Es gibt jetzt ein paar Umfragen unterschiedlicher Institute, in denen Grüne bundesweit vor CDU und CSU liegen. Das macht mir Mut – ich deute diese Zahlen so, dass es eine gesellschaftliche Mehrheit dafür gibt, die Klimakrise anzugehen und zu handeln.
In gewisser Weise kulminiert hier die Repolitisierung der deutschen Gesellschaft seit dem letzten Jahr. Seebrücke, Unteilbar, Großdemos, der Hambacher Wald – und Fridays for Future. Plötzlich wird wieder über Politik gesprochen. Das Ende der Geschichte liegt lange zurück. Trump und Brexit-Großbritannien haben deutlich gemacht, dass politische Mehrheiten eine Rolle spielen, dass demokratische Errungenschaften zerbrechlich sind. Die Wahlbeteiligung steigt. Und solange SPD und CDU/CSU nicht in der Lage sind, diese Repolitisierung ernst zu nehmen, mit der nun eben auch ein ganz anderer Stil, eine ganz andere Anspruchs- und Erwartungshaltung Politik gegenüber einhergeht, solange bleibt es bei der Zerstörung der Volksparteien.
Aber wenn ich über diesen Text geschrieben habe, dass die Welt sich ändern lässt, dann geht es mir nicht um Umfragemehrheiten. Vielmehr schreibe ich ihn, weil die Klimakrise eine eminent politische Frage ist. Und ja: ich bin überzeugt davon, dass diese Frage sich beantworten lässt. Vielleicht braucht es dafür eine Anstrengung wie bei der Mondlandung.
Damit es so eine Anstrengung gibt, braucht es politische Mehrheiten. Deswegen machen die Umfragezahlen Hoffnung. Es braucht aber noch etwas anderes, und das ist da: gesellschaftliche Mehrheiten dafür, einen Fokus, ein Ziehen in die selbe Richtung. Und ich zumindest nehme es so wahr, dass wir jetzt an diesem Punkt sind.
Bei Diskussionen über Klimapolitik wird gerne auf die Einführung des Katalysators zurückgegriffen, oder auf das Montreal-Protokoll, mit dem in gemeinsamer globaler Anstrengung der Ausstoß von FCKW minimiert und das Ozonloch reduziert wurde. Montreal ist schön und gut – mal abgesehen von einzelnen Fabriken in China, die jetzt plötzlich wieder FCKW emittieren – aber ich glaube, der richtige Vergleich für Klimapolitik ist ein anderer.
Die Gurtpflicht beim Auto, auch auf den Rücksitzen, könnte ein Beispiel sein. 1976 war ich ein Jahr alt, damals wurde gegen große gesellschaftliche Kritik die Anschallpflicht auf dem Vordersitz von Autos durchgesetzt. 1979 war ich vier Jahre alt, ab diesem Zeitpunkt mussten Gurte auch bei den Rücksitzen eingebaut werden, ab 1988 – ich war 13 – gab es die Pflicht, auf Autorücksitzen Dreipunktgurte einzubauen, sagt die Wikipedia. Eine Pflicht, Gurte auf der Rückbank zu benutzen, gibt es für Erwachsene seit 1984, für Kinder gibt es erst ab 1993 eine Sicherungspflicht. Was ich damit sagen will: ich habe als Kind noch miterlebt, dass es Debatten darum gab, dass der Staat Autofahrer*innen jetzt vorschreiben möchte, nur noch angeschnallt zu fahren. Was heute als völlig normale Sicherheitsmaßnahme erscheint, war einmal ein heiß umkämpfter Eingriff in die Freiheit der Autofahrenden. Die Welt lässt sich ändern.
Noch deutlicher wird es vielleicht beim Rauchverbot. Zu meiner Schulzeit gab es selbstverständlich eine Raucherecke auf dem Schulgelände. Bis 2007 gab es noch Raucherabteile bei der Deutschen Bahn, die Lufthansa erlaubte noch bis zur Mitte der 1990er Jahre – 1995 war ich 20 – das Rauchen im Flugzeug. Bundesbehörden wurden 2007 rauchfrei. In Baden-Württemberg untersagt das Landesnichtraucherschutzgesetz seit August 2007 das Rauchen „in Gaststätten, Schulen, Jugendhäusern, Kindertagesstätten, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Gleiches gilt für Behörden, Dienststellen und sonstige Einrichtungen des Landes und der Kommunen, außer Justizvollzugsanstalten.“
2007 ist gerade einmal 12 Jahre her. Ich kann mich – als lebenslanger Nichtraucher – noch gut an die Debatten darüber erinnern, die wir selbst im grünen Kreisverband geführt haben: was wiegt höher? Der Schutz vor Passivrauch oder die Freiheit der Raucher*innen, sich nach dem Essen eine Zigarette anzuzünden? Raucherabteile in Zügen (und deren Gestank) kenne ich ebenso aus eigener Anschauung wie verrauchte Kneipen. Heute erscheint mir beides undenkbar, und ich rege mich darüber auf, wenn jemand an der Straßenbahnhaltestelle raucht, und empfinde das ebenso als störend wie Rauch, der aus dem Innenhof oder von Nachbarbalkonen in meine Wohnung zieht.
Hier sind verschiedene Dinge zusammengekommen: eine neue Akzeptanz medizinischer Fakten und eine Ende des Glaubens an Zigarettenindustrie-Studien, die sogar eine Gesundheitsförderung durch das Rauchen sahen. Ein gesellschaftlicher Stimmungswandel. Politische Maßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene. Warnhinweise und Werbeverbote. Und 2005 mit der WHO-Tabakrahmenkonvention auch eine internationale Übereinkunft zum Schutz von Nichtraucher*innen. Viele Länder haben ähnliche Gesetze erlassen.
Im Ergebnis hat sich die Welt verändert. Der Zigarettenkonsum ist zurückgegangen, ebenso die Zahl der Raucher*innen. Es wird nicht mehr als selbstverständlich angesehen, irgendwo Rauchen zu können. Ob sich direkte kausale Gesundheitseffekte zeigen lassen, ist umstritten – es gibt aber zumindest Indikatoren dafür.
Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in zwölf Jahren in einer Welt leben werden, in der fossile Brenn- und Kraftstoffe als aus der Zeit gefallen gelten. In der regelmäßiger Fleischkonsum als Laster gilt, und in der selbstverständlich jeder Flug mit einer CO2-Kompensation verbunden ist, wenn er denn überhaupt angetreten wird. Die ersten kleinen Steinchen in diese Richtung rollen gerade den Hang herab. Sobald daraus eine Lawine wird, kann sich die Welt erstaunlich schnell verändern. Dann greifen politische und gesellschaftliche Verschiebungen ineinander. Vormals randständige Positionen sind plötzlich common sense der Mitte der Gesellschaft. Und dafür lohnt es sich, jetzt zu kämpfen.
Warum blogge ich das? Weil mir der Blick auf diese „historischen“ – so lange ist’s gar nicht her – Beispiele Mut macht.
Danke für den mutmachenden Text! Bonmot am Rande – gestern abend ging es bei uns in der familieninternen Politik-Diskussionen auch um die Gurt-Pflicht. An dem Beispiel lässt sich vieles klar machen.