Ich muss nur mal schnell meinen Ärger über den Beitrag von Till Ehrlich aus der Wochenends-taz loswerden. Vorgeblich soll es sich dabei um eine kleine Kulturgeschichte des Soja-Fleischersatzes handeln. Tatsächlich fasst folgender Satz am Schluss das Problem des Artikels gut zusammen:
Doch warum können und wollen Vegetarier nicht auf Fleischgeschmack verzichten? Und weshalb greifen sie wirklich zu Tofu mit Wurstaroma, obwohl sie Fleisch strikt ablehnen?
Diese Fragen implizieren doch zweierlei: das zu einem „richtigen Essen“ eigentlich – zumindest in unserem Kulturkreis – immer auch Fleisch gehört, und alles andere zweite Wahl ist, und dass VegetarierInnen etwas gegen Fleischgeschmack haben müssen.
Hier kapiert jemand nicht, dass die Entscheidung, sich vegetarisch zu ernähren, in den meisten Fällen gesundheitlich oder politisch-ethisch begründet ist – wer vegetarisch isst, tut das, weil es gesünder sein soll, weil die Ökobilanz von Fleisch verheerend ist, oder weil er oder sie es für falsch hält, Tiere zu halten und umzubringen, um sie zu essen. Nur die wenigsten werden wohl aus geschmacklichen Gründen VegetarierInnen. Natürlich entwickelt, wer sich vegetarisch ernährt, eine andere Ästhetik des Essens als jemand, der das nicht tut. Das heißt aber noch lange nicht, dass es einem Vegetarier oder einer Vegetarierin unmöglich ist, mit Genuß, gebratene oder gegrillte Produkte aus Tofu oder Seitan zu essen, die das Aroma von Fleisch zitieren. Wer so etwas suggeriert (um damit letztlich seine kulinarische Abscheu vor „westlichem“ Tofu zu untermauern), macht was falsch – Spitzenkoch hin oder her.
diese logik von orginal und fälschung muss eh mal dekonstruiert werden! :) würste wachsen in der form ja auch nicht am schwein.
Frage mich außerdem, ob VegetarierInnen wirklich nicht darauf verzichten können oder wollen.
Halte das irgendwie nur für so eine Gewohnheit mit der „Lust auf Fleischgeschmack“ und mir wäre jetzt auch niemand bekannt, der zu jeder Mahlzeit aus Verzweiflung Tofufleischersatz isst.
Wird auch gerade auf Indymedia behandelt: http://de.indymedia.org/2009/06/254899.shtml
Was ich fast noch besser fand: Vegetarier_innen zwischen den Zeilen für die Regenwaldabholzung wegen Sojaanbau verantwortlich zu machen – obwohl das so produzierte Soja meines Wissens vor allem in die Viehhaltung geht…
[und das schreibt ein Nichtvegetarier]
[vom Facebook-Kommentar noch rein in den „echten“ Blog…da besteht ganz klar eine Vernetzungs-Lücke – web 2.0‑programming, anyone?]
Ich leb ja mit einer Vegetarierin zusammen und da spielt der „Geschmack“ auch keine Rolle. Sie findet den Geschmack im Gegenteil gar nicht „lecker“ und lehtn auch „Ersatzprodukte mit Geschmack“ ab. So wie oben beschrieben.
Tofu kenne ich bei allen Vegetariern eigentlich nicht als „Fleischersatz“ des Geschmacks wegen, sondern als weiteres Gericht.
Aber mir schmeckt Tofu eh nicht… ;-)
Die taz dieses Wochenendes nimmt das Thema Tofu nochmal auf – mit einer ganzen Seite LeserInnenbriefe, einer erneuten Stellungnahme von Till Ehrlich („ich habe nichts falsch gemacht – ihr müsst sehen, dass ich recht habe“) – und der dämlichen Einleitung „Tofu-Hasser und Tofu-Liebhaber“. Es wundert mich nicht, dass das Thema Wellen schlägt (bisher wohl über 400 LeserInnenbriefe). Das ganze auf Tofu-Liebe vs. Tofu-Hass, Yuppie-VeganerInnen vs. deutsche Esskultur zu reduzieren, ignoriert aber einen Aspekt, der m.E. ziemlich wichtig ist: es geht auch um Hochkultur (Sternekoch und Feinschmecker, ich definiere, was legitim ist) und Populärkultur (wenn Tofu-Bratwurst schmeckt, warum nicht?).
Hi Till! Danke für das Feedback. Kannst du mehr darüber schreiben was genau da drin steht oder sogar einen Scan zur Verfügung stellen? Würd mich sehr freuen.
Mein diesbezüglicher Leserbrief ist heute abgedruckt worden. Nur falls es jemand interessiert.
@Hermann: hier sind die angesprochenen LeserInnenbriefe; den erneuten Text von Herrn Ehrlich finde ich leider nicht online.