Screenshot gelb-statt-gruen.de
Wenn die SPD nicht mehr weiter weiss, dann gründet sie ’nen Arbeitskreis. Die FDP dagegen haut in dieser Situation am liebsten wild um sich. Das neuste Ergebnis dieses verzweifelten Umsichschlagens heißt gelb-statt-gruen.de und ist eine Anti-Grünen-Kampagnenseite. Ich bin ja ganz angetan davon, dass die FDP derzeit so wenig eigenes Konzept hat, dass sie’s nur im Kontrast zu uns Grünen überhaupt darstellen kann. Noch mehr amüsiert mich aber, dass die Selbstdarstellung auf dieser Website ein ziemlich realistisches Bild der FDP zeichnet – und deutlich macht, warum die Partei out ist.
Bevor ich auf die inhaltlichen Punkte eingehe, eine Bemerkung zum Thema Web 2.0 – da sind zwar optisch schön gestaltete Banner drauf (mich erinnern sie an die derzeitige Optik von gruene.de, ob das Absicht ist, vermag ich nicht zu sagen), und es gibt multimediales Material (d.h. PDFs, ein eingebettes Video und Links nach dahin und dorthin), aber jegliche Form der Interaktion fehlt. So ist es nicht möglich, auf gelb-statt-gruen zu kommentieren – das wäre mutig gewesen, und hätte die Debatte über die dort genannten Punkte vorangebracht. Aber selbst ein „Like it“ fehlt. Oder ein Twitterkanal, RSS – aber für sowas gibt die Kritik an den Grünen wohl nicht genug Material her, und jeden Tag ein „Die sind die Dagegenpartei“ zu lesen, will wohl auch niemand.
Interaktiv mag die FDP es also nicht so sehr, jedenfalls dann nicht, wenn jemand etwas gegen das vorgebrachte einwenden könnten. Oder gar Tatsachenbehauptungen durch Fakten widerlegen könnte. Und innovativ ist das ganze auch nicht wirklich. Vielleicht sagt das auch etwas über das Niveau aus, auf dem die „Liberalen“ derzeit politisch agieren.
Nun, denn, keine Interaktion, keine Innovation, aber wenigstens Inhalte?
Uns Grünen werden auf der Seite fünf Dinge vorgeworfen: Wir seien teuer, sozialpopulistisch, fortschrittsfeindlich, widersprüchlich und gleichmacherisch.
Argument Nr. 1: „Würden die Grünen in Regierungsverantwortung kommen, käme das den deutschen Mittelstand und insbesondere Familien teuer zu stehen.“ – Dann werden eine Reihe von Beispielen aufgelistet, wo Grüne überall „teuer“ sein könnten. Prominenteste Posten dabei sind die Abschmelzung des Ehegattensplittings und die auf der BDK beschlossene Beitragsbemessungsgrenze. Das wir da ran wollen, ist richtig. Was die FDP übersieht: das ganze hat einen Sinn. So lassen sich Kinder und Familien ganz sicher besser fördern als dadurch, dass die Hausfrauenehe steuerlich privilegiert wird. Und die höhere Beitragsbemessungsgrenze? Ja, die würde für die klassische FDP-Klientel wohl zu höheren Ausgaben führen – mit dem Ziel, das Zweiklassengesundheitssystem nicht auszubauen (wie es Rösler von der FDP macht), sondern solidarischer zu gestalten. Und wir sind so ehrlich, dabei klar zu sagen, dass das für einige Menschen teurer werden wird. (Die Politik der FDP in diesem Punkt macht Gesundheitsvorsorge übrigens auch teurer – aber eben für Menschen mit geringem Einkommen.)
Argument Nr. 2: „Die Grünen sind sozialpopulistisch.“ – Darunter fasst die FDP alle politische Maßnahmen, die Menschen mit geringem Einkommen zu Gute kommen würden, und die dazu beitragen würden, Armut zu bekämpfen. Höhere Hartz-IV-Sätze, die Kindergrundsicherung, die Abschaffung der Praxisgebühr („Die FDP ist teuer!“) und Überlegungen, Energiesparmaßnahmen so zu gestalten, dass auch ärmere Menschen davon etwas haben – und eben nicht über höhere Strompreise ohne Vermeidungspotenzial eine übermäßige Last tragen müssen. Wenn das „sozialpopulistisch“ ist, dann ist es heute richtig, eine sozialpopulistische Politik zu machen. Ja, wir Grüne sind an diesem Punkt eine linke, solidarische Partei, und das ist gut so! Bei der FDP scheint „Zukunft des Sozialstaats“ dagegen zu bedeuten, die Schere zwischen Arm und Reich noch weiter aufzumachen, aus dem Wohlfahrtsstaat in einen Almosenstaat umzuschwenken und Lasten ungerechter zu verteilen. Um mich zu wiederholen: mit der FDP in Regierungsverantwortung wird das Leben teurer – für alle, die von Steuersenkungen und Klientenwohltaten nicht profitieren.
Argument Nr. 3 ist mein Lieblingsargument: „Die Grünen sind fortschrittsfeindlich.“ Leggewie hat dazu was geschrieben und hier und im Grünen-Blog steht auch einiges von mir dazu. Warum meint die FDP, wir Grünen seien fortschrittsfeindlich? Weil wir gegen Computer, Mobiltelefone, Gen- und Nanotechnologie seien, und weil wir bestimmte Großprojekte (S21 und Olympia werden hier bunt zusammengeworfen) ablehnen.
Dass Grünen gegen Computer sind, hat 1984 vielleicht noch gestimmt. Heute sind wir die Partei mit dem höchsten Anteil an InternetnutzerInnen (noch vor der FDP). Gentechnik in der Landwirtschaft lehnen wir ab – aus guten Gründen. Mobilfunk und Nanotechnologie sind Technikelder, die negative wie positive Seiten haben, und bei denen wir deswegen Technikentwicklung nicht dem Markt überlassen wollen, sondern auf Technikfolgenabschätzung, Risikoanalysen und politische Regulationsrahmen setzen. Und auch bei den von der FDP genannten Großprojekten sind wir nicht dagegen, weil es Großprojekte sind, sondern weil sie unsinnig, teuer und/oder umweltschädlich sind. Die FDP dagegen versteht unter Zukunft „Großprojekte“ (egal, wie diese inhaltlich ausgefüllt werden, nur grooooß müssen sie sein) und unbedingte Forschungsfreiheit. Hier sind wir deutlich weiter: Wir Grüne sind für die Zukunft unseres Landes und unserer Kinder und Enkel. Und genau deswegen geht es darum, Menschen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, Technikentwicklung zu gestalten und gezielt Forschung zur Lösung der großen Menschheitsprobleme zu fördern.
Argument Nr. 4: „Die Grünen sind widersprüchlich.“ – Nein, wir sind in der Lage, zu lernen und Positionen, die sich als falsch erwiesen haben, aus unserem Programm zu streichen. Wir entwickeln uns weiter. Ein schönes Beispiel dafür ist die gerade angesprochene Ablehnung des Computers, die 1984 gegolten haben mag, heute aber längst nicht mehr Teil der grünen Programmatik ist. Und: wir sind eine diskursive Partei. Wir streiten uns, wir suchen nach dem richtigen Weg – wir sind liberal und tolerant für unterschiedliche Positionen innerhalb der Partei. Andere – zum Beispiel die FDP – sind dagegen stur und scheinen nicht in der Lage zu sein, sich weiterzuentwickeln.
Argument Nr. 5: „Die Grünen sind gleichmacherisch.“ – Nein, wir wollen eine solidarische Gesellschaft. Wir wollen, dass alle die Chance haben, sich zu entwickeln. Wir wollen, dass Freiheit nicht vom Geldbeutel abhängt. Und genau deswegen gibt es viele grüne Konzepte, die böse mit dem Begriff „Einheitsirgendwas“ belegt werden können (die FDP zählt da Einheitsschule, ‑rente, ‑versicherung, ‑löhne auf). Aber bei genauerem Hinsehen geht’s eben genau nicht darum, irgendwen gleichzumachen. Wir wollen Schulen, in die alle Kinder gehen, ohne dass vorher nach leistungsstark/-schwach sortiert wird. Damit Kinder sich individuell entfalten können. Wir wollen eine Grundrente (dahinter steckt übrigens auch eine Individualisierung) und wir wollen ein Sozialversicherungssystem, bei dem alle mittragen und alle etwas davon haben. Das nennt sich Solidarität und Gemeinschaft – statt Egoismus. Witzig finde ich die „Einheitslöhne“. Entweder meint die FDP damit unsere Forderung, dass gleicher Lohn gleich bezahlt werden soll, egal ob die Arbeit von Frauen oder Männern getan wird. Oder sie will damit auf die Forderung nach Mindestlöhnen eindreschen – und scheint zu glauben, dass es gut wäre, wenn der Markt für Arbeit keinen Boden hat.*
Und was wäre hier die Alternative der FDP? „Wir Liberale setzen auf die Wahlfreiheit des Einzelnen. Wir akzeptieren Verschiedenheit als Bestandteil unserer Gesellschaft und des fairen Wettbewerbs.“ – Klingt schön, heißt aber faktisch doch: Alles soll so bleiben wie es ist. Wer die finanziellen und sonstigen Möglichkeit hat, sich zwischen verschiedenen Optionen zu entscheiden, soll dies tun können, und darf dann auch gerne die Solidargemeinschaft verlassen. Wer die Möglichkeiten nicht hat, – naja, schade, aber so ist das eben mit der Leistung. Und wir (die FDP) akzeptieren Verschiedenheit, das heißt auch: Wir ignorieren, dass strukturelle Gründe verschiedenen Menschen und Gruppen ganz unterschiedliche Entfaltungsräume zuordnen. Wir (die FDP) akzeptieren, dass Männer noch immer andere Möglichkeiten haben als Frauen, voranzukommen. Wir (die FDP) akzeptieren, dass Reiche von Haus aus mehr Chancen mitbringen. Wir (die FDP) akzeptieren, dass große Unternehmen auf dem Markt ganz anders agieren können als Kleine, und gerne auch mal Preise diktieren.
Die These, dass Menschen sich individuell entfalten sollen und über ihr Schicksal selbst entscheiden sollen, wird auch von vielen Grünen geteilt. Die implizite Annahme der FDP, dass es ausreicht, Freiheiten zu gewähren, ohne strukturelle Ungleichheiten und materiell unterschiedliche Chancen in den Blick zu nehmen – der sollten wir jedoch heftig widersprechen. Kurz: das was hier als Gleichmacherei bezeichnet wird, ist die Vorbedingung für Freiheit.
Ich fasse zusammen: FDP-Politik ist teuer für alle, die nicht zu ihrer Klientel gehören. Sie will die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnen. Großprojekte findet die FDP gut, weil sie groß sind – und da hört ihr Verständnis von Zukunft und Fortschritt auch schon auf. Mit Widersprüchen und unterschiedlichen Meinungen, mit Lernerfolgen in einer Organisation: damit hat die FDP nichts am Hut. Und sie will, dass alles so bleibt, und die, die Freiheiten haben, diese behalten, während die, denen heute die Voraussetzungen dafür fehlen, sich frei zu entscheiden, nicht gefördert werden sollen. Oder, um es auf ein paar Schlagworte zu bringen:
Die FDP ist teuer. Sie ist unsozial. Sie ist blind fortschrittsgläubig. Sie kann sich nicht weiterentwickeln. Und sie will Freiheit nur für wenige.
Das ist das Bild, dass die FDP auf ihrer grünen Kampagnenseite von sich selbst zeichnet. Danke schön, FDP!
Warum blogge ich das? Da muss reagiert werden, finde ich. Und hier kann kommentiert werden!
* P.S.: Ich habe jetzt doch nochmal in die Langfassung der FDP-Argumente geschaut. Und was meint ihr, was da zu Einheitslöhnen steht? Nein, weder Mindestlohn noch Gender Pay Gap noch die von mir im Kommentar unten vermuteten selbstverwalteten Betriebe der 1980er – die FDP denkt dabei vielmehr an „Die Grünen haben unter anderem für Lehrer Einheitslöhne gefordert. Damit würden sie den Anreiz, sich im Beruf anzustrengen und weiterzuentwickeln, beseitigen.“ – Schön vage (Wann haben wir das gefordert? Und was heißt u.a.?) und ein schönes Beispiel, wieviel Schaum hinter diesen plakativen Dummheiten steckt.
Leider ist flattr gerade down, aber ich hol das dann nach. Danke für die schnelle und ausführliche Antwort. :-)
P.S.: „Einheitslöhne“ fand ich auch am besten. :-)
Kann natürlich auch sein – wenn die FDP schon die 1980er-Jahre-Computerdebatte rauszerrt – dass ihr da beim Wühlen in 1980er-Jahre-Strickpulli-Rauschebart-Umweltschutzpapieren auch die eine oder andere Position zu „Einheitslöhnen in selbstverwalteten Alternativbetrieben“ entgegen gekommen ist. Weiss jemand, ob das „Grüne Gedächtnis“ vor kurzem Altpapier zu Wikileak gegeben hat – oder wie kommt die FDP sonst auf diese Enthüllungen?
Naja, vielleicht bezieht sich das auch darauf, dass die ersten Abgeordneten ja ihre Diäten bis auf einen „Facharbeiter-Lohn“ an die Partei abgeben mussten.
Aber im Zweifel: erfunden, äh kreativ gewesen ;-)
Hab’s jetzt herausgekriegt (siehe P.S.) oben – es geht darum, dass wir (wann und wo auch immer) mal einen „Einheitslohn für Lehrer“ gefordert haben sollen.
Und mit der einheitlichen Einstufung von LehrerInnen ist dann oft erstmal gemeint, dass für uns GrundschulpädagogInnen nicht schlechter bezahlt werden sollen als die, die in der Sek II unterrichten, Ich weiß nicht, ob das überall Beschlusslage ist, bei uns wird das im Programm jedenfalls drinstehen. Schon interessant, was man alles unter Gleichmacherei verstehen kann.
oh, der Header Webseite gelb-statt-gruen.de erscheint ja gar nicht mehr in „unserem“ schönen grün, sondern FDP-blau…
(btw. hatte gerade versehentlich geld-statt-gruen.de geschrieben – Freud’scher Verschreiber?)
@Lukas: War auch vorher schon so – siehe Screenshot.
Sehr schön finde ich ja auch das Argument
„Die Grünen sind widersprüchlich.
Die Grünen handeln heute anders, als sie früher redeten. Sie agieren widersprüchlich und sind Trittbrettfahrer von Stimmungen, zum Beispiel bei …“
…der Atomkraft – ach nee, das war ja die FDP.
Ganz nach dem Motto „Wir Liberale tragen Verantwortung. Wir stehen für verlässliche und rechtsstaatliche Entscheidungen.“
Wenn Satire von der Realität überholt wird…:-D