Zum Thema Studienanfängerzahlen liegen heute zwei Pressemitteilungen in meiner Mailbox. Die erste kommt von der grünen Bundestagsfraktion:
Erneut haben mehr junge Menschen auf ein Studium verzichtet. Laut Statistischem Bundesamt sanken die Zahl der Studienanfängerinnen und ‑anfänger um fünf Prozent. Dazu erklärt Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher:
Der Rückgang der Studienanfängerzahlen ist ein peinliches Armutszeugnis für die Hochschulpolitik von Bund und Ländern. Weniger Studienanfänger sind ein Alarmsignal an die Wissenschaftsminister in Bund und Land.
Die zweite, ein paar Stunden später, von Bildungsministerin Schavan:
Bundesbildungsministerin Annette Schavan sagte am Dienstag in Bonn: „Der Abwärtstrend bei der Entwicklung der Studienanfängerzahlen ist gestoppt. Seit 2007 haben endlich wieder mehr junge Menschen ein Studium aufgenommen als im Jahr zuvor. Damit zeigt der Hochschulpakt erste Wirkung. Wir rechnen auch künftig mit steigenden Zahlen bei den Studierenden. […]“
Beim Statischen Bundesamt gibt es unterschiedliche Daten: die Zahl der Studierenden ist von 2005 nach 2006 gesunken, und liegt auch im WS 2007/08 etwas unter den Vorjahreszahlen. Zur Zahl der StudienanfängerInnen heißt es auf einer Pressekonferenz im Dezember 2007, dass diese 2007 im Vergleich zum Vorjahr um 4 % gestiegen ist. Von 2003 bis 2006 ist die Zahl der StudienanfängerInnen dagegen jedes Jahr gesunken, auch die „Studienanfängerquote“ (d.h. der Anteil der StudienanfängerInnen an der gleichaltrigen Bevölkerung) ist in diesem Zeitraum jedes Jahr gesunken und erreicht 2007 mit 36,6 % auch noch lange nicht die Werte von 2005 oder den Vorjahren. Eine neuere Pressemitteilung dazu habe ich nicht gesehen.
In der Heidenheimer Neue Presse findet sich zumindest eine Erklärung, warum das Thema jetzt auf die Agenda gelangt:
Warum die Deutsche Presseagentur (dpa) gestern die einige Monate alten Angaben mit dem Jahresergebnis von 2003 verglich und zur Schlagzeile „Immer mehr junge Menschen verzichten auf ein Studium“ gelangte, bleibt ein Geheimnis. Tatsächlich könnte das Jahr 2007 zum Wendepunkt werden nach mehrjährigem Rückgang der Bereitschaft junger Menschen, nach bestandenem Abitur ein Studium anzuschließen. Denn die endgültigen Zahlen für 2007, die mittlerweile aus den Ländern gemeldet wurden, übertreffen die vorläufigen Angaben offenbar noch. Von einem Plus von 4,7 Prozent ist jetzt bereits die Rede.
Damit bleiben alle Unklarheiten offen – die Datengrundlage scheint tatsächlich das oben bereits angesprochene Material zu sein. Das gibt beim direkten Vergleich 2006/2007 erst einmal Schavan recht – der mehrjährige Trend bleibt jedoch sichtbar. Es bleibt also offen, ob es sich bei diesen Zahlen tatsächlich um das Ende des „Abwärtstrends“ handelt, wie Schavan es interpretiert, oder ob der Trend weiter nach unten zeigt, wie es Gehring es darstellt. Das wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen.
Interessant ist es jedenfalls schon, wie hier aufgrund der selben Quelle ganz unterschiedliche politische Einschätzungen vermittelt werden, indem unterschiedliche Vergleichsjahre herangezogen werden. Den Daten dürfte es egal sein; als Faustregel bleibt vielleicht die Einsicht, dass die Latenzzeit politischer Maßnahmen mitunter beträchtlich sein kann, was aber nicht unbedingt immer berücksichtig wird, wenn diese gelobt werden, und dass es hilfreich ist, sich im Zweifelsfall die Datengrundlage selbst anzuschauen.
Warum blogge ich das? Vielleicht trägt’s zur hochschulpolitischen Aufklärung bei.
Ich kenne diese Zahlen von Destatis, wo nun auch keine Zunahme erkennbar ist, erst recht nicht im Vergleich zu Nationen, die diese Liste anführen.
Hallo Tina, die von Dir genannten destatis-Zahlen habe ich auch gesehen, allerdings ist der Zusammenhang zwischen StudienanfängerInnen und Gesamtzahl der Studierenden (um die es dabei geht) ja auch nicht so ganz einfach. Ich hatte auch schon überlegt, ein Diagramm mit a. den AnfängerInnen-Zahlen und b. den AbsolventInnen-Zahlen anzulegen, um zu schauen, ob da mit einem Versatz von ca. 4 Jahren das selbe Wellenspiel zu beobachten ist. War mir dann aber doch zu aufwendig.
Zu den UN-Zahlen: da kommt halt die Unklarheit dazu, was tertiary education in den jeweiligen Ländern ist (duales Bildungssystem vs. berufsbezogene BAs usw.). Aber danke für den Hinweis; der macht nochmal deutlich, wie elitär das deutsche Bildungssystem ist.
(BTW: die 11 Herausforderungen haben mir gut gefallen).
Hi Till, genau auf den elitären Aspekt wollte ich hinaus – die internationale Statistik ist natürlich mit Schwächen und Mängeln behaftet wg. Quellen, Zählgrundlagen, Bildungssystemen, Jahreszahl aus der die Statistik stammt etc.. Eine OECD-Zahl aus 2006, die ich leider nicht gefunden hatte, behauptete einen Anstieg der Studienanfänger um ca. 8 Prozentpunkte über 8 Jahre – also auch nicht Südkorea.
Mir ging es ja darum, dass nicht nur andere Industrienationen, sondern auch vormalige Entwicklungs- und Schwellenländer Aufwand und Mühen nicht scheuen, um das Gros ihrer Jugend in ein Studium oder Kurzstudium hineinzubringen, während die deutsche Hochschulpolitik auf den Abbau der Überlast hinausläuft und deshalb nicht den großen Ausbau der Kapazitäten und Stellen vorsieht. Klar, eine tertiäre Ausbildung in Usbekistan ist vermutlich mit einem Studium in Stanford oder auch der Uni Freiburg gleichzusetzen. Aber das wird der BA hier auch bedeuten: Die Industrie hat nichts dagegen einzuwenden, den Chemie-Absolventen anstelle des Chemikanten an die Anlage zu stellen, die BA Krankenpflegerin erwartet dieselbe Tätigkeit wie die Krankenpflegerin aus der Ausbildung, der BA Soziologe könnte sich als Sachbearbeiter wiederfinden. Es spricht einiges dafür, dass die Wirtschaft diese Entwiclung jetzt bei der Aussicht auf BA Absolventen schon vorweg nimmt.
p.s. Danke, Dein hochschulpolitischer Artikel hier hat mir auch gut gefallen. Politisch bloggen liegt ja in Ermangelung einer Opposition und nach den Ausführungen von Herrn Köhler wieder ganz im Trend.
Memo to self: Bei näherem Hinsehen passiert sowas ständig, wie mir grade auffällt. Da wird das Konstanzer Studierendensurvey veröffentlicht, und bringt z.B. die Bundesministerin zum Jubeln (z.B. hier im Spiegel online) – und die taz zu einem ziemlich kritischen Artikel.