Die taz fragt: Müssen Linke bio essen?

Add carrot
Ist die­se Karot­te links?

Die taz macht jeden Woche so einen „Streit der Woche“, und sucht dafür natür­lich immer kon­tro­ver­se The­men. Heu­te heißt es Müs­sen Lin­ke bio essen?. Gute Fra­ge, wie ich fand – bis ich näher dar­über nach­ge­dacht habe und fest­ge­stellt habe, dass die Fra­ge eigent­lich falsch gestellt ist. Und das hat etwas mit der Grün­dung der Grü­nen zu tun.

Kur­ze Rück­blen­de in die sieb­zi­ger Jah­re. Mal abge­se­hen, dass ich da zur Welt kom­me (1975), fin­de ich die­ses Jahr­zehnt auch aus ande­ren Grün­den inter­es­sant: da for­miert sich näm­lich die moder­ne Frie­dens- und Umwelt­be­we­gung und wird letzt­lich auch zur Par­tei DIE GRÜNEN (1979/80) (und die taz …). Ein wich­ti­ges Ele­ment in die­ser Bewe­gung und in der sich grün­den­den Par­tei ist die „Neue Lin­ke“, also eine Abkehr vom dog­ma­ti­schen Sozia­lis­mus (Stich­wort 1968er und so). In der Par­tei, aber auch in die­sen Bewe­gun­gen kommt – ganz ver­kürzt gesagt – die Vor­stel­lung eines „neu­en Lebens­stils“ zusam­men, der für die Indus­trie­län­der not­wen­dig ist (spä­ter wird dar­aus das Nach­hal­tig­keits­kon­zept). Sozia­le Gerech­tig­keit und öko­lo­gi­sche Zukunfts­fä­hig­keit müs­sen zusam­men­ge­hen. Und damit kommt etwas Neu­es ins Spiel, das weder in der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Tra­di­ti­ons­li­nie, die an der Umwelt nur inter­es­siert hat, ob die Stahl­ar­bei­ter im Ruhr­ge­biet einen blau­en Him­mel sehen kön­nen, noch in der dog­ma­tisch-sozia­lis­ti­schen Linie (wo Umwelt irgend­wo zwi­schen Neben­wi­der­spruch und „sowje­ti­sche AKWs sind gut, west­li­che AKWs sind böse“) eine Haupt­rol­le gespielt hat. 

Jetzt, in der damals neu­en „grü­nen“ Bewe­gung, kommt bei­des zusam­men. Auch das hat his­to­ri­sche Vor­bil­der (Stich­wort: Lebens­re­form, so irgend­wo zwi­schen 1880–1900-1920er Jah­re). In der neu­en Inkar­na­ti­on ist der „neue Lebens­stil“ in sei­ner Bewe­gungs- und Par­tei­form zudem mit mas­si­ven Hete­ro­ge­ni­tä­ten kon­fron­tiert: in der neu­en Par­tei sam­meln sich zunächst mal macht­be­wuss­te Men­schen aus den K‑Gruppen, denen Umwelt so wich­tig auch nicht ist eben­so wie natur­schüt­zen­de Blut- und Boden-Kon­ser­va­ti­ve, für die Umwelt­schutz und „Lebens­schutz“ in eins fällt. Hier kom­men sozi­al­de­mo­kra­tisch-pro­tes­tan­ti­sche Aske­tIn­nen aus der Frie­dens­be­we­gung mit Men­schen zusam­men, die aus dem „neu­en Lebens­stil“ ein mit Leib und See­le geleb­tes Öko-Pro­jekt machen wol­len (und aus deren Pro­jek­ten zum Teil die heu­ti­gen Natur­kost­gi­gan­ten ent­stan­den sind – ich fand hier den Selbst­dar­stel­lungs­pro­spekt des Natur­kosthestel­lers „Rapun­zel“ zum 30-jäh­ri­gen sehr inter­es­sant). Die­ses Amal­gam fin­det sich unter dem Ban­ner „öko­lo­gisch – sozi­al – basis­de­mo­kra­tisch – gewalt­frei“ wieder.

Ein paar Jahr­zehn­te vor­wärts: in den 1990er Jah­ren wur­de mir die­ses grü­ne Allein­stel­lungs­merk­mal so rich­tig bewusst, als ich – in der damals sehr alter­na­ti­ven Grün-Alter­na­ti­ven Jugend (GAJ) aktiv – mit den loka­len JungdemokratInnen/Junge Lin­ke (JD/JL; eben­falls hete­ro­gen zwi­schen links­li­be­ral und neo­mar­xis­tisch) über eine Zusam­men­ar­beit ver­han­del­te. Für ein paar Jah­re gab es eine gemein­sa­me Grup­pe GAJ/JD/JL in Frei­burg – aus der Zeit her­aus bin ich übri­gens auch Mit­glied der Jung­de­mo­kra­tIn­nen. Jeden­falls: die Grün-Alter­na­ti­ve Jugend bil­de­te jen­seits der Poli­tik ihre Iden­ti­tät irgend­wo zwi­schen Hanf (nicht mein Ding), Vege­ta­ris­mus (schon eher), Hip­pie­tum und Jugend­um­welt­be­we­gung, tage in Wal­dorf­schu­len und mach­te bei Aktio­nen gegen den Auto­ver­kehr mit. Für Jung­de­mo­kra­tIn­nen war es dage­gen über­haupt kei­ne Fra­ge, zur Dele­gier­ten­kon­fe­renz ins sozia­lis­ti­sche Tagungs­zen­trum in Oer-Erken­schwiek mit dem Auto anzu­rei­sen (oder auch zum Camp …) und lie­ber über Soli­da­ri­tät zwi­schen den sozia­lis­ti­schen Bru­der­län­dern und den Kampf der Arbeiter(innen?) zu reden als über sowas Selt­sa­mes wie Öko­lo­gie. Die Fra­ge eines Kol­le­gen aus der JD/JL in die­ser Zeit, war­um ich den ein Pro­blem mit dem Auto hät­te, und dass es ja wohl wich­ti­ge­res gäbe, irri­tier­te mich eben­so sehr wie den mei­ne Ant­wort mit Ver­weis auf die Gren­zen der pla­ne­ta­ren Trag­fä­hig­keit, und dass es ja wohl nichts wich­ti­ge­res geben könne.

Aus die­ser poli­ti­schen Bio­gra­phie her­aus liegt der Feh­ler in der Fra­ge, die die taz stellt, genau da. Natür­lich essen tra­di­ti­ons­be­wuss­te Lin­ke nicht bio, und schon gar nicht vege­ta­risch. Der Pro­to­typ dafür ist heu­te ver­mut­lich in den Gewerk­schaf­ten zu fin­den. Men­schen, die bio essen, müs­sen – selbst wenn sie’s nicht nur aus Gesund­heits­grün­den tun, son­dern schon den (natu­ra­len wie sozia­len) Her­stel­lungs­pro­zess im Blick haben – nicht unbe­dingt links sein. War­um auch?

Womit wir am Schluss noch­mal bei den Grü­nen wären. Ide­al­ty­pisch ist das näm­lich immer noch die Par­tei, in der bei­des zusam­men­kommt: das Bewusst­sein dafür, dass es eine extre­me Abhän­gig­keit zwi­schen öko­lo­gi­schen Pro­zes­sen und dem Leben von Men­schen auf die­sem Pla­ne­ten gibt, und dass „öko­lo­gi­sches Kapi­tel“ eben nicht belie­big durch ande­res ersetz­bar ist, und das Bewusst­sein dafür, dass welt­weit und lokal gese­hen Aus­beu­tungs­ver­hält­nis­se und Ungleich­be­hand­lun­gen Men­schen an ihrer Selbst­ent­fal­tung hin­dern und nicht zuletzt dar­um zu bekämp­fen sind. Bei­des kommt in Kon­zep­ten wie dem der Umwelt­ge­rech­tig­keit (envi­ron­men­tal jus­ti­ce) zusam­men: die Fest­stel­lung, dass Smog eben nicht demo­kra­tisch ist, son­dern sich öko­lo­gi­sche Risi­ken sozi­al ungleich verteilen.

Müs­sen Lin­ke bio essen? Nicht unbe­dingt, aber wenn sie wol­len, dass sie im 21. Jahr­hun­dert ernst genom­men wer­den, dann wäre Bio-Essen ein Sym­bol dafür, links zu sein, ohne dabei den Blick für poli­ti­sche Fra­gen jen­seits des Ver­hält­nis­ses von Kapi­tal und Arbeit ver­lo­ren zu haben (das gan­ze lie­ße sich übri­gens auch mit Femi­nis­mus statt mit Bio-Essen durch­spie­len). Oder anders gesagt: wer im 21. Jahr­hun­dert behaup­tet, links zu sein, aber sei­nen per­sön­li­chen Lebens­stil nicht für ein Poli­ti­kum hält, hat was verpasst.

War­um blog­ge ich das? Weil mich die Fra­ge durch­aus ange­spro­chen hat. Und ich mir auch noch gar nicht so sicher bin, ob das hier mei­ne end­gül­ti­ge Ant­wort dar­auf ist. (U.a., weil ich oben noch gar nichts zu Latours poli­ti­scher Öko­lo­gie gesagt habe).

Nach­trag: (14.08.2010) Die taz hat mich heu­te mit einer (von mir ver­fass­ten) Kurz­fas­sung die­ses Bei­trags auf ihrer Streit­fra­gen­sei­te. Lus­tig fin­de ich, dass der von mir gesei­ten­hieb­te LIN­KEN-Chef Klaus Ernst eben­so wie ich auf der „Ja, Lin­ke soll­ten bio essen“-Seite mit einem Kom­men­tar ver­tre­ten ist. So ganz über­zeugt davon, dass die­se poli­ti­sche Hal­tung auch sei­ner per­sön­li­chen Pra­xis ent­spricht, bin ich aller­dings immer noch nicht. Eher ärger­lich: dass die taz mit die Bin­nen-Is (und den Ver­weis auf die Par­al­le­li­tät zum The­ma Eman­zi­pa­ti­on) raus­ge­kürzt hat. Und natür­lich das feh­len­de „ay“ …

15 Antworten auf „Die taz fragt: Müssen Linke bio essen?“

  1. Net­ter Arti­kel, ergänzt wer­den könn­te er aber noch um einen Absatz über die neu­en Pseu­do-Ökos, die sich ein­bil­den, dass alles, was sie bei Alna­tu­ra ein­kau­fen, auch öko­lo­gisch sinn­voll ist.

    Lei­der blei­ben sie dabei im alten ALDI-Denk­mus­ter ver­haf­tet und es wird die Milch der Alna­tu­ra-Eigen­mar­ke an die Kas­se getra­gen, die oft­mals das Her­stel­lungs­kenn­zei­chen DK trägt, statt dass man zur teu­re­ren Milch mit D‑BW 376 (Breis­gau­milch) greift.

  2. Dei­ne Ana­ly­se, dass „Links“-Sein und Bio nicht unbe­dingt zusam­men­hän­gen, tei­le ich. Ins­be­son­de­re von Tei­len des heu­ti­gen lin­ken Milieus wird Bio ja sogar vehe­ment als bür­ger­lich und spie­ßig abge­lehnt („Wer Hartz4 bekommt kann sich das gar nicht leis­ten“), vgl. z.B. Jut­ta Dith­furt. Tat­säch­lich ken­ne ich Kon­ser­va­ti­ve, die über­zeug­te Bio­kon­su­men­ten sind, aber weder beson­ders für Umwelt­schutz zu haben sind noch son­der­lich viel für sozia­le Gerech­tig­keit übrig haben, und erst recht nicht für den lin­ken Frei­heits­be­griff (Links­li­be­ra­lis­mus) – ich nen­ne mal kei­ne Namen ;).

    Für eine grü­ne links­li­be­ra­le Partei/Bewegung, die sich für Bio, Umwelt­schutz, Öko­strom, sozia­le Gerich­tig­keit, gesell­schaft­li­che Frei­heit und Viel­falt, Daten­schutz, freie Soft­ware, Kryp­to­gra­fie, eine brei­te För­de­rung der Wis­sen­schaft und mög­lichst gute Bil­dung für alle einsetzt! ;)

    Sor­ry für den etwas holp­ri­gen Stil, ich schrei­be von mei­nem N900 aus. :)

  3. Ganz davon abge­se­hen, dass man den Men­schen und sein Umfeld (inkl. sei­nes Ver­hal­tens) als Kol­lek­tiv ver­ste­hen muss und somit die Schluss­fol­ge­rung zie­hen könn­te – so wie micu schon ange­merkt hat – dass links und bio nicht wirk­lich kom­pa­ti­bel sind, könn­ten die Fil­me *let’s make money* und *we feed the world* ein ande­res Licht dar­auf wer­fen! Ich kann nur emp­feh­len sich die­se bei­den Ein­bli­cke in den glo­ba­len Kapi­ta­lis­mus unse­rer Zeit nicht ent­ge­hen zu las­sen (zu fin­den auf you­tube in 10 Tei­len). Nach dem Anschau­en könn­te man durch­aus auf die Idee kom­men, dass Links und Bio heut­zu­ta­ge Hand in Hand gehen sollten…

  4. @ abc: Wenn man in Ham­burg statt in Frei­burg wohnt, dann macht däni­sche Milch auch mehr Sinn als württembergische…

    @ Till: Der letz­te Satz ist für mich zentral.
    Ich kon­su­mie­re Bio und fair trade, weil ich die damit ver­bun­de­nen Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen für Mini­mal­stan­dards hal­te. Aus den glei­chen Grün­den beschäf­ti­ge ich kei­ne Putz­frau schwarz und hin­ter­zie­he kei­ne Steuern.
    Ich bin sicher nicht per­fekt und mein öko­lo­gi­scher Fuß­ab­druck noch zu groß – aber ich for­de­re wenigs­tens kei­nen Lebens­stil, den ich nicht sel­ber zu leben ver­su­che und ich kann mei­ne Prio­ri­tä­ten­set­zung in Dis­kus­sio­nen als Bei­spiel her­an­zie­hen und muss nicht im Abs­trak­ten hän­gen bleiben.
    Gera­de weil Soli­da­ri­tät mir was bedeu­tet, will ich nicht, dass für mei­ne Toma­ten Ille­ga­li­sier­te auf spa­ni­schen Fel­dern mit Pes­ti­zi­den ver­gif­tet wer­den oder für mei­ne Scho­ko­la­de Kin­der in latein­ame­ri­ka­ni­schen Plan­ta­gen schuf­ten müssen.

    Man kann wis­sen, wenn man will. Wis­sen und nicht zu han­deln, fin­de ich feige.

  5. @Katja: Wird denn die Däne­mark-Milch der Alna­tu­ra-Eigen­mar­ke nur an Filia­len in Ham­burg aus­ge­lie­fert? AFAIK nicht.

    Ich kauf die­ses Zeug auch nicht. Ein Müs­li auf dem nur steht „Her­ge­stellt für Alna­tu­ra Bicken­bach“. Hal­lo? Und wo kommt’s her? Das hat doch mit Bio nix mehr zu tun.

    Es ging aber glaub ich auch mehr um die Leu­te, die mit VW Tigu­an oder ande­ren Rie­sen­schin­ken beim Alna­tu­ra vor­fah­ren. Die wäh­len auch Grün, weil’s gera­de ihrem Lebens­ge­fühl ent­spricht. Was soll man dazu sagen.

    Und zu Rapun­zel, ich hab den Jubi­lä­ums­pro­spekt auch gele­sen, aber ich fra­ge mich, inwie­weit die­se Idea­le heu­te noch bei denen gel­ten. Unlängst wur­den die Ver­pa­ckun­gen der Rapun­zel-Müs­lis geän­dert, seit­her ent­hal­ten die 1/4 Luft. Kundenverarsche!

  6. „Wer im 21. Jahr­hun­dert behaup­tet, links zu sein, aber sei­nen per­sön­li­chen Lebens­stil nicht für ein Poli­ti­kum hält, hat was ver­passt.“ – ein Satz für’s Poe­sie­al­bum und die Kühlschranktür.

    Wirft aber auch (mal wie­der) die Fra­ge auf, wie viel rich­ti­ges Leben im Fal­schen (oder fal­sches Leben im Rich­ti­gen?) mög­lich ist. Und zwar sowohl indi­vi­du­ell (die täg­li­che Fra­ge der Prio­ri­tä­ten­set­zung beim Ein­kau­fen) als auch insti­tu­tio­nell (wie bio und fair müss(t)en Cate­ring und Wahl­kampf-GiveA­ways etwa bei den Grü­nen sein).

    Trotz­dem passt der Satz nicht so recht mit Dei­nem übri­gen Fazit zusam­men. Wenn Du alle Posi­tio­nen jen­seits der Kapi­tal/­Ar­beit-Fra­ge nur als – letzt­lich aus­tausch­ba­re – „Sym­bo­le“ für Moder­ni­tät ver­stehst, ver­engst Du dann nicht zugleich Links­sein auf eine Defi­ni­ti­on aus den 70ern?

  7. Span­nen­de Anmer­kun­gen – auch die (böse?) Fra­ge bei Face­book danach, ob Lin­ke hei­ra­ten dürfen.

    Drei Din­ge sind mir noch eingefallen.

    1. Bio-Essen ist nur dann links, wenn dahin­ter eine Poli­tik steht, nicht nur das eige­ne Leben „kor­rekt“ aus­zu­rich­ten, son­dern sich sowohl auf die sozi­al-öko­lo­gi­schen Kon­se­quen­zen und Vor­be­din­gun­gen im Pro­duk­ti­ons­pro­zes­sen zu bezie­hen als auch – und das ist das mehr zum Text oben, ange­regt durch eini­ge der Kom­men­ta­re – das Ziel zu haben, die Vor­aus­set­zun­gen (aber nicht die Pflicht) zu einer sozi­al-öko­lo­gisch sinn­vol­len Lebens­wei­se all­ge­mein zu machen. Anders gesagt: Wer Bio ist, weil er/sie es sich leis­ten kann, und das ein schö­nes Distink­ti­ons­merk­mal im „Bie­der­mei­er-Bohe­me“ ist, ist nicht links – wer es tut, und gleich­zei­tig dafür kämpft, dass alle das tun kön­nen, ist links (und da hängt dann ein gan­zer Rat­ten­schwanz an Kon­se­quen­zen dran, nicht zuletzt die gan­ze Kon­ven­tio­na­li­sie­rungs­de­bat­te über Bio im Supermarkt).

    2. Als Ergänzung/Erläuterung zu Jochens Kom­men­tar: ich glau­be, mein Bei­trag hat zwei Aus­sa­gen (jeden­falls war das die Inten­ti­on). Die eine: links (Vor­stel­lun­gen von gesell­schaft­li­cher Soli­da­ri­tät) und öko (z.B. Bio-Essen, kann aber noch wei­ter aus­dif­fe­ren­ziert wer­den) sind – eben­so wie wei­te­re Merk­ma­le – Dimen­sio­nen, die unab­hän­gig von­ein­an­der sind und im Sin­ne eines Patch­work-Lebens­stils bzw. einer Patch­work-Poli­tik nahe­zu belie­big kom­bi­nier­bar sind (femi­nis­tisch ori­en­tier­te, sich öko­lo­gisch ernäh­ren­de NPD-Anhän­ge­rin­nen z.B.). Des­we­gen ist die taz-Fra­ge, die einen Zusam­men­hang impli­ziert, falsch. Die zwei­te Aus­sa­ge: sym­pa­thisch und stim­mig fin­de ich bei wei­tem nicht jede Kom­bi­na­ti­on – es gibt also gute Grün­de für grün (sie­he micus Kom­men­tar). Inso­fern sehe ich auch kei­nen Wider­spruch zwi­schen Kühl­schrank­tür­spruch und dem Rest des Fazit: Links­sein (im Sin­ne gesell­schaft­li­cher Soli­da­ri­tät) ist nur dann eine stim­mi­ge poli­ti­sche Hal­tung, wenn es eben gera­de nicht auf Kapital/Arbeit ver­engt ist, son­dern durch die Aner­ken­nung wei­te­rer unab­hän­gi­ger Dimen­sio­nen pro­gres­si­ver Poli­tik ergänzt wird – die sich im z.B. Lebens­stil oder in der insti­tu­tio­nel­len Insze­nie­rung von „Stim­mig­keit“ eben in bestimm­ten Sym­bo­len wiederfinden.

    3. Jochens Kom­men­tar spricht aber auch noch ein­mal eine ganz ande­re Ebe­ne an: die Annah­me, dass es soet­was wie ein Maß an „rich­ti­gem Leben im Fal­schen“ geben könn­te, funk­tio­niert nur in Ver­bin­dung mit Teleo­lo­gie (egal, ob Revo­lu­ti­on oder bibli­sche Erlö­sung). Die ist mir fremd: es gibt kein Mor­gen, wo dann plötz­lich alles gut ist, son­dern nur das hier & jetzt. Des­we­gen ist das für mich auch der ein­zi­ge rich­ti­ge Ort poli­ti­scher Kämpfe.

  8. Nach­trag:

    4. Zu Rapun­zel (blu­men­topf): die Fra­ge – wie­viel von den dama­li­gen Idea­len ist bei denen heu­te noch übrig – habe ich mir auch gestellt. Aber gar nicht mal unbe­dingt im Modus der Empö­rung, son­dern eher aus wis­sen­schaft­lich-poli­ti­scher Neu­gier­de: Wie groß und eta­bliert kann ein Pro­jekt wer­den, wie lan­ge kann jemand per­sön­lich „Erfolg haben“, ohne Idea­le auf­zu­ge­ben? Und wie geschieht dies, und was machen die, die die ihre Idea­le (im Sin­ne all­täg­li­chen Han­delns) nicht ver­lie­ren wollen?

  9. Um ein­mal hart zu fra­gen: Was hat links heut­zu­ta­ge noch mit Bio zu tun?

    Das ist viel­leicht ein biss­chen über­trie­ben, es ist an die­ser Form der Fra­ge­stel­lung aber durch­aus viel Wahres. 

    Natür­lich ist es wün­schens­wert, dass der Mensch sich in jeder Hin­sicht sozi­al und öko­lo­gisch enga­giert. Ein gro­ßes Kom­pli­ment an alle, die die­sen Lebens­stil so kon­se­quent als ihnen eben mög­lich durchhalten. 

    Ich bezwei­fe­le jedoch sehr, dass Kon­su­men­ten von Bio­pro­duk­ten heut­zu­ta­ge im Durch­schnitt noch sozia­ler sind als Nicht-Bio­kon­su­men­ten. Gibt es nicht sogar schon Stu­di­en, die dar­auf hin­deu­ten, dass der Bio­kon­su­ment sich oft­mals weni­ger sozi­al ver­hält, da er schon etwas Gutes getan hat? (Dass soll nicht heis­sen, dass ich Bio oder auch Bio­kon­su­men­ten schlecht finde.) 

    Und mal ganz ehr­lich, wenn es mir um Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen geht, wer garan­tiert mir denn, dass die sozia­len Bedin­gun­gen O.K. oder auch nur bes­ser sind, wenn ich Bio kau­fe? (bei kon­trol­lier­ten Fair­trade-Pro­duk­ten ist das natür­lich anders, aber wenn ein Pro­dukt ein­fach nur Bio ist?)

    Und zuletzt – und an die­ser Stel­le oute ich mich mög­li­cher­wei­se als kon­ser­va­ti­ver Lin­ker – fin­de ich die Fest­stel­lung „ein Hartz 4 Emp­fän­ger“ und sicher auch vie­le ande­re „kön­nen sich nur Bio nicht leis­ten“ durch­aus nicht falsch.
    Das heisst nicht, dass ich nicht weiss, dass es Men­schen gibt, die das schaf­fen, aber kann man das wirk­lich von jedem erwar­ten? Und das auch auf lan­ge Sicht? Und wer sind wir eigent­lich, dass wir dar­über dis­ku­tie­ren, ob das geht oder nicht,
    haben wir das denn alle schon mal lang­fris­tig mit­ge­macht mit 359 Euro plus Mie­te im Monat zu leben? Ich jeden­falls habe das Gefühl, dass ich dar­über nicht urtei­len darf…

  10. @ Fra: Ich ken­ne die Umfra­gen auch, nach denen es Bio-Kon­su­men­tIn­nen gibt, die mei­nen mit Bio bei ALDI hät­ten sie ihren Teil schon bei­getra­gen und gut.
    Wer aller­dings einen so klei­nen Teil­aspekt sei­nes Lebens schon für einen kohä­ren­ten Lebens­stil hält, dem ist auch nicht zu helfen.
    Die­je­ni­gen aller­dings, die als Lin­ke ver­su­chen, sozia­le Bedin­gun­gen zu ver­bes­sern, kom­men an Bio m.E. nicht vor­bei – erst recht nicht international.

    Im Bio-Anbau wer­den weni­ger Pes­ti­zi­de ver­wen­det, was die Gesund­heit der Farm­ar­bei­te­rIn­nen schont, die Arten­viel­falt ist höher, das Saat­gut stammt häu­fig nicht von den übli­chen Mono­po­lis­ten wie Mons­an­to, die Bio-Bran­che steht was ihre Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen angeht, deut­lich mehr im Licht der Öffent­lich­keit. Nichts davon ist garan­tiert, aber die Wahr­schein­lich­keit, dass im Bio-Pro­dukt weni­ger Was­ser aus was­ser­ar­men Regio­nen, weni­ger Ero­si­on, weni­ger Kin­der­ar­beit, weni­ger Pes­ti­zi­de drin­ste­cken als in einem *ver­gleich­ba­ren* kon­ven­tio­nel­len Pro­dukt ist schon sehr groß.

    Zugu­ter­letzt tra­gen die gan­zen geschmäh­ten Bio-Bür­ger­li­chen mit kon­se­quen­tem Bio­kon­sum natür­lich dazu bei, dass Bio­pro­duk­te auch für Men­schen mit wenig Geld erschwing­lich werden. 

    Wobei Pro­duk­te mit höhe­rem sozia­len und öko­lo­gi­schen Stan­dard immer einen höhe­ren Prouk­ti­ons­preis haben wer­den, als Pro­duk­te, die unter Zuhil­fe­nah­me von Aus­beu­tung pro­du­ziert wer­den. Wie soll das auch anders sein?
    Auch Nied­rig­lohn­emp­fän­ge­rIn­nen müs­sen sich klar­ma­chen, dass sie mit ihrem Kon­sum dazu bei­tra­gen, ob (wenn nicht in ihrem Land, dann woan­ders) ande­re auch kei­ne ange­mes­se­nen Löh­ne erhal­ten und aus­ge­beu­tet werden.

    @ Till: Und? Ist Nicht-Hei­ra­ten links? ;-)

  11. @Katja: zur Hei­rats­fra­ge – Nicht-Hei­ra­ten ist für mich nicht unbe­dingt links – aber dafür libe­ral, eman­zi­pa­to­risch, mög­li­cher­wei­se auch libertär/anarchistisch. Sprich: geht um das Drei­eck aus Staat, Geschlech­ter­ver­hält­nis­sen und Privatleben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert