Nicht ablenken: die Klimakrise kann nur politisch gelöst werden

Frankfurt to Boston - IV
Oft sind Twit­ter­de­bat­ten furcht­bar, aber manch­mal sind sie tat­säch­lich fruchtbar. 

Aber ich fan­ge noch mal anders an. Neh­men wir an, ein Land hät­te sich vor­ge­nom­men, den Mond zu errei­chen. Ein mil­li­ar­den­teu­res Vor­ha­ben. Es muss eine ent­spre­chen­de For­schungs­land­schaft und Indus­trie auf­ge­baut wer­den. Astronaut*innen müs­sen gefun­den und trai­niert wer­den. Und so wei­ter. In die­sem Land aber ist das anders. Es gibt eine brei­te öffent­li­che Debat­te dar­über, wie wich­tig es sei, den Mond zu errei­chen. Und des­we­gen wür­den alle Bürger*innen ab sofort dazu auf­ge­ru­fen, Lei­tern auf ihren Haus­dä­chern zu befes­ti­gen, ger­ne auch hohe. Jedes biss­chen hilft! Wer Astronaut*in wer­den will, soll­te selbst­ver­ständ­lich auf die höchs­te Lei­ter auf dem höchs­ten Haus klettern.

Der Ver­gleich hinkt. Trotz­dem hilft er. In gewis­ser Wei­se ist die Lösung der Kli­ma­kri­se ein Moonshot-Pro­jekt. Alles muss sich dar­auf aus­rich­ten, Treib­haus­gas­emis­sio­nen zu redu­zie­ren und Sen­ken zu schaf­fen (also zum Bei­spiel Bäu­me zu pflan­zen). Ein rele­van­ter Teil der öffent­li­chen Debat­te beschäf­tigt sich damit, was jede und jeder selbst tun kann. Vege­ta­ri­sche Ernäh­rung. Eine auto­freie Mobi­li­tät. Kei­ne Flüge. 

„Nicht ablen­ken: die Kli­ma­kri­se kann nur poli­tisch gelöst wer­den“ weiterlesen

Die Welt lässt sich ändern

Industrial idyll III

Es gibt jetzt ein paar Umfra­gen unter­schied­li­cher Insti­tu­te, in denen Grü­ne bun­des­weit vor CDU und CSU lie­gen. Das macht mir Mut – ich deu­te die­se Zah­len so, dass es eine gesell­schaft­li­che Mehr­heit dafür gibt, die Kli­ma­kri­se anzu­ge­hen und zu handeln. 

In gewis­ser Wei­se kul­mi­niert hier die Repo­li­ti­sie­rung der deut­schen Gesell­schaft seit dem letz­ten Jahr. See­brü­cke, Unteil­bar, Groß­de­mos, der Ham­ba­cher Wald – und Fri­days for Future. Plötz­lich wird wie­der über Poli­tik gespro­chen. Das Ende der Geschich­te liegt lan­ge zurück. Trump und Brexit-Groß­bri­tan­ni­en haben deut­lich gemacht, dass poli­ti­sche Mehr­hei­ten eine Rol­le spie­len, dass demo­kra­ti­sche Errun­gen­schaf­ten zer­brech­lich sind. Die Wahl­be­tei­li­gung steigt. Und solan­ge SPD und CDU/CSU nicht in der Lage sind, die­se Repo­li­ti­sie­rung ernst zu neh­men, mit der nun eben auch ein ganz ande­rer Stil, eine ganz ande­re Anspruchs- und Erwar­tungs­hal­tung Poli­tik gegen­über ein­her­geht, solan­ge bleibt es bei der Zer­stö­rung der Volksparteien. 

Aber wenn ich über die­sen Text geschrie­ben habe, dass die Welt sich ändern lässt, dann geht es mir nicht um Umfra­ge­mehr­hei­ten. Viel­mehr schrei­be ich ihn, weil die Kli­ma­kri­se eine emi­nent poli­ti­sche Fra­ge ist. Und ja: ich bin über­zeugt davon, dass die­se Fra­ge sich beant­wor­ten lässt. Viel­leicht braucht es dafür eine Anstren­gung wie bei der Mondlandung. 

„Die Welt lässt sich ändern“ weiterlesen

Kurz: Nach den Wahlen

Mit 20,5 Pro­zent bei einer bun­des­wei­ten Wahl zweit­stärks­te Kraft, in den gro­ßen Städ­ten selbst in Ost­deutsch­land ganz vor­ne, weit, weit vor­ne bei den Jung- und Erstwähler*innen: hier ist das Wort vom Wahl­er­folg mal kein Schön­re­den, son­dern trifft auf das grü­ne Ergeb­nis bei der Euro­pa­wahl zu. Und die Wel­le trägt auch bei den zeit­glei­chen Kom­mu­nal­wah­len hier in Baden-Würt­tem­berg: lan­des­weit Zuwäch­se, selbst in vie­len mit­tel­gro­ßen Städ­ten wie Wein­gar­ten, Emmen­din­gen oder Schwä­bisch Hall stel­len grü­ne die stärks­te Frak­ti­on, in den Hoch­bur­gen wie Hei­del­berg, Tübin­gen und Frei­burg sind Grü­ne im Stadt­rat sogar stär­ker als SPD und CDU zusammen. 

Kurz nach den ers­ten Pro­gno­sen am Wahl­abend hat­te ich auf Twit­ter geschrieben:

Und das gilt auch jetzt, zwei Tage spä­ter. Im Euro­päi­schen Par­la­ment, im Bund, in allen Län­dern, ins­be­son­de­re da, wo wir mit­re­gie­ren, und selbst­ver­ständ­lich auch in den kom­mu­na­len Ver­tre­tun­gen, in denen jetzt Grü­ne gestärkt wor­den sind. Wir müs­sen jetzt liefern.

Kurz: Die Erde brennt

Wir hat­ten am Diens­tag Besuch von Fri­days for Future in der Frak­ti­on – mit weit­rei­chen­den For­de­run­gen. Seit ein paar Tagen dis­ku­tiert das Netz über ein Video von rezo. Fast die Hälf­te sei­nes Vide­os dreht sich um das Ver­sa­gen der CDU im Kli­ma­schutz. Mor­gen ist glo­ba­ler Streik­tag der Fri­days for Future, und ich bin mir sicher, dass der Zulauf groß sein wird, und dass wir vie­le Jugend­li­che sehen wer­den, die ernst­haft sau­er sind.

Etwas zu tun reicht nicht. Es geht unse­ren Kin­dern nicht um Kom­pro­mis­se. Lui­sa Neu­bau­er bringt es auf den Punkt, wenn sie schreibt, dass die Erde brennt. Die Kli­ma­kri­se ist jetzt da, sie ist akut, und sie ist glo­bal – und die Erwar­tungs­hal­tung ist ein­fach: wer im Ange­sicht die­ser Kri­se nicht an der Lösung mit­ar­bei­tet – über alle poli­ti­schen Lager und Hal­tun­gen hin­weg – ist Teil des Pro­blems. Der Mar­shall­plan für das Kli­ma fehlt, es gibt kei­ne kon­zer­tier­te Akti­on in der Grö­ßen­ord­nung des Man­hat­t­an­pro­jekts – und das wird mas­siv als unver­zeih­li­ches Poli­tik­ver­sa­gen wahrgenommen.

Die­se Erwar­tungs­hal­tung clasht mit den vie­len Schräub­chen, Bret­tern und Bohr­ge­win­den des Poli­tik­be­triebs. Da hilft es auch nichts, die Euro­pa­wahl zur Kli­ma­wahl zu machen. Solan­ge Maß­nah­me für Maß­nah­me die CO2-Emis­sio­nen doch nicht sin­ken, wächst die Unge­duld. Die Fak­ten­la­ge ist klar. War­um dann Lager­streit und die übli­che zyni­sche Bes­ser­wis­se­rei, Inter­es­sen­ab­wä­gung und Sach­zwän­ge? Wo bleibt das gemein­sa­me Anpa­cken, um die Trans­for­ma­ti­on in letz­ter Minu­te zu schaf­fen? Das wird die Fra­ge sein, an der vie­le, die heu­te noch nicht wahl­be­rech­tigt sind, spä­tes­tens bei der nächs­ten Bun­des­tags­wahl die Par­tei­en mes­sen wer­den. Und da hilft dann kein noch so schö­nes Share­pic. Weil es um etwas Exis­ten­zi­el­les geht – jen­seits des übli­chen Hori­zonts von Politik.

(Oder, zuge­spitzt: Fri­days for Future defi­niert gera­de den Ausnahmezustand.)

Kurz: Wie Klima und Freiheit zusammenhängen

Ver­meint­lich wit­zig been­det Jas­per von Alten­bo­ckum eine FAZ-Kolum­ne heu­te mit dem Poe­sie­al­bums­spruch, ihm sei­en zwei Grad höhe­re Tem­pe­ra­tu­ren lie­ber als zwei Grad weni­ger Frei­heit. Die­se Hal­tung ist so ärger­lich wie auf­schluss­reich, lie­gen ihr doch zwei Irr­tü­mer zu Grun­de. Ers­tens scheint Herr von Alten­bo­ckum anzu­neh­men, zwei Grad höhe­re Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren sei­en schon nicht so schlimm. Viel­leicht fehlt ihm das Wis­sen oder das Ver­trau­en in die Wis­sen­schaft. Viel­leicht hat er sich nie mit Kipp­punk­ten, Extrem­wet­ter­er­eig­nis­sen, mit stei­gen­den Mee­res­spie­geln oder mit den Aus­wir­kun­gen „leicht“ stei­gen­der Tem­pe­ra­tu­ren auf mensch­li­che Gesund­heit oder auf die bio­lo­gi­sche Viel­falt befasst. Oder, noch schlim­mer: viel­leicht hat er schon ein­mal davon gehört, hält das aber für – neu­es kon­ser­va­ti­ves Lieb­lings­wort – „kli­ma­re­li­giö­se“ Spin­ne­rei­en und nicht für den Stand der Wissenschaft.

Jeden­falls scheint mir das der ers­te Feh­ler zu sein: ein feh­len­des Bewusst­sein für due exis­ten­zi­el­le Dring­lich­keit der Kli­ma­kri­se. Ein Tem­pe­ra­tur­an­stieg um zwei Grad ist ein Pro­blem – und selbst um die­sen zu errei­chen, sind heu­te dra­ma­ti­sche Maß­nah­men not­wen­dig. Vor zehn oder zwan­zig Jah­ren wäre es noch mög­lich gewe­sen, das gan­ze nicht im Kri­sen­mo­dus anzu­ge­hen. Statt des­sen ist viel zu wenig pas­siert, die CO2-Wer­te im der Atmo­sphä­re sind auf Rekord­stand, und das noch ver­blei­ben­de Treib­haus­gas­bud­get pro Jahr redu­ziert sich rapi­de.

Damit sind wir beim zwei­ten Feh­ler des Herrn Alten­bo­ckum. Selbst für sei­ne Gene­ra­ti­on dürf­te ein Nicht­han­deln beim Kli­ma­schutz sehr schnell zu mas­si­ven Ein­schrän­kun­gen sei­ner Frei­heit füh­ren. Nicht im Sin­ne eines Gefäng­nis­ses, aber in dem Sin­ne, dass unser Han­deln ja immer eine mate­ri­el­le Grund­la­ge hat. Irgend­et­was aus – sagen wir ein­mal – unbe­wohn­bar wer­den­den Urlaubs­ge­bie­ten, land­eirt­schaft­li­chen Dür­ren mit erheb­li­chen Ern­te­ein­bu­ßen, sin­ken­den Immo­bi­li­en­wer­ten an Küs­ten und im Som­mer schmel­zen­dem Asphalt auf Auto­bah­nen dürf­te selbst Herr von Alten­bo­ckum als Redu­zie­rung an Frei­heit wahr­neh­men. Und ich mei­ne das nicht apo­ka­lyp­tisch – das ist schlicht die Extra­po­la­ti­on des­sen, was Treib­haus­gas­emis­sio­nen und Kli­ma­kur­ven unterm Strich bedeu­ten. Ent­spre­chend hef­ti­ger sieht das aus, wenn es um die Frei­heit der Fri­days-for-Future-Gene­ra­ti­on geht. Die wird, wenn nicht jetzt ent­schlos­sen gehan­delt wird, deut­lich klei­ner sein als unse­re Frei­heits­gra­de heu­te. Und des­we­gen ist es reich­lich zynisch, zu glau­ben, die Abwä­gung läge zwi­schen Frei­heit heu­te und Kli­ma­schutz. Nein: es geht dar­um, unser Han­deln und Wirt­schaf­ten – zum Bei­spiel mit Hil­fe eines rea­lis­ti­schen CO2-Prei­ses – heu­te so zu gestal­ten, dass es mor­gen noch Frei­heit geben kann!