Steffi Lemke konnte vor kurzem verkünden, dass wir nicht nur in den Umfragen Traumwerte erzielen, sondern auch die Schwelle von 50.000 Mitgliedern überschritten haben (bei uns im Kreisverband werden es mit etwas Glück bis Jahresende 200 – auch das eine lange nicht mehr überschrittene Schwelle). Anderswo wird darüber gespottet wird, dass es ja einfach sei, bei einer Partei mit „Wohlfühlthemen“ beizutreten oder diese als Wahloption anzugeben. Überhaupt, alles Besserverdienende.
Dem gegenüber stehen die Ergebnisse einer Befragung der Neumitglieder (für alle Grünen im Wurzelwerk abrufbar). Stärker noch als in der Gesamtpartei – und viel stärker als in allen anderen Parteien – sind dies Menschen mit Hochschulabschluss (zwei Drittel). Zum Vergleich: nur ein Drittel der Mitglieder der SPD haben einen Hochschulabschluss, und jeweils etwas mehr als die Hälfte bei FDP und Linkspartei. Die meisten der grünen Neumitglieder (ein gutes Drittel übrigens weiblich, überwiegend in den 20ern oder 30ern) geben als Beruf an, Angestellte oder Studierende/SchülerInnen zu sein. Drei Viertel schätzen ihre eigene wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut ein.
Gut gebildet, gute wirtschaftliche Lage – also doch die klientelistische Besserverdienendenpartei nach dem Motto „Bionade für alle“? Nein, es geht um die grüne Zukunftsorientierung, um eine an Themen und Inhalten orientierte Politik und um Glaubwürdigkeit. Um Karriere geht es nur einer Minderheit, und auch beim genaueren Blick darauf, welche Themen gefragt sind, wird klar, dass es mit den „Wohlfühlthemen“ soweit her nicht sein kann. Klima und Umwelt, Bildung, soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Friedenspolitik und Wirtschaft und Arbeit – das sind die Themen, die an der Spitze der Rangliste stehen.
Aber, mag nun jemand einwenden: hochgebildete Menschen, denen die Gesellschaft und die Umwelt wichtig ist – die gehen doch nur in ’ne Partei, weil sie sich dann besser fühlen. Pfuibäh.
Ich weiss nicht, ob an diesem Einwand faktisch etwas dran ist, was also die Motivationen und Beweggründe sind (laut Studie: eine politische Heimat finden, ein Thema voranbringen, Gleichgesinnte zu treffen, aktiv zu werden). Aber selbst, wenn es so wäre, dass es allein darum ginge, sich besser zu fühlen, weil mann oder frau für das Gute eintritt – was wäre denn schlecht daran? Und unterscheidet sich das wirklich von derjenigen, die in der CDU für law & order streitet und sich dann besser fühlt, oder demjenigen, der in der SPD für – keine Ahnung, wofür in der SPD gestritten wird – streitet, und sich dann besser fühlt?
Soweit ich meine Mitglieder kenne, sind sehr viele dabei, die fest davon überzeugt sind, dass politisch mit dieser Welt etwas falsch läuft, dass es wichtig ist, für Alternativen und vernünftige Lösungen zu arbeiten – und denen die durchaus auch existenziell bedrohlich wahrgenommene Aussicht einer ganz und gar nicht nachhaltigen Zukunft Motivation genug ist, Parteimitglied zu sein.
Vielleicht ist so eine Motivlage weniger unmittelbar als der Kampf für den Erhalt des Alten oder für die eigene soziale Sicherheit. Diese existenzielle Begründung des politisches Engagements ist abstrakter – aber damit vielleicht auch besser, weil es letztlich um langfristige Wertfragen geht, und nicht um kurzfristige Vorteile. Ich würde sagen: in gewisser Weise die Anti-FDP.
Besserverdienende? Wohlfühlthemen? In-Partei? Oder einfach die Erkenntnis, dass es möglich ist, konsequent für die Sache zu kämpfen und am Ende trotzdem Kompromisse zu schließen. Das ist möglich, weil wir wissen, um was es uns geht, und warum wir an Regierungen beteiligt sein wollen – auch wenn das manchmal unbequem ist (und natürlich nicht in jedem Fall so funktioniert, wie es ideal wäre).
Übrigens: die überwiegende Zahl der grünen Mitglieder ordnet die Grünen links von der SPD ein. Jeweils etwa 40 Prozent sehen sich in der Partei als Linke oder als Mitte – nur wenige wollen Parteirechte sein. Auch dass ein Indiz dafür, dass – egal wie bionadebürgerlich der Habitus sein mag – gesellschaftliche Solidarität für ganz viele Grüne ein wichtiger Wert ist. Wenn der Begriff nicht so inflationiert wäre, würde der Untertitel „Die Nachhaltigkeitspartei“ es treffen, denke ich – in allen Gerechtigkeitsdimensionen von Nachhaltigkeit. Und das ist, soweit ich das sehe, noch immer ein Alleinstellungsmerkmal.
Warum blogge ich das? Eigentlich, weil ich ein bißchen was böses über die Grünen sagen wollte, so zur Abwechslung. Was mir aber nicht gelungen ist. Die Beschimpfungen müssten jetzt also in den Kommentaren nachgeholt werden.