Zehn Dinge, die an der re:publica toll waren

rp13.3

Fast hät­te ich geschrie­ben: Es war nicht alles schlecht. Aber ernst­haft, und um das mit dem Kar­ma nicht ganz den Bach run­ter­ge­hen zu las­sen nach mei­nem wüten­den Kom­men­tar ges­tern (inzwi­schen auch bei CARTA), hier mei­ne Lis­te (Lis­ten gehen immer …) von zehn Din­gen, die mir an der #rp13 gut gefal­len haben:

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Zwischen Wissenschaft und Kunst (Update: Bebilderung)

I am a hard bloggin' scientist. Read the Manifesto.

Futu­ris­ti­sches fran­zö­si­sches Design – selt­sam geschwun­ge­ne Lini­en und Far­ben – sind viel­leicht der rich­ti­ge Kom­men­tar zu der Kon­fe­renz, an der ich gera­de zeit­wei­se teil­ge­nom­men habe. Das Design lie­fert der TGV, der mich von Zürich, der unbe­kann­ten Metro­po­le in den Ber­gen, zurück zur deut­schen Gren­ze bringt. Der dies­jäh­ri­ge Kon­gress der Schwei­zer STS-Com­mu­ni­ty (STS steht je nach Kon­text für Sci­ence, Tech­no­lo­gy, Socie­ty oder für Sci­ence & Tech­no­lo­gy Stu­dies) stand unter dem Mot­to „Sci­ence­Fu­tures“: wis­sen­schaft­li­che Zukunfts­bil­der, Zukunfts­for­schung, lite­ra­ri­sche und künst­le­ri­sche Ver­ar­bei­tun­gen etc. 

TGV Zürich-Paris
Die ange­spro­che­nen Design-Eigen­hei­ten sind in die­sem ver­rausch­ten Han­dy-Foto eher zu erah­nen denn zu sehen

Da ich nur an zwei der drei­ein­halb Kon­gress­ta­ge teil­neh­men konn­te, kann ich zum eigent­lich Kon­gress­pro­gramm gar nichts rich­tig aus­führ­li­ches sagen. Es war jeden­falls bunt gemischt; so rich­tig fremd fühlt man sich als Sozio­lo­ge erst, wenn die Debat­te zwi­schen Desi­gnern, Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­le­rin­nen und „hard sci­en­tists tur­ned his­to­ri­ans of their disci­pli­ne“ statt­fin­det. Aber ich schwei­fe ab, und auch das ein­drucks­vol­le Inne­re der ETH Zürich soll hier nicht The­ma sein. Mich hat­ten vor allem die Sci­ence-Fic­tion-ori­en­tier­ten Panels ange­zo­gen (u.a. gab es einen schö­nen Vor­trag über das Wis­sen­schafts­bild in Greg Egans Distress und Kim Stan­ley Robin­sons Ant­ar­c­ti­ca). Selbst habe ich auch was vor­ge­tra­gen; unter dem Titel „From Eco­to­pia to ever­y­day life: the making of sus­taina­bi­li­ty“ habe ich ange­schaut, wie ein pra­xis­theo­re­ti­sche, auf Akteurs-Netz­wer­ke gestütz­ter Ansatz auf Dis­kurs­frag­men­te – hier das für den „Neu­en-Lebens­stil-Dis­kurs“ der 1970er Jah­re typi­sche Buch „Eco­to­pia“ von Ernest Cal­len­bach – ange­wen­det wer­den kann. Und wie immer zuviel rein­ge­packt; dazu, danach zu fra­gen, ob die heu­ti­gen „mul­ti­ple sus­taina­bi­li­ties“ eigent­lich eine ähn­lich aus­sa­ge­kräf­ti­ge Uto­pi­sie­rung erfah­ren, bin ich gar nicht mehr gekom­men (BTW: www.utopia.de ist in dem Kon­text auch inter­es­sant, gera­de weil’s kei­ne Uto­pie sucht, dar­stellt, ist).

Ziem­lich typisch für die STS-Com­mu­ni­ty sind Grenz­über­schrei­tun­gen der ver­schie­dens­ten Art; Dis­zi­plin­gren­zen wer­den genau­so über­wun­den, durch­bro­chen oder über­setzt wie die Grenz­zie­hun­gen zwi­schen Kunst und Wis­sen­schaft, sei es als Gegen­stand der For­schung, sei es als The­ma­ti­sie­rungs­form. Das fin­de ich sym­pa­thisch, wenn auch manch­mal etwas anstren­gend. Sie­he oben die Bemer­kung zur sozio­lo­gi­schen Fremd­heits­er­fah­rung. Das letz­te Panel auf die­sem Kon­gress (glück­li­cher­wei­se dort­hin ver­scho­ben, sonst hät­te ich nicht teil­neh­men kön­nen) stell­te eine aus mei­ner Sicht beson­ders inno­va­ti­ve Form dar, eta­lier­te wis­sen­schaft­li­che Rou­ti­nen und Prak­ti­ken frag­wür­dig wer­den zu las­sen und einen Reflek­ti­ons­raum zu schaf­fen. Micha­el Gug­gen­heim, Rai­ner Egloff und Sha LaBa­re haben unter dem Titel „The Sci­ence Fic­tion of STS“ an die Stel­le der übli­chen Prä­sen­ta­tio­nen refle­xi­ve Nar­ra­ti­ve aus den Gen­res Sci­ence Fic­tion bzw. Fan­ta­sy gesetzt, um so die Zukünf­te der STS aus­zu­lo­ten. Dies war auf jeden Fall unter­halt­sam. Ob das Reflek­ti­ons­ziel erreicht wur­de, – da bin ich mir nicht so sicher. Gug­gen­heim trat in der Rol­le des sei­ner All­ge­gen­wart müden „Actua­li­ser“ auf: aus dem fol­low the actors wird ein eli­mi­na­te con­tin­gen­cy, eli­mi­na­te histo­ry, wenn die STS-For­schung einem selbst­be­wuss­ten Com­pu­ter über­tra­gen wird. Egloff bezog sich in sei­ner ver­schach­tel­ten Erzäh­lung dar­auf und dis­ku­tier­te in Form eines Brie­fes aus dem wis­sen­schaft­li­chen Unter­grund die Gren­zen und Not­wen­dig­kei­ten links­in­tel­lek­tu­el­len Enga­ge­ments. Eine etwas ande­re Per­spek­ti­ve nahm LaBa­re ein, der in die Rol­le eines Dra­chens – bei LeGu­in kön­nen Dra­chen nur wahr lügen – schlüpf­te und über Ler­nen und Ver­ges­sen und die Vor­zü­ge der Igno­ranz berichtete.

ETH plaza I
Typi­scher Blick von der ETH auf die Stadt. Und unter den komi­schen Kegeln liegt die Vor­fahrt Leo­pold­stra­ße im drit­ten Tief­ge­schoss, oder so.

Wie gesagt, als Expe­ri­ment auf jeden Fall span­nend. Was aller­dings nicht so gut funk­tio­nier­te, war Kom­mu­ni­ka­ti­on inner­halb die­ses nar­ra­ti­ven Rah­mens. Erst trau­te sich nie­mand, fra­gen zu stel­len (wiss. Kon­fe­ren­zen funk­tio­nie­ren bekannt­lich nach dem Mus­ter Vor­trag-Fra­gen-Vor­trag-Fra­gen-Vor­trag-Fra­gen-Dank), und als es dann doch noch zu einer Debat­te kam, war dies vor allem eine dar­über, was sol­che Grenz­über­schrei­tun­gen bewir­ken. Einen Dis­ku­tan­ten erin­ner­te das alles – posi­tiv oder nega­tiv gemeint, blieb unklar – sehr an die 1970er Jah­re. Die Zukunft der STS, die Fra­ge, ob eine Kon­fe­renz zur Wahr­heits­fin­dung bei­trägt, und das kri­ti­sche Enga­ge­ment von Intel­lek­tu­el­len wur­den dage­gen in der Dis­kus­si­on nicht the­ma­ti­siert (wohl aber in der anschlie­ßen­den Kaffeepause).

Zürich view II (night view)
Züri at night – viel bes­ser als die meis­ten ande­ren Groß­städ­te im nähe­ren Umfeld mei­nes Wohnorts.

Mein per­sön­li­ches Fazit: sich bewusst zu sein, dass auch wis­sen­schaft­li­che Tex­te Nar­ra­tio­nen sind ist eben­so frucht­bar wie das Spiel mit den Gren­zen des Gen­res. Für eine Inte­gra­ti­on der­ar­ti­ger For­men in die all­täg­li­chen Prak­ti­ken wis­sen­schaft­li­chen Aus­tau­sches scheint mir dage­gen mehr not­wen­dig zu sein als ein­fach nur der Aus­tausch des Vor­trags­for­mat mit dem Erzäh­lungs­for­mat. Hier ist noch Brü­cken­bau­ar­beit zu leis­ten. Dann könn­te dar­aus auch metho­do­lo­gisch etwas span­nen­des werden.

War­um blog­ge ich das? Um ein paar Gedan­ken zum inter­es­san­tes­ten Ele­ment die­ser Kon­fe­renz los­zu­wer­den, und weil ich mich an der Gren­ze zwi­schen STS und Sozio­lo­gie ste­hend in der STS immer nur halb hei­misch fühle.

P.S.: Bil­der fol­gen, sobald die Tele­kom in der Lage ist, mir nicht nur die DSL-Hard­ware, nach einer Erin­ne­rung dann auch eine DSL-Lei­tungs­frei­schal­tung, son­dern auch eine Anschluss­ken­nung zuzuschicken. 

Update: Der Tele­kom ist’s gelun­gen. Also bit­te: Bilder.

Vor dem 27. Parteitag

Nächs­te Woche fin­det die Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz, sprich, der Bun­des­par­tei­tag, von Bünd­nis 90/Die Grü­nen in Nürn­berg statt. So die Bahn bis dahin wie­der fährt, bin ich einer der etwa 800 Dele­gier­ten, die dort über eini­ge wich­ti­ge The­men ent­schei­den wer­den. Auf der Tages­ord­nung steht nicht nur die grü­ne Markt­wirt­schaft, son­dern auch die Fra­ge „Zukunft der sozia­len Siche­rung“ (samt bis­her etwas schwach­brüs­ti­ger Online-Debat­te) und das immer wie­der ger­ne dis­ku­tier­te The­ma Neu­es Logo.

Die Zukunft des Sozia­len wird sich letzt­lich um die Fra­ge Grund­si­che­rung oder Grund­ein­kom­men dre­hen. Dazu lie­gen inzwi­schen etwa fünf leit­an­trags­fä­hi­ge Anträ­ge und hau­fen­wei­se Ände­rungs­an­trä­ge (Kate­go­rie „Z“) vor. Der Antrags­schluss für Ände­rungs­an­trä­ge ist übri­gens Sonn­tag; auch ich suche noch nach drei Unter­stüt­ze­rIn­nen für einen Antrag zur Abmil­de­rung von Z‑01 (bzgl. der Brü­cken­exis­tenz-Siche­rung). Eine Syn­op­se der zen­tra­len Anträ­ge hat Dirk Wer­hahn zusam­men­ge­stellt. Kurz gesagt gibt es den (teil­wei­se recht wol­ki­gen) Grund­si­che­rungs­an­trag des Bun­des­vor­stan­des (Z‑01), den Beschluss der LDK Baden-Würt­tem­berg zum Sockel­grund­ein­kom­men, über den ich hier ja schon aus­führ­lich geschrie­ben habe (Z‑02). Dann gibt es noch ein paar ähn­li­che Anträ­ge u.a. aus Rhein­land-Pfalz, und den Antrag Z‑08, der sich – wie­der­um wol­ki­ger, aber dafür etwas radi­ka­ler – für ein wei­ter­ge­hen­des Grund­ein­kom­men ausspricht. 

Die Ein­schät­zun­gen, wel­cher Antrag mehr­heits­fä­hig ist, gehen weit aus­ein­an­der – von „der Buvo darf nicht schon wie­der bla­miert wer­den, des­we­gen wird Z‑01 gewin­nen, egal was drin­steht“ bis zu „vie­le Lan­des­ver­bän­de haben sehr knapp für bzw. gegen ein Grund­ein­kom­men gestimmt; es wird auch dies­mal sehr knapp wer­den und bei guter Argu­men­ta­ti­on und guter Bünd­nis­ar­beit zu gewin­nen sein“ (und das Gerücht, das es Anträ­ge geben wird, die tat­säch­li­che Abstim­mung zu ver­ta­gen, weil gera­de da und dort Land­tags­wah­len statt­fin­den, habe ich auch schon gehört). Ich per­sön­lich fän­de es sehr schön, wenn der Bun­des­par­tei­tag sich dem baden-würt­tem­ber­gi­schen Votum anschlie­ßen wür­de, und ein zukunfts­wei­sen­des, aus­ge­ar­bei­te­tes Kon­zept für ein Grund­ein­kom­men unter­stützt, das durch­aus finan­zier- und umsetz­bar ist. Frei­tag voram Abend der BDK (21 Uhr) wird es noch ein Tref­fen des grün-inter­nen Netz­werks Grund­ein­kom­men geben – viel­leicht ergibt sich dort ja auch noch eine Ver­dich­tung der Antrags­la­ge. Ich wür­de das begrüßen.

Zu Z‑01 ist – ähn­lich wie beim ent­spre­chen­den in Baden-Würt­tem­berg geschei­ter­ten Grund­si­che­rungs­an­trag – vor allem zu sagen, dass eine schö­ne Rhe­to­rik mit eini­gen posi­ti­ven For­de­run­gen und viel Wei­ter-so und einer ganz anders lau­fen­den Pra­xis zusam­men­kommt. In der jet­zi­gen Form kann ich die­sen Antrag nicht unter­stüt­zen; wenn er zu einem ech­ten Kom­pro­miss erwei­tert wird, der Türen für das Grund­ein­kom­men auf­macht, statt es pau­schal zu ver­dam­men, müss­te ich mir das noch­mal überlegen.

Wäh­rend mei­ne Auf­merk­sam­keit der­zeit also vor allem auf der Grund­ein­kom­mens-Grund­si­che­rungs-Debat­te liegt, ist natür­lich auch die Logo-Ent­schei­dung nicht unspan­nend. Ich den­ke, ich wer­de für ein neu­es Logo, und zwar für den Ent­wurf 2 stimmen:

Logo 2

War­um blog­ge ich das? Weil auf Par­tei­ta­gen vie­les schon ent­schie­den ist, wo die wich­ti­ge Mei­nungs­bil­dung im Vor­feld – also jetzt – abläuft. Und weil es auf dem Par­tei­tag selbst wohl nur kos­ten­pflich­ti­ges T‑Lan geben soll.

Noch zwei Tage bis zum Landesparteitag

Vom 12.–14. Okto­ber fin­det in Heil­bronn die Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz von Bünd­nis 90/Die Grü­nen Baden-Würt­tem­berg statt. Ich wer­de als einer von sechs Dele­gier­ten für unse­ren Kreis­ver­band dran teil­neh­men (mal schau­en, was die Bahn­streiks am Frei­tag so machen). Auf der Tages­ord­nung ste­hen drei grö­ße­re The­men: am Frei­tag geht es um die Inne­re Sicher­heit (ursprüng­lich stand da mal öko­lo­gi­sches Wirt­schaf­ten, no com­ment), und natür­lich auch um die Lage der Nati­on, par­don, der Partei. 

Am Sams­tag sind Wah­len ange­setzt: für den drei­köp­fi­gen geschäfts­füh­ren­den Lan­des­vor­stand kan­di­diert neben den bis­he­ri­gen Amts­in­ha­be­rIn­nen Petra Selg, Dani­el Mou­rat­i­dis und Harald Dol­de­rer auch Max Bur­ger aus Rott­weil. Hier wird es also span­nend. Eben­so tre­ten – auch schon tra­di­tio­nell – für den Par­tei­rat mehr Men­schen an, als Plät­ze zu ver­ge­ben sind. Auch da hat natür­lich jeder so sei­ne Favo­ri­tIn­nen. Ich selbst kan­di­die­re auch, und zwar erneut als Basis­de­le­gier­ter für den Län­der­rat (und wür­de mich freu­en, wenn es klappt).

Sonn­tags steht dann end­lich das gro­ße The­ma sozia­le Siche­rung auf der Tages­ord­nung, über das hier ja schon aus­führ­lich dis­ku­tiert wur­de. Die letz­ten Vor­be­rei­tun­gen dafür lau­fen – Reden, Ände­rungs­an­trä­ge, Über­zeu­gungs­ar­beit. Wir wer­den als Grund­ein­kom­mens-Unter­pro­jekt­grup­pe ver­su­chen, sehr prä­sent zu sein und es so hof­fent­lich schaf­fen, eini­ge noch unent­schlos­se­ne Dele­gier­te vom Grund­ein­kom­men über­zeu­gen. Sofern nicht plötz­lich Josch­ka Fischer oder so auf­taucht und „gute“ Tipps ver­teilt, bin ich ganz zuver­sicht­lich, dass wir ein brauch­ba­res Ergeb­nis erzie­len werden. 

Ach ja, einen klei­nen eige­nen Antrag habe ich auch noch ein­ge­bracht: dar­in geht es um die Fra­ge, wie sich poli­ti­sche Glaub­wür­dig­keit und Spon­so­ring mit­ein­an­der ver­tra­gen; genau­er gesagt bean­tra­ge ich, dass der Lan­des­vor­stand auf­ge­for­dert wird, sich kla­re Richt­li­ni­en für den Umgang mit Wer­bung und Spon­so­ring zu über­le­gen. Der Hin­ter­grund ist das für mei­nen Geschmack doch ziem­lich auf­dring­li­che Wer­ben einer Öko-Ver­si­che­rungs­fir­ma beim letz­ten Landesausschuss. 

War­um blog­ge ich das? Weil die­ser Par­tei­tag gera­de ziem­lich viel Vor­be­rei­tungs­zeit in Anspruch nimmt …

Realpolitik heißt Sockelgrundeinkommen (Update 3)

Nach einem arbeits­rei­chen Som­mer liegt unser Antrag für ein par­ti­el­les Grund­ein­kom­men (oder Sockel­grund­ein­kom­men) inzwi­schen auch offi­zi­ell vor. Der baden-würt­tem­ber­gi­sche Lan­des­ver­band von Bünd­nis 90/Die Grü­nen hat­te ja nicht nur elek­tro­nisch über die­ses The­ma dis­ku­tiert, son­dern Anfang des Jah­res auch eine Pro­jekt­grup­pe Grundeinkommen/Grundsicherung ins Leben geru­fen. Nach gemein­sa­men Eck­punk­ten hat sich dann vor der Som­mer­pau­se gezeigt, dass inner­halb der Pro­jekt­grup­pe noch immer sowohl Ver­tre­te­rIn­nen eines „Wei­ter so“ im Sin­ne einer Ver­bes­se­rung von Hartz-IV (als „ler­nen­der Reform“, wie dies Kers­tin And­reae so schön aus­drück­te) als auch Ver­tre­te­rIn­nen eines Grund­ein­kom­mens zu fin­den waren. Es gab dann also zwei Arbeits­grup­pen, die jeweils einen eige­nen Antrag aus­ge­ar­bei­tet haben. 

Regionalkonferenz-MosaikImpres­sio­nen von der Regio­nal­kon­fe­renz zu Grundeinkommen/Grundsicherung im Febru­ar 2007

Der Kern des Antrags der Grund­ein­kom­mens­grup­pe (gelei­tet von Bea­te Mül­ler-Gem­me­ke, sehr aktiv dabei Tho­mas Pore­ski) ist ein als nega­ti­ve Ein­kom­mens­steu­er aus­ge­stal­te­tes „Sockel­grund­ein­kom­men“ in Höhe von 420 Euro pro erwach­se­ner Per­son (300 Euro für Kin­der, das The­ma Rent­ne­rIn­nen wur­de aus­ge­klam­mert, lie­ße sich aber ana­log über eine Min­dest­ren­te aus­ge­stal­ten). Nega­ti­ve Ein­kom­mens­steu­er heißt dabei: das Grund­ein­kom­men wird mit der Steu­er­schuld ver­rech­net. Wer kein Ein­kom­men hat, und des­we­gen auch kei­ne Steu­ern zahlt, erhält auto­ma­tisch 420 Euro im Monat (Wohn­geld und Leis­tun­gen in beson­de­ren Lebens­la­gen kom­men bedarfs­ge­prüft noch dazu). Wer 420 Euro pro Monat an Steu­ern zahlt, erhält nichts und zahlt nichts; wer mehr zahlt, zahlt sei­ne Steu­er­schuld abzüg­lich der 420 Euro pro Monat. Inso­fern wirkt das Grund­ein­kom­men bei höhe­ren Ein­kom­men als eine Art Steu­er­frei­be­trag. Bei Gering­ver­die­ne­rIn­nen soll die Kran­ken­ver­si­che­rung vom Staat über­nom­men wer­den, wird also – anders als z.B. bei Alt­haus – nicht von den 420 Euro abgezogen. 

Zur Finan­zie­rung soll vor allem auf eine Ein­kom­mens­steu­er­re­form (d.h. letzt­lich auf Umver­tei­lung zwi­schen Spit­zen­ver­die­ne­rIn­nen und Armen) gesetzt wer­den. Dazu gehört ins­be­son­de­re die Abschaf­fung von Steu­er­frei­be­trä­gen, u.a. auch das Ehe­gat­ten­split­ting (statt­des­sen ent­steht ein indi­vi­dua­li­sier­ter Leis­tungs­an­spruch unab­hän­gig von Part­ner­schaf­ten etc.). Zudem kann eine Art Öko­steu­er-II zur Finan­zie­rung bei­tra­gen und zugleich öko­lo­gi­sche Len­kungs­wir­kun­gen ent­fal­ten. Anders als bei dem ger­ne dis­ku­tier­ten Götz-Wer­ner-Modell kommt es also nicht zu einer unso­zia­len extre­men Mehrwertsteuererhöhung.

Ein sol­ches Sockel­grund­ein­kom­men trägt sowohl dazu bei, Armut abzu­bau­en (v.a. auch Kin­der­ar­mut), als auch dazu führt, Arbeit­an­rei­ze zu schaf­fen und Exis­tenz­grün­dun­gen und pre­kä­re Lebens­pha­sen zu unter­stüt­zen. Wer sich mit 420 Euro plus Wohn­geld zufrie­den geben will, und so avant­gar­dis­ti­sche Lebens­ent­wür­fe aus­pro­bie­ren will, kann dies jedoch eben­falls tun. Sank­tio­nen und Zwang pas­sen nicht zu die­sem Modell.

Das Sockel­grund­ein­kom­men kann jedoch nicht allei­ne daste­hen. Wir wol­len nicht alles auf den finan­zi­el­len Trans­fer redu­zie­ren. U.a. des­we­gen ist auch die im Ver­gleich zu ande­ren Model­len eher gerin­ge Höhe zu erklä­ren. Ein­ge­bet­tet wer­den soll das Sockel­grund­ein­kom­men sowohl in Bil­dungs­re­for­men, wie die Grü­nen sie schon lan­ge for­dern (also etwa die Basis­schu­le oder den Aus­bau von Schul­so­zi­al­ar­beit) als auch in akti­ve Arbeits­markt­po­li­tik – auf frei­wil­li­ger Basis.

Ein zwei­ter Schritt, der sich an das ABC aus Armuts­be­kämp­fung, Bil­dungs­för­de­rung und die Eröff­nung von Chan­cen anschließt, ist eine Kom­bi­na­ti­on aus Erhö­hung des Grund­ein­kom­mens auf etwa 500 Euro und die Kopp­lung an Refor­men im Sozi­al­ver­si­che­rungs­be­reich (v.a. auch Ren­te) in Rich­tung Bürgerversicherung/Schweizer Modell. 

Das Sockel­grund­ein­kom­mens­mo­dell ist inso­fern sehr prag­ma­tisch und real­po­li­tisch, als es – durch eine Ein­kom­mens­steu­er­re­form – rela­tiv schnell ein­zu­füh­ren wäre. Es stellt einen Ein­stieg in einen Sys­tem­wech­sel dar, einen flie­ßen­den Über­gang. Nach eini­gen Jah­ren kann dann anhand der Erfah­run­gen damit über­legt wer­den, ob ein dar­über hin­aus­ge­hen­den Grund­ein­kom­men sinn­voll ist, und ob die Hoff­nun­gen in die Ent­fal­tung von Frei­heit­lich­keit und Krea­ti­vi­tät berech­tigt waren.

Abschlie­ßend, weil das immer wie­der ger­ne als Stroh­mann oder Stroh­frau auf­ge­stellt wird: das Sockel­grund­ein­kom­men ist nicht iden­tisch mit dem 1200-Euro-Grund­ein­kom­mens­mo­dell, son­dern begrenzt sich auf 420 Euro; es dient nicht der Abschaf­fung der Erwerbs­ar­beit, son­dern stellt eine Mög­lich­keit dar, mit den ver­än­der­ten Bedin­gun­gen der Erwerbs­ge­sell­schaft sinn­voll umzu­ge­hen, statt auf die uto­pi­sche Hoff­nung „Arbeits­plät­ze für alle“ zu set­zen; es ist finan­zier­bar – und es ist kein Ver­such, Men­schen ins Eck zu stel­len und mit Geld abzu­spei­sen, son­dern soll von sinn­vol­len Maß­nah­men aus der Bil­dungs- und Arbeits­markt­po­li­tik beglei­tet werden.

War­um blog­ge ich das? Ob das Sockel­grund­ein­kom­men zum grü­nen Modell wird, ent­schei­det sich für Baden-Würt­tem­berg am 14. Okto­ber auf dem Lan­des­par­tei­tag in Heil­bronn. Schon am 6. Okto­ber dis­ku­tiert der LV Ber­lin ein ähn­li­ches Kon­zept, und auch ein Teil der bun­des­wei­ten Kom­mis­si­on zur Zukunft der Sozia­len Siche­rung ten­diert wohl zu ähn­li­chen Vor­stel­lun­gen. Bis zum 14.10. wird es jetzt u.a. dar­um gehen, noch ein­mal mas­siv Wer­bung für das Modell zu machen, es zu erläu­tern und zu dis­ku­tie­ren. Die­ser Blog­ein­trag soll einen Bei­trag dazu liefern.

Update (6.10.2007): Die Ber­li­ner Grü­nen haben das Grund­ein­kom­men knapp abge­lehnt.

Update 2: Arti­kel und Kom­men­tar zur knap­pen Grund­ein­kom­mens­ab­leh­nung in Ber­lin. Für mich wird hier noch ein­mal deut­lich, dass es sich beim Grund­ein­kom­men eben nicht um ein kla­res „Flü­gel­pro­jekt“ han­delt, wie das man­che sehen, son­dern dass die Kon­flikt­li­ni­en hier­zu quer zu den Strö­mun­gen in der Par­tei lie­gen. Auch wenn das Kon­zept Grund­ein­kom­men alt ist, mag die Debat­ten­la­ge etwas mit dem Aktua­li­tät des Kon­zepts und der Tat­sa­che zu tun haben, dass der post­in­dus­tri­el­le Wand­lungs­pro­zess all­mäh­lich auch außer­halb sozio­lo­gi­scher Labors deut­lich wird.

Update 3 (8.10.2007): Hen­ning äußert sich prin­zi­pi­ell-sym­pa­thisch und kon­kret-kri­tisch zum Sockel­grund­ein­kom­mens-Antrag. Scha­de, dass das jetzt kommt. Wäre blöd, wenn aus sol­chen Über­le­gun­gen her­aus am Schluss ein LDK-Ent­scheid für ein Grund­si­che­rungs­mo­dell her­aus­kommt. Noch ist die Frist für Ände­rungs­an­trä­ge nicht abgelaufen …