Kurz: Schlachtet das Wahlprogramm

Blood redSeit knapp einer Woche ist er online, der grü­ne Wahl­pro­gramm­ent­wurf. Und jetzt geht das gro­ße Schlach­ten los. BAGen und Par­tei­glie­de­run­gen dis­ku­tie­ren das Pro­gramm und schrei­ben flei­ßig Ände­rungs­an­trä­ge. Dead­line ist Anfang April, vom 26. bis zum 28. April fin­det der gro­ße Pro­gramm­par­tei­tag statt. Dazwi­schen tagt die Antrags­kom­mis­si­on und erstellt Ver­fah­rens­vor­schlä­ge. Der aller­größ­te Teil der beim letz­ten Mal mei­ner Erin­ne­rung nach 1500 Ände­rungs­an­trä­ge wird in die­sen Ver­fah­rens­vor­schlä­gen (modi­fi­ziert) über­nom­men oder für erle­digt erklärt. Nur ein klei­ner Teil kommt zur Abstim­mung auf dem Par­tei­tag. Den­noch sind die etwa 800 Dele­gier­ten drei Tage lang damit beschäf­tigt, das Wahl­pro­gramm zu dis­ku­tie­ren und abzustimmen.

Wir in der BAG Wis­sen­schaft, Hoch­schu­le, Tech­no­lo­gie­po­li­tik wer­den das am Sams­tag auch machen, das Stel­len von Ände­rungs­an­trä­gen. Denn der Antrag BTW-B-01 ist zwar gut, kann aber noch bes­ser werden.

Wer sich an der Schlacht ums Pro­gramm betei­li­gen will, und mit dar­über dis­ku­tie­ren will, was Bünd­nis 90/Die Grü­nen for­dern, und was mit etwas Glück dann auch in einem Koali­ti­ons­ver­trag lan­det, ist herz­lich ein­ge­la­den, Mit­glied zu wer­den. Und nicht zuletzt: Neben der Pro­gramm­de­bat­te wird es – eine Neue­rung in die­sem Jahr – im Som­mer auch eine Art dezen­tra­le Urwahl der Pro­gramm­schwer­punk­te geben.

P.S.: Über den Weg von der Idee ins Pro­gramm habe 2010 mal aus­führ­li­cher geschrie­ben. Dazu pas­sen auch mei­ne Noti­zen zum Dele­gier­ten­prin­zip und zum Zeit­be­darf der Demo­kra­tie.

Und zum aktu­el­len Pro­gramm kann ich noch auf unser Bun­des­vor­stands­mit­glied Mal­te Spitz ver­wei­sen, der in sei­nem Blog mal auf­lis­tet, was alles an Netz­po­li­tik im Pro­gramm­ent­wurf steckt.

Ich und du und die Politiker

Was mich manch­mal auf­regt, wenn ich mei­nen Twit­terstream ver­fol­ge, sind Tweets, in denen pau­schal „die Poli­ti­ker“ (mit­ge­meint ver­mut­lich auch „die Poli­ti­ke­rin­nen“) beschimpft wer­den. (Ins­be­son­de­re dann, wenn Pira­tIn­nen sowas twittern …).

Nicht, weil es nicht genü­gend Poli­ti­ke­rIn­nen aller Par­tei­en gäbe, über die zu schimp­fen sich lohnt. Da fal­len mir ganz schnell auch ganz vie­le ein, ohne jetzt Namen zu nennen.

Son­dern weil „die Poli­ti­ker“ eine ganz wun­der­bar poli­tik­ver­dros­se­ne pau­scha­le popu­lis­ti­sche Pole­mik ist. Wer das so meint – ok. Es mag ja Leu­te geben, die jeden Glau­ben dar­an ver­lo­ren haben, dass die­se unse­re Demo­kra­tie irgend­wie funk­tio­niert. Aber wer sich über „die Poli­ti­ker“ ärgert, soll­te sich zumin­dest bewusst sein, dass damit eigent­lich gemeint ist, dass das par­la­men­ta­ri­sche Sys­tem der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land nicht funk­tio­niert. Also: infor­miert euch!

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FDP und Piraten jetzt fusionieren – 10 Gründe

Es gibt vie­le gute Grün­de, war­um FDP und Pira­ten jetzt in Fusi­ons­ver­hand­lun­gen tre­ten soll­ten, um zu den Freidemokraten&Piraten (FD&P) zu wer­den. Hier die zehn wichtigsten.

1. Bei­de behaup­ten, eine libe­ra­le Par­tei zu sein. Wir könn­ten also wei­ter von den Libe­ra­len sprechen.

2. Bei­de wäh­len weit über­wie­gend Män­ner, und sehen dar­in kein Pro­blem – gute Basis für das kul­tu­rel­le Zusam­men­wach­sen der bei­den Organisationen.

3. Bei­de ergän­zen sich gut: Wo die einen aus dem Land­tag flie­gen, kom­men die ande­ren rein. Bsp. Ber­lin, Saar­land, Schles­wig-Hol­stein, NRW.

4. Manch­mal macht die FDP die Netz­bür­ger­rechts­po­li­tik, die Pira­ten ger­ne machen wür­den. Und die rech­ten Wirt­schafts­flü­gel glei­chen sich auch.

5. Die F.D.P. ist tra­di­tio­nell die Satz­zei­chen­par­tei Deutsch­lands. Ein & wür­de gut dazu passen.

6. FDP wie Pira­ten sind im Kern Ein­the­men­par­tei­en mit Scharnierfunktion.

7. Pira­ten wür­den das Nach­wuchs­pro­blem der FDP lösen, die FDP das Pro­fes­so­na­li­sie­rungs­de­fi­zit der Pira­ten ausgleichen.

8. Eine Fusi­on wäre ein Hack, mit dem die Pira­ten sich aus dem Stand her­aus in die Bun­des­re­gie­rung kata­pul­tie­ren würden.

9. Die Debat­te dar­über, ob „Pira­ten“ ein däm­li­cher Name für eine Par­tei ist, wür­de auf­hö­ren – FD&P!

10. Eine Fusi­on wür­de es allen Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rIn­nen, die mit der gro­ßen Sta­bi­li­tät des deut­schen Par­tei­en­sys­tems argu­men­tie­ren, leicht machen, die­se The­se wei­ter­hin auf­recht zu erhalten.

War­um blog­ge ich das? Weil ich ja irgend­was zur Wahl an der Saar sagen muss.

Ein Lehrstück?

Auftrag: grün 25
Ori­gi­nal

Ges­tern hat das Thea­ter Frei­burg zum letz­ten Mal in die­ser Spiel­zeit „Die Grü­nen. Eine Erfolgs­ge­schich­te“* auf­ge­führt, und ich habe mir die Arbeit end­lich mal ange­se­hen (die nächs­te Chan­ce dazu besteht erst wie­der im Janu­ar). Ich muss sagen: Ich bin durch­aus ange­tan von die­ser Form Thea­ter. Die Insze­nie­rung von Jarg Pata­ki und Vio­la Has­sel­berg ver­sucht – ich wür­de sagen: mit Mit­teln der qua­li­ta­ti­ven Sozi­al­for­schung, von der ver­dich­ten­den Dis­kurs­ana­ly­se bis hin zum nar­ra­ti­ven Inter­view** – die Fra­ge zu beant­wor­ten, ob der Pro­zess der Par­tei­wer­dung und Pro­fes­sio­na­li­sie­rung eine Zwangs­läu­fig­keit ist. Zwi­schen die Sze­nen sind dem­entspre­chend Zita­te aus Robert Michels‘ Arbei­ten zur Ent­ste­hung der Sozi­al­de­mo­kra­tie gesetzt, die ohne wei­te­res auch auf die grü­ne Insti­tu­tio­na­li­sie­rung passen.

Die grü­ne Par­tei­ge­schich­te seit Ende der 1970er Jah­re wird in eine Abfol­ge von Sze­nen gesetzt, die es in ihrer Aus­wahl und Ver­dich­tung, aber auch in den gewähl­ten Bil­dern und Insze­nie­rungs­for­men schaf­fen, den (not­ge­drun­ge­nen?) Anpas­sungs­pro­zess auf den Punkt zu brin­gen. Am Anfang ste­hen hete­ro­ge­ne und sich teil­wei­se gar nicht grü­ne Bewe­gungs­ak­teu­re, deren Ein­zug in den Bun­des­tag umfang­rei­che Selbst­fin­dungs­de­bat­ten unter mas­si­vem rhe­to­ri­schen Beschuss von außen nach sich zieht. Die Par­tei bringt sich auf Linie und wird in der rot-grü­nen Regie­rungs­zeit zum ein­ge­spiel­ten Macht­ap­pa­rat. Ein­drucks­voll Josch­ka Fischers‘ Koso­vor­ede im Zwei­kampf mit „Wer hat dich bloss so rui­niert“ und Mega­pho­nen. In der Gegen­wart ange­langt erschei­nen Son­nen­kö­ni­ge mit Hof­staat und selbst­ver­lieb­te Mar­ke­ting­ex­per­ten, die über die Vor­zü­ge der Far­be grün phi­lo­so­phie­ren, wenn sie in der Insze­nie­rung nach­zei­chen, wie Par­tei­ta­ge insze­niert wer­den – der Applaus­re­flex beim auf Show­re­den getrimm­ten Publi­kum ist nur schwer zu unterdrücken.

Schluss­bild im eiser­nen Käfig – ist das die Zukunft der grü­nen Par­tei? Oder steckt zwi­schen, hin­ter und neben der kri­ti­schen Thea­ter­au­ßen­sicht auf das pro­fes­sio­na­li­sier­te grü­ne Innen­le­ben auch heu­te noch ein Anspruch, eine Par­tei zu sein, deren Mit­glie­der nah an den sozia­len Bewe­gun­gen dran sind, deren Appa­ra­te nicht her­me­tisch sind und deren The­men sich nicht auf die Opti­mie­rung von Wahl­er­fol­gen begren­zen lassen?

War­um blog­ge ich das? Weil mich die Fra­ge nach den (zwang­läu­fi­gen) Struk­tu­rie­run­gen poli­ti­scher Par­tei­en und den Hand­lungs­frei­räu­men inner­halb eines par­la­men­ta­ri­schen Sys­tems seit lan­gem umtreibt.

* Ich mag ja die Dop­pel­deu­tig­keit die­ses Titels.

** Die Insze­nie­rung arbei­tet fast nur mit vor­ge­fun­de­nen Tex­ten – Zita­ten aus Pro­to­kol­len, The­sen­pa­pie­ren und Inter­views – ergänzt durch zumeist mono­lo­gisch insze­nier­te Aus­zü­ge aus Geprä­chen mit „Zeit­zeu­gen“, die nach dem Prin­zip nar­ra­ti­ver Inter­views viel inne­re Logik und viel­leicht unge­wollt Gesag­tes ans Tages­licht bringen.

Über nervende Unstetigkeiten des Wahlsystems

bild-wahlomat-bw2Unge­fäh­re* Distanz der Posi­tio­nen ein­zel­ner Par­tei­en zuein­an­der (laut Aus­wer­tung der Wahl-o-Mat-Ant­wor­ten für die Land­tags­wahl in Baden-Würt­tem­berg 2011), Grö­ße der Krei­se gibt pro­gnos­ti­zier­te Wahl­er­geb­nis­se wie­der. Für mich eine schö­ne Illus­tra­ti­on der The­se, dass die Wahl von Kleinst­par­tei­en zu einem gewis­sen Grad durch die Wahl grö­ße­rer Par­tei­en sub­sti­tu­ier­bar ist. 

Quel­le der Abbil­dung: andena17 bei Libri Logi­corum, mit freund­li­cher Geneh­mi­gung [ein­ge­fügt um 16:02].

 

Auch wenn es jetzt sicher sofort wie­der heißt, dass es sich hier­bei um die Arro­ganz einer eta­blier­ten Par­tei han­deln wür­de, und dass ich als Grü­ner – also als Mit­glied einer Par­tei, der Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jah­re eben trotz der Argu­men­te der SPD der Sprung von der außer­par­la­men­ta­ri­schen Bewe­gung in die Par­la­men­te gelun­gen ist – damit irgend­wie ganz beson­ders arro­gant argu­men­tie­ren wür­de, muss ich doch noch­mal die Fak­ten auf­zäh­len, die mich dazu brin­gen, von der Wahl von Par­tei­en abzu­ra­ten, die nicht annä­hernd auf 5% kom­men. Über die­se Fak­ten kön­nen wir ger­ne diskutieren.
„Über ner­ven­de Unste­tig­kei­ten des Wahl­sys­tems“ weiterlesen