Nachdem ich begründet habe, warum ich nicht kandidiere (und gesagt habe, was es sonst so im Vorfeld der Listenaufstellung noch zu sagen gibt) und einen kurzen Vorbericht zur grünen Landesdelegiertenkonferenz 2012 verfasst habe, möchte ich mich doch noch kurz zu den Ergebnissen äußern.
Einen ausführlichen Bericht mit einigen Einschätzungen dazu, warum manche Abstimmung so ausgefallen ist, wie sie ausgefallen ist, hat Kay Karpinski geschrieben, der die LDK als „externer“ Beobachter aus dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern zeitweise verfolgt hat. Wer die einzelnen Wahlergebnisse noch einmal nachlesen möchte, kann dies auf der Seite des grünen Landesverbands tun.
Sichtbar wird dort auch, dass es einige extrem knappe Entscheidungen bei der Listenaufstellung gegeben hat. Dies betrifft etwa Platz 7, wo sich Beate Müller-Gemmeke mit einem Vorsprung von sieben Stimmen gegen Biggi Bender durchsetzen konnte, aber auch die Plätze 10, 11, 13 und 14, bei denen es jedesmal um etwa zehn Stimmen Differenz ging – leider zumeist zu Ungunsten der von mir favorisierten KandidatInnen. Wer möchte, kann auch die relativ knappen Ergebnisse der beiden linken KandidatInnen auf die Spitzenplätze – insbesondere von Sylvia Kotting-Uhl – mit in diese Reihe nehmen. Gerhard Schick wurde trotz einer objektiv deutlich besseren Rede nicht auf Platz 2, sondern erst auf Platz 4 gewählt.
Enttäuscht bin ich, wenn ich mir die Liste so anschaue, insbesondere darüber, dass Memet Kilic erst auf Platz 18 gewählt wurde. Ähnlich sieht es mit den Ergebnisse für Ingrid Hönlinger (Platz 17), Alexander Geiger (letztlich erst auf Platz 28 gewählt) und Ina Rosenthal (auf Platz 23 gewählt) aus. Jörg Rupp, der sich als profilierter Netzpolitiker einen Namen auch über den baden-württembergischen Landesverband gemacht hat, erhielt keine Chance auf der Liste.
Dass es diese Unzufriedenheiten meinerseits mit unseren Wahlentscheidungen gibt, heißt nun beileibe nicht, dass die Liste insgesamt problematisch wäre. Nein: Ich finde, dass sie – mit allen Verzerrungen – unsere baden-württembergische Partei gut wiedergibt. Trotzdem hätte ich mich die eine oder andere Entscheidung gewünscht, die anders ausgeht – Demokratie kann manchmal ganz schön wehtun. Die Liste ist nun so, wie sie ist. Jetzt geht es darum, gemeinsam Wahlkampf zu machen, und gemeinsam dafür zu sorgen, dass auch die Plätze 17 und 18 noch in den Bundestag kommen.
Neben der Listenwahl gab es auf dem Parteitag zwei große Reden – die von Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der den Parteitag nutzte, um einige bildungspolitische Pflöcke einzuschlagen (und die Relativierung seines Auto-Halbsatzes zu relativieren), und die von unserer Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt, die sich überzeugend als kerngrüne Fängerin bürgerlicher Zweifelnder präsentierte.
Inhaltliche und formale Abstimmungen gab es dagegen nur in relativ kleiner Zahl: eine formale Satzungsänderung bei uns, das Abnicken diverser Satzungsänderungen der grünen Jugend, Anträge zu Tierschutz und zur Bildungpolitik – und zwei Anträge, die dann doch etwas mehr Aufmerksamkeit erzeugten (die Beschlüsse sind leider nicht online). Beide betreffen die Friedenspolitik – zum einen die Frage, ob der Bundeswehr erlaubt werden soll, mit Jugendoffizieren in die Schulen zu gehen (hier setzte die Partei ein deutliches Zeichen für mehr Mut in Richtung Regierung) und die leidige Frage der Zivilklausel.
Generell zum Thema Zivilklausel hatte ich bereits im grünen Blog etwas geschrieben. Auf dem Parteitag war ich dann neben unserem MdL Kai Schmidt-Eisenlohr und unserer Ministerin Theresia Bauer einer der drei RednerInnen für den Antrag »V4«. Dieser wurde gegen den von Grüner Jugend, Campusgrün, vielen Linken und der Mehrheit der LAG Hochschule unterstützten Antrag »V2« gestellt, in dem die Einführung einer landesweiten, im Hochschulgesetz verankerten Zivilklausel gefordert wird.
Dass ich mich deutlich gegen V2 ausgesprochen habe, mag manche überrascht haben. Für mich gab es zwei Gründe, den Antrag V4 mit zu schreiben, zu unterstützen und dann eben auch auf dem Parteitag zu vertreten. Zum einen glaube ich, dass es uns Grünen gut täte, wenn wir uns tatsächlich einmal intensiv mit der Frage der Forschungsfreiheit auseinandersetzen würden. Als Sprecher der BAG Wissenschaft ebenso wie als parlamentarischer Berater für Hochschulpolitik fällt mir hier die klassisch-grüne Position, dass wir schon wissen, was für die Wissenschaft richtig ist, immer wieder auf die Füße. Und das zu recht: Für Forschungsfreiheit zu sein, und gleichzeitig Hochschulen und ForscherInnen von oben herab vorschreiben zu wollen, was geforscht werden darf, geht nicht gut zusammen. Mit einer Zivilklausel geht dies in unserer Richtung – aber genauso gut könnte eine konservative Regierung kritische Sozialforschung verbieten wollen, oder eine evangelikal-christliche Regierung alle der Bibel zuwiderlaufende Naturwissenschaft.
Das heißt nicht, dass wir Grüne nicht gesellschaftliche Werte vertreten und einfordern – neben Frieden steht für mich hier die Frage nachhaltiger Entwicklung ganz vorne – an denen gemessen durchaus nicht alle Forschungsprojekte gleich sind. Nur sollten wir daraus meiner Meinung nach nicht den Schluss ziehen, bestimmte Forschung staatlicherseits verbieten zu wollen.
Was aber dann? Da bin ich bei meinem zweiten Grund, warum ich mich stark für V4 eingesetzt habe: Wenn wir überzeugt davon sind, dass einerseits das Prinzip der Subsidiarität auch für Hochschulen gilt, und dass andererseits öffentlich finanzierte Hochschulen eine besondere gesellschaftliche Verantwortung haben, ergibt sich daraus die in V4 vertretene Position. Dahinter steht die Leitlinie, dass Hochschulen autonome Einrichtungen der Wissenschaft sein sollen, dass sie als „Preis“ dieser weitgehenden Autonomie aber zum einen so organisiert sein müssen, dass die demokratische Beteiligung aller Mitglieder dieses „Gemeinwesens“ gesichert ist (deswegen müssen in der kommenden Novelle des Landeshochschulgesetzes die Senate gestärkt und demokratisiert werden), und dass sie zum anderen eine besondere Rechenschaftspflicht gegenüber der Öffentlichkeit haben. Forscherinnen und Forscher müssen ihre Forschungsprojekte frei wählen können, müssen aber, wenn sie öffentlich (grund-)finanziert werden, darüber auskunftspflichtig sein, und sich der öffentlichen Diskussion um ihre Projekte stellen.
Dieser Leitlinie folgen die beiden in V4 vorgeschlagenen Instrumente: Verbindliche Regelungen für die Transparenz von Forschungsmitteln und Forschungsvorhaben (wer finanziert welche Forschung mit welchen Ziel – z.B. in einer landesweiten Datenbank erfasst), und die ebenso verbindliche Einrichtung von Senatsausschüssen für Ethik, die – bei größtmöglicher Öffentlichkeit – hochschulintern über Forschungsvorhaben beraten, die ethisch fragwürdig sind. Zudem können einzelne Hochschulen sich als Hochschulen selbst verpflichten, nur für friedliche Zwecke zu forschen.
Beides sind durchaus weitreichende Veränderungen des Landeshochschulgesetzes und des Hochschulalltags. Entsprechend aufgeregt lesen sich beispielsweise Stellungnahmen der FDP dazu. Aber sie sind mit diesem Koalitionspartner, in dieser Regierungskonstellation, mit diesem verfassungsrechtlichen Rahmen umsetzbar – das unterscheidet V4 letztlich von V2. Und deswegen habe ich mich aus der Deckung gewagt und für V4 geredet – letztlich mit Erfolg, der Antrag wurde mehrheitlich V2 vorgezogen.
Dabei freut es mich, dass V4 im Lauf des Verfahrens noch einmal verändert wurde, und so deutlicher wird, dass es nicht um eine Ablehnung des Ziels friedlicher Forschung geht, sondern um konkrete, jetzt umsetzbare Instrumente für Forschung in Verantwortung – ohne Eingriff in die Forschungsfreiheit. Damit steht jetzt die Ministerin in der Verantwortung, dies in der kommenden Novelle des Landeshochschulgesetzes umzusetzen.
Warum blogge ich das? Als Parteitagsnachbetrachtung – aber auch, um noch einmal zu begründen, warum ich auf dem Partei gegen das von Gewerkschaften und Friedensbewegung hochgehobene Instrument einer landesgesetzlichen Zivilklausel geredet habe.
Mein Problem mit der Argumentation der Forschungsfreiheit gegen die Zivilklausel gerade von grüner Seite ist ja, dass es wenig Skrupel gibt Tieversuche zu verbieten oder einzuschränken. Natürlich sollten Tierversuche wenn möglich vermieden werden, gar keine Frage. Aber meiner Meinung nach ist das Verbot von Tierversuchen ein mindestens genauso großer Eingriff in die Freiheit der Forschung, wie eine Zivilklausel. Entweder also beides oder nix davon.
Richtig. Weswegen wir uns auch bei Tierversuchen der Debatte stellen – ein schlichtes Verbot geht nicht.
Wie ist denn die Wahlkreiskarte zu interpretieren? Je blasser das grün, desto weiter hinten auf der Liste?
Genau. Plätze 1+2 sind Freiburg und Stuttgart I, und dann wird es blasser. Wahlkreise hier nach Zuschnitt 2009.
Der Südwesten des Südwestens ist wirklich ziemlich schlecht bei weggekommen. Wenn ich das sehe, wie es sich hingegen in anderen Ecken ballt, wäre irgendeine Regionalisierungsmethodik bei der Listenaufstellung vielleicht ganz sinnvoll. Ein Patentrezept, wie so etwas aussehen könnte, hab ich allerdings auch nicht in der Tasche.
Lieber Till,
die Beschlüsse befinden sich hier: http://www.gruene-bw.de/partei/parteitage/ldk-boeblingen-2012/beschluesse.html
Beste Grüße
Matthias
Lieber Matthias,
danke für den Hinweis! Sobald ich wieder stationär online bin, ergänze ich das gerne oben.
Schöne Grüße
Till
ich bin kein Freund des Regionalproporzes, aber man müsste dann dochmal drüber nachdenken, wenn die Delegierten eines Landesteils nichts anderes kennen, als Kandidaten aus der eigenen Ecke zu wählen.
Meine Vermutung wäre, dass Südbaden auch wegen der schlechten Verkehrsanbindung an das Zentrum der Macht so schlecht vertreten ist. Man kann eben nicht mal eben schnell zu einer LAG fahren und Networking betreiben. Neben der weiten Entfernung spielt da auch die „Barriere Schwarzwald“ eine Rolle.
Ohne das jetzt werten zu wollen: Ich hatte den Eindruck, dass es wenig „Südbaden“-Lobbying der ja durchaus anwesenden südbadischen KVs gab. Die SüdostwürttembergerInnen haben sich dagegen alle zusammengesetzt und flügelübergreifende Oberschwabenwerbung betrieben.
Auch ein Grund, warum die LAGs vom LaVo gebeten wurden, nicht immer nur in Stuttgart zu tagen. Ich finde das generell sinnvoll (wir haben auch begonnen, das umzusetzen als LAG Hochschule) aber das Problem ist dann eben auch eine deutlich höhere Personalschwankung (aus Stuttgart sind ja auch nicht alle immer gewohnt reisen zu müssen ;) .)
Generell find ichs aber ne gute Methode, auch anderen Regionen besser einzubinden!
das mag ein anderer Faktor sein, den ich nicht beurteilen kann, weil ich nicht auf der LDK war. Vermutung: vielleicht weil Südostwürttemberg (alias Oberschwaben) ein homogenerer RAum ist als Südbaden, sowohl naturräumlich als auch Stadt-Land?