Die u.a. Theologin Antje Schrupp fragte unlängst in ihrem Blog danach, wie AtheistInnen sich selbst definieren, ob sie sich als solche bezeichnen und wo der Atheismus in ihrem Alltag eine Rolle spielt. Darauf gab es ziemlich viele ziemlich lesenswerte Antworten; eine Reaktion von Antje gibt es auch.
Ich muss zugeben, dass mich ihr Verständnis der Antworten etwas irritiert hat.
Zunächst einmal finde ich das richtig, was sie zur Anerkennung eines „gottlosen“ Wertefundaments schreibt:
Überhaupt finde ich – und eure Kommentare haben mich in dieser Ansicht bestärkt – dass die entscheidenden Wertedebatten und ‑kontroversen heute nicht entlang der Frage verlaufen, ob Menschen das Wort „Gott“ benutzen, um bestimmte Phänomene des Lebens zu beschreiben, sondern entlang ganz anderer Kontroversen (Umgang mit sozialer Ungleichheit, Anerkennung weiblicher Freiheit, Wertschätzung von Pluralität usw.). Weshalb ich auch den Ärger gut verstehen kann, wenn behauptet wird, außerhalb von Religion gäbe es keine Moral und Ethik. Das ist natürlich falsch, logisch wie empirisch.
Und auch sonst steht in ihrem Text vieles, was die Bezeichnung als „Atheistin ehrenhalber“ (im ersten Kommentar) rechtfertigen würde. Trotzdem schreibt sie, „Für mich selbst kann ich das Wort „Gott“ jedoch weiterhin gut gebrauchen.“ und meint damit:
Dieses Wissen und die Berücksichtigung des Faktes, dass nicht alles von uns selbst abhängt, sondern dass wir mit allem, was wir tun, eingespannt sind in ein Geflecht von allem Möglichen – dem, was andere Menschen machen, dem Zufall, guten oder schlechten Gelegenheiten, Glück und Pech, Trallala und so weiter – das ist mir allerdings in der Tat auch gesamtgesellschaftlich wichtig und erscheint mir momentan kulturell etwas unterentwickelt zu sein.
Das ist es nun, was mich irritiert. Wenn „Gott“ nicht sehr viel mehr als ein Synonym für die (definitiv vorhandene, eigentlich selbstverständliche) Eingebundenheit in ein Geflecht von Möglichkeiten und Abhängigkeiten ist, braucht es meiner Meinung nach diesen Begriff (und das ganze System, das dahinter steht) nicht. Warum dann daran festhalten, und damit auch an einem ganzen Haufen von kulturell-traditionellem Balast, zu dem ganz andere Gottesbilder ebenso gehören wie männerzentrierte Hierarchien von Würdenträgern, Unfehlbarkeitsansprüche und harte Abgrenzungen gegen andere.
Ist es dann nicht eher so, dass das Festhalten an „Gott“ als symbolisch-institutionalisierter Bezeichnung für dieses Eingebundensein genau verhindert, dass wahrgenommen wird, dass es eben nicht eine ferne Macht ist, das hinter Zufällen kein Ziel steckt, dass viele der Abhängigkeiten, in denen wir uns finden, menschgemacht sind?
Ein Kommentator, Wolfgang Mederle, schreibt in seiner Antwort auf Antjes Fragen in ihrem ersten Beitrag (leider sind die Kommentare nicht direkt verlinkbar, scheint mir) etwas, was ich auch für mich so sehe – Atheist zu sein, heißt sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren:
Ich bin Atheist, weil es nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Existenz eines höheren Wesens gibt. Daher lehne ich es auch ab, Moral auf antiken Schriften fußen zu lassen. […] Daraus leiten sich für mich einige elementare Dinge ab:
- Es gibt kein Leben nach dem Tod. Was ich in diesem Leben nicht erfahre oder zuwege bringe, bleibt unerfahren und ‑erfüllt. Also versuche ich, das beste aus meinem Leben zu machen.
- Menschen, die mir wichtig und die verstorben sind, leben nur in meiner Erinnerung weiter.
- Da dies für alle so ist, muß das Ziel aller Menschen sein, daß jeder Mensch ein lebenswertes und erfülltes Leben haben kann. Es gibt keinen anderen Ort, an dem alles besser wird für die, denen es schlecht geht. Keine Ausreden.
- Mein Leben hat keinen tieferen Sinn. Es ist einfach da, und das ist in Ordnung so.
Mein eigener Atheismus hat übrigens was mit drei Dingen zu tun. Das eine – das ist mir in meiner Schulzeit aufgefallen, und hat dann schnell zum Atheismus geführt – sind logische Widersprüche innerhalb von Religionen, vor allem aber zwischen Religionen – wenn alle für sich in Anspruch nehmen, die einzige Wahrheit zu haben, müssen alle bis auf eine Religion falsch sein. Oder es sind eben alle falsch.
Politisch radikalisiert hat sich das dann u.a. durch den Kontakt zu Jungdemokraten/Junge Linke in den 1990er Jahren (und durch die politische Sozialisation in der Grün-Alternativen Jugend). Bei JD/JL war aber stärker noch als in der GAJ eine harte Kirchenkritik dominant. Die Kirchengeschichte mit ihren Kreuzzügen und Zwangsmissionierungen, mit der Inquisition und mit Hexen- und Ketzerverbrennung ist jedenfalls für mich definitiv ein Argument, sich nicht nur persönlich als Atheist zu sehen, sondern sich auch politisch klar für eine harte Trennung von Kirche und Staat einzusetzen. Vieles von dem, was die abendländische Tradition der Aufklärung ausmacht, ist ja kein Ergebnis des Christentums, sondern wurde diesem hart abgerungen.
Ein dritter wichtiger Faktor war dann für mich das Studium der Soziologie. Die soziale Wirklichkeit, in der wir leben, ist weder „gottgegeben“ noch „natürlich“, sondern ein menschgemachtes Bündel von Strukturen, Institutionen und Praktiken. Dieses Bündel wird durch unser aller Tun reproduziert und begrenzt zugleich die Möglichkeiten unseres Handelns. Die soziale Wirklichkeit ist eine Konstruktion. Das heißt jetzt nicht, dass sie beliebig veränderbar ist. Aber es bedeutet, dass sie veränderbar ist (das ist die große Hoffnung der Soziologie). Und es bedeutet, dass sie in einem gewissen Maß arbiträr und kontingent ist, dass also auch alles anders hätte sein können, dass vieles, was uns heute an Machtpositionen und Erwartungen als Selbstverständlich erscheint, letztlich von historischen Zufällen abhängig ist. Das trifft eben auch auf Religionen zu: Göttinnen und Götter und die damit verbundenen Glaubenssysteme sind soziale Konstrukte, die sich historisch rekonstruieren lassen, und die keine außersoziale Gültigkeit beanspruchen können.
(Sowohl Terry Pratchett in Small Gods als auch Neil Gaiman in American Gods setzen die diese Abhängigkeit der GöttInnen von den Gläubigen übrigens literarisch schön in Szene …)
Erfolgreich weitergetragene soziale Konstrukte funktionieren; sie tragen zum Erhalt einer sozialen Ordnung bei. Auch Religion und die damit verbundenen Institutionen mögen eine solche gesellschaftliche Funktion haben – das hindert mich aber nicht daran, sie in Frage zu stellen, und insbesondere zu fragen, ob sie Überbleibsel sind, die einstmals funktional waren, es aber heute nicht mehr sind – oder (in einer multiethnischen, globalisierten, durch Vielfalt und Individualität gekennzeichneten Gesellschaft) nicht mehr sein können.
Traditionen können neu erfunden werden. Viel tragfähiger als Symbol für das (ungerichtete) menschliche Eingebundensein in gesellschaftliche und letztlich auch natürliche Zusammenhänge finde ich beispielsweise den Kreislauf der Jahreszeiten – symbolisiert durch die Sonnenwenden und Tag-und-Nachtgleichen.
Es gibt Menschen, die sich daraus ihre Religion basteln – und dabei behaupten, sich auf alte heidnische Traditionen zu beziehen. Insofern hieraus tatsächlich (Wicca, Paganismus, Neuheidentum) neue Religionen entstehen, geht mir diese Bastelarbeit zu weit. Denn weitergedacht entstehen hier ja wieder institutionelle Systeme, die Menschen unfrei machen. (Mal ganz abgesehen von der gerade in Deutschland oft geleugneten, aber leider durchaus vorhandenen Nähe zwischen Neuheidentum und rechtsextremen Ideologien).
Aber ohne Einbettung dieser Symbole in diesen organisierten Kontext, einfach als eine nicht-religiöse Erinnerung daran, dass wir Menschen auch im 21. Jahrhundert „n. Chr.“ in unseren Handlungen nie im leeren Raum agieren, finde ich es durchaus angemessen, den Wechsel der Jahreszeiten zu feiern. Was mich dann auch mit Ostern (als Frühlingsfest) und Weihnachten (das ja sicherlich nicht zufällig fast genau zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende stattfindet) versöhnt.
Damit könnte ich mich zufrieden geben und hinnehmen, dass andere Menschen an Dinge glauben – möglicherweise fest davon überzeugt sind!, die ich für Unsinn halte. Soweit es den privaten Alltag betrifft, versuche ich, hier nicht missionarisch aufzutreten – aber mich mit meiner Meinung, meiner Haltung auch nicht zu verstecken, wenn die Passung in christlich-abendländische Traditionen zu schnell und zu selbstverständlich angenommen wird.
Schwierig wird es da, wo spürbar wird, dass sich Deutschland als Staat noch immer auf diese Traditionslinie und ihre Institutionen beruft. So beruft sich die baden-württembergische Landesverfassung auf die „Verantwortung vor Gott“ (Vorspruch), sieht die Aufgabe des Menschen darin, „in der ihn umgebenden Gemeinschaft seine Gaben in Freiheit und in der Erfüllung des christlichen Sittengesetzes zu seinem und der anderen Wohl zu entfalten“ (Art. 1 (1)), ermahnt dazu, bei den staatlichen Feiertagen die „christliche Überlieferung zu wahren“ (Art. 3 (1)), lässt sich in den Artikel 4–10 ausführlich zur Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften aus (Wohlfahrtspflege, Verpflichtung zu staatlichen Zahlung an die Kirchen, Besetzung von Lehrstühlen im Benehmen mit den Kirchen usw.) legt fest, dass die Jugend christlich zu erziehen ist (was es dem Fach Ethik in Baden-Württemberg schwer macht) – „Die Jugend ist in Ehrfurcht vor Gott, im Geiste der christlichen Nächstenliebe, zur Brüderlichkeit aller Menschen und zur Friedensliebe, in der Liebe zu Volk und Heimat, zu sittlicher und politischer Verantwortlichkeit, zu beruflicher und sozialer Bewährung und zu freiheitlicher demokratischer Gesinnung zu erziehen.“ (Art. 12 (1)), geht von „Bekenntnisschulen“ und „christlichen Gemeinschaftsschulen“ sowie genauen Regeln zum Religionsunterricht (Art. 15 und 16, 18 und 19) aus und sieht – wie auch das Grundgesetz – den religiös konnotierten Amtseid der BeamtInnen als Normalfall vor (Art. 78).
Faktisch heißt das für mich und für die übrigen 20% oder mehr AtheistInnen – und da treffen sich Politik und privater Alltag – dass staatlich finanzierte kirchliche Kindergärten in vielen Gemeinden völlig normal sind. Dass an der Grundschule meiner Tochter selbstverständlich kein Ethikunterricht stattfindet, und ich sie zwar aus dem Religionsunterricht herausnehmen kann, aber selbst sehen muss, ob das betreuungszeitlich klappt (was die Zahl der nicht am Religionsunterricht teilnehmenden Kinder effektiv minimiert). Dass die Grundschule selbstverständlich Adressen an die städtische Kirchengemeinde weitergibt, so dass diese zu Gottesdiensten einladen kann. Dass LehrerInnen verpflichtet werden, SchülerInnen bei Gottesdiensten zu beaufsichtigen. Dass bestimmte Fachkombinationen an der PH nur mit dem Fach Religion studiert werden können. Dass ein Teil der Hochschulen – etwa die Evangelische Hochschule und die Katholische Hochschule hier in Freiburg, die vom Fächerspektrum her potenzielle Arbeitergeberinnen für mich darstellen würden (als Soziologe, wie gesagt), mich aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechtes überhaupt nicht anstellen können. Dass es Anlass für Verwunderung war, dass MinisterInnen der neuen Landesregierung bei der Vereidigung auf den Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ verzichteten.
Religion ist etwas menschgemachtes, aber Menschen sind noch immer nicht frei, ihre Religion selbst zu wählen – bzw. auf Religion zu verzichten – ohne dadurch Nachteile zu erlangen. Deswegen erscheint mir Atheismus nicht nur als persönliche, weltanschauliche Haltung richtig, sondern ist nach wie vor auch als politische Einstellung relevant.
Warum blogge ich das? Weil ich die Fragen in Antje Schrupps Blog sehr schön fand und denke, das mehr persönliche Sichtbarkeit für einen durchdachten Atheismus nicht schaden kann – gerade in Baden-Württemberg.
Da kann ich einfach nur zustimmen. Bei mir kommt noch ein anderer Faktor zum Atheismus hinzu: Es irritiert mich nachhaltig, wenn Leute einer Religionsgemeinschaft angehören, die ganz klare Glaubensinhalte, Vorschriften, ein genau definiertes Gottesbild und einen ausgearbeiteten Katechismus hat, aber trotzdem völlig andere Dinge glaubt.
Weil’s so schön passt… Aus NYT von heute:
http://www.nytimes.com/2013/01/06/opinion/sunday/the-blessings-of-atheism.html
Als Angehörige der Asentreue (Heidentum, wie du es hier nennst): Zuerst einmal ist die Nähe zum Rechtsradikalismus eine alte Schleppe, die „uns“ immer wieder angedichtet wird, die aber seit Jahrzehnten überholt ist und seither einfach nur derselbe Humbug ist, der ständig wiedergekäut wird.
Zum Thema Institution: Aus einer gesunden und „realistischen“ Asentreue kann keine Institution entstehen (was nicht heißt, dass es nicht dennoch passiert und ständig passiert). Atheisten begreifen den Glauben an etwas Übernatürliches häufig wie diese kranken Formen des Monotheismus, bei denen bestimmte Vorstellungen bereits inbegriffen sind, etwa priesterliche Leitfiguren, allmächtige Götter, Dogmen, Institutionen, Unfreiheit, das Problem mit Schicksal und Freiheit des Menschen, das Ausgeliefertsein, Beten, Opferhaltung usw. usf.
All diese Aspekte sind allerdings den Monotheismen zueigen (die großen drei sind ja außerdem eigentlich ein und derselbe), während sie für Naturreligionen und alte Kulte keinesfalls übernommen werden können.