Bäh, Betreuungsgeld

Kindergarten I
Bau­wa­gen der Wald­kin­der­krip­pe hier im Frei­bur­ger Rie­sel­feld – U3-Betreu­ung der ande­ren Art

Unter dem immer wie­der ger­ne um eine Keu­le gewi­ckel­ten Slo­gan der „Wahl­frei­heit“ ist die bay­ri­sche Split­ter­par­tei CSU gera­de dabei, bun­des­weit ziem­lich viel Geld für ein ziem­lich däm­li­ches Pro­jekt fest­zu­le­gen – für das soge­nann­te Betreu­ungs­geld, das an Eltern gezahlt wer­den soll, die kei­ne Hartz-IV-Emp­fän­ge­rIn­nen sind und die ihr Kind (ein bis drei Jah­re, mei­ne ich) nicht in die Kita schi­cken. Und zwar sol­len die­se Eltern (hal­lo, Patch­work­fa­mi­li­en!) monat­lich 100 Euro bekom­men, spä­ter dann 150 Euro. 

Neben­bei bemerkt: Nicht in die Kita schi­cken umfasst wohl durch­aus die Mög­lich­keit, pri­vat ein Kin­der­mäd­chen oder einen Baby­sit­ter zu enga­gie­ren … dem Gesetz geht es nur um die raren U3-Plät­ze. War­um? Weil da eine Rechts­ver­pflich­tung hin­ter hängt, die vie­le Kom­mu­nen nicht erfül­len kön­nen. Und dafür wird dann ein mas­si­ver finan­zi­el­ler Anreiz gesetzt, dass bes­ser­ver­die­nen­de Eltern – meist ver­mut­lich bes­ser­ver­die­nen­de Müt­ter – zu Hau­se blei­ben, statt nach einer kür­ze­ren Baby­pau­se wei­ter­zu­ar­bei­ten. Soviel zum The­ma Wahlfreiheit.

Das gan­ze wird jetzt im Eil­tem­po durch Kabi­nett und den Bun­des­tag gepeitscht, obwohl selbst vie­le CDU- und FDP-Abge­ord­ne­te das Kon­zept Betreu­ungs­geld nicht für sinn­voll hal­ten. Mal schau­en, wer von den erklär­ten Geg­ne­rIn­nen des Kon­zep­tes sich traut, dann, wenn es ernst wird, auch dage­gen zu stimmen.

(Bei der Gele­gen­heit: Unter dem Mot­to „Nein zum Betreu­ungs­geld“ kann hier ein biss­chen Online-Akti­vis­mus betrie­ben wer­den …).

Viel Gegen­wind also. Und auch in der Bevöl­ke­rung ins­ge­samt sind 60–70% bei Mei­nungs­um­fra­gen gegen das Betreu­ungs­geld.

Womit ich beim eigent­li­chen Anlass die­ses Arti­kels ange­kom­men bin. Die CSU-Abge­ord­ne­te Doro­thee Bär ist bekannt­lich auf Twit­ter aktiv, gibt sich jung und modern – und scheint vom Betreu­ungs­geld über­zeugt zu sein. Gute Argu­men­te hat sie aber nicht, wie fol­gen­der Wort­wech­sel zeigt:

Auf die Fra­ge ganz unten, nach reprä­sen­ta­ti­ven Erhe­bun­gen, hat Doro­thee Bär mir dann lei­der nicht geantwortet. 

Anne Roth hat von ihr noch ein pam­pi­ges „die Umfra­gen sind irrele­vant. Sie beru­hen auf einem mona­te­lan­gen media­len Trom­mel­feu­er“ ret­weetet bekom­men. So ist das also, wenn nur die bösen Medi­en nicht wären, dann wären alle über­zeugt vom bay­ri­schen Herdkindeswohl.

Zah­len woll­te Frau Bär mir also nicht geben. Ich habe dann selbst gesucht, ermun­tert durch Gun­ter Schenk, dem noch Pres­se­be­rich­te dazu in Erin­ne­rung waren – der „Deutsch­land­trend“ schlüs­selt sei­ne 69% ja lei­der nicht nach sozia­len Schich­ten o.ä. auf. Und bin bei einer Reprä­sen­ta­tiv­erhe­bung der AWO gelan­det. Befragt wur­den 1000 Per­so­nen, ins­ge­samt sind dort 59% gegen das Betreu­ungs­geld, 36% dafür, der Rest unentschieden.

Die AWO hat ihre Daten (auch wenn 1000 Leu­te dafür letzt­lich ein biss­chen wenig sind) dann in der Tat wei­ter auf­ge­glie­dert. Und kommt zu fol­gen­der inter­es­san­ter Aussage:

Inter­es­san­ter­wei­se stößt das Betreu­ungs­geld bei der Alters­grup­pe der 18–29-Jährigen auf die größ­te Ableh­nung (61 Pro­zent) aller Alters­grup­pen. „Die Jugend will eine moder­ne Fami­li­en­po­li­tik, die es ihnen ermög­licht, Fami­lie und Beruf mit­ein­an­der zu ver­ein­ba­ren. Dazu gehört eine wohn­ort­na­he und qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ge Kin­der­be­treu­ung und nicht das Betreu­ungs­geld“, betont Stadler. 

D.h. gera­de die poten­zi­el­len Eltern, auf die Doro­thee Bär oben ver­wies, hal­ten in die­ser Befra­gung noch weni­ger vom Betreu­ungs­geld als alle ande­ren. Oder, nach­dem die Dif­fe­ren­zen ver­mut­lich sta­tis­tisch nicht trag­fä­hig sind: Es gibt kei­ne Anzei­chen dafür, dass poten­zi­el­le Eltern, hier durch die Alters­grup­pe 18 bis 29 reprä­sen­tiert, ein Betreu­ungs­geld für sinn­vol­ler hal­ten als ande­re. Zwi­schen den Gene­ra­ti­ons­ko­hor­ten gibt es nur gerin­ge Unter­schie­de, die Aus­sa­ge von Doro­thee Bär, dass es 60+ sei­en, die hier Stim­mung gegen das Betreu­ungs­geld machen, ist falsch.

Womit die span­nen­de Fra­ge offen bleibt, wie­so Frau Bär den Ein­druck hat, dass – ganz im Gegen­satz zu Reprä­sen­ta­tiv­erhe­bun­gen und vie­len Äuße­run­gen selbst in der eige­nen Koali­ti­on – eine grö­ße­re Zahl Men­schen das Betreu­ungs­geld ger­ne haben will. Mit wem redet die so – oder ticken die Uhren in Bay­ern so anders?

War­um blog­ge ich das? Weil es mich ärgert, wie Umfra­ge­zah­len mal als „ideo­lo­gi­sche ver­blen­det“ gel­ten, mal ger­ne her­aus­ge­holt wer­den, wenn sie die eige­ne Mei­nung stär­ken. Auch wenn die Erhe­bung sicher­lich nicht die stärks­te ist, so gibt es doch ganz kla­re Hin­wei­se dar­auf, dass die Aus­sa­ge, dass gera­de jün­ge­re Men­schen ein Betreu­ungs­geld wol­len, falsch ist. Und das wahr­zu­neh­men, wäre eine gute Eigen­schaft selbst von UnionspolitikerInnen.

7 Antworten auf „Bäh, Betreuungsgeld“

    1. Da muss ich dir als Sozio­lo­ge ernst­haft wider­spre­chen – es gibt Kri­te­ri­en, die gute Sta­tis­ti­ken aus­zei­chen, und denen darf dann ruhig – nach kri­ti­scher Betrach­tung – auch getraut wer­den. (Und das angeb­li­che Chur­chill-Zitat ist wohl auch nicht so ganz echt).

  1. Nach­trag: Auf Twit­ter wer­de ich gera­de dar­auf hin­ge­wie­sen, dass der ARD-Deutsch­land­trend eben­falls Daten zur Alters­grup­pe bis 28 hat: Dort sind es 55%, die das Betre­ungs­geld ableh­nen (vs. 45% dafür).

  2. Her­vor­ra­gen­der Post – Danke.
    Politiker/innen müs­sen in ihrer ober­fläch­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on immer wie­der über­führt wer­den. Gar nicht so sehr, um sie bloß zu stel­len (also nicht bös­ar­tig), son­dern viel­mehr aus erzie­he­ri­schen Grün­den. Vie­le, nicht alle, Politiker/innen ticken nach par­tei­po­li­ti­scher Räson, ohne dabei ihre gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung wahr­zu­neh­men. Das wird sich nicht abstel­len las­sen, so lan­ge Wah­len gewon­nen wer­den müs­sen. Den­noch kein Grund die­ses Ver­hal­ten zu tole­rie­ren und es ihnen durch­ge­hen zu lassen.

  3. Inzwi­schen hat Doro­thee Bär auch ihre Zah­len genannt: Stern-RTL vom 25.4. sieht eine Mehr­heit von 51% der Jün­ge­ren für das Betreu­ungs­geld, Älte­re sind mehr­heit­lich dage­gen. Ers­tens: War­um nicht gleich so? Und zwei­tens: Wenn die Zah­len ver­gleich­bar sind, hat die Ableh­nung bei den Jün­ge­ren im letz­ten Monat deut­lich zuge­nom­men. Medi­en­kam­pa­gne oder Meinungsbildung?

  4. Wenn, wie ange­nom­men 35% aller unter Drei­jäh­ri­gen in der Kita betreut wer­den, glau­ben Sie dann wirk­lich dass die übri­gen 65% die 100 Euro im Monat abweh­ren und sagen „Nein, ich scha­de der Bil­dung mei­nes Kin­des. Die­ses Geld ist des Teu­fels und fes­selt mich an den Herd ?“

    Tat­sa­che ist, dass das Fami­li­en­ein­kom­men jun­ger Eltern dras­tisch gesun­ken ist.
    Die Kos­ten jedoch von Jahr zu Jahr stei­gen. Ohne zwei Ein­kom­men wird es für vie­le eng.
    Die Poli­tik will nun im Durch­schnitt mit 1100 Euro pro Monat und Kleinst­kind Krip­pen­plät­ze für U3 errich­ten. Die übri­gen 65 % haben aber auch die­se Kos­ten zu tragen.
    Und Har­z4-Müt­ter wer­den im Wett­be­werb um die teue­ren Plät­ze ohne­hin nicht berück­sich­tigt. Und hier beginnt für mich das Unappetitliche. 

    Sowohl CDU,FDP,SPD,Linke als auch Grü­ne gren­zen die Armen aus. Die einen sagen, die kön­nen ihre Kin­der nicht ver­sor­gen (desshalb sol­len sie für sie zu teue­ren und nicht vor­han­de­nen Krip­pen­plät­ze bean­spru­chen), die ande­ren die Ver­sor­gung ihrer Kin­der darf nichts kos­ten( denn Har­z4-Men­schen sind Min­der­leis­ten­de und ihre Kin­der bil­dungs­fer­ner Abfall). 

    Für mich gibt es nur einen Grund gegen ein Betreu­ungs­geld zu sein und der ist, weil Men­schen aus­ge­grenzt werden.
    Genau­so aber kann ich gegen einen Krip­pen­platz argumentieren.
    Denn mit Krip­pen­plät­ze steigt der Druck auf Müt­ter schnell zurück in den Beruf zukehren.
    Wer dies nicht tut (und die meis­ten wol­len das nicht), egal aus wel­chen Grün­den, wird vom Arbeits­markt aus­ge­grenzt und hat gera­de wegen der Für­sor­ge­ar­beit nur noch schlech­te Aus­sich­ten auf dem Arbeitsmarkt.

    Statt dass sich die Arbeit­ge­ber auf Frau­en als demo­gra­fi­sche Reser­ve zube­we­gen, wer­den Müt­ter in eine Mehr­fach­ab­hän­gig­keit gezwun­gen und ihre ohne­hin schon schwa­che Ver­hand­lungs­ba­sis wei­ter geschwächt.
    (Wess­halb gera­de neo­li­be­ra­le Think Tanks unmd Herr Hundt die Krip­pen­of­fen­si­ve begrüssen)

    Erwerbs­tä­ti­ge Müt­ter sind abhän­gig von koope­ra­ti­ven Part­nern, Fami­lie, Arbeit­ge­ber, Kol­le­gen und schließ­lich von denen die Betreu­ung anbieten.
    Sie haben kei­nen Ein­fluß auf die Qua­li­tät der Betreu­ung mehr, sie sind gezwun­gen durch Mehr­leis­tung bei Erwerbs­ar­beit und Fami­li­en­ar­beit sich koope­ra­ti­ve Unter­stüt­zung zu sichern. Sprich, sie wer­den ein­fach ver­arscht und sind abhän­gi­ger denn je. Wobei es Pri­vi­le­gier­te sel­ten trifft, wess­halb gera­de sie sich gegen Betreu­ungs­geld aus­spre­chen (denn man beschäf­tigt nur zu ger­ne eine abge­häng­te, geschie­de­ne Mehr­kind­mut­ter als bil­li­ge Putzhilfe).
    Wenn nur ein Glied in der Ket­te der Ver­ein­ba­rungs­knecht­schaft bricht, droht das fami­liä­re Cha­os, die tota­le Über­for­de­rung und der sozia­le Abstieg/Scheidung (neu­es Unterhaltrecht).

    Statt dass Gesell­schaft und Poli­tik wirk­lich Rah­men­be­din­gun­gen für Fami­li­en setzt (Bei­spiel Kran­ken­ta­ge für Kleinst­kin­der, Über­stun­den­ver­bot, mehr Väter­mo­na­te, Arbeits­zeit­ver­kür­zung, Wie­der­ein­stiegs­pro­gram­me, Grund­si­che­rung für Kin­der etc.), spal­tet sie diese.

  5. Hal­lo,

    sehr inte­res­an­ter Arti­kel, fin­de das Sys­tem auch eher etwas Frag­wür­dig, aller­dings füh­le ich mich auch noch nicht wirk­lich 100% infor­miert. Nach­dem ich auch bald ein Kind bekom­me, habe ich mich ver­sucht mit der The­ma­tik schon mal etwas zu beschäf­ti­gen (nur weil ich eigent­lich dage­ge­ben bin, wür­de ich die 100 Euro natür­lich nicht ableh­nen). Die bes­te Sei­te was ich gefun­den habe bis­her ist: Betreuungsgeld.net
    Aber selbst dort fin­de ich sind man­che sachen noch Wage gehal­ten und man wird nicht wirk­lich über alles nöti­ge infor­miert. Hat viel­leicht jemand von euch einen bes­se­ren Tipp für mich, möch­te mich nur ungern durch den juris­ti­schen Text quälen.

    Schon mal vie­len Dank für eure Hilfe
    Gruß
    Marina

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert