Heute ist ja Girls’ day, also ein Tag, an dem bundesweit Mädchen (vor allem) männerdominierte Berufe kennenlernen sollen. Ob dieser seit zehn Jahren durchgeführte Tag tatsächlich Wirkung auf die Berufswahl zeigt, ist umstritten (in der gedruckten taz von heute war dazu auch eine schöne Comic-Reportage). Die Organisation „Girls’ day“ geht jedenfalls davon aus, dass sich zumindest das Geschlechterbild der beteiligten Firmen ändert – das wäre ja auch schon was.
Als geschlechterstereotypen brechende Intervention finde ich das Konzept gar nicht so schlecht. Jetzt kommt u.a. von Bundesfamilienministerin Schröder die Forderung, parallel auch einen „Boys’ day“ durchzuführen (siehe auch das grüne Männermanifest). Also Jungen in eher „weibliche“ Berufsfelder hineinschnuppern zu lassen. Auch das klingt für sich genommen erst einmal nach einer sinnvollen Intervention.
Trotzdem bin ich mir unsicher, ob ich das Konzept ingesamt gut finde. Das hat etwas mit der unklaren Wirkung zu tun, vor allem aber mit der dunklen Seite vieler gender-bezogener Maßnahmen, nämlich dem Reifizierungseffekt („Verdinglichung“). Kurz gesagt: gerade dadurch, dass es Angebot speziell für Frauen bzw. speziell für Männer gibt, gerade dadurch, dass besonders auf das Geschlecht geachtet wird, wird dessen soziale Relevanz gestärkt. Selbst ein „Girls’ day“ kann da möglicherweise den paradoxen Effekt haben, die Vorstellung zu stärken, dass die dort besuchten Berufsfelder „Männerarbeit“ darstellen – schließlich wird ein großer Aufwand betrieben, um einmal im Jahr die Ausnahme „auch Mädchen können das“ sichtbar zu machen.
Zudem wird, gerade wenn es „Girls’ days“ und „Boys’ days“ gibt, auf einer Metaebene die Botschaft vermittelt „Mädchen und Jungen sind unterschiedlich und müssen – als Gruppen – unterschiedlich behandelt werden“. Oder: „alle Mädchen interessieren sich ‚eigentlich‘ nicht für Technik, alle Jungen interessieren sich ‚eigentlich‘ nicht für Humandienstleistungen – deswegen muss hier besonderer Werbeaufwand betrieben werden, um diese ‚untypischen‘ Berufe schmackhaft zu machen“. Das mag als statistische Tatsachenbeschreibung stimmen (also: viele Mädchen …, viele Jungen), trifft aber eben auch die Mädchen, die sich auch ohne „Girls’ day“ für Technik interessieren und die Jungen, die sich auch ohne „Boys’ day“ für z.B. das Erziehungswesen begeistern.
Damit sind wir bei einem generellerem Dilemma genderpolitischer Maßnahmen: indem die Interessen von Frauen bzw. von Männern als Gruppeninteressen behandelt werden, werden individuelle Unterschiede der Kategorie Geschlecht zugeschrieben. Das ist deswegen ein Dilemma, weil ja beides stimmt: es ist vermutlich so, dass eine Mehrheit der Mädchen sich nach x Jahren Sozialisation und Schule weniger für Technik interessiert als die meisten Jungen. Es ist auch richtig, dass die hier angelegte berufsspezifische Geschlechtertrennung sowohl individuell (weil sie es allen, die eine dem „Geschlechtstypischen“ zuwiderlaufende Neigung haben, schwer macht) als auch gesellschaftlich (weil „Talente vergeudet werden“) ein Problem darstellt. Nur tragen Maßnahmen, die dieses Problem lösen wollen, indem sie gruppenspezifische Zuweisungen als gruppenspezifische Eigenschaften thematisieren, immer auch dazu bei, diese Zuweisungen zu stärken.
Und wo geht’s jetzt raus? Vermutlich bleibt einem und einer pragmatisch gesehen zunächst einmal gar nichts anderes übrig, als in Kauf zu nehmen, dass Maßnahmen etwa aus dem Bereich des Gender Mainstreamings ganz häufig den Nebeneffekt einer Reifizierung von Geschlechtszuschreibungen und damit eine Vertiefung der Wahrnehmung „Männer und Frauen sind unterschiedlich“ mit sich bringen, und dass sie in vielen Fällen trotzdem sinnvoll sind. Es ist aber ganz gut, sich zumindest klar darüber zu werden, dass diese Maßnahmen auch solche Konsequenzen haben können.
Eigentlich müsste es aber einen Schritt weiter gehen, das heißt hin zu einer politischen Thematisierung individueller Unterschiede, die nicht an gesellschaftliche Gruppen gebunden wird. Praktisch könnte das am Beispiel „Girls’ day“ heißen, dass es zweimal im Jahr einen „Berufserkundungstag“ für alle Kinder eines bestimmten Alters gibt – und dass diese an einem dieser zwei Tage an einer Aktion in einem Berufsfeld teilnehmen sollen, das sie persönlich interessiert. Der zweite Berufserkundungstag muss dann allerdings in einem Berufsfeld stattfinden, das von dem jeweiligen Kind (bzw. eigentlich: dem oder der Jugendlichen) als uninteressant, fremd, weit weg bezeichnet wird.
Warum blogge ich das? Weil ich mir selbst unsicher bin, wie es politisch und wissenschaftlich am besten wäre, mit dem Reifizierungseffekt umzugehen. Dieser ist dann ein Problem, wenn die Annahme geteilt wird, dass an das wahrgenommene Geschlecht gebundene soziale Erwartungen tatsächlich für einen großen Teil des geschlechtsspezifischen Verhaltens zuständig sind („doing gender“). Diese Annahme erscheint mir sehr plausibel. Ich kann jetzt wissenschaftlich beschreiben, wie diese Kopplungen üblicherweise aussehen, und kann z.B. statistisch zwischen Männern und Frauen als Gruppen unterscheiden. Gleichzeitig ist jede dieser Beschreibungen zunächst einmal ein Beitrag dazu, die Kopplung zwischen Geschlecht und sozialer Erwartung zu festigen. Und umso mehr es nicht nur um Beschreibung und Analyse, sondern auch um Intervention geht – nicht nur wie hier bei der Berufswahl, sondern auch z.B. bei Maßnahmen wie der Teilzeitarbeit als „Lösung“ für das Vereinbarkeitsproblem „der Frau“ – desto problematisch wird es, dass eine Orientierung an Geschlechterkategorien diese stärkt. Alternativen dazu bietet die queer theory an – da scheint es mir bisher aber an einer skalierbaren politischen Umsetzbarkeit zu hapern.