Es folgt – wie immer in unregelmäßigen Abständen – ein Update dazu, was ich in den letzten Wochen/Monaten so gelesen bzw. angeschaut habe, also im Bereich Science Fiction und Fantasy.
Wenn ich mit dem Audiovisuellen anfange, dann hat mir die Animationsserie Inside Job (Netflix) recht gut gefallen. Dysfunktionales Team versucht, in einer der für die Verdeckung von Verschwörungen aller Art zuständigen geheimen Firmen genau das zu tun, und hat damit mehr oder weniger Erfolg. Der eine oder andere Scherz mag vorhersehbar sein, insgesamt scheint mir diese Art von apokalyptischem Humor ganz gut ins Jahr 2021 zu passen.
Nur teilweise begeistert bin ich dagegen von Jonathan Strange & Mr Norrell (Prime), der Serienverfilmung des Buchs von Susanna Clarke. An und für sich ist die Serie gut gemacht – es geht um die Wiederkehr (oder auch nicht) der Magie im frühen 19. Jahrhundert in England, mit periodentypischen Kostümen, Ausstattungen usw. Aber irgendwie passt die Serie nicht zu meiner (atmosphärischen) Erinnerung an das Buch.
Ach ja. Dune. Die Neuverfilmung habe ich mir auch angeschaut (im Stream, nicht auf der großen Leinwand), und … hm. Die Verfilmung ist sehr nah an dem Buch von Frank Herbert, umfasst aber nur den ersten Teil des ersten Buchs der Serie. Und eigentlich ist damit auch schon das größte Problem angesprochen: 2 1/2 Stunden lang geht es um Exposition, die Vorgeschichte wird angedeutet, die einzelnen Akteure werden vorgestellt, und in der zweiten Hälfte des Films in die bekannte krisenhafte Ausgangssituation in der Wüste gebracht, auf der der Rest von Dune aufbaut. Sehr schöne Bilder, insbesondere die Architektur – auch die der brutalistischen Beton-Raumschiffe – hat mir gut gefallen. Die Schauspieler:innen machen ihre Sache gut. In der Summe, abgesehen von ein paar Modernisierungen, aber letztlich gar keine so große Differenz zwischen Lynch und Villeneuve.
Zu den Büchern.
Mit deutschsprachiger SF werde ich nicht so richtig warm, und mit deutschsprachigen Kurzgeschichten erst recht nicht. Die Anthologie Urban Fantasy going intersectional von Aşkin Hayat Doğan und Patricia Eckermann herausgegeben, macht da leider keine große Ausnahme. Einige wenige der enthaltenen Geschichten fand ich richtig gut, die Mehrzahl war dann aber doch irgendwie dünn, beziehungsweise legte den Schwerpunkt so sehr auf Intersektionalität (also die Kreuzung verschiedener Diskriminierungen), dass darunter die Story litt. Hm.
Becky Chambers A Psalm for the Wild-Built (2021) – der erste Teil ihrer neuen „Monk & Robot“-Serie – kriegt das mit der Intersektionalität besser hin, vielleicht gerade deswegen, weil sie hier nicht im Vordergrund steht. Noch mehr als in den vorherigen Büchern von Chambers liegt der Fokus hier auf dem Atmosphärischen, dabei geht es in Richtung Solarpunk auf einem Planeten, der nicht die Erde ist. Die Hauptperson (Dex, Pronomen: they) war Mönch in einem Kloster/einer Gemeinschaft und wird nun zu einer reisenden Ein-Personen-Teestube/psychologischen Beratungseinrichtung. Dazu gehört mehr, als auf den ersten Blick erahnbar ist. Es ist angenehm, Dex dabei zuzuschauen, dies zu meistern – und im zweiten Teil des Buches dann über sich hinauszuwachsen. Gerne mehr davon.
Und auch Ryka Aokis Light from uncommon Stars (2021) macht das mit der Intersektionalität, die Teil der Geschichte ist, aber nicht im Vordergrund steht, recht gut. Die Geschichte um die trans Teenagerin Katrina mit asiatischem Hintergrund spielt an der Ostküste der USA, genauer: in L.A., mehr oder weniger in der Gegenwart, und bringt zwei für sich genommen fast schon klischeehafte Motive großartig und neu zusammen: das Faust-Motiv der an den Teufel verkauften Seele (in dem Fall geht’s um klassische Musik), und eine an der einen oder anderen Stelle an Enterprise erinnernde Space Opera rund um den Starrgate Donut Shop und intergalaktische Flüchtlinge. In der Tonalität irgendwo zwischen Chambers und Green (s.u.) angelegt, bleibt Aokis Buch jedenfalls bis zum Schluss packend und ist unbedingt zu empfehlen.
Zu Hank Green hatte ich in meinem Text über NFTs, die Blockchain und das Metaverse schon ein bisschen was geschrieben. Seine zwei Bücher An Absolutely Remarkable Thing (2018) und A Beautifully Foolish Endeavor (2020) rund um die Heldin April May und ihre Kolleg:innen/Freunde sind sehr genaue Beobachtungen unser Social-Media-Gesellschaft und gleichzeitig ein bisschen Science Fiction (immerhin geht es um einen Erstkontakt zu Außerirdischen). Trotzdem oder weil genau hingeschaut wird, und die Mechanismen rund um Influencer, Likes und VR-Geschäftsmodelle den Plot vorantreiben, erinnert der Tonfall an manchen Stellen an die Douglas-Adams-Tradition satirischer Weltbeschreibung – insgesamt eine gute Mischung.
Dann musste ich natürlich den neuen Band von Charles Stross lesen, Invisible Sun (2021) ist der Abschluss der Merchant-Prince-Sage, die als mittelalterliche Fantasy beginnt, zwischendrin zu einem Parallelweltenthriller wird und in der Verteidigung der revolutionären Gesellschaftsordnung gegen die Invasion aus dem All endet. Stross selbst beschreibt, wie schwierig es war, diese Serie zu einem Ende zu bringen, und dass fast schon ein Fluch über dem Buch lag. Was jetzt vorliegt, ist jedenfalls ein krönendes Ende für diese Serie (und für Stross-Verhältnisse fast schon ein Happy End). Wer was über die Schwierigkeiten der Revolution, Raumfahrttechnik und Spionage/Diplomatie lernen will, ist hier richtig aufgehoben.
Adrian Tchaikovsky war mir bisher v.a. durch Children of Time bekannt (bei Gelegenheit muss ich mal gucken, wie mir seine früheren Werke gefallen). The Doors of Eden (2020) bringt Parallelwelten, die Romanze zwischen Lee und Mal, Geheimdienstoperationen in einem sehr britischen Setting, einen planentengroßen Computer und ein umfangreiches „was wäre wenn“ verschiedener Evolutionsstufen der Erde zusammen. Daraus ergibt sich vielleicht die beste Erklärung für „Kryptids“ wie Bigfoot und andere Monster. Was mir – wie auch schon in Children of Time – sehr gut gefallen hat, sind die Spekulationen darüber, wie nichtmenschliche Psychologie und Gesellschaft aussehen könnten – sehr anders, sehr fremd, aber trotzdem einfühlsam beschrieben.
Bleibt von meiner Leseliste ein Text, der nicht so richtig in diese Reihe passen will, aber vielleicht genau das richtige für lange Herbst- und Winterabende ist: die ersten drei Bände der Farseer-Reihe von Robin Hobb aus den 1990er Jahren. Das ist richtig schöne, lange epische Fantasy – mit einem auserwählten Helden, dem unehelichen Sohn des Kronprinzen FitzChivalry, der den Fokuspunkt der drei Bände darstellt. Die Welt, die wir durch Fitz Augen sehen, ist von Hobb detailliert ausgearbeitet und wird plausibel. Und gleichzeitig bricht Robb mit dem einen oder anderen genretypischen Muster – den Fitz mag zwar auserwählt sein, so richtig glücklich wird er damit aber nicht – nicht zuletzt deswegen, weil seine besondere Begabung ihn zum Außenseiter macht. Auch das ist, und damit passt Farseer vielleicht besser als gedacht an diese Stelle, ein Thema, dass diese Triologie durchzieht: Ausgrenzung, gesellschaftliche Konventionen, Othering. Ich werde jedenfalls bei Gelegenheit weiterlesen – nach den ersten drei Bänden sind noch dreizehn weitere erschienen.
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