Oft sind Twitterdebatten furchtbar, aber manchmal sind sie tatsächlich fruchtbar.
Aber ich fange noch mal anders an. Nehmen wir an, ein Land hätte sich vorgenommen, den Mond zu erreichen. Ein milliardenteures Vorhaben. Es muss eine entsprechende Forschungslandschaft und Industrie aufgebaut werden. Astronaut*innen müssen gefunden und trainiert werden. Und so weiter. In diesem Land aber ist das anders. Es gibt eine breite öffentliche Debatte darüber, wie wichtig es sei, den Mond zu erreichen. Und deswegen würden alle Bürger*innen ab sofort dazu aufgerufen, Leitern auf ihren Hausdächern zu befestigen, gerne auch hohe. Jedes bisschen hilft! Wer Astronaut*in werden will, sollte selbstverständlich auf die höchste Leiter auf dem höchsten Haus klettern.
Der Vergleich hinkt. Trotzdem hilft er. In gewisser Weise ist die Lösung der Klimakrise ein Moonshot-Projekt. Alles muss sich darauf ausrichten, Treibhausgasemissionen zu reduzieren und Senken zu schaffen (also zum Beispiel Bäume zu pflanzen). Ein relevanter Teil der öffentlichen Debatte beschäftigt sich damit, was jede und jeder selbst tun kann. Vegetarische Ernährung. Eine autofreie Mobilität. Keine Flüge.
Wenn alle das tun würden, dann wäre das in der Tat relevant. Wobei: etwa die Hälfte der deutschen Treibhausgasemissionen kommen aus dem verarbeitenden Gewerbe inkl. Bau und der Energiegewinnung. Der Verkehrssektor insgesamt macht etwa 18 Prozent von Deutschlands Treibhausgasemissionen aus, der ganz überwiegende Anteil ist auf den Straßenverkehr zurückzuführen. Wobei ich ehrlich gesagt keine Ahnung habe, wie der in Deutschland startende und landende Flugverkehr in diese Bilanzen eingerechnet wird. (Und auch bei z.B. Landwirtschaft und Ernährung stellt sich die Frage nach Grenzziehungen, wenn es um importierte Lebensmittel geht …)
Wie dem auch sei: individuelles Verhalten betrifft nur einen relativ kleinen Anteil der Treibhausgasemissionen. Der Alltagsverkehr – Auto oder nicht – spielt dabei eine große Rolle, der Strommix, die Wärmeversorgung und Dämmung. Trotzdem fokussiert sich die öffentliche Debatte gerne auf Flüge. Hm. (Global soll der Flugverkehr für etwa 5 Prozent aller Treibhausgasemissionen verantwortlich sein.)
Im Umkehrschluss heißt das: um Deutschlands Treibhausgasemissionen schnell und wirksam zu reduzieren, sind die großen Hebel der Energiemix, der Verkehr, „übrige Feuerungsanlagen“ (Heizkessel und Kamine in Wohnhäusern) und das verarbeitende Gewerbe. Das aber wieder sind Räder, die individuell nur begrenzt drehbar sind. Wie ein Haus geheizt wird, wie das Haus gedämmt ist: das ist ein relativ wirkungsvoller Hebel. Oder ein Auto benutzt wird. Was für Strom bezogen wird. Trotzdem: letztlich sind es Maßnahmen wie der Kohleausstieg, die Verkehrswende oder die Novellierung von Landesbauordnungen, die hier etwas bewegen. Und natürlich ein harter CO2-Preis, der nicht zuletzt Handlungsbedarf sichtbar macht.
Aus Sicht von Umweltbewegten mag das jetzt furchtbar deprimierend klingen. Da gibt eine oder einer sich ein ganzes Leben lang Mühe, verzichtet (wie ich) auf ein Auto, ernährt sich vegetarisch, achtet auf einen kleinen Fußabdruck, fliegt sehr selten (insgesamt bisher vier Mal – einmal Indien, einmal Schottland, einmal Schweden, einmal USA – innerhalb von 43 Lebensjahren) – und dann ist das alles aus der Vogelperspektive betrachtet nichts wert?
Hier kommen mehrere Probleme und Diskurse zusammen. Das eine ist eine Debatte darüber, ob Menschen, die sich für eine ökologische Politik einsetzen, für eine Lösung der Klimakrise, selbst Vorbilder sein müssen. Diese Idee ist weit verbreitet (und führt im Umkehrschluss dann schnell zu hämischem Zeigefingergezeige – da, ein Grüner, und der fliegt; dort, eine Grüne, die es wagt, Eis aus einem Plastikbecher zu essen!). Und ja, auch ich würde sagen: wer aktiv für ökologische Politik wirbt, und nicht vorlebt, das diese möglich ist, hat ein gewisses Authentizitätsproblem. Aber auch da geht es um die großen Räder, nicht um den Plastikstrohhalm. Und um ein feines Gespür dafür, was tatsächlich schräg ist, und wo es hauptsächlich um Panikmache und Skandalisierung geht.
Anders sieht’s aus, wer „bloß“ wählend an Politik beteiligt ist. Mir ist es lieber, jemand verhält sich nicht wirklich ökologisch, wählt aber grün (und nimmt damit in Kauf, dass das eigene Verhalten in Zukunft teurer wird oder gar verboten oder eingeschränkt wird) als andersherum.
Denn darum geht es letztlich: politische Mehrheiten dafür zu erreichen, mit der nötigen Massivität und Härte Maßnahmen auf der strukturellen Ebene durchzusetzen (vgl. etwa das Klimaschutz-Sofortprogramm). Die haben dann jeweils individuelle Folgen, und es lässt sich trefflich darüber streiten, wo Verbote oder Kontingentierungen, wo Sanktionen, wo hohe Preise und wo bessere Alternativen der richtige Weg sind. Und genauso lässt sich darüber streiten, wie die sozialen Folgen aussehen.
Hier kommen wir zum zweiten Diskurs. Denn erstaunlicherweise hängt der ökologische Impact (oder Fußabdruck) nicht mit Werten und Haltungen zusammen. Wenn ich dreißig oder vierzig Jahre Umweltsoziologie grob zusammenfasse, dann sind hier zwei bis drei Aussagen wichtig. Zum einen sind die ökologisch Sparsamsten ärmere Rentner*innen – wer wenig kauft, aus Mangel an Geld, Zeit und Gesundheit das Haus oder die Wohnung selten verlässt, und noch dazu von Kind auf Verzicht und Sparsamkeit gedrillt wurde (bei Lebensmitteln wie bei der Heizung) emittiert nur extrem wenig CO2. Und wer gut gebildet, mit einem spannenden Job und halbwegs viel Geld versorgt ist, reist gerne in der Weltgeschichte umher, fühlt sich als Weltbürger*innen, fährt vielleicht als Zweitwagen ein sparsames Elektroauto (neben dem großen Erstwagen), konsumiert viel, hat eine große Wohnung … und wählt möglicherweise grün (oder FDP), während die Rentnerin oder der Rentner CDU oder SPD wählt. Puh. Ein gutes Rezept lässt sich daraus nicht ableiten.
Zweitens: selbst wenn es ein sozial-ökologisches Milieu geben würde, das nicht aus Sparsamkeit und Geldmangel, sondern aus einer Werthaltung heraus ökologisch vorbildhaft lebt, wäre das keine Lösung für die Klimakrise. Das mit dem Vorbild ist nämlich so eine Sache. Sehr schnell wird daraus Distinktion und Abgrenzung. Öko wird zum Lebensstil, zum sichtbaren Symbol einer bestimmten Milieuzugehörigkeit. Die Bahncard 100, das mit Holz verkleidete Haus samt Echtholzmöbel und Insektengarten, der Kauf beim (teureren) Bioladen, … all das kann auch Statusmarker sein. Und dann wie alle anderen Statusmarker nicht nur Nachahmung, sondern eben auch Abgrenzung hervorrufen. „Ich lasse mir mein … doch nicht verbieten!“ ebenso wie vehementer Spott über Vegetarierer*innen meint oft genau das: zu denen gehöre ich nicht.
Das aber ist kontraproduktiv, wenn es darum geht, dass nicht nur zehn oder zwanzig Prozent der Bevölkerung bestimmte Dinge tun oder lassen, sondern neunzig oder hundert Prozent. Da helfen dann nur allgemeine Vorschriften und Anreize, die alle treffen. Und unsichtbare ökologische Lösungen, die im Produktionsprozess oder im Produkt stecken, ohne dass sich die Funktionalität verändert.
Und dann gibt es noch den dritten Punkt: Menschen sind nicht rational, sondern vor allem Gewohnheitstiere. Wiederholte Praxis frisst sich ein und lässt sich nur schwer ändern. Selbst wer viel über die Umwelt weiß, selbst wem eine Lösung der Klimakrise wichtig ist, der oder die wird nicht ohne weiteres sein oder ihr Handeln verändern. Damit sich eingefahrene Praktiken ändern, braucht es Gelegenheitsfenster, harte Anreize, möglicherweise auch Vorbilder oder einmal gemachte Erfahrungen, dass es auch anders geht. (Das ist der Strohhalm für all diejenigen, die ihre nachhaltige Lebensweise beibehalten wollen, und dafür mehr Grund brauchen, als dass es individuell moralisch das Richtige ist).
All das zusammen – der reale, in Zahlen darstellbare Impact individuellen Verhaltens; die Diskurse um Moral und Vorbildfunktionen; das Wissen darum, dass Verhaltensweisen und Praktiken sich nicht so einfach ändern, selbst bei optimaler Aufklärung – führen mich dazu, eine Priorität auf politische und strukturelle Lösungen zu legen. Appelle an das Verhalten des oder der Einzelnen erscheinen mir eher kontraproduktiv.
Und deswegen, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren, finde ich es nicht wirklich überraschend, dass Wähler*innen der Grünen besonders viel fliegen (und dabei ein schlechtes Gewissen haben). Das war auch schon 2014 so – und lässt sich vermutlich schnell erklären, wenn Faktoren wie Bildung, Beruf, Einkommen und Alter herausgefiltert werden. Dann würde – so vermute ich – herauskommen, dass Anhänger*innen der Grünen inzwischen ziemlich durchschnittlich sind, nur eben eher jünger, eher gebildeter und manchmal auch besser verdienend. All das sind Faktoren, die berufliche Flüge (z.B. zu wissenschaftlichen Konferenzen) ebenso wahrscheinlicher machen wie „Weltbürger-Flüge“, um einen Bildungskanon (New York, Sydney, Tokyo – musst du gesehen haben!) abzureisen oder transnationale familiäre und freundschaftliche Verbindungen zu leben.
Ist das jetzt Grund zur Sorge, zu Häme und Hetze? Wenn an meiner Argumentation oben etwas dran ist, nicht. Dann ist es wichtiger, wie jemand wählt – und welches politische Programm damit eine Mehrheit bekommt – als wie er oder sie sich im Alltag verhält.
(Meine persönlichen Ansprüche an Flugreisen – auch im Sinne eines politischen Zieles – wären übrigens, dass diese nur angetreten werden, wenn sie wirklich wichtig sind, und wenn es eine Ausgleichsabgabe gibt. Letztere gerne verpflichtend, ersteres ist natürlich individuell sehr verschieden – je teurer Flüge sind, desto stärker dürfte „wichtig“, wie auch immer das individuell gewertet wird, in die Entscheidung einfließen, ob ein Flug genommen wird oder nicht. Auf Twitter meinten einige, dass es ungerecht sei, wenn Flüge dadurch zu einem Luxusgut werden. Aus meiner Sicht sind sie das – es gibt kein Recht auf Flug. Damit würde ich Flüge anders behandeln als Energie- und Wärmeversorgung oder regionale/nahe Mobilität – die sollte tatsächlich für alle erschwinglichsein. Aber all das lässt sich auch anders sehen.)
P.S.: Bei weniger globalen Problemen sieht die Argumentation übrigens ein bisschen anders aus. Ein autofreier Stadtteil funktioniert beispielsweise auch lokal.
P.P.S.: Im Zwischenbericht zum neuen grünen Grundsatzprogramm heißt es dazu (S. 29):
Das System ändern, nicht den Menschen
So wichtig das Engagement Einzelner ist: Es reicht nicht aus, den Unternehmer*innen oder den Verbraucher*innen individuell die Verantwortung für die ökologische Modernisierung zu geben. Viele Instrumente für eine wirksame ökologische Politik setzen bei Strukturfragen und bei Institutionen an. Das Abwälzen von politisch notwendigen Entscheidungen allein auf eine Änderung des privaten Konsumverhaltens ist de facto eine Form der Privatisierung. In einer Demokratie sind Bürger*innen der Souverän, nicht Konsument*innen. Die neoliberale Haltung, wonach etwa die Bedingungen der industriellen Tierhaltung nicht verändert werden müssen, solange die Menschen beim Discounter Ökoprodukte kaufen können, verkennt die grundsätzliche Bedeutung von Politik. Denn sie muss Regeln schaffen, die weiter reichen als auch noch die besten Vorsätze im Privaten. Dafür ist Politik da: nicht den besseren Menschen schaffen, sondern bessere Regeln.
Warum blogge ich das? Weil ich die Diskussion spannend fand, aber auch gemerkt habe, dass Twitter zu knapp ist, um das auszubreiten, um was es mir geht.
Hey,
auf der einen Seite stimme ich Dir zu, der Klimawandel ist hauptsächlich politisch zu lösen. Aber da wir in einer Demokratie leben, ist jeder einzelne Teil dieses politischen Systems, seine Stimme für die Grünen ist nur ein Statement von vielen. Die Politik hat beim Einsatz der richtigen Mittel gegen den Klimawandel, viele Gegner. Die Bevölkerung muss auch Entscheidung mitvtragen, die der einzelne eigentlich gar nicht so toll findet. Um diesen Rückhalt zu geben, muss in der Bevölkerung Notwendigkeiten verstehen. Die Bevölkerung muss auch einen entsprechenden politischen Druck aufbauen. Das Ganze aus einem etwas anderem Blickwinkel: “Klimawandel — Kann die Politik uns retten?” by Sven Jeppsson https://link.medium.com/n93DhMXwxY
Lieber Till,
ich stimme Dir zu, dass die Lösung der Klimakrise nur politisch möglich ist. Für mich ist das aber keine Alternative zu individuellen Verhaltensänderungen, sondern beides hängt zusammen. Um beim Beispiel des Fliegens zu bleiben: wie soll die Politik hier für eine Reduktion der CO2-Emissionen sorgen, ohne eine starke Verteuerung bzw Verbote, die dann letztlich die Einzelnen zu Verhaltensänderungen zwingen? Wenn man sich das vor Augen führt, ist es doch eine ganz schön seltsame Argumentation zu sagen: Ich möchte dass die Politik mich in Zukunft zwingt, nicht mehr – oder zumindest wesentlich seltener als bisher – zu fliegen, aber solange es diese politischen Massnahmen nicht gibt werde ich fröhlich fliegen was mein Geldbeutel hergibt. Ich befürchte, das Leute die individuell unökologisches Verhalten damit verteidigen, dass nur eine politische Lösung sinnvoll ist, sich nicht wirklich bewusst machen, was eine politische Lösung für ihre individuellen Möglichkeiten bedeuten würde. Wenn dann tatsächlich politische Maßnahmen ergriffen werden, entziehen sie den verantwortlichen Politikern möglicherweise schnell die Unterstützung. Die Geschichte der Grünen hält dafür Beispiele bereit (Benzinpreis, Veggie Day).
Ich weiss, das Du persönlich dich wesentlich konsequenter verhälst als ich. Das hier ist also in keiner Weise als Kritik an deinem Verhalten zu verstehen, sondern an der Argumentation für eine politische Lösung, die sich als unabhängig von individuellen Verhaltensweisen darstellt. Ich stimme Dir zu, dass individuelles ökologisches Verhalten oft als Distinktionsmittel verwendet wird, was dann auch Menschen abstösst. Aber ist es wirklich besser, Wasser zu predigen und selbst Wein zu trinken? Das kommt bei Leuten, die selbst gar nicht das Geld z.B. für regelmässige Flugreisen haben, auch nicht gut an und zwar durchaus zu recht, finde ich.
Etwas besser als von mir beschrieben findet sich das, was ich aussagen will, hier: https://causa.tagesspiegel.de/klima%20und%20umwelt/was-hilft-dem-klimaschutz/politische-loesungen-statt-verzicht.html