Letzten Freitag war ich für die grüne Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Hochschule und Technologiepolitik (zusammen mit u.a. Robert Habeck, Kai Gehring und Sylvia Kotting-Uhl) in Greifswald, um das dortige Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik (IPP) zu besuchen. Das IPP betreibt Forschungseinrichtungen in Garching bei München und eben in Greifswald; es ist zu 90 % bundesfinanziert und hat das Budget einer kleineren Universität. Erforscht wird hier – und da wird es politisch – Kernfusion. Zunächst einmal ganz grundsätzlich: was passiert, wenn ein Plasma (also ein Gas, in dem die einzelnen Elektronen und Ionen aus den Atomen sich frei verteilen – Alltagsbeispiel: Kerzenflamme), sehr hoch erhitzt wird, so dass – bei 100 Mio. Grad – Wasserstoffatome zu Helium fusionieren? Und konkreter die Rohre oben, die zusammen eine Art näherungsweise donutförmiges U‑Boot ergeben, einen von Magnetspulen umgebenen „Käfig“, um hocherhitztes Plasma „einzusperren“ und erst auf die genannten Temperaturen erhitzen zu können: das Fusionsexperiment Wendelstein 7x, einen sogenannten Stellerator. Wie muss dieser Käfig konstruiert werden, um Plasma über längere Zeit stabil in Bewegung zu halten, ohne dass dessen Wände zu heiß werden oder die Fusion zusammenbricht? Was ist mit Verwirbelungen und Turbulenzen? Was bedeutet das alles für die verwendeten Materialien? Wie sehen die Algorithmen aus, um den Aufbau eines solchen Plasmakäfigs zu optimieren? Wo liegen die Unterschiede zu den Prozessen, die in Sternen ablaufen?
Das sind alles zunächst einmal spannende wissenschaftliche Fragen.
Politisch wird es, weil mit der Forschung an Kernfusion auch die Idee verbunden ist, eines Tages – frühestens in den 2050er Jahren – Kernfusion zur Energiegewinnung zu nutzen.
Als Schritt dahin dient insbesondere das internationale Gemeinschaftsprojekt ITER – während es bei Wendelstein 7x „nur“ darum geht, zu zeigen, dass ein durch Energiezufuhr von außen hocherhitztes Wasserstoff- oder Deuterium-Plasma über längere Zeit stabil aufrecht erhalten werden kann, geht es bei ITER tatsächlich um den ersten Schritt auf einem Weg, an dessen Ende die Energiegewinnung stehen soll. Hier soll das Plasma dann tatsächlich „zünden“, zudem soll Deuterium und Lithium eingesetzt werden, aus deren Interaktion Tritium entsteht. Und hier wird es dann auch richtig radioaktiv, nicht nur des Tritiums (also überschwerer Wasserstoff) wegen, sondern auch, weil die bei der Fusion entstehende Neutronenstrahlung die Stahlwände der Plasmakammer (bzw. darin enthaltene Einlagerungen) nach und nach „aktiviert“ – und zwar in deutlich größeren Mengen, als das bei Wendelstein 7x der Fall ist.
Die Risiken unterscheiden sich dabei allerdings deutlich von Atomkraftwerken, die mit Kernspaltung arbeiten: die ganze Uran- und Plutoniumproblematik vom Abbau bis zur viele tausend Jahre währenden Endlagerung entfällt. Für die Wände eines Fusionskraftwerks gehen die Wissenschaftler*innen in Greifswald von etwa 100 Jahren Abklingzeit aus; auch der „Brennstoff“ Tritium hat mit 12 Jahren eine relativ kurze Halbwertszeit und wird zudem nur in verhältnismäßig kleinen Mengen eingesetzt werden. Zudem, vielleicht der gravierendste Unterschied, ist bei der Kernfusion eine außer Kontrolle geratende Kettenreaktion physikalisch unmöglich. Das sind Punkte, die in eine politische Bewertung der Fusionsforschung einfließen müssen.
ITER selbst soll zeigen, dass in einem Tokamak-Fusionsreaktor ein Nettogewinn an Energie möglich ist. Der bisherige Rekord bei der Energieausbeute im Vergleich zur eingespeisten Energie liegt bei etwa zwei Dritteln (Joint European Torus [JET]) über wenige Sekunden. ITER im französischen Cadarache soll das zehnfache der eingespeisten Energie produzieren. Aktuell wird 2026 als Start des Versuchsbetriebs für ITER angestrebt, ein Deuterium-Tritium – und damit die Energiegewinnung (und die „Erbrütung“ des für den weiteren Betrieb notwendigen Tritiums aus Lithiumplatten im Reaktor) – soll in den 2030er Jahren getestet werden. Nach ITER kommt DEMO, ein Fusionsreaktor, der zeigen soll, dass die industrielle Energiegewinnung möglich ist. Und erst nach DEMO, in den 2050er oder 2060er Jahren, könnte es die ersten kommerziellen Fusionsreaktoren geben. Neu für mich war dabei, dass diese etwa die Leistung großer Kohlekraftwerke oder heutiger AKWs haben sollen; es geht nicht um das eine kontinentale Superkraftwerk.
Bis 2050 ist es noch relativ weit hin. Der Zeithorizont von etwa 30 bis 50 Jahren in der Zukunft ist auch nichts neues. Bereits in den 1960er Jahren richteten sich die Zukunftsprognosen an dieser „Fusionskonstante“ aus. Trotzdem sind inzwischen deutliche Fortschritte erkennbar. Die Temperatur, die Stabilität des Plasmas über längere Zeiträume und auch das Volumen werden größer und nähern sich dem Punkt, an dem eine Plasmazündung möglich ist. Insofern halte ich es nicht für überoptimistisch, davon auszugehen, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts tatsächlich ein Demonstrationskraftwerk gebaut und in Betrieb genommen wird.
Das heißt aber auch: aktuell befinden wir uns weiterhin im Bereich der sehr teuren und zunächst einmal abstrakten Grundlagenforschung. Um unsere Klimaprobleme zu lösen, ist Fusionsforschung auf absehbare Zeit nicht hilfreich – wohl aber, um zu verstehen, was in einem Plasma vorgeht, und um die Grundlagen dafür zu legen, eines Tages einmal einen Energie liefernden Fusionsreaktor in Betrieb nehmen zu können. Wir wissen heute nicht, wie der globale Energiebedarf – samt der Behebung von Klimafolgen – 2075 oder 2100 aussehen wird. Es kann sein, dass eine Mischung aus erneuerbaren Energien, Speichertechnologien und zunehmender Energieeffizienz Großkraftwerke im heutigen Sinn als altertümlich erscheinen lässt. Aber auch das wissen wir nicht.
Bei der Frage, ob Kernfusion erforscht werden soll – und das ist letztlich ja immer auch eine Frage der Ressourcenkonkurrenz in der Wissenschaft – geht es also zum einen um sehr große und sehr teure Versuchsaufbauten, um physikalische Grundlagen besser zu verstehen (ähnlich große Maschinen und Versuchsanordnungen gibt es in der Astrophysik oder beim CERN), und zum anderen darum, ob in einem sehr langen Zeithorizont Optionen eröffnet werden sollen für eine Energiegewinnung aus der Fusion von Wasserstoffatomen – mit aus heutiger Sicht im Vergleich zu fossilen Kraftwerken und zu Atomkraftwerken begrenzten und einschätzbaren Risiken – oder ob wir jetzt entscheiden, dass diese Option auch 2075 oder 2100 nicht notwendig sein wird.
Industriepolitisch kommt dazu die Frage, wer an der Entwicklung dieser Technologie beteiligt ist und wer nicht. Derzeit ist ITER eine tatsächlich internationale Kooperation mit allen Problemen, die daraus erwachsen. Auch das hat einen gewissen Wert.
Persönlich halte ich es für sinnvoll, einen Teil der europäischen und deutschen Forschungsmittel für die Plasmaphysik und die Fusionsforschung zu verwenden; dabei geht es um Forschung, und dabei geht es, wie immer in der Wissenschaft, letztlich auch um permanente Evaluierung und Überprüfung der wissenschaftlichen Sinnhaftigkeit.
Ich finde Forschung hier wichtig, weil bei nach derzeitigem Stand überschaubaren Risiken damit zukünftige Optionen offen gehalten werden. Das macht aber aus meiner Sicht nur dann Sinn, wenn damit erstens noch keine Vorentscheidung darüber verbunden ist, ob Fusion eines Tages tatsächlich eine Rolle in der Energiegewinnung spielen soll, und wenn zweitens sichergestellt ist, dass das heute drängendste Problem, nämlich der sehr kurzfristige Umstieg des kompletten Energiesystems auf erneuerbare Energien, bei der Mittelverteilung die existenzielle Priorität bekommt, die dieser Forschungszweig haben sollte.
Warum blogge ich das? Weil „meine“ Bundesarbeitsgemeinschaft seit längerem darüber diskutiert, wie wir Grüne uns zur Fusionsforschung stellen sollen. Ich habe den Besuch in Greifswald zum Anlass nehmen, mich nochmal intensiver in das Thema einzulesen und aufzuschreiben, worum es hier aus meiner Sicht geht.
Sehr geehrter Herr Westermayer,
ich habe ebenfalls im letzten Herbst das Expriment in Greifswald besucht und war beeindruckt von den drt geleisteten Arbeiten. Ich habe aber auch erlebt, dass die Vorstellung, mit Kerfusionsenergie dem Klimawandel zu begegnen und die Welt mit sauberer Energie zu versorgen, für die dort arbeitenden Menschen eine große Last darstellt. Es ist absehbar, dass lange bevor die erste Energie ins Netz geliefert wird, die Versorgung zu 100 Prozent mit erneuerbaren Energien möglich wird. Trotzdem bin ich der Meinung, dass eine solche Grundlagenforschung, besonders auf internationaler Ebene, nicht aufgegeben werden sollte. Gerade in Bezug auf die Zusammenarbeit könne wir dabei viel lernen. Können wir dieser Forschung einen weiteren Sinn geben?
mit freundlichem Gruß
Klaus Köln
Mit freundliche