Ein paar Notizen zu David Brin, Existence

Existence - David Brin

Gute Vor­sät­ze, da war doch was. Genau: Ich habe mir vor­ge­nom­men, häu­fi­ger über das, was ich lese, zu schrei­ben. Das betrifft vor allem Sci­ence Fic­tion. Nicht mit dem Anspruch einer hoch­wer­ti­gen Kri­tik von vor­ne bis hin­ten, und auch nicht immer, aber dafür öfter. Zu dem, was mir so auf­ge­fal­len ist beim Lesen, und was nach dem Lesen hän­gen­ge­blie­ben ist.

Ich fan­ge mal mit David Brins 2012 erschie­ne­nem Roman Exis­tence an, der mich meh­re­re Näch­te dazu ver­lei­te­te, viel zu lan­ge wach zu blei­ben. Brin ist einer der eso­te­ri­sche­ren Hard-SF-Autoren; sei­ne Bücher sind – wie es sich für einen aka­de­misch täti­gen Astro­phy­si­ker gehört – zunächst wis­sen­schafts­nah und sehr rea­lis­tisch, fan­gen aber irgend­wann an, extrem spe­ku­la­tiv zu wer­den (wenn auch nicht in dem Aus­maß wie bei Greg Egan). Trotz­dem gefällt mir die ers­te Hälf­te des um die 650 Sei­ten umfas­sen­den Wer­kes Exis­tence deut­lich bes­ser als die zwei­te Hälf­te. Gleich mehr dazu, war­um, aber zunächst ein Blick aus der Vogelperspektive.

Exis­tence ist so ein biss­chen ein Best-of-Album von Brin. EWs tau­chen nicht nur The­men aus vor­he­ri­gen Büchern wie­der auf, son­dern sogar Text­frag­men­te. Dar­in, aber auch in eini­gen kon­zep­tio­nel­len Fra­gen, ähnelt der Roman Kim Stan­ley Robin­sons zeit­gleich erschie­ne­nem 2312. Wann Exis­tence beginnt, wird ganz am Schluss erwähnt – etwa 2050, also „near future“. Der Roman selbst umfasst meh­re­re Jahr­zehn­te, schnipp­sel­wei­se dar­ge­bo­ten aus der Per­spek­ti­ve meh­re­rer Haupt­fi­gu­ren, dazwi­schen wer­den Bücher, Blogs und Mails zitiert. Ein gän­gi­ger Erzähl­mo­dus der Sci­ence Fiction. 

Die Geschich­te han­delt – ohne damit zu viel zu ver­ra­ten – von der Erst­be­g­nung der Mensch­heit mit außer­ir­di­schen Zivi­li­sa­tio­nen (Trai­ler). Dies geschieht aller­dings auf eine eher unge­wöhn­li­che Art und Wei­se. Auch hier ist Brin (ähn­lich wie die Space Ope­ra von Charles Stross – der übri­gens wie Robin­son einen Cameo-Auf­tritt in dem Buch hat) har­te Sci­ence Fic­tion: Der Weg zu den Ster­nen ist für bio­lo­gi­sches Leben zu weit, das ein­zi­ge, was die Licht­jah­re über­brü­cken kann, sind Maschi­nen und Informationen. 

Noch span­nen­der – und des­we­gen sagt mir der ers­te Teil auch deut­lich mehr zu als die zwei­te Hälf­te des Buches – fin­de ich das The­ma hin­ter der (durch­aus packen­den) Hand­lung – Exis­tence ist auch eine qua­si-phi­lo­so­phi­sche Abhand­lung über die Pre­ka­ri­tät des Fort­be­stehens einer Zivi­li­sa­ti­on (vgl. Fer­mi-Para­dox …). Brin erläu­tert dazu nicht nur lan­ge Lis­ten mög­li­cher Unter­gangs­for­men, son­dern geht vor allem – und da wird es poli­tisch – auch auf eine Fra­ge ein, die gut zu mei­ner zum Jah­res­wech­sel gestell­ten Fra­ge danach, ob es so wei­ter­ge­hen kann, passt. 

Immer wie­der pen­delt das Buch hier zwi­schen zwei Polen: zum einen der Pol der radi­ka­len – z.B. öko­lo­gisch begrün­de­ten – Infra­ge­stel­lung tech­ni­schen Fort­schritts, den Brin als Wunsch nach Lang­sam­keit und Sta­tik dar­stellt, und zum ande­ren der Pol des Wis­sen­schafts­op­ti­mis­mus, der in sei­nen Extre­men im Buch durch­aus auch lächer­lich gemacht wird (bei­spiels­wei­se in der Cha­rak­te­ri­sie­rung einer Extro­pia­ne­rIn­nen-Kon­fe­renz), aber dem Brin doch näher zu ste­hen scheint. Den­noch ist das Buch – trotz des grund­sätz­li­che Plä­doy­ers für Opti­mis­mus – kei­ne Brand­schrift für die rei­ne Frei­heit der Wis­sen­schaft, son­dern im phi­lo­so­phi­schen Sub­text eher eine Erör­te­rung der mit dem Wei­ter­be­stehen einer tech­no­lo­gi­schen Zivi­li­sa­ti­on ver­bun­de­nen Fragen.

Es geht also dar­um, wie eine Gesell­schaft mit wis­sen­schaft­li­chem Fort­schritt umgeht und wer dar­über ent­schei­det, was – wie schnell – mög­lich sein darf. Im „wer ent­schei­det“ schwingt das The­ma Demo­kra­tie vs. Feu­da­lis­mus der Super­rei­chen mit, aber auch das, was Brin poli­tisch unter dem Schlag­wort der trans­pa­rent socie­ty seit Jah­ren ver­tritt. Sein Roman ist, neben­bei bemerkt, auch ein gro­ßes Plä­doy­er für gesell­schaft­li­che Diver­si­tät (eben­falls ein Motiv, das sich durch sein Werk zieht) und für eine Abkopp­lung der Defi­ni­ti­on des Mensch­li­chen von der Spe­zi­es homo sapi­ens sapi­ens.

Darf eine Gesell­schaft sci­ence courts ein­rich­ten, um Wis­sen­schaft zu kon­trol­lie­ren? Darf ein Mora­to­ri­um ver­langt wer­den, um „zu Atem zu kom­men“? Oder ist eine völ­lig fal­sche Dar­stel­lung, den Wunsch nach Nach­hal­tig­keit mit dem fort­schritts­skep­ti­schen Wunsch nach Still­stand gleich­zu­set­zen? Gibt es es Tech­no­lo­gien, die nicht erlaub­bar sind (klei­ner Spoi­ler: der neu­ro­wis­sen­schaft­li­che Umgang mit Autis­mus spielt hier im Buch eben­so eine gro­ße Rol­le wie – noch so ein Selbst­be­zug, der den Cha­rak­ter des „best of“ aus­macht – die Fra­ge danach, ob ein „Uplif­ting“ ande­rer Spe­zi­es, z.B. Del­fi­ne, ethisch legi­tim ist). Und was pas­siert, wenn jemand, der sich das leis­ten kann, das ein­fach tut?

All die­se Fra­gen, die Brins Roman zwi­schen und neben der Hand­lung für mich auf­wirft, sind gera­de aus grü­ner Per­spek­ti­ve durch­aus rele­vant: Wie kon­ser­va­tiv darf eine Par­tei sein, die die Welt ret­ten will?

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