Grüner Zukunftskongress in Sicht

Reinhard Bütikofer IIGes­tern fand in Stutt­gart die baden-würt­tem­ber­gi­sche Regio­nal­kon­fe­renz zum grü­nen Zukunfts­kon­gress statt. Die­ser selbst wird vom 1. bis 3. Sep­tem­ber in Ber­lin ver­an­stal­tet. Die Regio­nal­kon­fe­renz in Stutt­gart hat­te ihren Fokus auf der Fra­ge nach dem Ver­hält­nis von Staat, Markt und Zivil­ge­sell­schaft. Der Tag in Stutt­gart war zwei­ge­teilt: vor­mit­tags gab es zwei Reden (Rein­hard Büti­ko­fer und Warn­fried Dett­ling) und danach noch eine inner-grü­ne Talk­run­de, der Nach­mit­tag war vier par­al­lel statt­fin­den­den Foren gewid­met. Rein­hard Büti­ko­fer kon­zen­trier­te sich in sei­ner Rede vor allem dar­auf, deut­lich zu machen, war­um ein grü­ner Zukunfts­kon­gress jetzt (Oppo­si­ti­on usw.) sinn­voll und not­wen­dig ist, und dass es sich dabei nicht um ein ein­ma­li­ges Debat­ten­event han­deln soll, son­dern um den Ver­such, Dis­kus­si­ons­pro­zes­se und kon­kre­te Pro­jek­te in der Par­tei anzu­sto­ßen. Die im Grund­satz­pro­gramm fest­ge­leg­te Wer­te­ori­en­tie­rung soll dabei nicht in Fra­ge gestellt wer­den. Büti­ko­fer plä­dier­te aber dafür, auf dem Hin­ter­grund der dort ver­an­ker­ten Wer­te eine prag­ma­ti­sche Poli­tik öko­lo­gi­scher und gesell­schaft­li­cher Moder­ni­sie­rung durch­zu­füh­ren. Dazu gehö­re es auch, sich nicht auf ein rot-grü­nes Pro­jekt fest­zu­le­gen, son­dern anzu­stre­ben, bald mög­lichst wie­der Gestal­tungs­kraft zu wer­den – so oder so.

Warn­fried Dett­ling, bekannt aus sei­nen Zei­tungs­ko­lum­nen und Büchern nahm sein Impuls­re­fe­rat zum Anlass, die Grü­nen auf­zu­for­dern, als Par­tei mit eher intel­lek­tu­el­le­ren Anhän­ge­rIn­nen und Wäh­le­rIn­nen kom­ple­xe­re Kon­zep­te auf­zu­grei­fen und nicht in die Ver­ein­fa­che­rer-Schie­ne hin­ein­zu­ge­ra­ten. Dabei sah er das 20. Jahr­hun­dert als das Jahr­hun­dert der Gegen­sät­ze (nicht nur zwi­schen Staat und Markt als unter­schied­li­chen Koor­di­na­ti­ons­for­men, son­dern auch zwi­schen Demo­kra­tie und Dik­ta­tur) und rief dazu auf, das 21. Jahr­hun­dert zum „Jahr­hun­dert der Syn­er­gien und der Balan­ce“ zu machen. Dem­entspre­chend gro­ßen Wer­te leg­te er dar­auf, deut­lich zu machen, wie wich­tig es ist, öko­no­mi­sche Logi­ken für staat­li­ches Han­deln aus­zu­nut­zen, auf zivil­ge­sell­schaft­li­che Poten­zia­le zu set­zen usw. Mir kam das alles etwas ein­sei­tig vor – zwar sprach Dett­ling auch von der „Ent­po­li­ti­sie­rung der Poli­tik“; die zukünf­ti­ge Rol­le, die Ord­nungs­po­li­tik, Recht und poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen spie­len sol­len, war jedoch etwas unter­be­lich­tet in sei­nem Vor­trag. Ande­re Stel­len in sei­nem Vor­trag gefie­len mir bes­ser: etwa im Ver­weis auf Amar­tya Sen die Defi­ni­ti­on mensch­li­cher Ent­fal­tung als staat­lich-gesell­schaft­li­cher Auf­ga­be bzw. Orientierungslinie.

Green discussion IDen Abschluss des Vor­mit­tags bil­de­te eine Talk-Run­de (das natür­li­che Milieu der Poli­ti­ke­rIn­nen). Wäh­rend im Pro­gramm noch eine Mode­ra­ti­on durch eine Zei­tungs­re­dak­teu­rin ange­kün­digt war, über­nah­men die Auf­ga­be dann doch die bei­den Vor­sit­zen­den Petra Selg und Andre­as Braun, die jeweils einen der Talk-Kon­tra­hen­ten – Win­fried Kret­sch­mann bzw. Fritz Kuhn – „betreu­ten“. Lei­der muss gesagt wer­den, dass sich unse­re Vor­sit­zen­den mit der Mode­ra­ti­on der bei­den grü­nen Urge­stei­ne (die ja bekann­ter­ma­ßen inzwi­schen inner­halb des real­po­li­ti­schen Flü­gels eher kon­trä­re Posi­tio­nen ver­tre­ten) schwerta­ten. Das Niveau der Dis­kus­si­on sank schnell auf die Ebe­ne per­sön­li­chen Belei­digt­seins und die Tages­po­li­tik der För­de­ra­lis­mus­re­form, statt grund­sätz­li­cher über das Ver­hält­nis von Staat und Bür­ge­rIn­nen und die Rol­le der Par­tei­en und der Poli­tik dabei zu dis­ku­tie­ren. Kuhn erwies sich dabei – unab­hän­gig von sei­nen Posi­tio­nen – als deut­lich sou­ve­rä­ner (viel­leicht hat­te er auch ein­fach nur die bes­se­re Rhetorik).

Nach­mit­tags ent­schied ich mich dann für das Forum „Sozialpolitik/Grundsicherung“ (die Alter­na­ti­ven wären der Schau­kampf Oswald Metz­ger vs. Ger­hard Schick, die Bil­dungs­po­li­tik am Bei­spiel einer Wal­dorf­schu­le, oder noch rela­tiv inter­es­sant, die Fra­ge Wirt­schaft vs. Öko­lo­gie oder Wirt­schaft und Öko­lo­gie gewe­sen – letz­te­res in der Dis­kus­si­on mit Unter­neh­mer­ver­tre­tern). Also, Sozi­al­po­li­tik. Das Forum erwies sich als gute Wahl, stell­te doch Tho­mas Pore­ski ein aus­ge­ar­bei­te­tes Kon­zept für ein Grund­si­che­rungs­mo­dell vor, das etwas weni­ger radi­kal als die Vor­schlä­ge aus der PDS oder von Götz Wer­ner gestal­tet war. In knap­pen Zügen: 500 Euro für alle (die fünf Jah­re legal in Deutsch­land leben), ohne Bedürf­tig­keits­prü­fung (damit exis­ten­zi­el­le Absi­che­rung und deut­lich gerin­ge­re „Erpes­sbar­keit“), Umwand­lung von Ren­ten- und Kran­ken­ver­si­che­rung, Bei­be­hal­tung diver­ses zusätz­li­cher staat­li­cher Leis­tun­gen, auch der Arbeits­markt­po­li­tik, Finan­zie­rung über eine Ver­än­de­rung des Ein­kom­mens­steu­er­mo­dells. Aus­führ­lich kann das unter http://www.grundsicherung.org nach­ge­le­sen wer­den. Den Gegen­part im Forum über­nahm Big­gi Ben­der als zustän­di­ge Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te, die ihre Skep­sis dar­an deut­lich zum Aus­druck brach­te, dabei jedoch rela­tiv sach­lich blieb. Ihr erschie­nen Kom­bi­lohn­mo­del­le und Ver­bes­se­run­gen bei Hartz-IV sinn­vol­ler. Auch die Forums­dis­kus­si­on ins­ge­samt war kon­tro­vers (Arbeits­an­rei­ze oder nicht, Men­schen­bild, …), wur­de aber gut mode­riert (Bea­te Mül­ler-Geme­cke) und blieb auf der sach­li­chen Ebe­ne. Inhalt­lich habe ich den Ein­druck, dass sich das vor­ge­schla­ge­ne Modell – trotz eini­ger Detail­schwä­chen – gut dazu eig­net, in eine neue grü­ne Grund­si­che­rungs­de­bat­te ein­zu­stei­gen. Und das wäre ja durch­aus auch schon was, über­wog doch bis­her der Ein­druck des Behar­rens auf dem angeb­lich machbaren.

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