Einstimmig bei drei Enthaltungen hat die grüne LDK sich mit den Bildungsprotesten solidarisiert, indem sie dem Antrag „A‑10-neu“ (Update: jetzt online) zugestimmt hat. Die Entstehungsgeschichte dieses Antrags ist nicht uninteressant: zum einen haben Dennis Neuendorf und Agnieskza Malczak eine Resolution eingebracht. Etwa zeitgleich gab es einen Antrag von Johannes Waldschütz, Henning Schürig, mir und einigen weiteren, der während einiger Stunden im „Etherpad“ entstanden ist. Dennis, Johannes und ich haben dann beide zum jetzt beschlossenen Antrag zusammengebracht – wiederum im Etherpad.
Eingebracht wurde der Antrag von mir (meine Rede ist unten zu finden) – nach einer lauten Protestinszenierung („Wessen Bildung?“ – „Unsere Bildung!“), nach der Dennis Neuendorf aus dem Streik an der Stuttgarter Uni berichtete, und Campusgrün Baden-Württemberg vorgestellt wurde. Ich bin froh, dass der Parteitag dann mit der einstimmigen Annahme des Antrags ein deutliches Zeichen gesetzt hat. Denn hinter der Solidaritätserklärung – die gibt es zur Zeit ja zu Hauf – steht eine Bildungspolitik, die genau in die richtige Richtung geht.
Die Bildungsproteste waren aber auch vor diesem Tagesordnungspunkt schon ein großes Thema – in der politischen Rede von Cem Özdemir, in einem Redebeitag von Theresia Bauer, bei Oliver Hildenbrand von der Grünen Jugend und auch bei Winfried Kretschmann. Grüne als Bildungspartei – das war vor ein paar Jahren noch eine Vision. Inzwischen ist das definitiv eine grüne Kernkompetenz.
Hier jetzt noch mein Redemanuskript zur Antragseinbringung:
Liebe Delegierte,
als Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik möchte ich euch den Antrag A10-neu vorstellen. Diese Antrag hat einen aktuellen Anlass – dazu wurde ja gerade schon einiges gesagt. Mit diesem gemeinsam erarbeiteten Antrag möchten wir euch vorschlagen, dass wir Grüne uns mit den Bildungsprotesten solidarisieren und bitten dafür um Unterstützung.
Worum geht es? Wer Zeitung liest, konnte dort in den letzten Tagen auch lesen, dass es sich bei den Protesten von Studierenden und Schülerinnen und Schülern schon fast um eine folkloristische Angelegenheit handle. Das Stück Bildungsstreik werde mit großem Engagement und lautem Geschrei alle paar Jahre wieder aufgeführt. Und ebenso komme es dann immer wieder zu ritualisierten Solidaritätsbekundungen und Absichtserklärungen.
Da ist was Wahres dran. Ein schönes Beispiel dafür ist Bundesbildungsministerin Annette Schavan, die jetzt in Aussicht stellt, im nächsten Herbst das Bafög zu erhöhen. Dieser Schritt ist zwar richtig, aber auch unzureichend. Vor allem aber stellt sich die Frage: kann es denn wirklich sein, dass längst notwendige Korrekturen in der Hochschulpolitik erst dann angegangen werden, wenn Hochschulen bestreikt und Hörsäle besetzt werden?
Deutlich wird hier ein großflächiges Politikversagen von CDU und FDP. Zwar wird Bildung als „Standortfaktor“ in Sonntagsreden hochgehalten. Tatsächlich getan wird wenig, jedenfalls nicht das, was in den schwarzen Reden bejubelt wird. Einsicht für Realitäten und für die Konsequenzen des politischen Handelns erfolgt nur langsam. Der „schwarze Faden“ der tatsächlich umgesetzten Bildungspolitik ist dagegen einer, bei dem Elitebildung, Selektion und wirtschaftliche Verwertbarkeit im Vordergrund stehen. Dass Studiengebühren dazu führen, dass eigentlich studierwillige junge Menschen das Studium dann eben doch nicht aufnehmen, ist dieser Bildungspolitik ebenso egal wie die Belastung durch rigorose Tests, hochselektive Auswahlverfahren und vielfach kaum leistbare Studiengänge im Bachelor-System.
Nur um das klarzustellen: viele Ziele der Bologna-Reform sind richtig. Dass es Reformbedarf gibt, wird jetzt jedoch überdeutlich. Ich freue mich, dass auch die grüne Landtagsfraktion dies so sieht und hier aktiv geworden ist.
Denn letztlich bedeutet die heutige baden-württembergischen Umsetzung der Bologna-Reformen, dass von den Studierenden erwartet wird, eine 40-Stunden-Woche an der Hochschule noch irgendwie mit Erwerbsarbeit zur Finanzierung der Studiengebühren zu verbinden. Oft ist jede einzelne Klausur examensrelevant. Dass dann zunehmend mehr Studierende psychologische Hilfe suchen, weil sie diesem Druck nicht standhalten können, dass weiterhin recht hohe Abbrecherquoten vorliegen, und dass politisches und gesellschaftliches Engagement zurückgefahren wird, ja, dass in Scheuklappen studiert wird, statt akademische Freiräume zu finden – all das kann niemanden verwundern, der nicht die letzten Jahre die Augen und Ohren verschlossen hat.
Die Bildungsproteste sind daher etwas ganz anderes als Folklore.
Sie sind schlicht und einfach notwendig, um etwas in Bewegung zu bringen – im europäischen Hochschulraum, aber auch hier vor Ort im Ländle.
Inhaltlich ist vieles von dem, was jetzt kritisiert und gefordert wird, Kernbestandteil grüner Politik. Denn auch für uns Grüne ist der Zugang zu Bildung zunächst einmal eine zentrale Gerechtigkeitsfrage. Unsere Schul- und unsere Hochschulpolitik greifen hier ineinander: wir wollen individuelle Förderung statt Selektion Wir wollen Investitionen in Bildung und in neue Studienplätze. Und wir sind gegen alle sozialen Hürden für den Zugang zu Bildung – explizite wie Studiengebühren meinen wir damit genauso wie implizite Hürden beispielsweise durch das Chaos, dass es immer wieder bei den Bewerbungsverfahren gibt.
Grüne Politik und die Kritikpunkte der ja auch von grünen Studierenden und Hochschulgruppen mitgetragenen Protestbewegung passen gut zusammen. Wir Grüne setzen uns politisch schon lang für die Ziele des Protests ein, und wir werden dies auch weiterhin tun. Genau da liegt der Unterschied zu den ritualisierten Solidaritätsbekundungen.
Deshalb ist es richtig und konsequent, wenn wir uns mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Proteste solidarisieren. Das ist das Ziel des Antrags A10-neu. Und dafür bitte ich euch um eure Unterstützung!
Warum blogge ich das? Zur Dokumentation einer schönen und ziemlich spontan entstandenen Parteitagsaktion.
Schön. :-)
„Deutlich wird hier ein großflächiges Politikversagen von CDU und FDP“
Hmm. meines Erachtens haben die Streiks ja auch eine bundespolitische Dimension – und da waren bis vor kurzem CDU und SPD in einer Regierung. Und in Ländern, die SPD-regiert sind (z.B. RLP, Berlin), gibt es meines Wissens nach auch Proteste. Insofern ist das nicht so ganz einfach entlang der politischen Linien zu sortieren, wie hier suggeriert wird.
@Tim: bundespolitisch gesehen hast du recht (und in Rheinland-Pfalz z.B. geht’s ja auch gegen die SPD um Studiengebühren) – in Baden-Württemberg scheint’s mir derzeit schon recht klar nach großen Lagern sortierbar zu sein.
@Till
Klar, nämlich nach Regierung und Opposition. (Ich behaupte einfach mal, dass auch eine andere Regierung in Bawue nicht alles Wünschenswerte für die Hochschulen finanziert bekäme)
@Tim: Natürlich hätte auch eine andere Regierung Haushaltszwänge – aber eine ein klein bißchen andere Schwerpunktsetzung wäre schon drin. Und im oben zitierten Politikversagen steckt ja nicht nur die Haushaltsfrage. Zöllner im rot-roten Berlin glänzt hinsichtlich solider Hochschulpolitik auch nicht, das ist ebenfalls richtig. Und Bulmahn als damalige SPD-Ministerin hat auch einige Mitschuld am Bologna-Dilemma. Also gut: wir brauchen dringend mehr grüne Bildungs- und HochschulministerInnen!
@till
ich befürchte, dass auch grüne bildungsministerInnen nicht alle wünschenswerte mitmachen würden… grün ist mE zwar sicherlich die beste wahl für eine vernünftige bildungs- und hochschulpolitik, aber grün hat eben auch andere schwerpunkte, die auch geld kosten.
will sagen: liebe studis, nicht nur grün wählen, sondern auch in die partei eintreten und die dortige prioritätensetzung mitbestimmen.
Zur Ergänzung hier noch der vor zwei Wochen verabschiedete Beschluss des Landesvorstands zu den Bildungsprotesten.