Seit Juli ist viel passiert. Zwischendrin vergesse ich manchmal, dass es die Pandemie noch gibt. Ich bin geimpft, ebenso meine Familie, auch die Teenagerkinder. Gab jeweils ein, zwei Tage Nebenwirkungen und Impfreaktionen. Und jetzt das gute Gefühl, zur 2G-Gruppe zu gehören.
Einerseits wird es allmählich wieder normal, dass es Offline-Veranstaltungen gibt. Eine Fraktionsklausur mit 100 Menschen, begleitet von Tests und Hygienekonzepten. Eine Geburtstagsfeier. Landschulheim der Kinder. Wahlkampfstände. Demonstrationen. Ich schaue nicht mehr ständig auf die Inzidenzen. Die Corona-Verordnungen wurden angepasst, um statt der Inzidenz auf die Hospitalisierung zu achten – ändert nicht wirklich etwas, verschiebt die Schwellen und Grenzwerte nach oben. Die Kurven sehen nicht viel anders aus als letztes Jahr. Warnrufe verhallen. Im Mittelpunkt stehen die Ungeimpften. Es wird um die Frage gestritten, ob die pandemische Lage überhaupt noch gegeben ist.
Andererseits: weiter Maske tragen, beim Einkaufen, vor allem aber in den vollen Zügen und Straßenbahnen. Hier in Freiburg wird das auch ziemlich konsequent gemacht. Pandemie der Ungeimpften – Erwachsene und Teenager, die noch nicht geimpft sind, und nicht aus medizinischen Gründen nicht impfbar sind, sind irgendwie selbst schuld. Es gibt keine Impfpflicht, und das Nudging mit beispielsweise den jetzt anfallenden Testkosten oder Zutrittsverboten für Ungeimpfte wirkt nur bedingt, ebenso wie Impfaktionen nur einen Teil erreichen. Zumindest die, bei denen die fehlende Impfung an Bequemlichkeit und Organisationsfragen liegt, nicht an ideologischer Verbohrtheit. Trotzdem scheint die Zahl der Geimpften jetzt zu stagnieren. Sorgen machen mir die Kinder unter 12, für die es offiziell noch keine Impfungen gibt. Trotzdem soll auch hier gelockert werden, soll etwa die Maskenpflicht in der Schule teilweise fallen. Erleichterung, klar – aber wie viele schwere Verläufe nehmen wir in Kauf, wie viele heute vielleicht noch gar nicht absehbaren Langzeitschäden einer Viruserkrankung, die wohl auch das Gehirn angreift?
Die stärkste Erinnerung daran, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist, war paradoxerweise der Wahlkampfauftritt der „dieBasis“ – auch wenn deren Hoffnung, in den Bundestag einzuziehen, klar gescheitert ist, waren sie hier in der Gegend doch sehr präsent. Mit kruden Theorien und haltlosen Vorwürfen auf Plakaten und an Wahlkampfständen. Zwei bis drei Prozent der Leute rund um Freiburg haben diese Querdenkerpartei gewählt. Ich befürchte, dass es da durchaus Resonanzen bis tief in „grüne Milieus“ gegeben hat, bis in den eigenen Bekanntenkreis.
Wechsel in die globale Vogelperspektive – wir sind privilegiert, was die Impfstoffverfügbarkeit aussieht. In anderen Ländern ist das teilweise ganz anders. Das Coronavirus wird auf absehbare Zeit bleiben. Die Pandemie auch? Das bleibt abzuwarten.
Abzuwarten bleibt auch, ob wir als Gesellschaft lernfähig sind. Die Corona-Krise hat einiges katalysiert und hervorgehoben, hat Lücken – etwa bei der Digitalisierung – und Schwächen – etwa hinsichtlich der Zugänglichkeit medizinischer Informationen in der Bevölkerung ‑sichtbar gemacht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die technologischen Sprünge nicht in Vergessenheit geraten – Videokonferenzen, oder auch mRNA als Impfstofftechnik. Wie es mit den stärker sozial fokussierten Veränderungen aussieht, werden wir sehen. Home-Office beispielsweise, ein verändertes Hygieneverhalten mit Masken in der Virensaison und Händewaschen. Hier befürchte ich, dass diese Erfahrungen schnell wieder in Vergessenheit geraten, wenn die Pandemie denn als beendet erklärt wird und aus dem Gedächtnis verschwindet.
Eine Antwort auf „Zeit des Virus, Update XI“