Die Welt lässt sich ändern

Industrial idyll III

Es gibt jetzt ein paar Umfra­gen unter­schied­li­cher Insti­tu­te, in denen Grü­ne bun­des­weit vor CDU und CSU lie­gen. Das macht mir Mut – ich deu­te die­se Zah­len so, dass es eine gesell­schaft­li­che Mehr­heit dafür gibt, die Kli­ma­kri­se anzu­ge­hen und zu handeln. 

In gewis­ser Wei­se kul­mi­niert hier die Repo­li­ti­sie­rung der deut­schen Gesell­schaft seit dem letz­ten Jahr. See­brü­cke, Unteil­bar, Groß­de­mos, der Ham­ba­cher Wald – und Fri­days for Future. Plötz­lich wird wie­der über Poli­tik gespro­chen. Das Ende der Geschich­te liegt lan­ge zurück. Trump und Brexit-Groß­bri­tan­ni­en haben deut­lich gemacht, dass poli­ti­sche Mehr­hei­ten eine Rol­le spie­len, dass demo­kra­ti­sche Errun­gen­schaf­ten zer­brech­lich sind. Die Wahl­be­tei­li­gung steigt. Und solan­ge SPD und CDU/CSU nicht in der Lage sind, die­se Repo­li­ti­sie­rung ernst zu neh­men, mit der nun eben auch ein ganz ande­rer Stil, eine ganz ande­re Anspruchs- und Erwar­tungs­hal­tung Poli­tik gegen­über ein­her­geht, solan­ge bleibt es bei der Zer­stö­rung der Volksparteien. 

Aber wenn ich über die­sen Text geschrie­ben habe, dass die Welt sich ändern lässt, dann geht es mir nicht um Umfra­ge­mehr­hei­ten. Viel­mehr schrei­be ich ihn, weil die Kli­ma­kri­se eine emi­nent poli­ti­sche Fra­ge ist. Und ja: ich bin über­zeugt davon, dass die­se Fra­ge sich beant­wor­ten lässt. Viel­leicht braucht es dafür eine Anstren­gung wie bei der Mondlandung. 

Damit es so eine Anstren­gung gibt, braucht es poli­ti­sche Mehr­hei­ten. Des­we­gen machen die Umfra­ge­zah­len Hoff­nung. Es braucht aber noch etwas ande­res, und das ist da: gesell­schaft­li­che Mehr­hei­ten dafür, einen Fokus, ein Zie­hen in die sel­be Rich­tung. Und ich zumin­dest neh­me es so wahr, dass wir jetzt an die­sem Punkt sind.

Bei Dis­kus­sio­nen über Kli­ma­po­li­tik wird ger­ne auf die Ein­füh­rung des Kata­ly­sa­tors zurück­ge­grif­fen, oder auf das Mont­re­al-Pro­to­koll, mit dem in gemein­sa­mer glo­ba­ler Anstren­gung der Aus­stoß von FCKW mini­miert und das Ozon­loch redu­ziert wur­de. Mont­re­al ist schön und gut – mal abge­se­hen von ein­zel­nen Fabri­ken in Chi­na, die jetzt plötz­lich wie­der FCKW emit­tie­ren – aber ich glau­be, der rich­ti­ge Ver­gleich für Kli­ma­po­li­tik ist ein anderer. 

Die Gurt­pflicht beim Auto, auch auf den Rück­sit­zen, könn­te ein Bei­spiel sein. 1976 war ich ein Jahr alt, damals wur­de gegen gro­ße gesell­schaft­li­che Kri­tik die Anschall­pflicht auf dem Vor­der­sitz von Autos durch­ge­setzt. 1979 war ich vier Jah­re alt, ab die­sem Zeit­punkt muss­ten Gur­te auch bei den Rück­sit­zen ein­ge­baut wer­den, ab 1988 – ich war 13 – gab es die Pflicht, auf Auto­rück­sit­zen Drei­punkt­gur­te ein­zu­bau­en, sagt die Wiki­pe­dia. Eine Pflicht, Gur­te auf der Rück­bank zu benut­zen, gibt es für Erwach­se­ne seit 1984, für Kin­der gibt es erst ab 1993 eine Siche­rungs­pflicht. Was ich damit sagen will: ich habe als Kind noch mit­er­lebt, dass es Debat­ten dar­um gab, dass der Staat Autofahrer*innen jetzt vor­schrei­ben möch­te, nur noch ange­schnallt zu fah­ren. Was heu­te als völ­lig nor­ma­le Sicher­heits­maß­nah­me erscheint, war ein­mal ein heiß umkämpf­ter Ein­griff in die Frei­heit der Auto­fah­ren­den. Die Welt lässt sich ändern.

Noch deut­li­cher wird es viel­leicht beim Rauch­ver­bot. Zu mei­ner Schul­zeit gab es selbst­ver­ständ­lich eine Rau­cher­ecke auf dem Schul­ge­län­de. Bis 2007 gab es noch Rau­cher­ab­tei­le bei der Deut­schen Bahn, die Luft­han­sa erlaub­te noch bis zur Mit­te der 1990er Jah­re – 1995 war ich 20 – das Rau­chen im Flug­zeug. Bun­des­be­hör­den wur­den 2007 rauch­frei. In Baden-Würt­tem­berg unter­sagt das Lan­des­nicht­rau­cher­schutz­ge­setz seit August 2007 das Rau­chen „in Gast­stät­ten, Schu­len, Jugend­häu­sern, Kin­der­ta­ges­stät­ten, Kran­ken­häu­sern und Pfle­ge­ein­rich­tun­gen. Glei­ches gilt für Behör­den, Dienst­stel­len und sons­ti­ge Ein­rich­tun­gen des Lan­des und der Kom­mu­nen, außer Justizvollzugsanstalten.“ 

2007 ist gera­de ein­mal 12 Jah­re her. Ich kann mich – als lebens­lan­ger Nicht­rau­cher – noch gut an die Debat­ten dar­über erin­nern, die wir selbst im grü­nen Kreis­ver­band geführt haben: was wiegt höher? Der Schutz vor Pas­siv­rauch oder die Frei­heit der Raucher*innen, sich nach dem Essen eine Ziga­ret­te anzu­zün­den? Rau­cher­ab­tei­le in Zügen (und deren Gestank) ken­ne ich eben­so aus eige­ner Anschau­ung wie ver­rauch­te Knei­pen. Heu­te erscheint mir bei­des undenk­bar, und ich rege mich dar­über auf, wenn jemand an der Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­le raucht, und emp­fin­de das eben­so als stö­rend wie Rauch, der aus dem Innen­hof oder von Nach­bar­bal­ko­nen in mei­ne Woh­nung zieht.

Hier sind ver­schie­de­ne Din­ge zusam­men­ge­kom­men: eine neue Akzep­tanz medi­zi­ni­scher Fak­ten und eine Ende des Glau­bens an Ziga­ret­ten­in­dus­trie-Stu­di­en, die sogar eine Gesund­heits­för­de­rung durch das Rau­chen sahen. Ein gesell­schaft­li­cher Stim­mungs­wan­del. Poli­ti­sche Maß­nah­men auf natio­na­ler und regio­na­ler Ebe­ne. Warn­hin­wei­se und Wer­be­ver­bo­te. Und 2005 mit der WHO-Tabak­rah­men­kon­ven­ti­on auch eine inter­na­tio­na­le Über­ein­kunft zum Schutz von Nichtraucher*innen. Vie­le Län­der haben ähn­li­che Geset­ze erlassen.

Im Ergeb­nis hat sich die Welt ver­än­dert. Der Ziga­ret­ten­kon­sum ist zurück­ge­gan­gen, eben­so die Zahl der Raucher*innen. Es wird nicht mehr als selbst­ver­ständ­lich ange­se­hen, irgend­wo Rau­chen zu kön­nen. Ob sich direk­te kau­sa­le Gesund­heits­ef­fek­te zei­gen las­sen, ist umstrit­ten – es gibt aber zumin­dest Indi­ka­to­ren dafür. 

Ich kann mir gut vor­stel­len, dass wir in zwölf Jah­ren in einer Welt leben wer­den, in der fos­si­le Brenn- und Kraft­stof­fe als aus der Zeit gefal­len gel­ten. In der regel­mä­ßi­ger Fleisch­kon­sum als Las­ter gilt, und in der selbst­ver­ständ­lich jeder Flug mit einer CO2-Kom­pen­sa­ti­on ver­bun­den ist, wenn er denn über­haupt ange­tre­ten wird. Die ers­ten klei­nen Stein­chen in die­se Rich­tung rol­len gera­de den Hang her­ab. Sobald dar­aus eine Lawi­ne wird, kann sich die Welt erstaun­lich schnell ver­än­dern. Dann grei­fen poli­ti­sche und gesell­schaft­li­che Ver­schie­bun­gen inein­an­der. Vor­mals rand­stän­di­ge Posi­tio­nen sind plötz­lich com­mon sen­se der Mit­te der Gesell­schaft. Und dafür lohnt es sich, jetzt zu kämpfen.

War­um blog­ge ich das? Weil mir der Blick auf die­se „his­to­ri­schen“ – so lan­ge ist’s gar nicht her – Bei­spie­le Mut macht.

Eine Antwort auf „Die Welt lässt sich ändern“

  1. Dan­ke für den mut­ma­chen­den Text! Bon­mot am Ran­de – ges­tern abend ging es bei uns in der fami­li­en­in­ter­nen Poli­tik-Dis­kus­sio­nen auch um die Gurt-Pflicht. An dem Bei­spiel lässt sich vie­les klar machen.

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