Ja-Sagen, Nein-Sagen, oder: am 24. Februar über Visionen für Freiburgs Zukunft abstimmen

Dietenbach-Niederungen III

In knapp zwei Wochen wird abge­stimmt. Und die Selt­sam­keit die­ses Bür­ger­ent­scheids fängt ja schon damit an, dass die Fra­ge­stel­lung ver­korkst ist – wer für den Bau des neu­en Stadt­teils Die­ten­bach ist, muss mit „Nein“ stim­men, wer die Äcker nörd­lich des Rie­sel­felds unbe­baut las­sen will, muss mit „Ja“ stimmen. 

Vor ein paar Tagen hat die Badi­sche Zei­tung eine reprä­sen­ta­ti­ve Umfra­ge ver­öf­fent­licht – dem­nach sind 58 Pro­zent der Freiburger*innen für den neu­en Stadt­teil, sagen also Nein. Wobei das ja fast schon wie­der an das „Nai häm­mer gsait“ der 1970er anschließt.

Ob die­ser reprä­sen­ta­ti­ven Umfra­ge glau­ben geschenkt wer­den kann, ist umstrit­ten. Wie fast alles, was mit Die­ten­bach zu tun hat. Quer durch Freun­des­krei­se wie­der hef­tig dar­um gerun­gen, sozia­le Medi­en und Leser­brief­spal­ten sind voll, eben­so die Veranstaltungshallen.

Dass es die­ses Rin­gen gibt, zeigt aber auch, dass es rich­tig war, Bür­ger­ent­schei­de für die Bau­leit­pla­nung zuzu­las­sen. Reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie, klar – aber es ist defi­ni­tiv etwas, das alle in Frei­burg angeht: soll nach Vau­ban und Rie­sel­feld in den 1990ern und nach vie­len Nach­ver­dich­tun­gen und inner­städ­ti­schen Ent­wick­lungs­maß­nah­men ein wei­te­rer gro­ßer Stadt­teil – noch grö­ßer als das Rie­sel­feld – dazu kom­men? Soll Frei­burg im Süd­wes­ten wei­ter wachsen.

Die Argu­men­te bei­der Sei­ten sind klar und durch­aus ein­leu­chend. Die Initia­ti­ve, die den Bür­ger­ent­scheid ange­strengt hat, redet über ver­lo­re­nes Acker­land und frucht­ba­re Böden, über die Eigen­ver­sor­gungs­quo­te und Feld­ler­chen. Sie will dem Wachs­tum der Stadt Frei­burg eine Gren­ze set­zen und glaubt dar­an, dass das gra­vie­ren­de Pro­blem der feh­len­den Woh­nun­gen und der hohen Mie­ten durch Dach­auf­sto­ckun­gen und „Zusam­men­rü­cken“ zu lösen sei – bis hin zu dem blau­äu­gig bis zyni­schen Vor­schlag, Getrenn­te mögen doch ein­fach wie­der zusammenziehen. 

Laut der bereits erwähn­ten Umfra­ge gibt es unter der Anhän­ger­schaft der meis­ten Par­tei­en kla­re Mehr­hei­ten für den neu­en Stadt­teil – bei den Wähler*innen der Grü­nen sind es sogar 2/3. Die ein­zi­ge Par­tei, bei der es laut Umfra­ge anders aus­sieht, ist die AfD. Hier stim­men nur rund 40 Pro­zent für den neu­en Stadtteil. 

Im Stadt­rat ist das Bild ähn­lich – die ein­zi­ge Lis­te, die sich klar gegen den neu­en Stadt­teil aus­ge­spro­chen hat, ist „Frei­burg lebens­wert“. Die AfD ist bis­her nicht im Stadt­rat ver­tre­ten. Und es gibt man­che, die zwi­schen dem „Nicht in mei­nem Hin­ter­hof“ und „kein wei­te­rer Zuzug nach Frei­burg“ die­ser Lis­te und den rum­pe­li­gen Posi­tio­nen der AfD eine Ver­bin­dungs­li­nie ziehen.

Grü­ne, SPD, Lin­ke, FDP, Freie Wäh­ler und CDU spre­chen sich eben­so wie „Jun­ges Frei­burg“ für den neu­en Stadt­teil Die­ten­bach aus. Geplant wird der seit ca. 2012; es han­delt sich hier um die letz­te grö­ße­re bebau­ba­re Flä­che über­haupt. Die ein­zel­nen Par­tei­en und Lis­ten beto­nen – auch auf ihren Pla­ka­ten – unter­schied­li­che Visio­nen die­ses neu­en Stadt­teils. SPD und Lin­ke heben vor allem, wie vom Gemein­de­rat beschlos­sen, die 50%-Sozialwohnungsquote her­vor, mit mög­lichst lan­ger Bin­dung. Grü­ne wol­len ein kli­ma­neu­tra­les, sozi­al-öko­lo­gi­sches Vier­tel und beto­nen die ÖPNV-Anbin­dung. Die FDP stellt die Chan­ce in den Vor­der­grund, Die­ten­bach von Anfang an als digi­ta­les Quar­tier zu pla­nen. Die einen sehen Genos­sen­schaf­ten und Miets­häu­ser­syn­di­kats­pro­jek­te am Start, ande­re hof­fen auf Immo­bi­li­en­ge­schäf­te und ein Pro­gramm für die Bauwirtschaft.

Wie schon im Rie­sel­feld sieht der städ­te­bau­li­che Ent­wurf für Die­ten­bach Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen und Infra­struk­tur im Stadt­teil vor. Gebaut wer­den soll städ­tisch und dicht, sprich: über­wie­gend mit mehr­stö­cki­gen Mehr­fa­mi­li­en­häu­sern und Block­rand­be­bau­ung. Ins­ge­samt wür­de Die­ten­bach dann Platz für 15.000 Men­schen bie­ten (im Rie­sel­feld leben etwa 10.000, Frei­burg ins­ge­samt hat etwa 220.000 Einwohner*innen).

Wäh­rend das „Ja“-Lager ver­mu­tet, dass die­se 15.000 über­wie­gend von außer­halb nach Frei­burg zie­hen wür­den, gibt es auf der „Nein“-Seite der Stadtteilbefürworter*innen die Annah­me, dass es hier vor allem um inner­städ­ti­sche Wan­de­run­gen und um Ent­las­tung für den glü­hend­hei­ßen Woh­nungs­markt gehen wür­de. Eben­so strit­tig ist die Fra­ge wei­te­rer Effek­te: lockt ein neu­er Stadt­teil wei­te­re Men­schen nach Frei­burg? Oder arron­diert das letz­te gro­ße Bau­ge­biet die Kern­stadt zwi­schen dem Rie­sel­feld und Lehen/Betzenhausen und ver­hin­dert, dass Fami­li­en und alle, die sich die Frei­bur­ger Mie­ten nicht leis­ten kön­nen, ins wei­te­re Umland zie­hen und dort – weni­ger dicht, in klei­nen Hap­pen – weit­aus mehr an Flä­chen­ver­brauch auslösen? 

Als das Rie­sel­feld geplant wur­de, soll­te es dop­pelt so groß wer­den wie heu­te. Damals wur­de ein Kom­pro­miss geschlos­sen: der west­li­che Teil der ange­dach­ten Bau­flä­che wur­de zum Natur­schutz­ge­biet. Eine sol­che Kom­pro­miss­lö­sung wird es bei Die­ten­bach nicht geben. Klar ist jeden­falls, das inzwi­schen – gera­de mit Blick auf den Kli­ma­wan­del – die Bedeu­tung inner­städ­ti­scher Grün- und Frei­flä­chen stark zuge­nom­men hat. See­park, Die­ten­b­ach­see samt umlie­gen­dem Park, der Mun­den­hof und der Moos­wald blei­ben erhal­ten, eben­so die Drei­sam­ufer. Das ist wich­tig. Und auch in der städ­te­bau­li­chen Pla­nung für Die­ten­bach ist vor­ge­se­hen, Grün­flä­chen mit­zu­den­ken und die Auen der Bäche im Stadt­teil in die Pla­nung ein­zu­be­zie­hen, die­se sogar natur­nä­her zu gestal­ten als heu­te, wo die Fel­der bis direkt an den Bach­rand rei­chen. Inso­fern ist die Pla­nung für das neue Quar­tier aus mei­ner Sicht eine Pla­nung mit Augenmaß.

Ich fin­de es wich­tig, dass in der Stadt um das neue Vier­tel gerun­gen wird. Dass es nicht auf dem Reiß­brett ent­steht, son­dern unter­schied­li­che Visio­nen und Deu­tungs­ho­ri­zon­te auch in der öffent­li­chen Debat­te sicht­bar wer­den, vom Erhalt der Äcker bis zum dich­ten, kli­ma­neu­tra­len und grü­nen Stadtteil. 

Am 24.2. wird ent­schie­den, ob Die­ten­bach grü­nes Licht bekommt. Ich wer­de mit „Nein“ zum Bau­stopp stim­men – und ich hof­fe, dass die Mehr­heit der Freiburger*innen das auch tun wird. Aber das ist dann nur der ers­te Schrit­te: der zwei­te wäre die Kom­mu­nal­wahl Ende Mai, bei der die Wahl auch mit dar­über ent­schei­det, wie die städ­te­bau­li­che Pla­nung für Die­ten­bach Wirk­lich­keit wer­den wird. Heu­te ste­hen die ein­zel­nen Lis­ten und Par­tei­en fast geschlos­sen zusam­men, und wer­ben für das Nein zum Bau­stopp. Bei der Kom­mu­nal­wahl – davon bin ich über­zeugt – wird Woh­nungs­bau, Miet­ni­v­au und Kli­ma­schutz wei­ter ein The­ma sein. Und dann wird es sehr dif­fe­ren­zier­te Mög­lich­kei­ten geben, über die Wahl des Gemein­de­rats mit dar­über zu ent­schei­den, wel­che Aspek­te in den Vor­der­grund gerückt werden.

War­um blog­ge ich das? Weil die­ser Bür­ger­ent­scheid doch eine grö­ße­re Bedeu­tung dafür hat, wie sich Frei­burg wei­ter ent­wi­ckelt. Und auch wenn ich aktu­ell eine grö­ße­re Woh­nung (zwei Kin­der wol­len drin­gend jeweils ein eige­nes Kin­der­zim­mer) suche, und Die­ten­bach für mich zu spät kommt, so kann ich mich doch sehr gut in die­se Lage hineinversetzen.

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