Am Montag nahm ich an einer Veranstaltung mit dem schönen Titel „Bologna 2.0“ teil. In den bis auf den letzten Platz besetzten Räumlichkeiten der Jüdischen Gemeinde Mannheim sollte darüber diskutiert werden, wo Deutschland bei der Verwirklichung des Europäischen Hochschulraums steht, und wie die „Reform der Reform“ des Bachelor-Studium aussehen muss. Wie es der Zufall so wollte, war diese Veranstaltung zeitlich prominent platziert – direkt im durch die Hochschulproteste öffentlich auf das Thema Bologna fokussierten Meinungsklima, zwischen der Ankündigung der KMK, einige längst überfällige Reformschritte zu gehen, und dem für Mittwoch angesetzten Bildungsgipfel der Regierung. Neben grüner Hochschulpolitik-Prominenz waren auch viele Studierende und einige Angehörige des wissenschaftlichen Mittelbaus nach Mannheim gekommen. High potential, also.
Die hochgesteckten Erwartungen an das innovative Format – einer gemeinsamen Veranstaltung der Europaabgeordneten Helga Trüpel und Franziska Brantner, des Bundestagsabgeordneten Kai Gehring und der Landtagsabgeordneten Theresia Bauer – wurden jedoch nur teilweise erfüllt.
„Reform der Reform“ und hochschulpolitisches „Dezemberfieber“
Gut gefallen hat mir das Eingangsstatement von Helga Trüpel und Kai Gehring (auch wenn der angesetzte Zeitplan schon da über den Haufen geworfen wurde). Beide stellten die spezifisch deutschen Schwierigkeiten der Bachelor-Master-Umsetzung fest und forderten eine „Reform der Reform“ ein. Die mit der Einführung des Bachelors verbundenen Visionen seien weiterhin stimmig und richtig. Eine Rückabwicklung zum status quot ante sei deswegen nicht sinnvoll. Statt „Dezemberfieber-Aktivismus“ müsse jedoch genau analysiert werden, was schief gelaufen sei.
Kai Gehring nannte hierzu fünf Thesen:
- Bei fast allen Themen des Bologna-Prozesses (Mobilität, Anerkennung von Studienleistung, Abrecherquote, Qualität) lässt sich ein Auseinanderklaffen zwischen Zielsetzungen und tatsächlichen Ergebnissen feststellen.
- Die Umsetzung ist vielfach auf die Struktur begrenzt, was dann zu einer Überstrukturierung bzw. Überformalisierung geführt hat – „rigide kontrollierte Turbostudiengänge mit wenig Wahlfreiheiten“ als Ergebnis, dagegen wenig bei Qualität und neuen Lehr- und Lernformen.
- Statt Gleichwertigkeit geht es vielfach um Gleichartigkeit von Studiengängen, die zugleich viel zu spezialisiert sind. Hier muss entrümpelt werden.
- Bologna kann (trotz Verkürzung der Studienzeiten) keine Sparbüchse sein, sondern funktioniert nur mit einem Mehr an Betreuung – etwa 1,5 Mrd. Euro pro Jahr an Mehrkosten für bessere Studienqualität. Dieser Mehraufwand muss finanziert werden.
- Diskutiert werden muss über den Zugang zum Master – die rigide Hürde zwischen Bachelor und Master hat dem Ganzen nicht gut getan.
Frontale Fakten
Weniger gelungen erschien mir die darauffolgende Podiumsdiskussion – eigentlich wäre es ehrlicher, von fünf Referaten – teilweise mit dutzenden Folien – mit einigen wenigen Nachfragen dazu zu sprechen.
Lea Brunner von der European University Association (dem Gegenstück zur HRK auf europäischer Ebene) wies darauf hin, dass BA/MA in Deutschland unter Hochschullehrenden im europäischen Vergleich besonders schlecht angesehen sind (53% Ablehnung vs. 33% im EU-Schnitt, damit Platz eins der Ablehnung – Eurobarometer 2007). Wichtige Themen für die deutsche Hochschulpolitik seien Akkreditierung, Zeitbeschränkungen, die große Zahl an Prüfungen. Es sei wichtig, den Hochschulen Geld und Kompetenzen zu geben, um ihre Aufgaben auch umsetzen zu können.
Peter Zervakis vom Bologna-Zentrum der HRK nannte die öffentliche Stimmung hinsichtlich der Umsetzung der Bologna-Reformen in Deutschland schlechter als das, was an den Hochschulen tatsächlich geleistet werde. Ziel von Bologna sei nicht die Vereinheitlichung, sondern der Schutz der Hochschulvielfalt in Europa mit europäischen Impulsen für Reformen. In Deutschland sei der Gestaltungsspielraum möglicherweise zu stark eingeschränkt. Erfolge der Reform seien die Studienzeitverkürzung und die steigende Zufriedenheit der Studierenden laut empirischer Umfragen, Handlungsbedarf sei hinsichtlich der Studierbarkeit, der konsequenten Kompetenzorientierung, der Mobilität, der sozialen Studienbedingungen und der Akzeptanz des Bachelors auf dem Arbeitsmarkt gegeben.
Eine wichtige Unterscheidung traf Sybille Reichert (Reichert Consulting), die zwischen der zumindest oberflächlich relativ erfolgreichen strukturellen Harmonisierung und den tieferliegenden Bologna-Zielen trennte. Um letztere – eine studierendenzentriere Lernkultur beispielsweise – umzusetzen, sei ein Zeitraum von mindestens 20 Jahren notwendig. Positiv umgesetzt worden seien vielfach die Strukturziele, aber auch die neu geführte Qualitätsdebatte – auch in Bezug auf Promotionen – sah sie als positives Ergebnis des Reformprozesses. Ein Problem sah sie vor allem in der Mehrkostenfrage nicht nur für die Umstellung, sondern auch für eine verbesserte Betreuung, die Bearbeitung von Zulassungen und die individuelle Anerkennung von Leistungen.
Der Prorektor der Universität Mannheim, Hermann Ebner, sagte vieles und stieß damit auf Unmut im Publikum, auch wenn er drauf bestand, sich nicht für Studiengebühren, nicht gegen studentische Beteiligung, nicht für eine Schließung des Zugangs zum Master und nicht für eine Privilegierung der Universität gegenüber der Fachhochschule ausgesprochen zu haben. Als Punkte seines Vortrags blieb bei mir der Wunsch nach einem Finanzierungsmodell und nach einem sinnvollen Modell zum Übergang Bachelor-Master hängen. Zudem thematisierte er das Problem der nicht auf die Berufsqualifizierung reduzierbaren „employability“ und das Auseinanderlaufen der FH-Uni-Differenzierung.
Paul Sars durfte schließlich noch ein paar niederländische Erfahrungen darstellen – als Hauptunterschied machte er aus, dass die kaufmännische Tradition der Holländer dort dazu führt, dass Bildung als effizient zu regelnde Investition organisiert sei und nicht als Herzensangelegenheit. Dies habe aber auch zur Folge, dass Studiengänge studierbar seien (auch aufgrund von verpflichtenden, in nationale Rankings einfließenden Evaluationen), großer Wert auf die Ausstattung gelegt werde und eine klare „programmierte“ Struktur vorgegeben sei. Wie weit derartiges in Deutschland funktionieren könnte, blieb unklar.
Schade fand ich hier nicht nur, dass kaum Zeit zum Diskutieren vorgesehen war – weder auf dem Podium noch zwischen den ReferentInnen, sondern auch, dass der eigentlich versprochene europäische Vergleich und die Erfahrungen aus anderen Ländern deutlich zu kurz kamen. Ein bißchen erinnerte das nicht nur an das Europäische Parlament, sondern auch an Bologna: viel Stoff in einem starren Zeitraster und Beschäftigung mit den eigenen Problemen statt mit den Lösungen aus anderen Ländern.
Rundherum im Kreis: Workshop Mobilität
Nach der kurz geratenen Kaffeepause ging es dann in zwei Workshops zu den Themen der sozialen Gerechtigkeit und der Mobilität. Zumindest letzterer war dann wiederum recht innovativ. Eine relativ kleine Gruppe konnte nach einem kurzen Input von Theresia Bauer unter der Moderation von Jacqueline Klimesch von Campusgruen ausfuehrlich alle Aspekte der Mobilität diskutieren. Nicht frontal, sondern in kommunikativerer Sitzordnung, und abgerundet durch ein „Blitzlicht“, bei dem alle nochmals die wichtigsten Ideen darstellen konnten.
Thematisch beschränkte sich der Workshop nicht auf die internationale Mobilität. Zur Sprache kam auch die interuniversitäre Mobilität in Deutschland, die Bachelor-Master-Schranke und die intrauniversitäre Mobilität, also der Fachwechsel. Als wichtiger Punkt bei der internationalen Mobilität erwies sich der Blick auf soziale Hürden – und auf die Anerkennungspraxis (aber: muss überhaupt alles anerkannt werden). Deutlich wurde hier auch, dass zwischen dem Bologna-Ideal – der Spezifizierung portabler Kompetenzen – und der Bologna-Praxis – der Spezifizierung gelernter Inhalte, und zwar bitte genau der richtigen – große Lücken klaffen. Umstritten war im Workshop nicht nur die Frage, wie viel Mobilität überhaupt für ein – im Sinne des Bildungsideals – erfolgreiches Studium notwendig ist (ich gebe zu, dass ich mit einer etwas provokanten Intervention nicht ganz unschuldig bin an dieser Themensetzung), sondern auch das Wechselspiel zwischen generellen Vorgaben und Freiräumen.
Dieses lässt sich das auf den Punkt bringen, dass es gut wäre, wenn Bachelor-Studiengänge verpflichtend Freiräume enthalten würden. Wenn nicht jeder ECTS-Punkt festgelegt ist, sondern größere Mengen Zeit – auch ein wichtiges Thema – frei verfügbar sind, dann erleichtert das auf jeden Fall Mobilität: internationale ebenso wie den Blick in andere Fächer, und senkt die Hürden bis hin zur Angst vor der „Fehlinvestition“.
Wer aber soll Freiräume vorschreiben? Hier kam die Diskussion noch einmal auf die Akkreditierungsthematik zu sprechen. Nicht nur auf Zustimmung – überwiegend aber wohl schon? – stieß dabei der Vorstoss von Theresia Bauer, den Weg „Akkreditierung“ zur Qualitätssicherung als gescheitert zu erklären, das Akkreditierungssystem aufzulösen und nach einer neuen Lösung für das Problem zu suchen.
Finale in der Fishbowl
Zum Abschluss wurde eine Fishbowl-Diskussion abgehalten, das ist eine Diskussion mit leeren Plätzen, die durch Menschen aus dem Publikum besetzt werden können, um mitzureden. Moderiert wurde diese Abschlussrunde von taz-Journalist Christian Füller. Dessen Moderationsstil fand ich etwas gewöhnungsbedürftig – sehr direkt, sehr konfrontativ, ungefähr meiner Klischeevorstellung von Privatfernsehtalkrunden entsprechend.
Thematisch hakte sich die Fishbowl erst einmal an der Akkreditierungsfrage fest. Auch hier kam mir das eigentlich spannende – Bologna 2.0 – etwas zu kurz zwischen den üblichen Großthemen Studienfinanzierung, Lebensunterhaltsfinanzierung, Zugang und Demokratie. Irgendwann saß ich dann auch vorne. Mein Fazit, wie Bologna besser werden kann: durch eine Finanzierung der Mehrkosten (siehe auch oben) – und durch ein echtes „Loslassen“ in den Ministerien und Studienkommissionen, also gelebte Freiheit.
Warum blogge ich das? Schon wieder so ein langer Bericht – aber nachdem ich auf der Zugfahrt mit dem Niederschreiben angefangen hatte, wollte ich’s dann doch auch beenden. Vielleicht schaffe ich es auch noch, zeitnah ein paar knackige Thesen aus dem ganzen rauszuschneiden. Ich würde mich aber auch über Diskussionsbeiträge hierzu freuen.
Lieber Till,
vielen Dank für den umfassenden und sachlichen Bericht der Veranstaltung. Ich kann Deine gemischte Bewertung sehr gut nachvollziehen, mehr Blick nach vorne, und auf Lösungsansätze, hätte gut getan.
Trotzdem war die Veranstaltung für mich als Einsteiger in dieses Thema sehr hilfreich.
Thomas
Danke für den Kommentar – mich würde durchaus auch weitere Eindrücke weiterer Beteiligter von der Veranstaltung interessieren (von Florian Bernstorff habe ich bei Facebook schon einen ebenfalls recht ausführlichen Bericht gelesen – den scheint es aber nicht öffentlich zugänglich zu geben).
Da Du „Mobilität“ und „soziale Hürden“ in einem Absatz nennst, interessiert mich, ob denn auch die finanziellen Aspekte der wünschenswerten und geforderten Mobilität angesprochen wurden. Praktisch generiert der Wechsel des Studienortes und noch mehr das Auslandssemester Studiennebenkosten in erheblichem Umfang, namentlich Bürokratiekosten, Fahrtkosten, Umzugskosten und zusätzliche Wohnkosten, sicher hab ich auch noch was vergessen. Für Leute, die sich einen Teil des Studiums durch Jobs finanzieren, kommt die Schwierigkeit dazu, sich auf einem anderen regionalen Arbeitsmarkt zurechtfinden zu müssen.
Für viele sind diese Punkte erhebliche Hinderungsgründe für einen Ortswechsel.
Langer Rede, kurzer Sinn: Am Ende hängt es doch wieder an einer Studienfinanzierung, die mehr als 10% eines Abschlussjahrgangs erreichen muss.
@Kay: genau diese Punkte wurden auch thematisiert – deswegen nenne ich das auch in einem Absatz.
The students have an access buy the research papers and buy an essay at the research paper writing services about this good topic.
[Spam, aber de-linked freigegeben, weil ich diesen Spam in mehrer Hinsicht absurd finde – offensichtlich eine Reaktion auf Bachelor, Master oder ähnliche Keywords, und für ein Werbung für einen Service, um Hausarbeiten abzustauben, dann doch sehr ungrammatisch]
Inzwischen gibt’s auch die offizielle Dokumentation der Veranstaltung – nämlich hier.