nicht nur als e‑Book. Das mag auch mit der Gro­ßen Wel­le (Hoku­sai) zu tun haben, die pro­mi­nent den Titel schmückt. Knapp 500 Sei­ten, und ein Buch, das ich am liebs­ten auf ein­mal gele­sen hät­te; fak­tisch bin ich zwei Näch­te lang defi­ni­tiv zu spät ins Bett gegan­gen, um Tomor­row and tomor­row and tomor­row von Gabri­el­le Zevin (2022) zu verschlingen. 

Und ja: das Buch emp­feh­le ich ger­ne wei­ter. Aller­dings ist es gar nicht so ein­fach, auf den Punkt zu brin­gen, war­um. Zevins Stil gefällt mir. Sie schreibt warm­her­zig, humor­voll, mul­ti­per­spek­ti­visch, nicht ver­küns­telt, aber expe­ri­men­tier­freu­dig (bei­spiels­wei­se gibt es ein Kapi­tel, das in einer Mischung aus Star­dew Val­ley, Ore­gon Trail und Ani­mal Crossing – dem fik­ti­ven MMORPG Pio­neers - spielt). Mul­ti­per­spek­ti­visch nicht nur des­we­gen, weil die Erzähl­cha­rak­te­re immer mal wie­der wech­seln, son­dern vor allem auch des­we­gen, weil Zevin uns an deren Ver­mu­tun­gen über die Moti­va­tio­nen der ande­ren Mit­spie­len­den teil­ha­ben lässt. Soviel sei gesagt: Inten­tio­nen und Deu­tun­gen gehen teil­wei­se weit aus­ein­an­der – wie im rich­ti­gen Leben. Und auch das trägt dazu bei, Sadie, Sam und Marx leben­dig wer­den zu lassen.

Sam und Sadie ken­nen sich aus einer Kind­heit in den 1980er Jah­ren, haben sich dann nach einem Streit aus den Augen ver­lo­ren. Marx ler­nen die bei­den beim Stu­di­um in Bos­ton ken­nen. Sadie kommt aus der jüdi­schen Bour­geoi­sie Los Ange­les. Sam wächst nach dem Tod sei­ner Mut­ter bei einem schwe­ren Unfall bei sei­nen kora­ni­schen Groß­el­tern auf, die im K‑Town von LA eine Piz­ze­ria betrei­ben. Und Marx hat einen japa­ni­schen Vater und eine korea­nisch-ame­ri­ka­ni­sche Mut­ter, die in Japan leben. Sadie liebt Com­pu­ter­spie­le, Sam eben­falls – und natür­lich sind sie Nerds. 

Ober­fläch­lich betrach­tet han­delt das Buch davon, wie die­se drei aus dem Stu­di­um (Har­vard, MIT, …) her­aus ihr ers­tes Indie-Game schrei­ben und dann eine flo­rie­ren­de Spie­le­fir­ma grün­den – mit einem Hand­lungs­bo­gen, der bis ca. 2010 reicht. Die­se Beschrei­bung wird dem Buch aber nicht gerecht. Es geht nicht um eine Erfolgs­sto­ry. Viel­mehr ähnelt das Buch in gewis­ser Wei­se David Mit­chells Uto­pia Ave­nue, der Geschich­te einer fik­ti­ven Band. In bei­den Fäl­len sehen wir die Innen­sei­ten, die Zwei­fel und die Zufäl­lig­kei­ten hin­ter dem Erfolg, die Men­schen und die fik­ti­ven Pro­duk­te ihrer Krea­ti­vi­tät. In Mit­chells Fall sind das Songs und Alben, bei Zevin eine Rei­he von Indie-Games, die alle real sein könnten.

Zugleich han­delt das Buch von losen Ver­knüp­fun­gen über die Zeit – und von dem Mit- und Gegen­ein­an­der roman­ti­scher Bezie­hun­gen und einer dar­über hin­aus­ge­hen­den Lie­be. Es geht um das Ver­ste­cken der eige­nen Per­son auch zwi­schen Leu­ten, die sich sehr lan­ge und sehr gut ken­nen. Und es ist, so jeden­falls mein Gefühl beim Lesen, eine ziem­lich tref­fen­de Beschrei­bung mei­ner Gene­ra­ti­on; einer Gene­ra­ti­on, in der Com­pu­ter­spie­le groß wur­den. Also viel Wie­der­erken­nungs­wert – auch für Men­schen, die gar kei­ne Com­pu­ter­spiel­fir­ma gegrün­det haben, nicht in LA auf­ge­wach­sen sind und viel­leicht sogar viel weni­ger Zeit mit Games ver­bracht haben als die Haupt­per­so­nen von Tomor­row and tomor­row and tomor­row. Dass das Buch eben auch ein Gene­ra­tio­nen­buch ist, wird beson­ders am Schluss deut­lich, wenn Sadie auf 20 Jah­re jün­ge­re Student*innen trifft und deren ganz ande­re – erns­te­re, schwie­ri­ge­rer – Hal­tung zu Welt beschreibt.

Tomor­row and tomor­row and tomor­row – der Titel ist übri­gens von Shake­speare, der auch eine Rol­le spielt – ist kein Gen­re-Buch, viel­mehr eine dich­te und genau beob­ach­te­te lite­ra­ri­sche Beschrei­bung unse­rer nahen Ver­gan­gen­heit. Und obwohl ziem­lich viel Tra­gik in der Geschich­te von „Unfair Games“ liegt, weht ein Hauch von Star­dew Val­ley oder – aus SF-Per­spek­ti­ve – von Solarpunk/Hopepunk durch das Buch. 

Science Fiction und Fantasy – im Winter 2022/23 gelesen

January forest, dubious, Gundelfingen - III

Es ist höchs­te Zeit, aus mei­nem unsor­tier­ten Notiz­zet­tel mit den in die­sem Win­ter gele­se­nen bzw. ange­schau­ten Büchern und Fil­men mal einen ordent­li­chen Blog­ein­trag zu machen. Nicht zuletzt des­halb, weil lan­ge Win­ter­aben­de ja fast schon auto­ma­tisch nach Tee oder hei­ße Scho­ko­la­de, einem beque­men Ses­sel und mei­net­we­gen auch einer schnur­ren­de Kat­ze verlangen.

Unge­fähr so fühlt sich Legends & Lat­te von Tra­vis Bal­d­ree (2022) an – laut Unter­ti­tel han­delt es hier­bei um „high fan­ta­sy with low sta­kes“, und das trifft es ganz gut. Eine Ork-Kämp­fe­rin hat genug von Quests und Schlach­ten und eröff­net ein Café. Das ist eigent­lich schon alles. Kei­ne Intri­gen, kei­ne Macht­spiel­chen in Paläs­ten, kei­ne ver­zau­ber­ten Prin­zen – statt des­sen schau­en wir zu, wie „Legends & Lat­te“ ent­steht und zu einem Erfolg wird, weil ganz unter­schied­li­che Per­sön­lich­kei­ten – alle mit Macken und Eigen­hei­ten – zusam­men­fin­den und zusam­men­wir­ken. Ein klei­nes biss­chen „high sta­kes“ gibt es dann doch noch, und eben­so ein biss­chen Lie­bes­ge­schich­te. Viel­leicht beschreibt „solar­pun­kig“ die­sen Stil, obwohl weder Pho­to­vol­ta­ik noch Uto­pien vor­kom­men. Mir hat’s jeden­falls gut gefallen. 

„Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy – im Win­ter 2022/23 gele­sen“ weiterlesen

SF im Herbst und Winter 2022

In Kür­ze dann also Weih­nachts­fe­ri­en – ein guter Zeit­punkt, um noch­mal drauf zu gucken, was ich seit dem letz­ten Post aus die­ser Rei­he gele­sen (und ange­schaut) habe. 

Ange­schaut eigent­lich vor allem zwei Seri­en: Die Rin­ge der Macht, also die – naja – Ver­fil­mung von Tol­ki­ens Sil­ma­ril­li­on. Mir hat das ganz gut gefal­len, gab aber wohl auch ganz ande­re Reak­tio­nen dar­auf. Und Baby­lon 5dazu hat­te ich ja schon aus­führ­lich geschrie­ben. Inzwi­schen bin ich gut eine Staf­fel wei­ter, die Geschich­te hat meh­re­re uner­war­te­te Wen­dun­gen genom­men, sich für eine Serie aus den 1990er Jah­ren aber erstaun­lich gut gehal­ten. Falls jemand zwi­schen den Jah­ren nichts vor hat …

Dann zu den Büchern. „SF im Herbst und Win­ter 2022“ weiterlesen