Die Schweiz hat gerade mit knapp über 50 Prozent in einer Volksabstimmung beschlossen, die Freizügigkeit aufzukündigen. Ich will das jetzt gar nicht im Detail beurteilen oder analysieren (Westschweiz und große Städte vs. deutschsprachiges Land?, siehe auch diese Grafiken), finde aber, dass es durchaus lohnen würde, die Abstimmung – die ja nicht die erste ist, die tendenziell reaktionär ausgegangen ist – zum Anlass zu nehmen, um über direkte Demokratie nachzudenken. Dabei fallen mir insbesondere zwei Dinge ins Auge.
Zum einen lässt sich auch hier feststellen, dass die Bevölkerung häufig noch weniger progressiv ist als die Mehrheit in gewählten Parlamenten. Das ist zwar einerseits solange nett, solange primär repräsentativdemokratisch entschieden wird, weist aber andererseits auch darauf hin, dass sowas wie Aufklärung weiterhin notwendig ist. Jedenfalls dann, wenn mensch an gesellschaftlichen Fortschritt glaubt: Politische Bildung als Auftrag der öffentlich-rechtlichen Medien beispielsweise – müsste ernster genommen werden.
Zum anderen gibt es ein tieferliegendes Problem: Eine knappe Mehrheit ist keine gute Basis, um darauf große Veränderungen aufzubauen. Das betrifft beispielsweise die Durchsetzbarkeit grün-roter Politik in Baden-Württemberg – wenn wir hier die beiden Parteiprogramme in Reinform umsetzen würden, ohne Rücksicht auf die Bevölkerung insgesamt, wären wir schnell weg. Politik muss oft gegen Widerstände erkämpft werden, darf aber nicht zu einer Sisyphosaufgabe werden, die dann schnell die besten Vorsätze zerreibt. Auch bei direkter Demokratie wird die Herrschaft der Mehrheit schwierig, wenn die Mehrheit nur eine knappe ist, und das Abstimmungsthema polarisiert. Praktisch heißt das: alles, was in Richtung grundlegender Veränderungen geht, egal ob über Verfassung, Minderheitenrechte oder internationale Verträge, müsste auch in Volksabstimmungen eine größere Mehrheit als 50 Prozent erhalten, um wirksam zu werden, eine Zweidrittelmehrheit etwa. Andersherum hieße das, dass eine größere Minderheit (ein Drittel der Bevölkerung) eine Art Vetorecht bekommt. Ob sich dann noch etwas bewegt, ob das nicht auch mit Blick auf progessive Anliegen alles blockiert, weiß ich nicht – es wäre aber ein Schutz davor, dass knappe Mehrheiten in Volksabstimmungen Dinge durchsetzen, die kein Konsens in einem Land sind.
Mein Vorschlag war immer, jede Abstimmung die weniger als 5% Abstand hat muß nach einer weiteren Beredungsfase wiederholt werden. Menschenrechtsfragen sind sowiso Außerhalb.
Soviel, sokurz.
Also ab 48,5 zu 52,5 % – faktisch wäre das dann eine 52,5 %-Mehrheit, die notwendig ist, um (beim ersten Mal) erfolgreich zu sein. Richtig?
Falsch ist die Beobachtung, die Politiker wären fortschrittlicher, sie leben nur in einem anderen Kosmos. Jeder Bürger wägt ab, was das für ihn bedeutet. Politiker sehen nur scheinbar „grosse Linien“. Ja, zur globalisierung gibt es keine alternative, aber zur alternativlosen Öffnung aller Grenzen. Wenn Bürger da Steuerbarkeit wollen, sollte man das verstehen. Im liberalen Mainstream kommt das allerdings noch nicht gut an. Für viele Bürger, die nicht zu den fraglosen Modernisierungsgewinnern gehören, sind die Konseqeunzen einfach anders, weil Mieten steigen, weil sie sich nicht mehr heimisch fühlen, etc. Das ist nicht reaktionär (erst wenn Politiker daraus Profit schlagen, dann ist es das), sondern real. meine These: Wenn Politik auch über die Schwierigkeiten im zusammenleben unterschiedlicher Kulturen redet, dann gewinnt sie Glaubwürdigkeit. Aber nicht, indem Grüne und Linke immer das Lied der solidarischen Internationale trällern. Globalisierung und Internationalisierung ist halt nicht immer schön, sondern manchmal auch Scheisse. Erst, wenn die BürgerInnen das von oben hören, geben sie Ruhe. Sie wollen Ehrlichkeit, nicht die politische Schönednerfeigheit. Klingt jetzt ein bißchen hart, aber meine ich so. Politik hat sich vielfach einen hermetisch abgeschotteten Raum geschaffen, in dem alles funktioniert. Die GroKo ist da ein gutes Beispiel, weil sich die JungCDU dem jetzt auch angeschlossen hat. Bei Rotgrün wäre es noch schlimmer, weil sie dann noch die welt retten müssen. Problem: all die schönen Konzepte funktionieren nur auf dem Papier. In der Realität geht das nur ganz langsam. Aber darüber wird, in Berlin beispielsweise, gar nicht geredet.
http://www.fruehstuecksfernsehen.nikolaus-huss.de/kurzschlussreaktionen-nach-dem-schweizer-votum/