Der Ernst des Politischen

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Pho­to: Bünd­nis 90/Die Grü­nen Baden-Würt­tem­berg, CC-BY-SA 2.0

Fast schon wie­der ein Jahr ist es her, dass ich drü­ben beim Blog der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen Ehr­lich­keit als her­aus­ra­gen­de Eigen­schaft Win­fried Kret­sch­manns beton­te. Das heißt jetzt nicht, dass er nicht in der Lage dazu wäre, Poli­tik auf Bot­schaf­ten hin zu „spin­nen“, und – man­che mögen mei­nen, mit fast schon traum­wand­le­ri­scher Sicher­heit – die Aspek­te her­aus­zu­pi­cken, die anschluss­fä­hig sind, haf­ten blei­ben, aus denen sich dann fast schon ste­hen­de Rede­wen­dun­gen erge­ben. Aber das ist nur die eine Sei­te Kret­sch­manns, der Charme, mit dem poli­ti­sche Erfah­ren­heit sich hier in der gelun­ge­nen Zuspit­zung Bahn bricht.

Es gibt eine zwei­te Sei­te, die heu­te beim poli­ti­schen Ascher­mitt­woch in Biber­ach (den ich im Stream ver­folg­te) sicht­bar wur­de. Eugen Schlach­ter hat eine lau­ni­ge Wahl­kampf­re­de gehal­ten, Thek­la Wal­ker eine gute Par­tei­tags­re­de, Rena­te Kün­ast gewohnt schnodd­rig-kaba­ret­tis­tisch den Stand der Din­ge Revue pas­sie­ren las­sen. Kat­rin Göring-Eckardt zeig­te sich als char­man­te Meis­te­rin im Aus­tei­len von Nadel­sti­chen (was mir sehr gut gefal­len hat). Und dann der gro­ße Moment, die Kreis­vor­sit­zen­de kün­digt ihn an – unser Lan­des­va­ter. Und was macht Kretschmann? 

Er ent­täuscht alle Erwar­tun­gen. Er hält kei­ne lau­ni­ge Büt­ten­re­de (dass er das auch kann, hat er wohl die Tage zuvor bei diver­sen Nar­ren­emp­fän­gen etc. gezeigt), son­dern – ein Medi­um hat es so bezeich­net – eine „Fas­ten­pre­digt“. The­ma der Pre­digt, und das ist die zwei­te Sache, die ihn aus­macht, für die der­zeit wohl nur Kret­sch­mann steht: Die Wut auf den Skan­dal. Poli­tik ist für ihn kein Spiel. Poli­tik ist nicht dazu da, Spaß zu machen. Wer sich dar­in über­bie­tet, Fuß­no­ten auf­zu­bla­sen, um einen Stich in der media­len Lau­ne zu machen, betreibt aus Kret­sch­manns Sicht kei­ne ernst­haf­te Poli­tik. Nein: Es soll hart um die Sache gerun­gen wer­den. Es soll gesagt wer­den, was Sache ist. Wo das zu Ärger führt, darf der Ärger geäu­ßert wer­den. Aber bei die­sem poli­ti­schen Rin­gen um die Sache ist Maß zu hal­ten mit dem Skan­da­li­sie­ren. Wenn jedes Ärger­nis zum Skan­dal auf­ge­bla­sen wird (und dazu fal­len mir nicht nur die von ihm genann­ten Bei­spie­le ein, son­dern auch das Stan­dard­ver­hal­ten unse­rer Land­tags­op­po­si­ti­on), dann ist der rich­ti­ge – poli­ti­sche – Skan­dal nicht mehr zu unter­schei­den von dem, was die Pira­ten als „Gate“ bezeich­nen. Und wenn alles Skan­dal ist, bleibt Poli­tik nur noch die Inszenierung. 

Ein aufs Drauf­hau­en pro­gram­mier­tes Publi­kum mit einer Pre­digt für das Maß­hal­ten auch in der Poli­tik zu ent­täu­schen – und dafür am Schluss tosen­den Bei­fall zu ern­ten: Das ist der­zeit etwas, das nur Kret­sch­mann kann. Etwas, das ihn beson­ders macht, in der Ver­bin­dung der Zuspit­zung in der Sache, durch­aus auch per­sön­lich, emo­tio­nal, volks­nah, und dem Ver­zicht auf den Zynis­mus des poli­ti­schen Thea­ters. Chapeau!

War­um blog­ge ich das? Weil ich die­ses Ernst­neh­men des Poli­ti­schen ein­drucks­voll fin­de. Und weil es mich dazu bringt, dar­über nach­zu­den­ken, wie viel Spiel ich in der Poli­tik sehe.

Fünf Cent zur Gretchenfrage

Crows in the sky III

Die u.a. Theo­lo­gin Ant­je Schrupp frag­te unlängst in ihrem Blog danach, wie Athe­is­tIn­nen sich selbst defi­nie­ren, ob sie sich als sol­che bezeich­nen und wo der Athe­is­mus in ihrem All­tag eine Rol­le spielt. Dar­auf gab es ziem­lich vie­le ziem­lich lesens­wer­te Ant­wor­ten; eine Reak­ti­on von Ant­je gibt es auch. 

Ich muss zuge­ben, dass mich ihr Ver­ständ­nis der Ant­wor­ten etwas irri­tiert hat. 

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Ich und du und die Politiker

Was mich manch­mal auf­regt, wenn ich mei­nen Twit­terstream ver­fol­ge, sind Tweets, in denen pau­schal „die Poli­ti­ker“ (mit­ge­meint ver­mut­lich auch „die Poli­ti­ke­rin­nen“) beschimpft wer­den. (Ins­be­son­de­re dann, wenn Pira­tIn­nen sowas twittern …).

Nicht, weil es nicht genü­gend Poli­ti­ke­rIn­nen aller Par­tei­en gäbe, über die zu schimp­fen sich lohnt. Da fal­len mir ganz schnell auch ganz vie­le ein, ohne jetzt Namen zu nennen.

Son­dern weil „die Poli­ti­ker“ eine ganz wun­der­bar poli­tik­ver­dros­se­ne pau­scha­le popu­lis­ti­sche Pole­mik ist. Wer das so meint – ok. Es mag ja Leu­te geben, die jeden Glau­ben dar­an ver­lo­ren haben, dass die­se unse­re Demo­kra­tie irgend­wie funk­tio­niert. Aber wer sich über „die Poli­ti­ker“ ärgert, soll­te sich zumin­dest bewusst sein, dass damit eigent­lich gemeint ist, dass das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht funk­tio­niert. Also: infor­miert euch!

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Drei Komponenten grüner Hochschul- und Forschungspolitik

Concrete meets light

Seit eini­gen Jah­ren beschäf­ti­ge ich mich ehren­amt­lich und inzwi­schen auch beruf­lich mit grü­ner Hoch­schul- und For­schungs­po­li­tik. Hoch­schul- und For­schungs­po­li­tik ist dabei eines die­ser mit­tel­gro­ßen Poli­tik­fel­der, das oft als weni­ger wich­tig ange­se­hen wird. Wer etwas auf sich hält, macht Außen­po­li­tik, oder Wirt­schafts­po­li­tik, oder doch zumin­dest Innen­po­li­tik. Oder eben Öko­lo­gie. Aber Hoch­schul­po­li­tik? For­schungs­po­li­tik gar? Was soll denn dar­an grün sein?

Das jeden­falls ist eine Hal­tung, die einem manch­mal ent­ge­gen­schlägt, bei ent­spre­chen­den Anträ­gen, auf der Suche nach Zeit­fens­ter oder Res­sour­cen in der Par­tei. Hoch­schu­le? Klar sind Stu­die­ren­de eine wich­ti­ge Wäh­le­rIn­nen-Grup­pe, aber die zwei Mil­lio­nen allei­ne machen den Kohl auch nicht fett. Und der Mit­tel­bau wählt uns doch sowie­so wegen der gro­ßen Poli­tik­fel­der. So oder ähn­lich wird dann ger­ne mal argumentiert.

Und dann bleibt es zunächst ein­mal eine offe­ne Fra­ge, ob es den tat­säch­lich sowas wie eine grü­ne Hoch­schul- oder For­schungs­po­li­tik sui gene­ris gibt. Oder ob es sich dabei nicht ein­fach um eine Mischung aus den gera­de übli­chen Mode­trends und All­ge­mein­plät­zen und aus Kli­en­tel­po­li­tik für Stu­die­ren­de bzw. Aka­de­mi­ke­rIn­nen han­delt. Oder um ein doch stark tech­no­kra­ti­sches Feld, in dem Poli­tik eigent­lich gar nicht stattfindet.

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Kurz: Den katholischen Geist neu rahmen

Reli­gi­on und Poli­tik ver­trägt sich nicht. Dass es in Deutsch­land eine christ­li­che Par­tei gibt, fin­de ich nach wie vor irri­tie­rend. Ent­spre­chend auf­ge­schreckt hat mich die Bericht­erstat­tung über das Papier diver­ser katho­li­scher Poli­ti­ke­rIn­nen mei­ner Par­tei (hier das Papier) – erst recht, nach­dem mit Ger­hard Schick und Agnieszka Brug­ger, Ulri­ke Gote und Bene Lux Leu­te drun­ter ste­hen, die ich aus ande­ren inner­par­tei­li­chen Debat­ten gut ken­ne und schät­ze. Was hat die gerit­ten, dach­te ich mir, plötz­lich – das war die Spit­ze des Debat­ten­eis­bergs – eine Son­der­ab­ga­be für Athe­is­tIn­nen wie mich zu fordern? 

Außer­dem: das hät­te – trotz aller Spit­zen­funk­tio­nä­rIn­nen mit Kir­chen­äm­tern – in unse­rer letz­lich doch recht kir­chen­kri­ti­schen Par­tei nie eine Chan­ce, so ein Papier. So gibt es in den letz­ten Jah­ren sowas wie einen zäh­ne­knir­schen­den Waf­fen­still­stand oder ein mehr oder weni­ger freund­lich hin­ge­nom­me­nes Unent­schie­den zwi­schen Reli­gi­ons­kri­ti­ke­rIn­nen und „Chris­ten bei den Grü­nen“, was Fra­gen der Tren­nung von Kir­che und Staat, des Ethik­un­ter­richts, kirch­li­cher Arbeits­ver­trä­ge usw. angeht. The­men, die inzwi­schen immer­hin wie­der dis­ku­tiert wer­den, ver­glei­che BDK Kiel 2011.

Ein Argu­ment auf der inner­grü­nen lin­ken Debat­ten­lis­te fand ich dann aller­dings doch recht über­zeu­gend. Und zwar liest sich das Papier ganz anders, wenn es nicht als inner­grü­ner Debat­ten­bei­trag ver­stan­den wird, son­dern – und ich den­ke, dass es so gemeint ist – als inner­ka­tho­li­scher Debat­ten­bei­trag zu deren Kir­chen­tag in Mann­heim. Dann sind das nicht mehr Grü­ne, die aus irgend­wel­chen Grün­den selt­sam reli­giö­se Posi­tio­nen ein­neh­men, son­dern Katho­li­kIn­nen, die in ihrer grü­nen Ver­wur­ze­lung ver­su­chen, auch in ihrer Kir­che etwas zu bewe­gen. Nicht mein Ding, aber doch schon um eini­ges ver­ständ­li­cher als die ers­te Inter­pre­ta­ti­on. Oder?