Brandung (15)

Liest das hier über­haupt noch jemand? All­mäh­lich wird’s inter­es­sant, glau­be ich …

Bubbly water II

Brandung (15)

Hin­ter Dr. May­mo­th her eil­te Mar­tha eine Trep­pe hin­auf, über eine der sanft geschwun­ge­nen Fuß­gän­ger­brü­cken mit wei­tem Blick auf das Mit­tel­meer ins Nach­bar­ge­bäu­de. Auch dort muss­ten sie noch ein­mal durch eine Sicher­heits­schleu­se. Dann betra­ten sie einen Trakt, der offen­sicht­lich beleb­ter war als der Raum, in dem die Ver­suchs­an­la­ge zur nano­tech­no­lo­gi­schen Meer­was­ser­ent­sal­zung stand. Büro­tü­ren stan­den offen, aus dem Labor am Ende des Flu­res klan­gen Geräu­sche eines ange­reg­ten Gesprächs. Die­se ver­stumm­ten, als Dr. May­mo­th den Raum betrat.

„Darf ich vor­stel­len – Mar­tha Beer­mann, unse­re Spe­zia­lis­tin für das Was­ser­bau­we­sen. Dr. Ali Bay­ram, unser Chef­ent­wick­ler Nano­bio­tech, den wir direkt von der Maghreb School of Tech­no­lo­gy abwer­ben konn­ten, und sein Team.“ 

Die MST war eines der aus dem ara­bi­schen Früh­ling ent­stan­de­nen Pres­ti­ge­pro­jek­te in den neu­en EU-Staa­ten am Süd­rand des Mit­tel­meers. Der Haupt­cam­pus lag in der Neu­en Lybi­schen Repu­blik. Bis­her hat­te Mar­tha sich kaum mit Nano­tech­no­lo­gie beschäf­tigt. Aber auch zu ihr war der gute Ruf der MST durch­ge­drun­gen – ein Nobel­preis und dut­zen­de Grants des Euro­pean Rese­arch Coun­cils für eine jun­ge For­schungs­ein­rich­tung waren kaum zu überhören. 

Mar­tha schüt­tel­te Dr. Bay­ram die Hand. Er moch­te etwa vier­zig Jah­re alt sein, war nicht beson­ders groß gewach­sen und trug einen auf­fäl­li­gen Voll­bart. Aus sei­nen Augen strahl­te die Fas­zi­na­ti­on eines klei­nen Kin­des, das gera­de dabei war, ein neu­es Spiel­zeug aus­ein­an­der zu neh­men. Auch dem Team – eine auf­fäl­lig geschmink­te Frau mit Kopf­tuch und zwei jün­ge­re Män­ner, ein hoch gewach­se­ner Blon­der und ein etwas dick­li­cher Dun­kel­haa­ri­ger – reich­te Mar­tha die Hand. 

Dr. May­mo­th ent­schul­dig­te sich, bat Dr. Bay­ram, Mar­tha in das Pro­jekt ein­zu­füh­ren, und ver­schwand dann in einen der Büro­räu­me. Auch Dr. Bay­ram schien mit einem Neu­ro­tab aus­ge­rüs­tet zu sein. Er blick­te kurz kon­zen­triert zur Decke. Der Glas­tisch, um den die Grup­pe her­um sich ver­sam­melt hat­te, ent­pupp­te sich als iTa­ble. Über den Kaf­fee­tas­sen der Team­mit­glie­der schweb­te jetzt die Pro­jek­ti­on einer lang­sam wabern­den Blase. 

Dr. Bay­ram räus­per­te sich. „Ich weiß nicht, was Frau Dr. May­mo­th Ihnen schon erzählt hat. Wir betrei­ben hier bio­mime­ti­sche Nano­tech­no­lo­gie in flui­den Medi­en. Etwas ver­ständ­li­cher gesagt: Wir bau­en künst­li­che Bak­te­ri­en für wäss­ri­ge Umge­bun­gen. Das hier“ – damit wies er auf die Bla­se hin – „ist unser Stan­dard­trä­ger. Das übli­che: arti­fi­zi­el­le Zell­wand, Zell­flüs­sig­keit, Repro­duk­ti­on nur bei stark erhöh­ter Umge­bungs­hel­lig­keit, da pho­to­che­mi­sche Energiegewinnung.“

„Unser Pro­jekt hat zwei Zie­le.“ In der Bla­se erschien jetzt eine sich lang­sam um sich selbst dre­hen­de, gelb gefärb­te Dop­pel­he­lix, die zu einem Ring gewun­den war. „Das ers­te Ziel ist die ein­deu­ti­ge Kenn­zeich­nung. Die­ser DNA-Strang iden­ti­fi­ziert den Trä­ger ein­deu­tig. Ab einer Kon­zen­tra­ti­on von einem ppm in der Umge­bungs­flüs­sig­keit wird die­ses Ziel erreicht.“

Mar­tha ver­such­te, Dr. Bay­rams Erläu­te­run­gen mit dem Vor­trag zusam­men­zu­brin­gen, den Dr. May­mo­th am Frei­tag gehal­ten hat­te, und der letzt­lich der Aus­lö­ser dafür war, dass sie jetzt in die­sem Labor stand. Sie hob die Hand. „Darf ich eine Zwi­schen­fra­ge stellen?“

Dr. Bay­ram lächel­te. „Ger­ne – fra­gen Sie nur.“

„Mir ist noch nicht so ganz klar, wofür die ein­deu­ti­ge Kenn­zeich­nung gebraucht wird. Die …“ – Mar­tha zöger­te – „… Nano­ma­schi­ne wird damit iden­ti­fi­ziert. Soweit ist mir das klar. Aber wozu –“

„Ach, ich muss etwas wei­ter aus­ho­len. Es geht natür­lich nicht nur dar­um, das Zell­ana­log – so nen­nen wir das – selbst ein­deu­tig iden­ti­fi­zie­ren zu machen. Was wir letzt­lich errei­chen wol­len, ist eine Kenn­zeich­nung des flui­den Medi­ums, der Umgebungsflüssigkeit.“

„Also sozu­sa­gen eine Art Wasserzeichen?“

„Genau. Net­tes Wort­spiel. Das ist gut. Ein Was­ser­zei­chen für Was­ser, ja, das ist es. Und ein wehr­haf­tes noch dazu.“

Dr. Bay­ram erläu­ter­te nicht näher, was er mit der letz­ten Bemer­kung mein­te, son­dern setz­te sei­nen Vor­trag fort. „Die ein­deu­ti­ge Kenn­zeich­nung der Umge­bungs­flüs­sig­keit ist das eine Ziel. Das ist rela­tiv ein­fach zu errei­chen. Aber wir wol­len mehr. Das zwei­te Ziel ist nun die eigent­li­che Her­aus­for­de­rung für uns. Aber wir machen Fortschritt.“

In der pro­ji­zier­ten Bla­se erschie­nen nun eini­ge rot gefärb­te Kugeln. Eben­falls rot gefärb­te Fäden ver­ban­den die­se mit Kugeln an der Ober­flä­che der Bla­se. Blaue Kör­per ver­schie­de­ner Form schwam­men an die­sen vor­bei. Ab und zu ver­ban­den sie sich.

„Das Schlüs­sel-Schloss-Prin­zip in Akti­on. Der Nutz­wert des nano­tech­ni­schen Zell­ana­logs Z 3.1 liegt in der Kon­trol­le der Umge­bungs­flüs­sig­keit. Wir kön­nen den Zell­kör­per so kon­fi­gu­rie­ren, dass bestimm­te Stoff­klas­sen erkannt wer­den. Dazu die­nen die hier rot mar­kier­ten Rezep­to­ren. Neh­men wir ein Bei­spiel. Wir kon­fi­gu­rie­ren den Zell­kör­per so, dass Schwe­fel­grup­pen erkannt wer­den. Wenn jetzt die Dich­te ent­spre­chen­der Mole­kü­le zunimmt“ – in der Pro­jek­ti­on beschleu­nig­te sich der Ansturm der blau gefärb­ten Kör­per – „steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass der Schlüs­sel ins Schloss passt. Peng!“

Ein blau­es Teil­chen dock­te an die rote Kugel an der Ober­flä­che an. „Schlüs­sel drin – jetzt kann die Reak­ti­on ein­set­zen. Hier ver­knüp­fen sich arti­fi­zi­el­le Bio­lo­gie und mecha­ni­sche Nano­tech­no­lo­gie. Ein Meis­ter­werk, wenn ich da so sagen darf.“

Mar­tha war sich nicht so ganz sicher, was das beson­de­re an dem Ablauf war, der jetzt in der Pro­jek­ti­on zu sehen war: der Faden, der die rote Kugel außen mit der in der Bla­se ver­band, zog sich zusam­men. Gleich­zei­tig wur­den – wie Mar­tha jetzt erst sah – damit zwei wei­te­re Bla­sen anein­an­der gezo­gen. In einer ani­mier­ten Explo­si­on färb­te die Zel­le sich neongrün. 

Dr. Bay­ram kam zum Schluss. „Wun­der­schön, nicht? Ein Farb­stoff, der erst sicht­bar wird, wenn zwei Kom­po­nen­ten zusam­men­ge­bracht wer­den. Wenn die Trä­ger­flüs­sig­keit gleich­mä­ßig mit Z 3.1 durch­setzt ist, kön­nen wir damit Ver­un­rei­ni­gun­gen belie­bi­ger Art optisch mar­kie­ren. Sie sehen sofort, ob das Was­ser sau­ber ist. Und das funk­tio­niert nicht nur in der Simu­la­ti­on. Ich zei­ge es ihnen.“

Auf einen Wink von Dr. Bay­ram hin schritt die Frau mit Kopf­tuch zu einem Glas­kas­ten mit Mani­pu­la­to­ren. Sie nahm zwei Behäl­ter, füll­te bei­de mit Was­ser und füg­te dem einen noch ein wenig eines Pul­vers hin­zu. Über eine Schleu­se schob sie die bei­den Kol­ben in den Glas­kas­ten. Mit Hil­fe der Mani­pu­la­to­ren füg­te sie mit einer Pipet­te jeweils einen Trop­fen hin­zu, den sie einem silb­rig glän­zen­den Gefäß ent­nom­men hat­te. Für Mar­tha sahen bei­de Kol­ben iden­tisch aus, auch die hin­zu­ge­füg­te Flüs­sig­keit wirk­te wie Was­ser. Die Frau betä­tig­te nun einen Schal­ter. „Hel­les Licht, um Z 3.1 zu akti­vie­ren“, erläu­ter­te Dr. Bay­ram. Einer der bei­den Kol­ben war nun neon­grün gefärbt. 

„Sie sehen, es funk­tio­niert schon recht gut. Ein paar Opti­mie­run­gen sind noch not­wen­dig. Sicher­lich. Aber spä­tes­tens in zwei oder drei Gene­ra­tio­nen – sagen wir, mit Z 3.5 – kön­nen wir das groß­tech­nisch einsetzen.“

Mar­tha war durch­aus beein­druckt. Das änder­te aller­dings nichts an den Beden­ken, die sich bereits nach Dr. May­mo­ths Vor­trag bei ihr gebil­det hat­ten, und die durch Dr. Bay­rams Prä­sen­ta­ti­on nicht klei­ner gewor­den waren, ganz im Gegenteil. 

„Darf ich noch eine Fra­ge stel­len? Die­se Rezep­to­ren – sind die auf bestimm­te Mög­lich­kei­ten beschränkt?“

„Im Test momen­tan haben wir nur eine klei­ne Aus­wahl von Stoff­grup­pen. Aber inge­nieur­tech­nisch sind wir ein­zig durch die Grö­ße des Zell­ana­logs begrenzt. Da kön­nen sie jedes han­dels­üb­li­ches Rezep­to­ren­brick anbringen.“

Der hoch­ge­wach­se­ne Blon­de misch­te sich jetzt in das Gespräch ein. „Spa­ßes­hal­ber haben wir auch eine Vari­an­te gebaut, die unse­re eige­nen Zell­ana­log­kör­per erkennt. Oder viel­mehr: den Fär­be­me­cha­nis­mus aus­löst, wenn kei­ne oder die fal­schen Zs im Was­ser sind. Funk­tio­niert auch. ‚Batt­le of the bricks‘, alles was Sie wol­len.“ Er lachte.

Vor Mart­has inne­rem Auge ent­fal­te­ten sich gan­ze Bil­der­bö­gen mit Hor­ror­sze­na­ri­en. Sie konn­te durch­aus die Moti­va­ti­on dahin­ter nach­voll­zie­hen, Was­ser her­zu­stel­len, das sich färb­te, wenn es ver­un­rei­nigt war. Aber wer ent­schied dar­über, was eine Ver­un­rei­ni­gung dar­stell­te? Wer kon­trol­lier­te das? Mar­tha sah Was­ser, das sich blut­rot färb­te, weil Mar­kie­rungs­kör­per der fal­schen Fir­ma drin ent­hal­ten waren. Was­ser, das unge­nieß­bar wur­de, weil es zu lan­ge auf­be­wahrt wor­den war. Oder sich bei Kon­trol­len – mit einer star­ken Taschen­lam­pe ange­strahlt – ver­färb­te, weil nicht regel­mä­ßig ein extra zu kau­fen­der Neu­tra­li­sa­tor hin­zu­ge­fügt wur­de. Viel­leicht war sie eine Pes­si­mis­tin. Aber hier konn­te sie auf kei­nen Fall mit­ma­chen. Nein, mehr noch: sie muss­te ver­hin­dern, dass Z‑irgendwas jemals in den Was­ser­kreis­lauf gelangte.

In die­sem Augen­blick kam Dr. May­mo­th wie­der ins Labor. Sie wies auf die noch immer über dem Tisch schwe­ben­de Ani­ma­ti­on. „Ich sehe, Dr. Bay­ram hat ihnen vor­ge­führt, was er kann. Beein­dru­ckend, mei­ne Lie­be, nicht wahr? Vie­len Dank! Darf ich Frau Beer­mann kurz entführen?“

Ohne eine Ant­wort abzu­war­ten, eil­te sie wie­der aus dem Raum. Mar­tha stand auf, lächel­te ent­schul­di­gend und lief Dr. May­mo­th hinterher.

(to be continued)

2 Antworten auf „Brandung (15)“

  1. Hal­lo Till,

    ja, ich geste­he. Ich lese schon von Anfang an mit und war­te jedes­mal sehn­süch­tig auf die nächs­te Fol­ge auch wenn das The­ma mir eigent­lich etwas zu „gruen“ ist. Dein Schreib­stil gefällt mir.

    Nur so mal als Fra­ge, wenn dein „Buch“ fer­tig ist und du alle Fol­gen gepos­tet hast, hast du dir schon ein­mal dar­über Gedan­ken gemacht, dass auch als rich­ti­ges Ebook z.B, für den Kind­le bereit­zu­stel­len? Geht das eigent­lich so ein­fach? Ich weiß es lei­der nicht.

    Mach ein­fach wei­ter so und bes­te Grüße

    1. Dan­ke für das posi­ti­ve Feed­back (und das „grü­ne“ am The­ma kann ja auch igno­riert werden ;-)). 

      Zum The­ma „Buch“ bin ich noch unschlüs­sig – was mei­nem Text, auch wenn die Geschich­te irgend­wann abge­schlos­sen ist, defi­ni­tiv fehlt, ist ein Lek­to­rat. Alle Fol­gen in ein PDF zu packen und das ein biss­chen nett zu lay­ou­ten, kann ich mir auf jeden Fall vor­stel­len. Den Text noch­mal von vor­ne bis hin­ten zu über­ar­bei­ten, lek­to­rie­ren zu las­sen, einen Ver­lag zu suchen, der bereit ist, das ers­tens über­haupt zu ver­öf­fent­li­chen und zwei­tens zu ver­öf­fent­li­chen, obwohl’s in der Roh­fas­sung im Netz frei zugäng­lich ist – eher nicht. Self-publi­shing bei Libri oder so (als Buch) kos­tet ein biss­chen und ent­le­digt mich eigent­lich nicht der Lek­to­rats­fra­ge (bei Charles Stross gibt es immer mal wie­der Debat­ten dar­über, war­um eBooks eigent­lich genau­so teu­er oder teu­rer als Papier­bü­cher sind – und ein Grund, neben der Preis­po­li­tik der Ver­la­ge, ist eben die Tat­sa­che, dass zwi­schen dem Roh­ma­nu­skript eines Autors oder einer Autorin und dem End­ergeb­nis doch eini­ge arbeits­in­ten­si­ve Schrit­te ste­hen). Jetzt schaue ich erst­mal, dass die Geschich­te irgend­wann ein zufrie­den­stel­len­des Ende findet …

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