Während die SPD in Berlin ihr Deutschlandfest feierte – Anlass: 150 Jahre Sozialdemokratie – fand in Frankfurt am Main die „summer factory“ des Instituts Solidarische Moderne e.V. (ISM) statt. Das ISM hat sich vor einigen Jahren als „Denkfabrik der Mosaiklinken“ gegründet, zur intellektuellen Unterfütterung eines gemeinsamen rot-grün-roten Projekts, getragen von einzelnen Akteuren aus den entsprechenden drei Parteien und aus der real existierenden „Bewegungslinken“.
So ungefähr 100 Menschen aus dem ISM und seinem Umfeld trafen sich also in Frankfurt. Ein bisschen war das ganze auch eine Katzenjammerveranstaltung angesichts der Schwierigkeiten, gemeinsame rot-grün-rote Projekte nicht nur zu identifizieren, sondern daraus auch noch konkrete Politik zu machen. Die Aussichten für ein entsprechendes Bündnis nach der Bundestagswahl scheinen derzeit bekanntermaßen ja nicht die besten zu sein.
Ich bin zwar fast seit Gründung des ISM dort Mitglied (auch wenn ich den Namen nicht mag), war aber noch auf keiner ISM-Veranstaltung. Insofern wusste ich nicht so genau, was mich erwarten würde. Angelockt hatte mich in allererster Linie der Titel der „summer factory“ (die im Übrigen mit Regen endete). Der Titel klang verheißungsvoll: „Strategische Bedingungen eines Politikwechsels: Sozialökologische Transformation“. Darunter konnte ich mir was vorstellen. Dachte ich jedenfalls.
Was stattfand, hatte allerdings nur relativ wenig mit diesem Titel zu tun. Die Podiumsdiskussion am Freitagabend hatte ich geschwänzt, es sei aber, hieß es, dort reichlich staubig zugegangen. Zumindest nach dem, was mir berichtet wurde, war das tatsächliche Thema der Diskussion letztlich so etwas wie die Frage, wer denn nun zu recht links genannt werden dürfe und wer nicht. Vielleicht ging es auch um den Wettstreit der Systeme und Theorien, also darum, wer geschliffener analysieren kann, welches Übel am größten ist. Ich hatte es erst noch bedauert, dass diese Diskussion nicht gestreamt wurde. Letztlich war ich froh, erst Samstag nach Frankfurt gefahren zu sein.
Ökologie findet nicht statt? Oder: die unbequeme Frage nach der Realpolitik der Suffizienz
Am Samstag war ich dann also vor Ort dabei. Ich hatte mir den Workshop zu „Links regieren – ohne Wachstum?“ ausgesucht, weil mir dieser noch am konkretesten in Zusammenhang mit der übergreifenden Frage der „sozialökologischen Transformation“ zu stehen schien. Leider war der von Sabine Leidig (MdB der LINKEN) organisierte Workshop sehr LINKSlastig – zumindest was die einleitenden Referate anging, das „Publikum“ war deutlich gemischter.
Leidig selbst führte vor dem Hintergrund ihrer Mitarbeit in der Enquete-Kommission Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität in das Workshopthema ein. Sie verknüpfte ökologisch motivierte Wachstumskritik (a la „Die Grenzen des Wachstums“, auch bezogen auf die Kritik an Konzepten effizienten, grünen Wachstums, die mit Rebound-Effekten zu kämpfen haben) mit der These, dass das wachsende BIP immer weniger zur Mehrung von Einkommen und Wohlstand der arbeitenden Bevölkerung beitrage, dass es also zu einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Lebensqualität gekommen sei, nicht jedoch zu einer Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch. Vor dieser Folie stellte sie die Frage nach Erfolgsbedingungen und Hemmnissen einer wie auch immer gearteten sozialökologischen Transformation.
Auch das Referat von Kai Kuhnhenn vom „Konzeptwerk Neue Ökonomie Leipzig“ blieb noch einigermaßen beim Thema. Er stellte knapp verschiedene Konzepte von „Postwachstum“ vor und diskutierte die Rolle des Staates in seiner Abhängigkeit von Wirtschaftswachstum. In einzelnen Projekten des lokalen Tausches oder der geteilten Nutzung und Bewirtschaftung – etwa Gartenkooperativen – findet sich eine Praxis einer Postwachstumsökonomie in entsprechenden sozialen Innovationen wieder; ganz gleich, ob diese sich selbst so sehen oder nicht. Kuhnhenn plädierte für eine Vernetzung dieser Experimente. Da der Staat von steigenden Steuereinnahmen und damit von Wirtschaftswachstum abhängig ist, erwartet er hier erhebliche Widerstände. Nur zivilgesellschaftlicher Druck könne erreichen, dass es staatlicherseits fördernde Bedingungen für lokale soziale Innovationen gibt, und dass auf der volkswirtschaftlichen Makroebene „Wachstumstreibern“ durch beispielsweise Maßnahmen der Regulierung der Finanzmärkte, neue Arbeitszeitmodelle und Ressourcenbesteuerung entgegengewirkt werde.
Soweit das Positive.
Die brandenburgische Umweltministerin Anita Tack (LINKE) wirkte in ihrer Präsentation ihrer Nachhaltigkeitspolitik und ihres Konzepts eines „Ministeriums für Lebensqualität“ uninspiriert – vielleicht eine Folge davon, dass sie ihre Politik in der rot-roten Regierung in Brandenburg nur gegen erhebliche Widerstände beider Koalitionspartner umsetzen kann. Ich hatte jedenfalls nicht den Eindruck, dass sie über ein gelungenes sozialökologisches Transformationsprojekt berichten konnte.
Am heftigsten irritierte nicht nur mich schließlich das Referat des marxistischen Politikwissenschaftlers Wolfram Adolphi. Dieser stellte die These in den Raum, dass das zeitlose, auf das Jetzt konzentrierte neoliberale Geschichtsbild heute eine produktive Bearbeitung der DDR-Geschichte verhindere. Soweit ich ihn verstanden habe, sieht er in der Ulbricht-Phase der DDR bis zum Ende der 1960er Jahre ein im heutigen Bewusstsein verschütt gegangenes soziales Experiment der Einheit von Wirtschaft und Sozialwesen, in der Weichen für eine Wirtschaftslogik jenseits der Effizienz gestellt worden seien. Welche Rolle dabei reale Mangelsituationen gespielt haben, wie demokratisch oder undemokratisch derartige Planungen waren, all das wurde nicht deutlich. Nebenbei wies er auf die Rezeption der Kybernetik in der DDR als einer auch zur Steuerung von Gesellschaft und Wirtschaft anwendbaren Wissenschaft hin. (Dem nachzugehen, könnte in der Tat spannend sein, gerade auch im Verhältnis zur zeitgleich stattfindenden westlichen Planungseuphorie – der Bezug zur Frage der realpolitischen Möglichkeiten einer Wachstumswende ging hier nun vollends verloren …).
An dieser Stelle, mach diesen vier Referaten, gingen nun die Interessen der WorkshopteilnehmerInnen deutlich wahrnehmbar auseinander. Die gefundenen Arbeitsgruppen changierten zwischen der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Konzepten einer Postwachstumsökonomie, Vergangenheitsbewältigung und einer nur in einen dünnen Mantel gehüllter Kritik am (finanzwirtschaftlichen) Großkapital. Dass es dann nur notdürftig gelingen konnte, sich auf gemeinsame Thesen zu einigen, verwundert nicht. Mich enttäuschte insbesondere die fehlende Auseinandersetzung mit sowohl den makroökonomischen Konsequenzen von Postwachstum – kann ein Markt und kann in der Folge davon ein Staat, der sich nicht auf Wirtschaftswachstum verlässt, überhaupt funktionieren, und wenn ja, wie (hier klotzte dann der vorgedachte Baustein Kapitalismuskritik rein) – als auch mit den politisch-institutionellen Hürden für sozialökologische Projekte.
Und das Thema der fehlenden Skalierbarkeit lokaler Experimente und Innovationen konnte ich zwar ansprechen, diskutiert, geschweige denn gelöst, haben wir es jedoch nicht.
Letztlich steckt für mich dahinter die Frage nach der demokratischen Machbarkeit von Suffizienzkonzepten. Effizienz lässt sich verordnen, Suffizienz und tatsächlich ökologische Lebensstile nicht. Gleichzeitig stoßen diese schnell an Wände. Sie führen zur distinguierenden Nischenbildung und kommen – wenn es denn gut läuft – nicht über ein Fünftel der Bevölkerung hinaus.
So schön Ökodörfer und andere Experimentierfelder und „proofs of concept“ des guten Lebens sein mögen: Planeten werden so nicht gerettet. Das aber ist für mich letztlich die große, in meinen Augen ungelöste Frage der sozialökologischen Transformation – der demokratisch akzeptable Weg von A nach B. Bewusstseinswandel führt dabei, davon bin ich inzwischen überzeugt, in die Irre. Und Veggieday ist nur ein kleiner Vorgeschmack der kommenden Debatten.
Interludium: Clandestino
A propos Workshops: Was mir gar nicht gut gefallen hat, war die in einem strikten Gegensatz zu Beteiligungskultur und Transparenzpredigten stehende Zirkelitis, die es auf der „summer factory“ leider auch gab. Wir, das Fußvolk, nahmen an den Workshops teil – offenes Format, Auswahl bei Anmeldung, Thesenproduktion per Flipchart und Metaplankärtchen. Die Avantgarde war dagegen zu gleichzeitig stattfindenden, gut vorbereiteten, geschlossenen Arbeitskreisen eingeladen, in denen intensiv um das – mir bis heute nicht bekannte – papierförmige Ergebnis der „summer factory“ gerungen wurde, und in denen das Buch des nächsten Jahres vorbereitet wurde.
Überhaupt, diese semiakademischen Rituale der nicht-reformierten Linken: Die „Denkfabrik“ ISM muss naturgemäß Ergebnisse im Format der theoriegeleiteten Erörterung produzieren. Anerkennung beruht auf Aufsätzen, und grauhaarige alte Männer halten Referate mit Fußnoten, ihre Schüler studieren eifrig Habitus, Tonlage und Referenzsystem, um einst als eben so weise zu gelten. Wer „Hegel“ droppt, gewinnt einen Weltgeist, zu toppen nur noch durch Muffe oder Agamben.
Umso erfreulicher, als dann einer der Grauhaarigen seine positiv überraschte Verwunderung darüber zum Ausdruck brachte, dass – so ganz anders als in den Plenen der 1960er – hier ja nun tatsächlich konstruktiv und respektvoll miteinander umgegangen worden sei.
Die raison d’etre des ISM
Darin liegt für mich tatsächlich die Daseinsberechtigung des Instituts Solidarische Moderne: Es ist derzeit einer der wenigen Orte, an denen ein Austausch im weiteren linken Spektrum überhaupt versucht wird. Für mich ist dies das eigentliche Ergebnis der „summer factory“ (ich überspringe hochinteressante Strategiedebatten, Fishbowl-Diskussionen über Gestaltungsorientierung im Herzen der Bestie und Open-Space-Arbeit zur Rolle nonkonformistischer PolitikerInnen in Parteien – vielleicht ein anderes Mal mehr dazu).
Wichtiger als dann doch nicht gelesene Bücher und in Thesen verpackte, hart errungene Formelkompromisse zwischen dann doch zu unterschiedlichen Weltbildern finde ich die Organisation eines Ortes der Begegnung und der respektvollen Kommunikation zwischen ganz unterschiedlichen Menschen aus linken Parteien und aus den unterschiedlichen Organisationen der neuen und alten sozialen Bewegungen. (Und auch wenn das jetzt nach Kirchentag klingt: als Atheist kann der nicht mein Forum sein!)
Vielleicht ist es der anregende Aspekt des interkulturellen Austausches, der diesen Raum für mich anregend und interessant macht. Zwischenlinke Verständigung ist anstrengend, sie muss organisiert werden, Konflikte und Ambivalenzen müssen ausgehalten werden. Das ist unbequem und es erfordert Arbeit, weil die im eigenen Feld so halbwegs gemeinsam geteilten Gewissheiten, das Fundament des Politischen, nun dünnes Eis darstellen.
Wenn die Rahmenbedingungen – und auf die wurde viel Wert gelegt – so sind, dass das gelingen kann, dann erreicht ein Ort wie die „summer factory“ des ISM zweierlei: Sie trägt dazu bei, die eigene politische Sicht auf die Welt im Dialog in Frage zu stellen, zu schärfen und möglicherweise ganz neu zu denken. Und sie schafft eine Vertrauensbasis zwischen Personen (auch durch Kaffeepausen).
Das betrifft nicht nur Parteien, sondern auch Bewegungen, wenn etwa die Wachstumswende als Reinkarnation der Ökologiebewegung auf GewerkschaftsaktivistInnen trifft. Aber es betrifft natürlich in ganz besonderem Maße die Parteien: Im Verhältnis zu Bewegungsakteuren hilft persönliches Vertrauen, über die Klippe von Sachzwängen und Radikalforderungen hinweg zu kommunizieren. Und im Verhältnis zwischen Parteiakteuren tragen weit gefasste linke Begegnungsorte dazu bei, den glücklichen Moment, in dem der Mantel der Geschichte vorbeigeweht kommt, dann auch tatsächlich zu nutzen und gemeinsam daran festzuhalten.
Damit all diese Formen des Austausches und der Vertrauensbildung häufiger und über klandestine Zirkel hinweg stattfinden, müsste das ISM sich allerdings häuten: Mehr säkularer Kirchentag, mehr linke re:publica, und weniger Reputationsfabrik. Dann kann das gelingen, und dann klappt es auch mit dem doch irgendwie gemeinsamen Vorhaben der großen gesellschaftlichen Transformation – was auch immer darunter zu fassen ist, und wie auch immer der richtige Weg dahin aussehen mag.
Warum blogge ich das? Um meine Eindrücke aus den letzten eineinhalb Tagen festzuhalten. Und weil ich es bei aller Enttäuschung über das eher verfehlte Tagungsthema insgesamt betrachtet doch wichtig fand, zur „summer factory“ hingefahren zu sein.
Norma Tiedemann von der Grünen Jugend war in den selben Workshops und Panels wie ich und kommt (neben von mir durchaus geteilten Ratlosigkeiten) im Blog der Grünen Jugend zu der Einschätzung, dass es gut wäre, „ ‚Inselprojekte‘ in einen größeren Rahmen zu betten, sie als Teil einer bewussten Zusammenarbeit hin auf einen Politikwechsel in Deutschland und Europa zu begreifen“.