Was mich zunehmend mehr erschreckt, ist die Bereitschaft zunächst vernünftig wirkender Menschen, abstruse Theorien zu glauben. Das müssen gar nicht die großen Verschwörungstheorien zwischen „Lügenpresse“ und „Chemtrails“ sein.
Mir geht’s mehr um die kleinen seltsamen Wissensbestände über z.B. giftige Stoffe in der Nahrung, Handystrahlung und Elektrosmog, die (angebliche) Umweltschädlichkeit von Energiesparlampen oder, um ein anderes Feld anzusprechen, die Verwechslung zwischen (leider legitimen und legalen) Urheberrechtsansprüchen und Zensur.
Relativ schnell fügen sich derartige Bausteine zu einem Weltbild zusammen, in dem „die da oben“ „das Volk“ nach Strich und Faden belügen. Vermutete Ursache Nr. 1 für alles, was kaputt geht, schief läuft oder anderen Interessen als den eigenen entspricht sind dann plötzlich gezielte Maßnahmen von Staaten oder großen Konzernen, um … da wird es dann nebulös, aber das ist auch egal.
Was mich an diesem Vertrauensverlust in politische Institutionen, medial vermitteltes und wissenschaftliches Wissen besorgt macht, sind zwei Dinge. Erstens scheint es mir plausibel, hier in gewisser Weise ein Nachwirken der Verunsicherungen der 1970er Jahre zu sehen.
Ein wichtiges Element der neuen sozialen Bewegungen, insbesondere auch der Umweltbewegung, ist und war das Aufdecken von Missständen – und damit verbunden die Infragestellung von Autoritäten. Selbst denken, nicht alles glauben, was von oben kommt, und verbunden damit der Aufbau alternativer Wissensproduktions- und Wissensvermittlungseinrichtungen – das gehört zum Erbe der 1970er Jahre.
Strukturell ist das, was gegenwärtig zu beobachten ist, ähnlich. Und ich befürchte, dass ein Keim dafür zwischen 1968 und 1986 gesetzt wurde. Deswegen sehe ich es auch ein Stück weit als „unsere“ Aufgabe an, Rahmenbedingungen für einen verantwortungsvollen Umgang mit heterodoxem Wissensbeständen zu bieten.
Das ist aber, und damit bin ich beim zweiten Punkt, gar nicht so einfach. Insbesondere, weil ich vermute, dass die oftmals gezeigte Überheblichkeit der „Skeptiker“ nicht wirklich weiter hilft. Wer das, was der Wissenschaftsbetrieb produziert, ohne Abstriche für wahr hält, ignoriert nicht nur das Wissen der Science Studies über die Produktionsbedingungen wissenschaftlichen Wissens, sondern auch die Tatsache, dass der Ruf nach alternativen Wissensbeständen in den neuen sozialen Bewegungen ja nicht grundlos war, sondern durchaus eine Reaktion auf reale Problemlagen darstellte. Sei es die einseitige Erforschung der Kernkraft, sei es die Ignoranz ökosystemarer Zusammenhänge, sei es die reale Schwierigkeit, unbequeme Meinungen medial zu verbreiten – all das waren Zustände, auf die hin die Reaktion, Institutionen in Frage zu stellen und Alternativen zu schaffen, durchaus plausibel war. (Richtig absurd wird es, wenn SkeptikerInnen zwar eins zu eins das wissenschaftliche Wissen hoch heben, aber in anderen Feldern, etwa mit Blick auf Überwachungstechnologien, eine gewisse Paranoia entwickeln …)
Zusammengefasst heißt das, dass auch heute noch weder der blinde Glaube an „die Wissenschaft“ hilft, noch dass es sinnvoll wäre, jede vielleicht zunächst plausibel erscheinende „alternative“ Erklärung zu glauben. Nur weil jemand „denen da oben“ widerspricht, muss sie nicht recht haben. In beiden Fällen ist also Skepsis angebracht und Denkvermögen gefragt. Dazu gehören eine gewisse „scientific literacy“ und eine Offenheit dafür, sich von rationalen Argumenten überzeugen zu lassen, auch wenn sie eigenen Überzeugungen zunächst widersprechen mögen. Und dazu gehört auch, mit unsicherem Wissen sinnvoll umzugehen.
Allerdings finde ich es auch unrealistisch, zu verlangen, dass alle prüfen können sollen, was wahrscheinlich richtig ist und was nicht. In einer wissenschaftsbasierten, funktional differenzierten Gesellschaft geht das schlicht nicht, auch die noch so mündige BürgerIn kann nur begrenzt nachvollziehen, was wahr ist und was nicht. Zur Reduktion der Komplexität dieses Bewertungsaktes ist letztlich dann doch Vertrauen in „das System“ gefragt, bzw. in Institutionen wie „die Medien“ und „die Wissenschaft“.
Dummerweise fehlt genau dieses Vertrauen bei vielen, auch dafür gibt es ja durchaus Gründe. Hier kommt dann aus meiner Sicht die bereits angesprochene Verantwortung ins Spiel. Die liegt zum einen bei den althergebrachten Institutionen. Stichworte sind hier journalistische und wissenschaftliche Ethik einerseits und Nachvollziehbarkeit und Transparenz der Politik andererseits. Die Verantwortung liegt aber zum anderen auch – und gerade – bei den ErbInnen der Umweltbewegung. Hier besteht meine ich eine besondere Sorgfaltspflicht, zu prüfen, welches Wissen als Alternativwissen offiziell anerkannt wird, und welches klar und deutlich zurückgewiesen wird, obwohl es zunächst so schön ins Weltbild passen würde. Diese Auseinandersetzung müssen auch wir Grüne führen.
Damit ich nicht missverstanden werde: Es wäre falsch, eine „Alleinschuld“ bei der Umweltbewegung zu suchen. Eine unübersichtliche und konfliktreiche Großwetterlage in der Weltpolitik, die Boulevardisierung der Medien oder auch der virale Zugriffe auf seltsame Wissensbestände, die sich über Facebook und Youtube so viel einfacher verbreiten lassen als über Flugschriften und Seminare – all das wäre auch zu berücksichtigen. Aber trotzdem meine ich, dass eine Aufarbeitung dieses Teils unserer Geschichte angebracht wäre.
Warum blogge ich das? Weil mir die strukturellen Ähnlichkeiten zwischen älteren und jüngeren Alternativwissensbeständen Sorgen bereiten.