Seit gerade eben liegt ja der Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen in Hamburg vor. Allgemein habe ich hier, hier und hier schon ein bißchen was zu den neuen Zweckbündnissen geschrieben. In diesem Blogeintrag will ich mir das Kapitel „Wissenschaft“ näher anschauen, weil ich meine, da ein bißchen was von zu verstehen. Vielleicht noch ein wichtiger Disclaimer: ich bin zwar Sprecher der grünen Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik, äußere mich hier aber als Privatperson und in keiner Weise in offizieller Funktion.
Eine nützliche Ressource zur Bewertung des Kapitels sind die grünen Forderungen, z.B. hier zusammengefasst.
Zuerst einmal ist vielleicht festzustellen, dass das Wissenschaftskapitel im Koalitionsvertrag relativ kurz ausgefallen ist (vier von etwa 65 Seiten). Das mag auch damit zusammenhängen, dass – abgesehen von der heißen Studiengebührenfrage – möglicherweise gar nicht so viel an Dissens da war. Ob das so war, weiss ich nicht. Interessant ist nebenbei auch, dass die Grünen keinen Anspruch auf die Wissenschaftsbehörde erhoben haben – in einer der letzten rot-grünen Koalitionen war die mal mit Krista Sager (1997–2001) besetzt, insofern hätte es da durchaus eine Tradition gegeben.
Gleich der erste inhaltliche Punkt entspricht einer Forderung aus dem grünen Wahlprogramm: es soll eine Wissenschaftsstiftung eingerichtet werden. Diese soll Stiftungen von Privatpersonen und Unternehmen bündeln, aber auch mit staatlichen Mitteln ausgestattet werden, um so langfristig Geld für Hochschulen bereitzustellen, und dieses aus den Haushaltsberatungen und Haushaltskürzungen herauszunehmen. Dies klingt als Forderung sinnvoller als die Umwandlung der Hochschulen in Stiftungsuniversitäten, wie dies z.B. in Niedersachsen zum Teil geschieht.
Das zweite Thema sind die Studiengebühren. Hier ist im Koalitionsvertrag ein detailliertes Modell nachlaufender Studiengebühren festgehalten. Im Vergleich zum Status quo finde ich das deutlich besser, im Vergleich zur Wahlkampfforderung, Studiengebühren abzuschaffen, ist es sicherlich nur ein kleiner Schritt. Wichtig ist, dass sich beide potenzielle Koalitionspartner einig sind, dass prinzipiell mehr Geld in die Hochschulen fließen soll. Das Gebührenmodell ist insofern pfiffig, als es eine gewisse soziale Komponente hat: zurückgezahlt wird nur, wenn innerhalb von zehn Jahren nach Verlassen der Hochschule eine Jahreseinkommensgrenze von 30.000 Euro brutto erreicht wird. In der Grundkonzeption ähnelt das Modell der australischen Variante. Wie die zu bewerten ist, ist politisch umstritten. Aus grüner Perspektive sind nachlaufende Studiengebühren nichts ganz Neues. Die Grüne Hochschulgruppe Tübingen hatte z.B. ähnliches schon Ende der 1990er Jahre als Erweiterung des BAfög-Ersatzes BAFF gefordert. Generell ist der Tenor in den letzten Jahren aber, dass Studiengebühren – auch wenn sie nachlaufend oder, was ich unter bestimmten Umständen präferiere, als AkademikerInnen-Steuer ausgelegt sind – abgelehnt werden. In der Bewertung des Koalitionsvertrags finde ich das Hamburger Modell einigermaßen akzeptabel. Ob es soziale Abschreckungswirkungen nach sich zieht (Doppelbelastung durch Bafög-Schulden und Studiengebührenschulden), wird sich letztlich wohl nur empirisch zeigen. Wichtig ist jedenfalls die Verbesserung gegenüber dem Status Quo, die ja auch der Hamburger AStA (dem Vernehmen nach durch den rechten Flügel der Jusos dominiert) sieht. Vom Ziel einer freien Wissensgesellschaft ohne Gebühren ist das allerdings trotzdem recht weit entfernt.
Ein Punkt, zu dem hinsichtlich der Studiengebühren nichts im Vertrag steht, ist die Frage, wie diese Mittel verwendet werden dürfen. Um beurteilen zu können, ob das ein Problem ist, fehlt mir allerdings der Detaileinblick in die Hamburger Verhältnisse.
Der dritte Themenschwerpunkt ist erfreulicherweise die Geschlechtergerechtigkeit, die ziemlich groß geschrieben wird. Ob die CDU das auch vor den Verhandlungen schon so wichtig fand, weiss ich nicht. Jetzt stehen jedenfalls verbindliche Quoten beim wissenschaftlichen Personal im Rahmen von Zielvereinbarungen, ein Programm für Frauenförderung, Berichte über die Gender-Effekte der BA/MA-Umstellung und Mittel für Gender Studies und Gender Mainstreaming drin. Auch das Thema Familienfreundlichkeit wird erwähnt. Soweit klingt das erstmal alles ziemlich grün. Interessant wird, wer diese Themen mit wieviel Elan dann auch umsetzt.
Zur Hochschulstruktur steht wenig konkretes und viel an Evaluationsaufgaben im Vertrag. Hochschulräte sollen wissenschaftsnäher und weiblicher besetzt werden, die Verteilung von Aufgaben zwischen zentraler Ebene und Fakultäten soll nach Evaluation nachgesteuert werden. Zwischen vermischtem (Polizeihochschule, HamburgMediaSchool, Studiengang Sozioökonomik (Ex-HWP?) …) steht auch der wichtige Satz, dass die „Masterkapazitäten […] so zu gestalten [sind], dass im Hinblick auf jeden Bachelorstudiengang ein Master erworben werden kann“ (S. 19). Wenn sich das tatsächlich auf alle Hochschulen in Hamburg bezieht (ob, ist etwas unklar), ist das eine wichtige Forderung. Der Master wird damit nicht zum Eliteabschluss für wenige, sondern zum faktischen Regelabschluss. Zum Vermischten gehören auch Prüfauftrage zum Bildungssparen und zur Förderung des Technologietransfers.
Das Wissenschaftskapitel schließt mit dem Forschungsschwerpunkt Klima und Energie: Ausbau der Klima- und Klimafolgenforschung, ein Prüfauftrag für einen Cluster „Erneuerbare Energien“ und Klimaschutz als Förderbereich der eingangs erwähnten Wissenschaftsstiftung. Auch das klingt jedenfalls erstmal alles ziemlich grün.
Unter dem Strich ist das Kapitel „Wissenschaft“ positiv zu bewerten. Fehlstellen gibt es vor allem in Bezug auf studentische Mitbestimmung und zur Frage Zahl der Studienplätze. Auch der Punkt Autonomie bleibt weitgehend offen. Insgesamt könnte fast der Eindruck gewonnen werden, dass viele eher strittige Themen einfach ausgespart wurden. Kommentare – insbesondere auch aus Hamburg – dazu würden mich sehr interessieren.
Aus meiner Sicht wird – wenn es denn tatsächlich zur Koalition kommt, da müssen ja noch zwei Parteitage drüber abstimmen – viel davon abhängen, wer diese Punkte letztlich tatsächlich in der Wissenschaftsbehörde umsetzt – und ob die SenatorIn (wer die Nachfolge von Jörg Dräger antritt, ist wohl noch sehr offen) und die StaatsrätInnen dort rein durch die CDU besetzt werden oder ob ein grüner Staatsrat oder eine grüne Staatsrätin mitentscheiden kann. Genügen fitte Wissenschafts- und HochschulpolitikerInnen gibt es in Hamburg ja.
Warum blogge ich das? Weil ich den an Sachlichkeit orientierten Findungsprozess in Hamburg interessiert beobachtet habe und jetzt gespannt drauf bin, wie viele grüne Kröten die CDU in der Umsetzung tatsächlich schlucken wird.
P.S.: Vielleicht auch noch wichtig: ob ich den Koalitionsvertrag insgesamt gelungen oder „über-den-Tisch-gezogen“ finde, hängt nicht nur vom Wissenschaftskapitel ab. Nur falls jemand mich da falsch verstehen möchte.
Update: Laut NDR wird die neue Wissenschaftssenatorin Herlind Gundelach heißen, bisher Staatsrätin in der Umweltbehörde.