Länderrat wird lebhafter

Ich bin mir jetzt schon sicher, dass der 1. Län­der­rat 2007 leb­haf­ter wird als der letz­tes Jahr. Auf der Web­site sind inzwi­schen eini­ge Ände­rungs­an­trä­ge zu den Anträ­gen auf­ge­taucht. Ver­mut­lich wird es auch noch min­des­tes einen wei­te­ren Antrag geben (eine Reso­lu­ti­on gegen die Über­wa­chungs­staats­plä­ne der gro­ßen Koali­ti­on). Inso­fern bin ich jetzt wirk­lich gespannt drauf, wie es wer­den wird – ab Frei­tag vor­mit­tag bin ich unter­wegs nach Bre­men. Die lan­ge Zug­fahrt wer­de ich dann unter ande­rem dafür nut­zen, mir die drei Anträ­ge genau­er anzu­schau­en, zu denen ich hier noch nichts geschrie­ben habe. Mei­nen ers­ten Ein­druck der drei Anträ­ge will ich hier trotz­dem schon ein­mal dokumentieren:

KS-01 „Klimaschutz für alle“

Kli­ma­schutz geht alle an und braucht „Bür­ger­be­we­gung und öko­lo­gi­sche Gerech­tig­keit“, darf also nicht allei­ne auf der Ebe­ne Kon­zer­ne und Poli­tik ver­han­delt wer­den. Die der­zei­ti­ge posi­ti­ve Stim­mung soll genutzt wer­den (u.a. für ein Tem­po­li­mit). Kli­ma­schutz bedeu­tet sowohl eine durch­set­zungs­star­ke öko­lo­gi­sche Ord­nungs­po­li­tik als auch die „Öko­lo­gi­sie­rung unse­rer Lebens­sti­le“ und eine „neue Kul­tur der öko­lo­gi­schen Ver­ant­wor­tung“. Das grü­ne Pro­jekt dabei ist die Unter­stüt­zung ent­spre­chen­der Ini­ta­ti­ven und Bür­ger­be­we­gun­gen. Das Stich­wort „öko­lo­gi­sche Gerech­tig­keit“ ver­weist auf die unter­schied­li­chen Fol­gen des Kli­ma­wan­dels in Deutsch­land und welt­weit je nach sozia­ler Lage; Belas­tun­gen und Chan­cen müs­sen gerecht ver­teilt wer­den ((erin­nert mich an die Stu­die Fair­Fu­ture des Wup­per­tal-Insti­tuts)). Als Ziel des Kampfs gegen den Kli­ma­wan­del wird die (auch anders­wo zu fin­den­den) Mar­ge von 2 Grad Cel­sisus Tem­pe­ra­tur­an­stieg im glo­ba­len Durch­schnitt aus­ge­ge­ben; dazu sol­len Indus­trie­län­der bis 2050 ihre CO2-Emis­sio­nen um 60 bis 80 Pro­zent ver­rin­gern. Es wer­den dann eini­ge aktu­el­le Pro­jek­te genannt: Kampf gegen Koh­le, Ver­rin­ge­rung der Emis­si­ons­zer­ti­fi­ka­te, För­de­rung KWK und Bio­gas, EU als Zone rege­ne­ra­ti­ver Ener­gie („euro­päi­sche Solar­uni­on“), Ver­bes­se­rung der Effi­zi­enz tech­ni­scher Gerä­te (Min­dest­stan­dard­s/­TOP-Run­ner-Poli­tik; Aus­wei­tung von Labels), eben­so im Ver­kehrs­be­reich Kenn­zeich­nungs­pflicht für CO2-Aus­stoss, Vor­bild­funk­ti­on der öffent­li­chen Hand, Tem­po­li­mit und zumin­dest im Nah­be­reich För­de­rung alter­na­ti­ver Mobi­li­täts­for­men, Kero­sin­be­steue­rung; das gan­ze in glo­ba­ler Zusam­men­ar­beit. – Klingt soweit alles wun­der­bar, mir fehlt aller­dings auch hier die Fra­ge der Kli­ma­fol­gen-Anpas­sung.

Ach ja: pas­send zu die­sem Antrag ist vor ein paar Tagen ein neu­es grü­nes Web­an­ge­bot an den Start gegan­gen:Grü­nes Kli­ma – mit Ver­hal­tens­tipps, inhalt­li­chen Bei­trä­gen aus ver­schie­de­ner Per­spek­ti­ve, Berich­ten über die grü­ne Kli­ma­schutz­kam­pa­gne usw. Sieht so ein biß­chen aus wie die elek­tro­ni­sche Fas­sung der im Antrag KS-01 gefor­der­te Bürgerbewegung.

KP-01 „Kinder in den Mittelpunkt – Kinderarmut bekämpfen“

Auf­hän­ger die­ses Antrags ist das The­ma Kin­der­ar­mut; kri­ti­siert wird, dass vie­le kin­der­po­li­ti­sche Maß­nah­men der gro­ßen Koali­ti­on vor allem „Mit­tel­klas­se­fa­mi­li­en und […] Eltern mit hohem und sehr hohem Ein­kom­men“ begüns­ti­gen, etwa wenn es um die steu­er­li­che Absetz­bar­keit von Kin­der­be­treu­ungs­kos­ten geht. 

Vor­ge­schla­gen wird ein 12-Punk­te-Akti­ons­plan, der dazu die­nen soll, Kin­der unab­hän­gig vom Eltern­ein­kom­men zu för­dern. Die Punk­te im Einzelnen:

1. Rechts­an­spruch auf Bil­dung und Betreu­ung ab dem 1. Lebensjahr
2. Kin­der sozi­al absi­chern ((Ver­bes­se­rung der Absi­che­rung von Kin­dern im ALG-II))
3. Früh­kind­li­che Bil­dung und Betreu­ung bei­trags­frei stel­len ((Lang­frist­pro­jekt, fin­den alle toll, wie es gehen soll, hat mir bis­her noch kei­ner gesagt, und die jetzt ein­ge­führ­ten Stu­di­en­ge­büh­ren schei­nen auch nicht in die­sen Bereich zu fließen …))
4. Sprach­er­werb för­dern – Erzie­he­rIn­nen bes­ser aus­bil­den ((gene­rel­le Sprach­stands­er­he­bun­gen, Maß­nah­men bei Sprach­de­fi­zi­ten von Kin­der­gar­ten­kin­dern, Erzie­he­rIn­nen-Aus­bil­dung an Hoch­schu­len, Güte­sie­gel für die Qua­li­tät der Einrichtung))
5. Neue Schu­le – län­ger gemein­sam ler­nen ((alte, aber trotz­dem rich­ti­ge grü­ne Forderung))
6. Jun­ge Erwach­se­ne ernt neh­men – Bil­dungs­fi­nan­zie­rung und Unter­halts­zah­lun­gen refor­mie­ren ((Aus­zah­lung von Kin­der­geld und Aus­bil­dungs­frei­be­trä­gen ab 18 direkt an Kin­der, Unter­halts­recht; der Punkt Bil­dungs­fi­nan­zie­rung ist inter­es­sant, weil er nicht unbe­dingt kom­pa­ti­bel z.B. mit grü­nen For­de­run­gen im Bereich Bafög/BAFF ist))
7. Die ganz klei­nen schüt­zen – Vor­sor­ge­un­ter­su­chun­gen verstärken
8. Gesund auf­wach­sen – Umwelt­schutz auf Kin­der­na­sen­hö­he ((Sam­mel­su­ri­um von rich­ti­gen Punk­ten, u.a. Ver­bot von Weich­ma­chern, aber auch öko­lo­gi­sches Essen in Schulen))
9. Kin­der­freund­li­che Kom­mu­ne – Kin­der­lärm ist Zukunfts­mu­sik ((Sam­mel­su­ri­um, u.a. Aus­bau Jugend­so­zi­al­ar­beit, beson­de­re Belan­ge von Jun­gen und Mäd­chen berück­sich­ti­gen ((ich glau­be immer noch nicht, dass das die rich­ti­ge Grenz­zie­hung für ent­spre­chen­de Maß­nah­men ist)) sowie Stad­pla­nung, die Kin­der­be­dürf­nis­se einbezieht))
10. Betei­li­gung von Kin­dern und Jugend­li­chen ((Wahl­al­ter 16, ver­bind­li­che Betei­li­gung bei Jugend­hil­fe­pla­nung, Anhö­rungs­rech­te in den Petitionsausschüssen))
11. Kin­der­rech­te ins Grundgesetz
12. UN-Kin­der­rechts­kon­ven­ti­on voll­stän­dig umset­zen ((geht vor allem um min­der­jäh­ri­ge Flüchtlinge))

Ins­ge­samt eine bun­te Mischung aus alt­be­währ­ten und inno­va­ti­ven For­de­run­gen, die zum Schluss hin kaum noch etwas mit sozia­len Dif­fe­ren­zie­run­gen zu tun haben. Den einen oder ande­ren in einem Neben­satz ange­spro­che­nen Punkt sehe ich anders bzw. fän­de ich dis­kus­si­ons­wür­dig (u.a. Bil­dungs­fi­nan­zie­rung, aber auch die Fra­ge, wie ein Gen­de­ring von Kin­der- und Jugend­po­li­tik aus­se­hen kann, das nicht sofort zu neu­en Rol­len­fest­le­gun­gen führt). Mal schau­en, wie der Antrag dis­ku­tiert wird.

R‑01 „Resolution zum Rechtsextremismus“

Eine gan­ze Rei­he unter­schied­li­cher Maß­nah­men gegen Rechts­extre­mis­mus, Ras­sis­mus und Anti­se­mi­tis­mus; es geht dar­um, wie Zivil­ge­sell­schaft am bes­ten gestärkt wer­den kann, so dass jede und jeder Ein­zel­ne gegen Rechts­extre­mis­mus vor­geht; punk­tu­el­le Akti­vi­tä­ten („Kri­sen­in­ter­ven­ti­ons­teams“) wer­den kri­ti­siert; dann ziem­lich viel zum The­ma Rechts­extre­mis­mus in Fuß­ball­sta­di­en; das Stich­wort Erin­ne­rungs­kul­tur sowie die For­de­rung nach einem har­ten Durch­grei­fen von Poli­zei und Rechts­staat da, wo Zivil­ge­sell­schaft nicht wei­ter kommt. 

Klingt soweit eigent­lich alles sinn­voll. Ein grö­ße­rer Ände­rungs­an­trag macht dar­auf auf­merk­sam, dass es schwie­rig ist, sich gleich­zei­tig für Viel­falt in den Köp­fen und dezen­tra­le Ansät­ze ein­zu­set­zen und dann eine ein­heit­li­che Erin­ne­rungs­kul­tur zu for­dern – da ist was dran.

* * *

Das also als kur­ze Ein­schät­zung der Anträ­ge. Mit etwas mehr Zeit und Elan wäre sicher noch der eine oder ande­re Ände­rungs­an­trag sinn­voll. Aller­dings stellt sich mir ein biß­chen die Fra­ge, was die ritu­el­le Befas­sung von Posi­ti­ons­pa­pie­ren als Form inner­par­tei­li­cher Mei­nungs­bil­dung eigent­lich bringt – vor allem da, wo eh weit­ge­hen­de Einig­keit herrscht. Nicht nur, weil vie­les oft flos­kel­haft for­mu­liert ist und oft auch immer wie­der die glei­chen For­de­run­gen auf­ge­schrie­ben wer­den, son­dern auch, weil die Halb­werts­zeit poli­ti­scher Beschlüs­se so groß nun auch wie­der nicht ist und oft auch der Adres­sa­tIn­nen-Kreis unklar ist (bis hin zur Fra­ge, ob die grü­ne Bun­des­tags­frak­ti­on den die vom grü­nen Vor­stand vor­ge­schla­ge­nen und vom grü­nen Par­tei­tag beschlos­se­nen Punk­te auch tat­säch­lich ins Par­la­ment ein­bringt). Mir ist klar, dass die behan­del­ten The­men etwas damit zu tun haben, dass in Bre­men ein Land­tags­wahl­kampf statt­fin­det und dass vor allem Kin­der­po­li­tik und Kli­ma­schutz Berei­che sind, in denen aktu­ell eine Pro­fi­lie­rung (d.h. eine stär­ke­re Medi­en­prä­senz) statt­fin­den soll. Trotz­dem sind die Debat­ten, wo es ech­te Kon­tro­ver­sen gibt, nicht nur für Jour­na­lis­tIn­nen span­nen­der. Letzt­lich ist das die gene­rel­le Fra­ge danach, wie inner­par­tei­li­che Mei­nungs­bil­dung eigent­lich „demo­kra­tisch“ statt­fin­den kann – aber dazu viel­leicht ein ande­res Mal mehr.

War­um blog­ge ich das? Auch als Expe­ri­ment – ist es mög­lich, den Vor­be­rei­tungs­pro­zess auf einen Par­tei­tag als klei­nes Ele­ment inner­par­tei­li­cher Trans­pa­renz zu doku­men­tie­ren? Und liest das über­haupt irgendwer?

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