Rechenspiele zur Niedersachsenwahl

Man with dog III

Sonn­tag wird in Nie­der­sach­sen gewählt. Dass ich es gut fän­de, wenn dort Rot-Grün die Regie­rung McAl­lis­ter ablö­sen wür­de, ist klar. Wie wahr­schein­lich ist das? Letzt­lich hängt’s an der Fünf-Pro­zent-Hür­de – nach den aktu­el­len Umfra­gen wird die FDP an der Fünf-Pro­zent-Hür­de, und wer­den die LINKE und die Pira­ten deut­lich dar­un­ter gese­hen. (Dazu kom­men dann noch so inter­es­san­te Din­ge wie die Tat­sa­che, dass Nie­der­sa­chen ein Zwei­stim­men­wahl­recht hat, was Leih­stim­men­kam­pa­gnen mög­lich macht …).

Neh­men wir mal die neus­te Umfra­ge, GMS, und rech­nen der Ein­fach­heit hal­ber mit den Prozenten:

CDU SPD GRÜNE FDP LINKE Pira­ten Sons­ti­ge
41 % 33 % 13 % 5 % 3 % 3 % 2 %

Rot-Grün hät­te hier 46 Pro­zent, CDU und FDP eben­falls 46 Pro­zent; mög­li­cher­wei­se wür­de es auf­grund des Wahl­rechts (d’Hondt mit einer Benach­tei­li­gung klei­ner Par­tei­en) gera­de eben so für Rot-Grün rei­chen* – aber es ist extrem knapp. Wenn dage­gen die FDP nur bei 4,5 % lie­gen wür­de, hät­te Rot-Grün eine kla­re Mehr­heit im Landtag.

Oder die 2 Pro­zent, die bis­her auf „Sons­ti­ge“ ent­fal­len, wäh­len doch noch LINKE (oder Pira­ten, damit lässt sich das iden­tisch durch­ex­er­zie­ren – das sowohl LINKE wie auch Pira­ten rein­kom­men, hal­te ich für aus­ge­schlos­sen). Dann wäre es 46 Pro­zent für Rot-Grün, 46 Pro­zent für Schwarz-Gelb, und 5 Pro­zent für die LINKE. Damit wäre eine extrem unwahr­schein­li­che rot-grün-rote (bzw. rot-grün-oran­ge­ne) Regie­rung mög­lich – oder eine Ampel, oder, lei­der wahr­schein­li­cher, eine gro­ße Koali­ti­on. Oder, rein rech­ne­risch, aber eben­falls extrem unwahr­schein­lich, Schwarz-Grün.

Und wenn die FDP dann doch bei 4,5 Pro­zent lan­det? Dann läge wie­der­um Rot-Grün ganz knapp oder gleich­auf mit in die­sem Fall CDU und LINKE als Opposition. 

Was sagen uns die­se Zah­len? Wer Rot-Grün als die aus mei­ner Sicht ein­zi­ge rea­lis­ti­sche Wech­sel-Koali­ti­on haben will, soll­te defi­ni­tiv auch rot-grün wäh­len, jeden­falls kei­ne ande­re, viel­leicht sym­pa­thi­sche­re Oppo­si­ti­ons­par­tei. Solan­ge LINKE bzw. Pira­ten unter­halb der Fünf-Pro­zent-Hür­de blei­ben, sind sie ver­lo­re­ne Stim­men für den Wech­sel und nüt­zen indi­rekt der CDU. Wenn eine der Par­tei­en (oder gar bei­de) es schaf­fen wür­den, die Fünf-Pro­zent-Hür­de zu über­sprin­gen, ist damit zwar die Mehr­heit für Schwarz-Gelb weg, aber auch die für Rot-Grün – im Ergeb­nis ist dann eher eine gro­ße Koali­ti­on zu befürch­ten. Ich jeden­falls habe wenig Hoff­nun­gen, dass sich in einer sol­chen Kon­stel­la­ti­on Rot-Grün+X durchsetzt.

War­um blog­ge ich das? Weil’s schön wäre, wenn Nie­der­sach­sen dem­nächst wie­der zu den pro­gres­si­ven Län­dern in die­ser Repu­blik gehö­ren wür­de – und das gera­de ziem­lich auf der Kip­pe steht. Also: Sonn­tag wäh­len gehen! Und wer noch Fra­gen hat: die Grü­nen bie­ten auch dies­mal wie­der das For­mat ‚drei Tage wach‘ an, in dem alle Unklar­hei­ten besei­tigt wer­den. Wer als Nie­der­sach­se oder Nie­der­säch­sin Sonn­tag nicht wählt, ist selbst schuld, wenn’s mit dem Wech­sel nicht klappt.

* Laut election.de stän­de es, ohne Berück­sich­ti­gung von Über­hang- und Aus­gleichs­man­da­ten, bei 68 zu 67. 

Das Glatteis der Mitregierung

Wie immer vor wich­ti­gen Wah­len dis­ku­tie­ren wir Grü­ne hef­tig dar­über, ob bestimm­te Koali­tio­nen aus­ge­schlos­sen wer­den dür­fen oder nicht. Ein Argu­ment hier fin­de ich span­nend, weil es ziem­lich rut­schig ist. Das bringt hier Kon­stan­tin von Notz in die Debat­te – aber er ist nicht der einzige:

 @sven_kindler Entscheidende Ausschließeritis-Frage: Ist Große Koalition besser als eine Koa mit grüner Beteiligung? @bueti @djanecek

Klingt erst­mal plau­si­bel. Es gibt eine Men­ge der mög­li­chen Koali­tio­nen K = {k1, k2, …}, und ein opti­ma­les Wahl­er­geb­nis für Grü­ne ist erreicht, wenn die Koali­ti­on aus der Men­ge K rea­li­siert wird, die den größ­ten „Nut­zen“ fgrün(k) auf­weist. fPar­tei(k) könn­te dar­an gemes­sen wer­den, wie vie­le Vor­ha­ben aus dem Wahl­pro­gramm einer Par­tei sich im ver­mu­te­ten Koali­ti­ons­ver­trag wie­der­fin­den. Klar: 

fgrün(kCDU+GRÜNE) > fgrün(kCDU+SPD)

Fies dar­an ist: Aus die­ser Per­spek­ti­ve ist höchst­wahr­schein­lich jede Koali­ti­on mit grü­ner Betei­li­gung bes­ser als irgend­ei­ne mög­li­che Koali­ti­on ohne grü­ne Betei­li­gung – es sei denn, eine gro­ße Koali­ti­on oder rot-rot oder schwarz-gelb wür­de mehr grü­ne Pro­jek­te umset­zen als eine mög­li­che Koali­ti­on mit grü­ner Beteiligung. 

Nun ist es aller­ding so, dass die Pro­po­nen­tIn­nenen der gene­rel­len Koali­ti­ons­of­fen­heit meis­tens kei­ne Lust haben, fgrün(kGRÜNE+SPD+LINKE) zu berück­sich­ti­gen. Obwohl doch auch dort der Nut­zen aus grü­ner Sicht höchst­wahr­schein­lich grö­ßer wäre als für z.B. fgrün(kCDU+FDP). War­um ist das so? 

Viel­leicht allein schon des­we­gen, weil die Nut­zen­funk­ti­on f ziem­lich naiv ist (und weil Poli­tik nur begrenzt ratio­nal funk­tio­niert, aber das ist eine ande­re Debat­te). Eine nicht nai­ve Nut­zen­funk­ti­on müss­te z.B. auch berück­sich­ti­gen, wie groß der Glaub­wür­dig­keits- oder Grund­werts­ver­stoß­fak­tor ggrün(k) ist. Und für eini­ge wäre eine Regie­rungs­be­tei­li­gung der Links­par­tei hier ein gro­ßer nega­ti­ver Effekt.

Anders gesagt: Zieht eine Koali­ti­on, die zunächst ein­mal posi­ti­ve Effek­te bringt, auf der ande­ren Sei­te Kon­se­quen­zen nach sich, die ganz und gar nicht gewollt sind? 

Selbst die kGRÜN+SPD hier in Baden-Würt­tem­berg schnei­det beim Blick auf ggrün(kGRÜN+SPD) nicht nur posi­tiv ab – schließ­lich gehört auch die Innen­po­li­tik des SPD-Innen­mi­nis­ters Gall und die Ver­kehrs­po­li­tik der SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Schmie­del zum Gesamt­ta­bleau. Und dann, da wird mir die Mathe­ma­tik aber zu kom­pli­ziert, gibt es noch Effek­te zwei­ter Ord­nung mit mit­tel- bis lang­fris­ti­gen Fol­gen. Wäh­ler­bin­dung, Stär­kung oder Schwä­chung der Kon­kur­renz, Nut­zen­funk­tio­nen ande­rer Par­tei­en, die die­se wie­der­um in ihre stra­te­gi­schen Über­le­gun­gen einbeziehen, … 

Letzt­lich ist der Nut­zen einer Koali­ti­on damit eher …

ugrün(k) = a*fgrün(k) + b*ggrün(k) + c*zgrün(fgrün, fSPD, fCDU, … ggrün, … zSPD( …), … x, y )

… und danach soll­ten wir die Men­ge K bewer­ten, nicht allei­ne nach Sche­ma f.

War­um blog­ge ich das? Ich bin über­haupt nicht davon über­zeugt, dass der Nut­zen bestimm­ter Koali­tio­nen sich mathe­ma­tisch fas­sen lässt. Inso­fern kei­ne Sor­ge, ganz ernst ist die­ser Blog­bei­trag nicht gemeint. Ernst ist es mir aller­dings damit, dass wir mög­li­che Koali­tio­nen nicht nur danach beur­tei­len soll­ten, ob wir Grü­ne etwas posi­ti­ves ver­än­dern kön­nen, son­dern auch danach, was eine Koali­ti­on lang­fris­tig mit uns macht, und wel­chen Nut­zen ande­re davon haben.

In eigener Sache: E‑Demokratie-Panel

Ich hat­te ja berich­tet, dass ich beim Kon­gress „Netz für alle“ von Rosa-Luxem­burg-Stif­tung und LINKE auf einem Panel zu „E‑Democracy: Betei­li­gung für alle oder Spiel­zeug für neue Eli­ten?“ war. Inzwi­schen wur­de das Video des Panels ver­öf­fent­licht. Wer also wis­sen will, wor­über sich Tere­sa Bücker, Hali­na Waw­zy­ni­ak und ich unter der Mode­ra­ti­on von Wen­ke Chris­toph – Ste­phan Urbach war lei­der krank­heits­be­dingt nicht dabei – unter­hal­ten haben, kann das jetzt anschauen.

Kurz: Linke, LINKE und Netzpolitik

Am Sams­tag bin ich beim Kon­gress Netz für alle von Rosa-Luxem­burg-Stif­tung und LINKE im Bun­des­tag in Ber­lin, und darf dort mit Ste­phan Urbach, Tere­sa Bücker und Hali­na Waw­zy­ni­ak über „E‑Democracy: Betei­li­gung für alle oder Spiel­zeug für neue Eli­ten?“ dis­ku­tie­ren. Im Vor­feld dazu hat mich ges­tern Mar­cus Mei­er für das Neue Deutsch­land inter­viewt (des­sen Kolum­ne Lin­ke, Wis­sen­schaft und Tech­nik übri­gens eine durch­aus lesens­wer­te Fund­gru­be darstellt). 

Das Inter­view gibt es in zwei Fas­sun­gen – die kur­ze Print­ver­si­on (hier online) und die lan­ge Online-Fas­sung. Was ich da so sage, ist als zen­tra­le Aus­sa­ge (über grü­ne Netz­po­li­tik) viel­leicht das hier:

Wir sind tech­nik-affin, aber nicht tech­nik-opti­mis­tisch. […] Wir sehen, da ändert sich etwas. Wir sehen ins­be­son­de­re auch die Chan­cen, die das Inter­net mit sich bringt. Wir sind aber rea­lis­tisch. Das Netz als gro­ße Uto­pie – das ist nicht unseres. 

Und zur LINKEN:

Ach, es gibt ja durch­aus brauch­ba­re netz­po­li­ti­sche Inhal­te bei der LINKEN. Aber momen­tan wirkt die Par­tei auf mich nicht so, als sei sie in der Netz­de­bat­te ange­kom­men. Das Bild der LINKEN bestim­men ande­re. Per­so­nen, die netz­po­li­ti­sche Inhal­te glaub­haft ver­kör­pern, sehe ich nicht. 

Und wo ich gera­de dabei bin: Eben­falls heu­te setzt sich Tobi­as Schwarz aka @isarmatrose aus­führ­lich mit der netz­po­li­ti­schen Flü­gel­fra­ge aus­ein­an­der und geht dabei auch im Detail auf mei­nen ers­ten Ent­wurf für ein Mani­fest für lin­ke, grü­ne Netz­po­li­tik ein. Was ich durch­aus inter­es­sant finde.

Die drei Ebenen des Falls Johannes Ponader

Paint job II

Der FAZ-Her­aus­ge­ber Frank Schirr­ma­cher ist ja sowas wie ein Pira­ten­fan. Auch des­we­gen ist dem poli­ti­schen Geschäfts­füh­rer der Pira­ten, Johan­nes Pon­ader, ein klei­ner media­ler Coup gelun­gen: Er hat – um die Poin­te vor­weg­zu­neh­men – öffent­lich erklärt, auf sei­nen Arbeits­lo­sen­geld-II-Anspruch zu ver­zich­ten. Das hat eine gan­ze Men­ge unter­schied­li­cher Reak­tio­nen aus­ge­löst, vor allem von denen, die Ponaders Über­schrift „Abschied vom Amt“ falsch ver­stan­den haben. Par­tei­über­grei­fend, ver­steht sich (schön ana­ly­siert dies das Blog der digi­ta­len LINKEN). Und es war auch eine Reak­ti­on – dar­auf, dass ver­sucht wur­de, ihn öffent­lich in eine Rei­he mit Flo­ri­da-Rolf etc. zu stel­len, also als einen, der Sozi­al­leis­tun­gen missbraucht. 

Ich fin­de Ponaders Reak­ti­on nach wie vor respektabel. 

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