Wer mir z.B. auf Twitter folgt, wird sich nicht darüber wundern, dass ich durchaus einige Zeit „im Internet“ (pdf) verbringen kann. Dass „das Internet“ dabei eher den Charakter eines fortlaufenden Stromes hat, ist eine der netteren (und addiktiveren) Eigenschaften speziell dieses Medienbündels. Blogs, Twitter, Facebook – all das sind Medien, die alle paar Minuten wieder etwas Neues bieten. Oder – und dann macht sich eine gewisse Verzweiflung breit – eben nicht.
Kurz: Multiple Heimatsdimensionen
Ganz kurz, weil im Zuge des letzten Spiegels etc. mal wieder über Heimat etc. diskutiert wird, bis hin zur Heimat Internet: Ich glaube, vieles verwirrend Erscheinende wird klarer, sobald Stadt und Land, Realraum und Internet etc. etc. nicht mehr als Gegensatzpaare gedacht werden, sondern als orthogonale Kontinuume.
Soll heißen: in der globalisierten Informationsgesellschaft der Spätmoderne ist Heimat nicht einfach hier oder da, sondern beides, oder sogar alles drei. Bedingt sowohl durch die erhöhte physische Mobilität als auch durch neue Kommunikationsstrukturen überlagern sich plötzlich mehrere Netzwerke: Eines sozialer Beziehungen, in dem mehrere Orte (Herkunftsort, Wohnort, Arbeitsort, Freundesorte, Standardurlaubsorte) Rollen spielen – je nach Einkommen und Status auch transnational – und eines der sozialen Kommunikationen im Netz. Cloud, Wolke, beschreibt beide soziale Formen ganz gut. Migration und globale Bilderströme (da denke ich an Appadurai) tragen ein ihres zu diesen Netzwerkbildungen bei.
Wenn Heimat nicht mehr monogam gedacht ist, erscheinen scheinbar gegenläufige Entwicklungen plötzlich gar nicht mehr so seltsam: gleichzeitig regionaler und globaler zu werden, wieder mehr Wert auf den Ort samt genius loci zu legen und in allerlei große Diskurse eingebunden zu sein, sich sowohl bestimmten kleinteiligen, vielleicht sogar lokalen Stilen affin zu fühlen als auch großen Identitätsclustern heimatlich verbunden zu sein:
All das und viel mehr ist dann denkbar. Heimat der sozial vernetzten WeltbürgerInnen ist dann eben nicht alleine, sondern auch ein Teil des Internets.
In der Hardware verborgene Ratlosigkeit
Es ist vermutlich uncool*, Sascha Lobo auf SPON zu zitieren, aber heute schreibt er was ziemlich Intelligentes zum Gefühl der Ratlosigkeit, das die (scheinbare) soziale Nähe des Netzes generiert – und die sich in der blutigen und lieber unsichtbar gehaltenen Hardware-Ebene der Infrastruktur unserer medial vermittelten sozialen Beziehungen noch einmal in ganz besonderer Weise verbirgt – und nur durch bewusstes Ignorieren aushaltbar scheint:
„Die digitale Ratlosigkeit hat dazu noch eine Metaebene, die in der Hardware verborgen liegt: Die Metalle in der Elektronik meines Handys befeuern einen Krieg im Kongo, der seit 1998 sechs Millionen Menschen ihr Leben gekostet hat. Ich empfehle an dieser Stelle dringend, nicht selbst weiterzurecherchieren und schon gar nicht nach unzensierten Fotos dieses Krieges zu suchen, die sich dank sozialer Medien finden lassen. Es wird sonst deutlich komplizierter, sich seine Unbeschwertheit im Umgang mit den schönsten neuen Smartphones zu bewahren. Weder weinerliche Betroffenheit noch akzeptierende Coolness kommt mir hier wie eine richtige Reaktion vor. Ich habe auch nicht vor, deshalb keine Handys mehr zu benutzen. Vielleicht gibt es so etwas wie einen automatischen Zynismus des digitalen Zeitalters, fast alle Fakten zu allen Missständen herausfinden zu können und sie anschließend ignorieren zu müssen.“
Und es ist ja nicht nur Coltan, sondern es sind genauso die Arbeitsbedingungen in den iPhone-Factories in China usw. Aber diese in der Hardware verborgene Grausamkeit ans Licht zu zerren, erscheint fast undenkbar. Was Sascha Lobo hier für sich selbst beschreibt – die Ratlosigkeit, eine brauchbare Haltung und Umgangsweise zu dieser Frage zu finden, den das „Fair-Trade-Handy“ gibt es bis heute nicht, taucht auch in den von mir geführten Interviews immer wieder auf: ein diffuses Wissen darüber, dass unter der Oberfläche und am Ende der langen Produktionsketten Blut am Handy, am Netbook, am Smartphone klebt, das aber nicht handlungsrelevant wird und dem auch kaum Handlungsoptionen offen stehen.
Warum blogge ich das? Weil’s wichtig ist.
* Uncool z.B. deswegen, weil der selbe Sascha Lobo auch schon mal Werbung für den Mobiltelefondienstleister Vodafon gemacht hat …
Neun Sätze zu Guttenbergs Rücktritt
Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg ist jetzt endlich, endlich als Verteidigungsminister* zurückgetreten.
Ich hoffe jetzt erstens, dass seine selbst in der Rücktrittsrede zu findenden Versuche, das ganze als eine Art mediales Mobbing darzustellen, nicht auf fruchtbaren Boden fallen. Guttenberg hat sein Amt nicht deswegen verloren, weil konservative und linke Zeitungen und ein paar verrückte WissenschaftlerInnen ihm eine kleine studentische Betrügerei übel genommen haben, sondern weil er sich in Lügen und den immer stärker zu Tage tretenden Unaufrichtigkeiten in seinem Lebenslauf verfangen hat.
Und zweitens finde ich es wichtig, festzuhalten, dass das Netz großen Anteil an diesem Rücktritt hatte. Dass die Plagiatsprobleme, die vor einigen Wochen von Prof. Fischer-Lescano öffentlich gemacht wurden, auf diese Resonanz gestoßen sind, und sehr schnell deutlich wurde, dass es um weit mehr geht als um acht „raubkopierte“ Textstellen ist ein Phänomen, dass in dieser Weise nur in einer weitgehend vernetzten Gesellschaft möglich war. Ähnliches gilt für die rasant anwachsende Zahl an Unterschriften unter dem „Offenen Brief“ an Merkel (gestern waren es schon über 33000). Und nicht zuletzt meine ich, dass Twitter und Facebook und ein paar Blogs ein starkes Gegengewicht zum Versuch der BILD dargestellt haben, Guttenberg zu halten. Ob es auch zu diesem Rücktritt gekommen wäre, wenn FAZ und NZZ nicht sichtlich verärgert gewesen wären, weiss ich nicht. Ohne Internet – und ohne eine inzwischen sehr politische Netzszene – wäre Guttenberg aber, da bin ich mir sicher, weiterhin Minister.
* Bzw. genauer, das war anfangs ein bisschen unklar: er ist von allen politischen Ämtern zurückgetreten.
P.S.: Wer es noch nicht kennt – mein vor zwei Wochen geschriebener langer Text zur Causa Guttenberg.
Nur Männer für Netzneutralität?
Heute Gestern morgen ist die Initiative pro Netzneutralität gestartet. Gute Sache! Und in Windeseile wurden aus den 21 ErstunterzeichnerInnen innerhalb eines halben Tages über 3000 Personen. So weit, so gut.
Zwei der drei Erstunterzeichnerinnen. Und einige der 18 Erstunterzeichner.
Was mich und auch andere irritiert hat, ist der Eindruck, der beim Durchscrollen der UnterzeichnerInnen-Liste entsteht: da stehen fast nur Männer. Ich hatte ja vor ein paar Tagen schon auf die Zahlen zur Netznutzung nach Geschlecht hingewiesen, und auch die Erfahrungen mit Netz-Arbeitskreisen oder dem Außenbild der Piratenpartei lassen eine Ungleichverteilung nach Geschlecht erwarten – aber so wie da?
Ich habe mal nachgezählt: unter den 600 UnterzeichnerInnen von Nr. 2807 bis 3406 sind 80 per Namen mehr oder weniger klar als Frauen erkennbar. Die übrigen 520 tragen männliche Namen, sind Pseudonyme und Organisationen oder anderweitig nicht klar geschlechtlich zuzuordnen. Zumindest für diesen Zeitraum sind es also 13% Frauennamen. Das ist schon mal ganz interessant, weil es höher liegt als meine Schätzung von 10%, die mir selbst wiederum eher zu hoch gegriffen erschien. Es sind also ein bißchen mehr Frauen unter den UnterzeichnerInnen als mann das wahrnimmt.
Jetzt könnte das ein Effekt der verschiedenen Tweets etc. sein, dass bisher nur Männer unterzeichnet haben. Deswegen habe ich nochmal 100 Einträge aus dem Beginn genommen (400 bis 499): Hier komme ich auf acht Namen, die ich jetzt erstmal als weiblich wahrnehmen würde (entsprechend also 8% aller UnterzeichnerInnen in dieser Stichprobe). Das entspricht schon eher dem ersten Eindruck.
Der Vollständigkeit halber das ganze Spiel nochmal mit 2200 bis 2299 – hier sind es ebenfalls 8%.
Erstes Zwischenfazit: die Aufrufe, dass auch Frauen doch bitte unterzeichnen sollen, scheinen etwas bewirkt zu haben – allzuviel aber auch nicht.
Ein interessanter Vergleich zwischen den drei Stichproben: in den ersten beiden (400 ff. und 2200 ff.) sind alle als Frauen identifzierte Unterzeichnende mit vollem Namen dabei. In der Stichprobe ab 2807 – also bei den neusten Einträgen – finde ich unter den 60 wahrscheinlichen Frauen 17, die nur mit Vornamen, Vornamen und abgekürztem Nachnamen oder mit Pseudonym auftreten. Das ist immerhin deutlich mehr als ein Viertel in dieser Gruppe.
Daraus ließe sich die These ableiten, dass die Selbstverständlichkeit, mit ganzem Namen, also identifizierbar aufzutreten, im Netz für Männer größer ist als für Frauen. Also ein: na gut, ich unterschreib das, aber doch nicht mit vollem Namen! Auch das hat eine gewisse Plausibilität. Um dieser These nachzugehen, müsste einmal gezählt werden, wie groß der Anteil pseudonymer Einträge bei den als männlich identifizierbaren Namen ist – da es dabei um 85–90% der jeweiligen Gruppe geht, war mir das für einen schnellen Blogeintrag heute abend zu aufwendig. Vielleicht mag ja jemand zählen und im Kommentar nachtragen.
Unabhängig davon, ob es nun 8 oder 13% Frauen unter den UnterzeichnerInnen sind, bleibt die Frage nach dem Warum. Anders gesagt: wie konnte sich Netzpolitik – immerhin ja ein sehr junges Politikfeld – als männliche Domäne entwickeln? Welchen Anteil haben die technikaffinen Wurzeln (CCC etc.) dabei? Gibt es sowas wie (aktive/unbewusste) Aussschlussmechanismen – Hackersexismus als Stichwort – und am wichtigsten: Wie kann Netzpolitik zu einem Feld werden, dass sich dieser Mechanismen bewusst ist und in dem aktiv daran gearbeitet wird, strukturell wie thematisch den Pfad „Männerbund“ zu verlassen? (Nebenbei: auch die Alpha-Bloggern mit hoher Sichtbarkeit sind fast durchweg Männer – und tragen damit zur Pfadausbildung bei).
Gerade Netzneutralität ist ein gutes Beispiel: denn es ist ja gerade kein „technisches“ Thema, auch wenn es erstmal technisch daherkommt, sondern die gesellschaftspolitische Frage danach, wie die Netzinfrastruktur politisch reguliert werden soll, was der Markt darf, und welche Möglichkeiten „unabhängige“ InhaltsanbieterInnen in Zukunft haben werden. Das betrifft – meine ich jedenfalls – alle Menschen, ganz unabhängig vom Geschlecht.
Aber nochmal: stimmen diese Überlegungen? Und was ließe sich tun? Oder, anders gefragt: warum haben die Frauen (und Männer), die inhaltlich für Netzneutralität sind, und sich bisher nicht an der Kampagne beteiligt haben, daran noch nicht beteiligt?
Warum blogge ich das? Weil ich nach meiner Schätzung irgendwo zwischen 90 und 99% Männer dann doch mal schauen wollte, ob das stimmt – oder ob mir da meine eigene Geschlechtererwartungshaltungen einen Streich in der Wahrnehmung spielt. Und nachdem ich dann schon gezählt hatte, wollte ich das – typisch Mann? – auch mitteilen, obwohl’s nicht mehr als das Äquivalent einer hektischen und ungenauen Strichliste war …
Nachtrag: Bei der Mädchenmannschaft wird erörtert, warum Netzneutralität gerade aus queer-feministischer Perspektive ein Thema sein sollte.