Kurz: Wahlkampf 2.0 der Parteien

Wie der Wahl­kampf 2.0 der Par­tei­en wirk­lich aussieht:

CDU/CSU: Hmm, kei­ne Ahnung. Machen Wahl­kampf wie immer und wün­schen sich die „hei­le“ Welt mit der „hei­len“ Fami­lie zurück. Ist eh nicht die Ziel­grup­pe. Oder so. (Na gut: unbe­zahl­te Prak­ti­kan­tIn­nen pfle­gen die Pro­fi­le).

SPD: Fällt dadurch auf, dass die Behör­den­bü­ro­kra­tie im Wil­ly-Brandt-Haus mit allen inno­va­ti­ven Ansät­zen kol­li­diert.

FDP: Ver­steht dar­un­ter drei Mil­lio­nen SPAM-Emails (wirk­lich wahr!).

LINKE: Sie­he CDU/CSU.

PIRATEN: Spie­len Wahl­kampf als Aug­men­ted Rea­li­ty Game.

GRÜNE: Kom­mu­ni­zie­ren drei Tage lan­ge im Wahl­kampf­end­spurt, was das Zeug hält.

Wie die CDU tickt (Update: Was ist ein Parteiprogramm?)

Ich dach­te bis­her immer, die unde­mo­kra­ti­schen Vor­stel­lun­gen des ehe­ma­li­gen Rek­tors der Frei­bur­ger Uni­ver­si­tät (CDU-Mit­glied und Poli­tik­wis­sen­schaft­ler), die ich in diver­sen Unigre­mi­en erle­ben durf­te, sei­en vor allem Aus­fluss sei­ner Per­sön­lich­keit gewesen. 

Twit­ter klärt mich nun dar­über auf, dass ein der­ar­ti­ges Bild von Demo­kra­tie in der CDU ende­misch sein muss. Aus­gangs­punkt: die CDU hat heu­te ihr Wahl­pro­gramm vor­ge­stellt – beschlos­sen vom Par­tei­vor­stand. Ein Par­tei­tag – noch nicht ein­mal ein Akkla­ma­ti­ons­par­tei­tag wie bei der SPD – war nicht not­wen­dig. Nun ist eine Bun­des­tags­wahl nicht ganz unwich­tig, und die Fra­ge, was die Regie­rung machen wird, auch nicht. Inso­fern habe ich fol­gen­des bei Twit­ter geschrie­ben – und es an einen dort akti­ven Christ­de­mo­kra­ten adressiert:

@Stecki Ich bin ja immer noch fas­sungs­los dar­über, dass das Pro­gramm einer Volks­par­tei von deren Vor­stand fest­ge­legt wird – -

Die Reak­ti­on waren nicht wie erwar­tet Recht­fer­ti­gungs­ver­su­che, son­dern gegen­sei­ti­ges Unver­ständ­nis. Auf sei­ner Sei­te: es ist doch völ­lig nor­mal, dass der Par­tei­vor­stand ent­schei­det, schließ­lich sei auch der Bun­des­tag sowas wie der Vor­stand des Lan­des (Gewal­ten­tei­lung, hal­lo?), und auch auf Par­tei­ta­gen sei­en ja schließ­lich nur Dele­gier­te antrags­be­rech­tigt. So sei reprä­sen­ta­ti­ve Demo­kra­tie halt organisiert.

Auf mei­ner Sei­te: ich dach­te bis­her, es sei nor­mal, dass Par­tei­mit­glie­der bestimm­te Rech­te haben (z.B. Antrags­recht auf Par­tei­ta­gen – bei uns sind 20 Unter­schrif­ten dafür not­wen­dig, egal ob dele­giert oder nicht), dass zumin­dest for­mal danach gestrebt wird, Mei­nungs­bil­dungs­pro­zes­se demo­kra­tisch zu orga­ni­sie­ren, dass eine so zen­tra­le Ent­schei­dung wie die über das Regie­rungs­pro­gramm eben nicht vom Vor­stand gewählt wird. 

Klar war mir bewusst, dass das „basis­de­mo­kra­tisch“ im alten Par­tei­slo­gan der Grü­nen was damit zu tun hat­te, dass ande­re Par­tei­en das eben nicht so ernst neh­men. Bewusst habe ich mir dar­über aber bis­her kaum Gedan­ken gemacht. Wenn, war das ein Kampf aus grau­er Vor­zeit. Mir geht’s jetzt also so ähn­lich wie jun­gen Frau­en und Män­nern, die den­ken, dass Femi­nis­mus heu­te – wo doch alle gleich­be­rech­tigt sind – nicht mehr not­wen­dig ist. Und plötz­lich mer­ken, dass das Gegen­teil stimmt.

Noch­mal zurück zum Punkt: die CDU-Mit­glied­schaft – wenn ich jetzt mei­ne Stich­pro­be mit N=1 ver­all­ge­mei­nern darf -, scheint Demo­kra­tie so zu ver­ste­hen, dass ein Vor­stand gewählt wird, der ein Prä­si­di­um wählt, dass eine star­ke Frau oder einen star­ken Mann wählt, der dann sagt, wo’s lang geht. Das Prin­zip, sei­ne poli­ti­schen Rech­te an der Wahl­ur­ne abzu­ge­ben, scheint hier also auch inner­par­tei­lich ver­wirk­licht zu sein. (Bei der SPD ist es anders: da soll ein star­ker Mann vor­ne ste­hen, was aber meis­tens nicht klappt; die Pro­gramm­ar­beit wird dage­gen an einen Arbeits­kreis abge­ge­ben, der tech­no­kra­tisch das rich­ti­ge und fal­sche trennt). Zugleich wird es für nor­mal gehal­ten, dass nur der­je­ni­ge Ein­fluss auf das Pro­gramm hat, der halt die rich­ti­gen infor­mel­len Kon­tak­te hat und auf „Abge­ord­ne­te“ bzw. „Dele­gier­te“ bzw. „Vor­stän­de“ ein­wir­ken kann.

Ist das wirk­lich so? Ich habe mal in die Sat­zung der CDU rein­ge­schaut (Sta­tut der CDU Deutsch­lands) und fest­ge­stellt, dass laut §29 (1) der CDU-Bun­des­sat­zung der Par­tei­tag „über die Grund­li­ni­en der Poli­tik der Christ­lich Demo­kra­ti­schen Uni­on Deutsch­lands und das Par­tei­pro­gramm“ beschließt, die „für die Arbeit der CDU-Frak­tio­nen und die von der CDU geführ­ten Regie­run­gen in Bund und Län­dern ver­bind­lich“ sind. Jetzt mag es sein, dass bei der CDU ein Par­tei­pro­gramm, dass für Regie­run­gen ver­bind­lich ist, etwas ganz ande­res als ein Regie­rungs­pro­gramm ist. Trotz­dem bleibt bei mir der Ein­druck, dass die CDU sich hier über ihre eige­nen Regeln der inner­par­tei­li­chen Demo­kra­tie hin­weg­setzt – und die Mit­glie­der das sogar noch gut finden. 

Übri­gens: dass der Par­tei­tag über das Par­tei­pro­gramm beschließt, steht sogar im Par­tei­en­gesetz. Wäh­rend die SPD sich zumin­dest noch for­mal an die Regeln hält, ist die CDU unter Mer­kel schon einen Schritt wei­ter auf dem Weg zur post­mo­der­nen Füh­rungs­par­tei, die als Mar­ke geführt wird, und in der (viel­leicht) Per­so­nen zäh­len, aber kei­ne Pro­gram­me. Auto­kra­tie a la Ber­lus­co­ni, anyo­ne? Inso­fern ist es auch schon fast egal, was drin steht.

War­um blog­ge ich das? Auch bei uns Grü­nen ist nicht alles Gold, was glänzt, wie ich an ver­schie­de­ner Stel­le in die­sem Blog immer wie­der deut­lich gemacht habe. Trotz­dem gibt es die for­ma­len Regeln und de infor­mel­len Wil­len, Mit­glie­der an der demo­kra­ti­schen Wil­lens­bil­dung zu betei­li­gen. Ja, wir Grü­ne sehen das sogar als Recht an. Ich erle­be nun, dass das in ande­ren Par­tei­en ganz anders gehand­habt wird. Ist einer­seits span­nend, macht aber auch klar, dass jeder halb­wegs an mehr als Reprä­sen­ta­ti­on ori­en­tier­te Mensch die­se nicht wäh­len soll­te. Die CDU müss­te übri­gens, Poin­te zum Schluss, auf den Wahl­zet­teln in Zukunft wohl als _ _ _ geführt wer­den – beson­ders christ­lich ist ihre Poli­tik nicht, wenn ich da Leu­ten, die sich bes­ser damit aus­ken­nen, Glau­ben schen­ken darf. Demo­kra­tisch? Nö. Und Uni­on, also Zusam­men­halt? Selbst das kriegt sie nur bedingt hin.

Update: Nach­dem nun auf Twit­ter und hier in den Kom­men­ta­ren dar­auf hin­ge­wie­sen wur­de: ver­mut­lich ist mit „Par­tei­pro­gramm“ in der Sat­zung der CDU das Grund­satz­pro­gramm gemeint, zuletzt beschlos­sen 2007 in Leip­zig, wenn ich rich­tig infor­miert bin. Zumin­dest der Wiki­pe­dia-Ein­trag zu die­sem Begriff stützt die­se The­se. Das ist inso­fern inter­es­sant, als nähe­res zum Wahl­pro­gramm weder in der Sat­zung der CDU noch im Par­tei­en­gesetz auf­taucht. In sei­ner kon­kre­ten poli­ti­schen Rele­vanz scheint mir letz­te­res – also das Wahl­pro­gramm, ins­be­son­de­re das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm – gene­rell jedoch weit­aus ein­fluss­rei­cher zu sein als das Grund­satz­pro­gramm. Und auch der Wiki­pe­dia-Ein­trag zum The­ma „Wahl­pro­gramm“ stützt die Auf­fas­sung, dass es eigent­lich üblich ist, dass ein sol­ches von einem Par­tei­tag beschlos­sen wird. (Neben­bei: lus­tig ist ja auch, dass SPD und CDU jeweils von Regie­rungs­pro­gram­men spre­chen – bis vor kur­zem waren damit die aus­ge­han­del­ten Koali­ti­ons­ver­trä­ge gemeint). 

Noch ein Nach­trag: Sehr schön auf den Punkt bringt die Süd­deut­sche das neue For­mat „Kon­gress“ – also Wahl­par­tei­tag ohne Anträ­ge, Reden, Abstim­mun­gen – mit dem Begriff der „Jubel­per­ser“.