Ein Monat nach den baden-württembergischen Landtagswahlen stecken wir mitten in der Verhandlungen mit der CDU über eine zweite grün-schwarze Koalition; diesmal nicht als Komplementärkoalition, sondern als Aufbruch für Baden-Württemberg angelegt, in dem sich die deutlich verschobenen Kräfteverhältnisse widerspiegeln. 32,6 Prozent als bestes Landtagswahlergebnis Grüner überhaupt (58 der 70 Direktmandate im Land!), und 24,1 Prozent für die CDU. Das hat nicht nur dazu geführt, dass die CDU-Spitzenkandidatin ihren Abschied von der Politik erklärt hat, sondern auch klare grüne Erfolge bereits in den Sondierungsgesprächen ermöglicht.
Kurzkritik zum SWR-Duell
In der Eigenwerbung des SWRs war es so etwas wie der Höhepunkt dieses Wahlkampfs – das Duell. Gestern hat es stattgefunden, mich aber ehrlich gesagt eher ratlos zurückgelassen. Ministerpräsident Kretschmann hat sich wacker geschlagen, deutlich gemacht, dass er das Land verlässlich aus der Krise führen möchte und ist auch Kontroversen etwa zum Artenschutz oder zum Wohnungsbau und Flächenverbrauch nicht ausgewichen. Und er hat vor allem immer wieder erklärt, warum beispielsweise in der Pandemiebekämpfung das eine gemacht und das andere nicht gemacht wird, warum weiterhin Vorsicht notwendig ist und ein schlichtes „alles öffnen“ nicht geht.
Die Kultusministerin und CDU-Spitzenkandidatin habe ich dagegen als sehr phrasenhaft wahrgenommen. Immer wieder forderte sie Handeln, Konzepte, etwas tun ein – wenn dann, was selten genug vorkam, nach Details gefragt wurde, blieb es schwammig und oberflächlich. Etwa bei der Digitalisierung der Schulen. Das dreimalige Wiederholen der selben Worte ist noch kein Konzept. Immerhin – ein paar Differenzen wurden deutlich: aus Sicht der CDU-Kandidatin hilft der weitere massive Eigenheimbau gegen die Wohnungsnot, und wenn dafür die Grunderwerbssteuer auf Null gesenkt wird, und das ein Milliardenloch reißt, ist ihr das auch egal. Von Gesprächen hält sie nicht viel, und dass der Strategiedialog Automobil oder der geplante Dialog zum neuen Gesellschaftsvertrag Landwirtschaft mehr als bloße Gesprächsrunden sind, ist bei ihr auch nicht angekommen.
Aus Sicht einer CDU-Anhänger:in würde das möglicherweise etwas anders erzählt, und natürlich wusste (und twitterte) die CDU schon lange vor Ende des Duells, dass ihre Kandidatin das Duell gewonnen hat. Genauso, wie wir die Stärken und Ideen des MPs hervorgehoben haben. Aber das ist es nicht, was mich gestern Abend ratlos und auch etwas frustriert den Fernseher ausschalten ließ.
Nein, es ist das ganze Setting und die Art und Weise, wie der SWR versucht hat, Politik auf Teufel komm raus als Unterhaltung zu inszenieren. Das fängt beim Blick auf die Getränkeauswahl und die (verunglückte, weil in der Regie zunächst falsch zugeordnete) Redezeitanzeige an. Aber so richtig schlimm wurde es erst in der Nachbetrachtungssendung – Analyse ist dafür zu hoch gegriffen. Zu Wort kamen diverse CDU-Mitglieder (etwa die Vorsitzenden des Unternehmerinnenverbandes) und Zuschaltungen aus Wohnzimmern mit einem extrem repräsentativen Sample der baden-württembergischen Bevölkerung. Fast alle Zuschaltungen waren technisch von miserabler Qualität, selbst die Landesvorsitzenden der Grünen Jugend und der Jungen Union, die offensichtlich aus einer Art Studio dazugeschaltet wurden, waren kaum zu verstehen. Abgerundet wurde diese „Analyse“ durch einen österreichischen Körpersprache-Coach, der von Kretschmanns Körpergröße, seinen Augenbrauen und den zu Ende vollführten Gesten beeindruckt war – und der Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele, die das ganze Duell als vertane Chance einordnete. Zu viel aktuelle Corona-Politik, viel zu wenig Ideen für die nächsten fünf Jahre. Da hat sie recht, aber die Fragen hat der SWR-Chefredakteur ausgesucht. Warum der SWR statt eines Gesprächs darüber eine Corona-Sprechstunde abhielt, ist deren Sache. Ein gutes Licht wirft es nicht auf unseren öffentlich-rechtlichen Sender. Und dass Klimaschutz nur deswegen in der Debatte vorkam, weil der MP es in seinen Ausführungen zum Bauen und zur Landwirtschaft unterbrachte, vom SWR aber mit keinem Wort zu diesem Thema gefragt wurde, bleibt offen. Selbst das wäre ja „konfrontativ“ und „knallig“ möglich gewesen.
Der andere Tiefpunkt war die Spitzenkandidatin der CDU. Wie gesagt, das mögen andere anders wahrgenommen haben, aber ich fand mich doch sehr stark an diese Analyse von René Engel erinnert, der sich die aktuelle CDU/CSU-Wahlkampftaktik näher angeschaut hat und viel Trump und Kurz gefunden hat. Halbsätze werden skandalisiert, Erklärungen und sachliche Debatten nicht gelten gelassen, sondern beiseite geschoben, und manchmal auch schlicht die Unwahrheit erzählt. Das Impulspapier, das Ministerpräsident Kretschmann in Richtung MPK am Mittwoch verfasst hat? Die CDU-Spitzenkandidatin behauptete, es nicht zu kennen (oder, wie ein Twitter-Nutzer schrieb: so müssen sich die Lehrer:innen fühlen, wenn sie Ankündigungen der Kultusministerin aus der Presse erfahren) – nur, dass es letzten Donnerstag auch an ihren Büroleiter geschickt wurde. Reden die nicht miteinander? Der industriepolitische Strategiedialog wird als „bloßes Geschwätz“ verächtlich gemacht. Im grünen Wahlprogramm stehen ein paar Worte davon, wie moderne Städte aussehen können, und dass das Modell der gleichförmigen Vorort-Siedlung und der verödenden Dorfkerne nicht unseres ist – bei der CDU-Kandidatin wird daraus sofort ein Eigenheimverbot, wie es auch Toni Hofreiter nicht gefordert hat. Als Kretschmann das erläutert, wird er quasi ausgelacht. Überhaupt, was ich von diesem Duell mitnehme, ist ein Hang der CDU zur, sagen wir mal, Unhöflichkeit.
Dass ernsthafte Auseinandersetzungen um politische Themen auch anders aussehen können, dafür gibt es viele Beispiele. Dieses Duell war jedenfalls keines. Und es lässt mich in Sorgen zurück – über einen SWR, der Richtung Boulevard schielt, technisch alles andere als eine perfekte Sendung abgeliefert hat, und das mit der Ausgewogenheit noch einmal üben muss – und über einen potenziellen Koalitionspartner im demokratischen Spektrum, der den Wertekompass verloren hat. Das ist bedauerlich.
Zwei digitale Parteitage
Ich habe heute neben dem Abwaschen und Aufräumen den Stream des CDU-Landesparteitags laufen gehabt – schließlich war ich doch ein wenig neugierig, wie sich unser Koalitionspartner und politischer Mitbewerber so schlägt. Wie auch unser Landesprogrammparteitag (Mitte Dezember) fand der CDU-Parteitag digital statt.
Nebenbei: dass einige Menschen in der CDU immer noch glauben, sie hätten digitale Parteitage erfunden, und den ersten echten digitalen Parteitag mit dem CDU-Bundesparteitag hergezaubert, zeugt aus meiner Sicht vor allem von einer gewissen Tellerrandblindheit. Da draußen passieren spannende Dinge, und nicht immer ist die CDU vorne dabei …
Jetzt also der digitale Landesparteitag. Was mir sehr bekannt vorkam, war das Setting: es gab neben dem Parteitagspräsidium (hier v.a. aus dem Generalsekretär Manuel Hagel bestehend) ein zweiköpfiges Moderationsteam, das in einem nachgebildeten Sofa (OBI-Schick in den CDU-Farben orange und grau mit dunkelblauen Akzenten) Auszählpausen überbrückte und Reden durch Fragenstellen etc. auflockerte. Das habe ich schon mal woanders gesehen – beim grünen Bundesparteitag im November 2020 nämlich, damals machte sich die FAZ über die Sofaecke lustig, und das Wohnzimmer tauchte auch wieder bei unserem Landesparteitag auf. Ist ja auch eine schöne Sache. Ebenso scheint sich das Setting, den Parteitag mit einem Rumpfteam aus Parteispitze plus technischem Support aus einer Halle heraus zu übertragen, und Reden vom Pult mit Zuschaltungen und Videobeiträgen zu mischen, als Standardmuster für digitale Parteitage etabliert zu haben.
Neben dem Farbkonzept (knallorange) gab es aber natürlich auch weitere Unterschiede. In den Inhalten, obwohl ich an der einen oder anderen Stelle den Eindruck hatte, die CDU würde sich da durchaus bei Grüns bedienen, und beim Verfahren.
Zeit des Virus, Update VII
Wie etwas ist, wird ja oft erst hinterher klar. Der Sommer war eine große Erleichterung. Doch jetzt sind wir unverhofft und schlecht vorbereitet in die zweite Welle gestolpert. Da mag die Saisonalität des Virus eine Rolle gespielt haben. Und darüber, ob es falsch war, die Grenze für hartes, lokales Eingreifen erst bei 50 Neuinfektionen pro 7 Tage pro 100.000 Ew zu legen, kann rückblickend gestritten werden. Die Zahl war das Ergebnis eines politischen Ringens. Wenn ich mich recht erinnere, standen niedrigere Schwellen im Raum, die aber nicht konsentierbar waren in der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten (MPK), im Sommer, als die lokalen Ausbrüche klar umrissen und nachvollziehbar waren.
Das ist jetzt anders. In den letzten Tagen färbten sich die Deutschlandkarten in einem Tempo rot, als ob sie dem Herbstlaub Konkurrenz machen wollten.
Nicht von der Klimakrise ablenken (lassen)!
Nach der gestrigen Twitter-Debatte unter anderem mit dem Journalisten Nils Minkmar erscheint es mir doch notwendig, noch ein paar Worte zu Fridays for Future und der Methode des Schulstreiks aufzuschreiben. Aber das wichtigste zuerst: insgesamt ist die Debatte um die Schulpflicht aus meiner Sicht ein Ablenkmanöver, ein funktionales Äquivalent zur Frage „what about“, die vom Kern der Sache fortführt – bewusst oder als unintendierte Folge.
Kern der Sache ist und bleibt die Klimakrise. Der Alarmismus ist faktenbasiert und tief in der Wissenschaft verankert. Heute schon beobachten wir massive Folgen der steigenden CO2-Werte in der Atmosphäre – höhere Durchschnittstemperaturen, Hitzewellen, Unwetterereignisse, schmelzendes Eis in der Arktis, ein schneller als erwartet steigender Meeresspiegel. Gleichzeitig gibt es zwar das Pariser Abkommen – die tatsächliche Entwicklung der Emissionswerte gibt aber global wie national wenig Grund zur Zuversicht.
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