Laut Presseberichten (auch an vielen anderen Stellen) kündigte die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Renate Künast, in einem Interview mit der WELT an, dass es demnächst ein grünes Papier zur inneren Sicherheit geben soll. Zumindest in den Kurzzusammenfassungen klingt das verheerend danach, alte und sinnvolle grüne Positionen in diesem Bereich aufzugeben: pro Antiterrordatei, pro Videoüberwachung usw. Also eine Abkehr von der grünen Bürgerrechtslinie, wie sie noch im Länderratsbeschluss zur Computerausspähung sichtbar ist? Im Detail sieht es dann doch etwas anders aus; es gibt jeweils noch ein „Aber“ oder eine Einschränkung. Wie das ganze letztlich zu bewerten ist, ist ohne Kenntnis des zugrundeliegenden Papiers nicht klar. Aber alleine das Medienecho auf das WELT-Interview dürfte für einige Verunsicherung in der sonst durchaus grün-nahen Neue-Medien- und Bürgerrechtsszene sorgen. Fortsetzung folgt.
Warum blogge ich das? Ein wichtiges Thema, bei dem mir überhaupt nicht egal ist, was für eine Position Bündnis 90/Die Grünen einnehmen.
Update: Das beschlossene Papier ist jetzt auch im Web zu finden. Und zumindest der Spin im Einleitungstext ist klar: „Im Zweifel für die Freiheit“. Bei etwas mehr Zeit werde ich nochmal genau hinschauen.
Update 2: Das Büro von Renate Künast hat mir auf meine „Was-soll-denn-das-Mail“ geantwortet – u.a. mit der Feststellung, dass es mit dem Papier eben gerade nicht darum gehen soll, in die Schäuble-und-Co-Politik einzuschwenken, sondern Alternativen zum polizeistaatlichen Vorgehen aufzuzeigen, und dass die vielfach zitierte (und oben verlinkte) dpa-Vorabmeldung aus Sicht von Künast ihre im WELT-Interview geäußerte Position verfälscht wiedergegeben hat. Jetzt lässt sich natürlich darüber spekulieren, wie weit Künast bewusst ausgetestet hat, ob ein Schwenk weg von Bürgerrechten mit der Partei zu machen ist – ich glaube hier im Zweifelsfall aber doch eher an JournalistInnen, die sich den vermeintlich großen „Happen“ aus dem Kontext herausgeschnitten haben, und damit ein mediales Echo losgetreten haben, dass die grüne Partei für ein paar Tage ziemlich komisch aussehen ließ.
kann dir nur darin zustimmen, dass man das ganze kritisch verfolgen sollte – insbesondere das zustandekommen dieses „positionspapiers“ erscheint mir recht zweifelhaft – jedenfalls bislang gehe ich davon aus, dass das ein von künast im stillen kämmerlein erarbeitetes Papier ist. Und das erscheint mir bei einer derart grundsätzlichen Positionierung, die dem Vernehmen nach auch nicht nur die Beschlusslage in neuer Verpackung wiedergibt, sondern mehr als diskutable „Neuerungen“ enthält, doch sehr zweifelhaft.
Natürlich sollte es einer Fraktionsspitze unbenommen sein, ein „Thesenpapier“ zu solchen Themen in die parteiinterne Diskussion zu speisen. Aber die Partei darüber zunächst mal mittels der „Welt“ zu informieren erweckt nicht gerade den Anschein, als ginge es hier um einen „bloßen“ Diskussionsinput.
Wohl eher: top-bottom-approach.
Die Bundestagsfraktion hat heute einen Beschluss gefasst (auf der Fraktionswebsite ist da bisher allerdings nur ein Podcast von Künast zu zu finden; habe ich mir nicht angehört, weil Audio so langsam im Vergleich zu Text ist), ich denke, dass der Beschluss in den nächsten Tagen auch in Textfassung dort auftauchen wird. Mal schauen, was die Fraktion weiter damit macht. Einige aus der grünen Linken vermuten sogar, dass es nur darum geht, die Partei CDU-kompatibel für potenzielle Koalitionen zu machen. I don’t hope so.
Ach so: der Entwurf des Papiers, der sich vermutlich nicht wesentlich von der Endfassung unterscheidet, ist z.B. hier als PDF zu finden. Und einen den Lärm um das Thema kritisch betrachtenden Beitrag dazu gibt es bei Julia.
Nach Lektüre der 17 Seiten entspannt sich die Sache glaube ich ein wenig. Insgesamt findet sich wenig wirklich „Neues“ (vielleicht die Befürwortung „gezielter“ Videoüberwachung – aber selbst da bin ich mir nicht sicher; sowie die Befürwortung einer „Indexdatei“); allerdings werden an einigen Stellen mit Prinzipien und allgemeinen Abwägungsformulierungen gebraucht, die nicht so recht durchblicken lassen, wie die Entscheidung denn nun im konkreten F all aussähe.
Die Kritik am Entstehungsprozess des Papiers bleibt aber dennoch bestehen.
Christian Ströbele hat irgendwo sinngemäß gesagt (taz oder so), 10 der 13 Punkte könne er uneingeschränkt unterstützen. Aber letztlich ist mir eh die Praxis wichtiger als das Papier – und da ist die Demobeteiligung von Claudia Roth oder die aktuelle Pressemitteilung der Bundestagsfraktion die richtige Richtung. Ich hoffe, das bleibt in unserer Partei mehrheitsfähig!