Noch so ein Winterfoto. Erstaunlich, wie hartnäckig die Stiefmütterchen in meinem Blumenkasten den immer wieder neuen Temperaturrekorden nach oben (+17°C letzte Woche) und unten (-10°C oder so irgendwann davor) standgehalten haben. Gestern Nacht hat es dann schon wieder geschneit, liegengeblieben ist aber nichts.
Daraus ließe sich jetzt eine elegante Überleitung zum #aufschrei basteln. Ich bin beeindruckt, wie nachhaltig dieses Hashtag es geschafft hat, eine Debatte zu verändern. Auch wenn #aufschrei nicht die erste erfolgreiche Offline-Online-Aktion im deutschsprachigen Internet war, muss ich da ansonsten einfach auf Antje Schrupp verweisen, die viel Kluges dazu aufgeschrieben hat, warum #aufschrei mehr ist als eine Eintagsfliege oder eine Schneeverwehung.
Und weil mein eigener kleiner Text dazu, warum Sexismus allen schadet (und auch deswegen auch Männer angeht), jetzt schon wieder von der Startseite gekippt ist, verlinke ich ihn hiermit auch noch einmal. Textsammlungen zu #aufschrei gibt es übrigens bei kleinerdrei (ein spannendes neues Netz&Gender&etc.-Blog – passt die Schublade?) und bei Julia Seeliger, die versucht hat, Ordnung in die vielen, vielen Texte dazu zu bringen.
Für mich zeigt #aufschrei übrigens, dass die schönen neuen Diskussionsmedien gnadenlos versagt haben und dass gerade Twitter als Diskussionsmedium nicht zu gebrauchen ist. Was ist passiert? Es gab eine gute Idee. Diese hat dann schnell Fahrt aufgenommen, der Hashtag wurde aber dann von zu vielen Leuten, die auf den Hashtag aufmerksam gemacht haben, zerspammt. Dann haben sich die radikaleren Seiten der Debatte gegenseitig getrollt – die einen schreien „Feminazis“, die Gegenseite reagiert empört. In der Mitte dieser sich enorm schnell entwickelnden Schlammschlacht ist dann schnell die sinnvolle Diskussion gestorben. In dem Klima irgendwie auf 140 Zeichen sachlich zu diskutieren, war unmöglich. Da ist dann nur noch eine Empörungswelle nach der nächsten durch die Timeline gewandert, aber es fand kein sinnvoller Austausch statt.
Und dann kamen erstaunlich schnell die großen Medien und berichteten. Danach wurde der komplette Hashtag wirklich absolut unbrauchbar. Jetzt kommt erst langsam eine sachlichere Debatte in Blogs zustande. Diesen ganzen Scheiß auf Twitter, die Talkshows und die bekloppten Artikel diverser Nachrichtenseiten hätten wir uns definitiv sparen sollen.
Sehe ich anders – weil ich glaube, dass ohne die konzentrierte, als solche wahrnehmbare Aktion auf Twitter vieles andere nicht in Gang gekommen wäre. (Ist Sachlichkeit der richtige Maßstab für politischen Protest – und die leider zu erwartenden „Anspuck“-Reaktionen darauf? Ich glaube nicht.) Und wahrzunehmen, wie viele Idioten (und Idiotinnen) in der eigenen Timeline sind, oder dort rein-RTed werden, ist auch durchaus mal hilfreich.
Schwierige Sache – ich glaube aber nicht, dass diese Polemik dem Thema gut getan hat. Das Thema war ja schon durch Quotendiskussion, die 29C3-Creeper Cards, diverse Piraten-Shitstorms, den Brüderle-Artikel und noch weitere Themen irgendwie am Köcheln. #aufschrei hat das ja nicht gestartet.
Ansonsten wollte ich nur sagen, dass dieses Thema auf 140 Zeichen – Hashtag eben kaum zu diskutieren ist. Da bekommt man nur ein „Du bist doof“ hin, für das differenzierte „Ich finde das doof, weil…“ ist kein Platz. Kombiniere das damit, dass Hashtags auf Twitter nicht moderiert werden, wie es etwa in Foren oder Mailinglisten üblich ist und dass daher die größten Trolle und Trottel nicht rausgeworfen werden können und du bekommst keine sinnvolle Debatte hin.
Nicht gestartet, aber fokussiert. Auch im Sinne eines „Internet-Tsunami“ (siehe ein paar Artikel weiter hinten). Dass die Trollversuche zum Hashtag #aufschrei dem Thema stärker geschadet haben als z.B. die boulevardeske Talkshowbesetzungspolitik, bezweifle ich. Und wenn Antje Schrupp schreibt, dass eine ganze Reihe an Äußerungen (eigener Sexismus-Erfahrungen) erst durch die Twitter-Aktion möglich wurden, und dass dadurch der Diskurs nachhaltig verändert wurde, dann hat sie schlicht und einfach recht.
Ich geb es zu – mangels TV habe ich die ganzen Talkshows zum Thema nicht gesehen.
Sagen wir es so – die Debatte hat sicherlich was bewegt, gleichzeitig aber auch die Mängel Twitters als Kommunikationskanal verdeutlicht. Stell dir vor, wie sie in einem großen Webforum oder einer Reddit vergleichbaren Seite verlaufen wäre.
Ganz furchtbar, weil sofort die lokalen Forentrolle die Meinungsmacht übernommen hätten? Ganz schlimm, weil jede #aufschrei-Äußerung downgevoted und dafür x „lustige“ Brüderle-Bildcen hochgevoted worden wären?
Unterschätze mal nicht die Bedeutung einer ordentlichen Moderation. Eine Diskussion kann enorm gewinnen, wenn die drei schlimmsten Trolle rausgeworfen werden und die schlimmsten Beleidigungen gelöscht. Da ist viel möglich und gerade das fehlt Twitter.
Und nein, Bewertungssysteme sind nicht immer die Herrschaft des furchtbaren Mobs, sondern funktionieren in vielen Fällen erstaunlich gut.